Meinung

«Hilfe vor Ort» beginnt in Bern

27.06.2016, Internationale Zusammenarbeit

«Um mehr Entwicklungserfolge zu erzielen, braucht es eine Schweizer Politik, die den Entwicklungsländern keine Steine in den Weg legt», sagt Alliance-Sud-Geschäftsleiter Mark Herkenrath.

«Hilfe vor Ort» beginnt in Bern

© Daniel Rihs / Alliance Sud

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Anfang Juni ist der Nationalrat dem Vorschlag des Bundesrates gefolgt, die Entwicklungsausgaben für 2017-2020 von aktuell 0.52% des Nationaleinkommens auf 0.48% zu senken. Nun geht das Geschäft an den Ständerat. Auch dort wird es intensive Diskussionen über den Sinn und Zweck der Entwicklungszusammenarbeit geben.

In der Grossen Kammer sorgte Weltwoche-Chefredaktor Köppel für populistische Stimmungsmache. Er meinte behaupten zu müssen, Afrika habe sich in den letzten Jahrzehnten trotz milliardenschwerer Hilfe nicht vom Fleck bewegt. Bundesrat Burkhalter korrigierte: Afrika sei vielfältig, und in vielen Ländern habe es enorme Fortschritte gegeben. Trotzdem ist die Frage berechtigt: Warum herrschen in vielen Entwicklungsländern Afrikas und anderer Kontinente weiterhin so viel Armut und Not?

Die Entwicklungszusammenarbeit ist nicht Teil des Problems, sondern der Lösung. Sie hat massgeblich zu Fortschritten in der Gesundheitsversorgung und der Bildung, vor allem auch der Bildung von Mädchen und Frauen beigetragen. Und sie hat dazu beigetragen, die lokalen Zivilgesellschaften zu stärken, die mehr denn je ihre Regierungen in die politische Verantwortung nehmen. Man möchte sich nicht vorstellen müssen, wo die Entwicklungsländer ohne ausländische Unterstützung stehen würden.

Aber: Gegen das enorme Machtgefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, ungleiche Handelsbeziehungen, Menschenrechtsverletzungen und Gewinnverschiebungen durch transnationale Grosskonzerne oder die Folgen des Klimawandels kommt auch die beste Entwicklungszusammenarbeit nicht an. Auch nicht gegen die willkürlichen Grenzziehungen, die seit dem Ende der Kolonialzeit in vielen Entwicklungsländern für ethnische Konflikte und Machtkämpfe sorgen. Das sind die Gründe der anhaltenden Probleme.

Waffenexporte der Industrieländer versorgen diese Konflikte mit Munition. Steueroasen und intransparente Handelsplätze ermöglichen es den Kriegsherren, ihre Geschäfte zu finanzieren. Gleichzeitig helfen sie Steuerhinterziehern, gut funktionierenden Staaten die dringend nötigen öffentlichen Einnahmen vorzuenthalten. Unlautere Finanzflüsse sorgen dafür, dass jedes Jahr Milliardenbeträge spurlos aus den Entwicklungsländern verschwinden. Sie übersteigen die internationalen Entwicklungsgelder um mehr als das Zehnfache. Der fortschreitende Klimawandel verschärft darüber hinaus die Verteilungskämpfe und erhöht den Migrationsdruck.

Auch die Schweiz steht hier in der Verantwortung. Die Ratsrechte fordert immer wieder «Hilfe vor Ort». Einverstanden, aber nur wenn dieser Ort primär Bundesbern ist. Denn um mehr Entwicklungserfolge zu erzielen, braucht es eine Schweizer Politik, die den Entwicklungsländern keine Steine in den Weg legt. Dazu gehören Transparenzregeln für den Finanzplatz Schweiz und den Rohstoffhandel, aber auch ein konsequentes Vorgehen gegen die drohende globale Klimakatastrophe. Gefordert sind auch verbindliche Regeln für Konzerne mit Sitz in der Schweiz, die weltweit die Menschenrechte und international anerkannte Umweltstandards einhalten sollen.

Editorial aus GLOBAL+, Ausgabe Sommer 2016

Meinung

Entwicklungshilfe ist nicht Migrationsverhinderung

02.07.2016, Internationale Zusammenarbeit

Die Forderung, die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit als «Migrationsverhinderung» zu konzipieren, zielt an der Realität vorbei, schreibt Peter Niggli als Replik auf Rudolf Strahm. Dieser möchte mehr in die Berufsbildung im Süden investieren.

Entwicklungshilfe ist nicht Migrationsverhinderung

© Daniel Rihs/Alliance Sud

von Peter Niggli, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Wenn die Konflikte fremder Kontinente in die geschützte Zone reicher Länder überschwappen, erinnert sich westliche Politik gerne der Entwicklungshilfe. Sie soll lösen, was die Aussenpolitik vorher angerichtet hat – durch militärische Intervention, das Bündnis mit Diktatoren oder die Zerrüttung kleinbäuerlicher Landwirtschaft mit verbilligten Agrarprodukten aus Europa. So war es nach 9/11. Und so ist es heute wieder, wo sich Europa in der «Migrationskrise» wähnt. Nun soll Entwicklungshilfe unerwünschte Flüchtlinge abwehren helfen. Dafür plädiert Rudolf Strahm in seiner TA-Kolumne vom 21. Juni. Er möchte die schweizerische Hilfe neu auf «Migrationsverhinderung» und «Asylrückschaffung» konzentrieren und sieht in der Förderung der Berufsbildung den Hebel dazu. Seine Forderung stützt sich auf eine verzerrte Analyse, missachtet die Leistungen der Schweizer Entwicklungshilfe und blendet aus, woran Rückübernahmeabkommen kranken.

Strahm behandelt nur Flüchtlinge aus Afrika. Sie machten 2015 40 Prozent der Asylgesuche aus und seien meistens «Armutsflüchtlinge». Allerdings kamen drei Viertel aus Eritrea und Somalia, wo die Regierung bzw. der Bürgerkrieg und nicht die Armut das Hauptproblem sind.

Die Ursache der Armut Afrikas sieht Strahm darin, dass Millionen junger Menschen keine Beschäftigung fänden. Afrikas Eliten würden das Handwerk stigmatisieren und die akademische Bildung privilegieren. Arbeitsmarktfähig in Afrika sei aber nur, wer einen praktischen Beruf habe. Tatsächlich hat Afrika gravierende Lücken im Berufsbildungs- und Bildungswesen, aber auch fast keine Industrie, die Arbeitsplätze schafft. Erfolgreiche Entwicklungsländer wie Korea, China oder Südostasien haben ihren wirtschaftlichen Erfolg nicht einem Berufsbildungssystem zu verdanken. Ihre Regierungen betrieben jedoch eine aktive Industrialisierungspolitik. Kurz: Fehlende Berufsbildung ist nicht das entscheidende Entwicklungshindernis Afrikas.

Die Schweizer Entwicklungshilfe konzentriert sich zu Recht nicht auf diesen «Wunderfaktor». Trotzdem enthalten alle Programme – von der ländlichen Entwicklung bis zur Stärkung der Institutionen – Bildungskomponenten und vermitteln praktische Berufsfähigkeiten. Hinzu kommen eigentliche Berufsbildungsprogramme in Zusammenarbeit mit lokalen Branchenverbänden und Behörden. Die privaten Entwicklungsorganisationen vernachlässigen den Bereich auch nicht, wie Strahm meint. So führt etwa Helvetas Berufsbildungsprogramme in fünf Ländern Afrikas durch. Dasselbe tut auch Solidar Suisse, das ehemalige Arbeiterhilfswerk. Strahm lobt aber nur die «wirtschaftsnahe Swisscontact», die übrigens sehr wenig Spenden aus der Wirtschaft erhält und vor allem mit öffentlichen Mitteln arbeitet.

Um die «Armutsflüchtlinge» Afrikas abzuwehren, setzt Strahm auf Rückführungsabkommen und Migrationspartnerschaften. Die Rückschaffung soll dadurch schmackhaft gemacht werden, dass eine Berufsbildung in den Herkunftsländern, im «permanenten Flüchtlingslager» (wo?) oder in der Schweiz versprochen wird. Dafür will er die Hälfte des Entwicklungsbudgets einsetzen. Der Stolperstein: Afrikanische Regierungen zeigen gar kein oder nur lauwarmes Interesse für solche Abkommen. Die Schweiz kann sie ihnen auf alle Fälle nicht aufzwingen, auch nicht Eritrea, das sich westlicher Entwicklungshilfe verweigert. Falls die Regierungen Entgegenkommen zeigen, verlangen sie dafür finanzielle Vorteile sowie legale Einwanderungsmöglichkeiten in die Schweiz. Letzteres schliesst jedoch das Ausländergesetz aus. Die Schweiz konnte den beiden einzigen afrikanischen Ländern mit Migrationspartnerschaft, Nigeria und Tunesien, bislang nur eine Handvoll «Stages» anbieten. Wenn sie mehr legale Einwanderung (auch für Berufsbildung) anböte, könnte sie mehr Länder für solche Partnerschaften gewinnen.

Dieser Artikel wurde am 2. Juli 2016 als Gastbeitrag im Tages-Anzeiger (Print) publiziert.

Artikel

Bei den Reichen lernt man Sparen

03.10.2016, Entwicklungsfinanzierung

Das Finanzdepartement meldet regelmässig Haushaltsüberschüsse, doch der Entwicklungszusammenarbeit soll es erneut an den Kragen gehen. Ausgeblendet bleibt, dass die Schweiz im Vergleich bei Verschuldung und Steuerbelastung Tiefstwerte aufweist.

Bei den Reichen lernt man Sparen

Bundesrat Ueli Maurer, eingerahmt vom Direktor der Finanzverwaltung und vom Bundesratssprecher

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Im Mai 2016 verabschiedete der Bundesrat das Stabilisierungsprogramm 2017-2019. Im Herbst wird es im Ständerat diskutiert. Die Sparmassnahmen betreffen die internationale Zusammenarbeit (IZA) überproportional. Diese soll rund 25% der Einsparungen tragen. Konkret sind das Sparschnitte von 150-250 Millionen Franken pro Jahr. Ausserdem gehört die IZA zu den ganz wenigen Bereichen, bei denen nicht nur relativ zum provisorischen Finanzplan gespart wird, sondern absolute Kürzungen stattfinden.

Gegenüber der bisherigen Planung reduziert das Stabilisierungsprogramm die Bundesausgaben insgesamt um jährlich 800 Millionen bis 1 Milliarde Franken. Wegen der starken Aufwertung des Schweizer Frankens und − das Wirtschaftswachstums hat sich verlangsamt − schrumpfenden Einnahmen seien Anpassungen notwendig, um die Vorgaben der Schuldenbremse einzuhalten. Einnahmeseitig will der Bund allerdings auf Massnahmen verzichten, neue Steuern oder Abgaben sind kein Thema.

Als Hauptargument für die asymmetrische Lastenverteilung der Sparmassnahmen auf Kosten der IZA wird angeführt, diese habe in den letzten Jahren von einem überproportionalen Wachstum profitiert. Dieses Wachstum war allerdings die Folge eines strategischen Entscheids beider Kammern des Parlaments, den Anteil der Entwicklungszusammenarbeit auf 0.5% der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Kurz, die rein buchhalterische Begründung für die massiven Einschnitte verkennt das langfristige Interesse der Schweiz an einer sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltigen Welt.

In seiner Botschaft zum Stabilisierungsprogramm behauptet der Bundesrat, die IZA gehöre «weiterhin zu den am stärksten wachsenden Bereichen innerhalb des Bundes» (Bundesblatt 2016: 4717). Da im Budget 2016 massiv gekürzt wurde, handelt es sich bei diesem Wachstum jedoch zum grössten Teil um eine Wiederaufstockung auf das Ausgabenniveau von 2015. Während die IZA 2015 noch einen Anteil von 5.5% am Gesamthaushalt betrug, wird dieser Anteil bis 2019 auf 4.9% schrumpfen.

Steuerausfälle durch USR III erhöhen Spardruck

Neue oder höhere Steuern schliesst der Bundesrat explizit aus. Mit der Unternehmenssteuerreform III (USR III) werden die Einnahmen ab 2019 nochmals massiv sinken. In seinem Vorschlag der USR III rechnet der Bundesrat vor, dass dem Bund 1.3 Milliarden Franken an Einnahmen entgehen werden. Trotzdem verzichtet er auf eine Gegenfinanzierung, z.B. über eine Finanztransaktionssteuer. Und das Parlament hat die USR III zugunsten der Unternehmen noch weiter ausgebaut. Die Auswirkungen sind schwer zu beziffern, sie werden aber voraussichtlich zu massiven zusätzlichen Steuerausfällen bei Bund, Kantonen und Gemeinden führen.  

Der Fokus auf steuerliche Anreize im Standortwettbewerb irritiert. In seinem Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2015 sagt der Bundesrat selber, dass bei der Wahl des Unternehmensstandorts die Steuerbelastung nur ein Faktor unter vielen sei. Mindestens ebenso wichtig sind Faktoren wie die Infrastruktur, das Bildungsniveau, Forschung, der Zugang zu ausländischen Märkten und die politische Stabilität des Umfelds.  

Umverteilen zulasten der Ärmsten

Im Juni 2016 kündigte Finanzminister Maurer jedoch bereits ein zweites Sparpaket 2018-2020 an. Der Staatshaushalt soll um weitere 3 Milliarden Franken entlastet werden. Neben den Entscheiden zur USR III erhöht auch das Festhalten am Zahlungsrahmen für die Armee den Ruf nach Sparmassnahmen in anderen Bereichen. Um das Budget wieder ins Gleichgewicht zu bringen, folgt reflexartig der Griff in die Kasse der sogenannten ungebundenen Ausgaben. Im Gegensatz zu den gebundenen Ausgaben folgen diese nicht direkt aus gesetzlichen Bestimmungen. Besonders betroffen ist dabei erneut die Entwicklungszusammenarbeit, deren Lobby in Bundesbern vergleichsweise schwach ist. Und die Einschnitte wirken sich vermeintlich weit weg aus, fern von potenziellen Wählerinnen und Wählern.

Längerfristig holen uns die Auswirkungen der Sparübungen auf dem Buckel der Ärmsten jedoch in der Schweiz wieder ein. Es fehlen die Mittel im Kampf gegen die Ursachen von Terror, Konflikten und Armut. Und die Möglichkeiten, via Entwicklungszusammenarbeit einen Beitrag an die Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Migration zu leisten, werden zur Unzeit eingeschränkt.

Kaum gestellt, geschweige denn wirklich beantwortet wird die Frage, wie gut begründet, wie notwendig diese massiven Sparübungen im Bundesbudget tatsächlich sind. Immerhin präsentierte der Bundesrat in den letzten Jahren jeweils Rekordüberschüsse. So resultierte zuletzt bei der Staatsrechnung 2015 ein Überschuss von 2.3 Milliarden Franken, weit über den budgetierten 400 Millionen Franken. Auch die Juni-Hochrechnung für 2016 des EFD geht von einem 1.7 Milliarden Franken Überschuss aus. Zwar ist dieses Ergebnis hauptsächlich speziellen Umständen wie den Negativzinsen geschuldet. Da Unternehmen ihre Steuern verstärkt im Voraus bezahlen, liegen die Einnahmen weit über dem Budget. Das um diese Sonderfaktoren bereinigte Finanzierungsergebnis liegt mit -0.1 Milliarden Franken zwar einiges tiefer, aber immer noch wesentlich über dem budgetierten Defizit von 0.5 Milliarden.

Auch im internationalen Vergleich präsentieren sich die öffentlichen Finanzen in der Schweiz überdurchschnittlich gut. So lag die Schuldenquote der öffentlichen Haushalte 2015 bei sehr tiefen 34.4%, deutlich unter dem Durchschnitt der Länder des Euroraums (94.1% des BIP). Auch bezüglich Steuerbelastung weist die Schweiz Tiefstwerte auf. Die Fiskalquote liegt mit 27% wesentlich unter dem OECD-Durchschnitt von 34.4%.

Angesichts dieser Fakten drängt sich der Schluss auf, dass der Bundesrat mit schlechten Prognosen ganz bewusst den Anschein von Spardruck erweckt. Zwar verschlechterten sich zuletzt die globalen und nationalen Wirtschaftsaussichten. Gemäss Prognosen der Expertengruppe des Bundes wird die Schweizer Wirtschaft aber auch 2017 real um 1.8% wachsen. Es ist ein Armutszeugnis für die reiche und im Vergleich mit Nachbarstaaten wirtschaftlich sehr gut dastehende Schweiz, den Rotstift bei den Ärmsten in den Entwicklungsländern anzusetzen.

Meinung

Verfehlte Politik des Wegschauens

03.10.2016, Internationale Zusammenarbeit

Der Anteil Asylsuchender an der Wohnbevölkerung der Schweiz beträgt aktuell gerade einmal 0,9 Prozent. Trotzdem sorgt die «Flüchtlingskrise» in der Schweiz für heisse Köpfe. Ein paar Fakten würden dieser Diskussion gut tun.

Verfehlte Politik des Wegschauens

© Daniel Rihs/Alliance Sud

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

«Niemand verlässt Heimat und Familie einfach so. Du musst so verzweifelt sein, dass es dir sogar egal wäre, im Mittelmeer zu ertrinken. Hauptsache, du hast es versucht, anderswo eine lebenswerte Existenz zu finden und trotz der Not nicht kriminell zu werden.»

So erklärte mir vor einem Jahr ein Bekannter, weshalb er aus seiner nordafrikanischen Heimat in die Schweiz geflohen war. Vor ein paar Monaten ist er wieder dorthin ausgeschafft worden.

Inzwischen halten sich mehrere Hundert Flüchtlinge in Como auf, darunter auch zahlreiche unbegleitete Minderjährige. Sie versuchen fast täglich, die Schweizer Grenze zu passieren, um in der Schweiz Zuflucht zu finden oder nach Deutschland oder Skandinavien weiterzureisen. Wie wir wissen, schaffen nur wenige von ihnen den Grenzübertritt.

Mitte 2016 hielten sich in der Schweiz rund 33‘000 Asylsuchende auf. Hinzu kamen etwas mehr als 73‘000 anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen. Deren Anteil an der Wohnbevölkerung der Schweiz beträgt aktuell gerade einmal 0,9 Prozent. Trotzdem sorgt die «Flüchtlingskrise» in der Schweiz für heisse Köpfe. Ein paar Fakten würden dieser Diskussion gut tun.

Erstens: Heute sind nach Angaben der Uno weltweit mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. 40 Millionen davon halten sich als «intern Vertriebene» weiterhin im eigenen Land auf. Für die bisher konfliktfreien Landesteile, in denen sie Zuflucht suchen, bedeutet dies eine enorme Herausforderung. Ohne ausländische Unterstützung drohen auch dort Instabilität und Armut.

Zweitens: Von den über 20 Millionen Flüchtlingen, die ihr eigenes Land verliessen, ist weniger als ein Fünftel in reiche Industrieländer geflohen. Über 80 Prozent haben Zuflucht in anderen Entwicklungsländern gefunden, ein Viertel sogar in Staaten, die zu den ärmsten der Welt gehören. Im Tschad zum Beispiel leben zurzeit mehr als 350‘000 Flüchtlinge. Das sind rund 2,6% der dortigen Bevölkerung. Im Libanon machen die rund 1.2 Millionen Flüchtlinge sogar 18,3% der Wohnbevölkerung aus, also 18 Mal mehr als in der Schweiz.

Drittens: Einzelne Entwicklungsländer tun sich mit der Integration ausländischer Flüchtlinge weniger schwer als wir. Uganda zum Beispiel beherbergt aktuell rund eine halbe Million geflohene Personen. Damit ist es nach Äthiopien und Kenia das wichtigste Zufluchtsland in Afrika. Anerkannte Flüchtlinge erhalten dort ein Stück Agrarland in lokalen Gemeinschaften, gleichen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Einheimische, eine Arbeitsbewilligung und das Recht, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Das Land ist dabei auf internationale Unterstützung angewiesen, denn auch hier stellt die Zuwanderung die staatliche Infrastruktur vor beträchtliche Herausforderungen.

Es ist schwer nachzuvollziehen, dass ein grosser Teil des Schweizer Parlaments die steigenden Ausgaben für Asylsuchende hierzulande ausgerechnet über Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit finanzieren will. Eigentlich müsste doch klar sein, dass ärmere Länder, die deutlich mehr Flüchtlinge bei sich aufnehmen als wir, mehr denn je unsere Hilfe brauchen.

Artikel

Was leistet Gewaltprävention?

26.06.2017, Internationale Zusammenarbeit

Zwischen Terror und Unterentwicklung gibt es einen direkten Zusammenhang. Davon sind UN-Gremien, aber auch die offizielle Schweiz überzeugt. Auslegeordnung der akademischen Erkenntnisse.

Was leistet Gewaltprävention?
Makoko ist eine illegal gebaute Siedlung in der Lagune von Lagos, Nigeria, wo der Staat keine öffentlichen Schulen betreibt. Im Bild eine der wenigen Privatschulen für zugewanderte französischsprachige Kinder aus Benin.
© Panos / Petrut Calinescu

von Nathalie Bardill, ehemalige Mitarbeiterin Alliance Sud

Für den Schweizer Aussenminister gehören Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und Sicherheitspolitik zusammen. Innenpolitische Sicherheitsbedenken und aussenpolitische Bedrohungslagen liessen sich kaum mehr trennen. Die Prävention von gewalttätigem Extremismus (Preventing Violent Extremism, PVE) erachtet Didier Burkhalter daher als eine wichtige Aufgabe der EZA. Wenn die EZA Ansätze der PVE verfolge, entziehe sie terroristischen Gruppen den Nährboden. Diese EZA stärke die «Widerstandsfähigkeit von Individuen und Gemeinschaften» und unterstütze sie darin «Kontexte so zu gestalten, dass sich Menschen nicht zu politisch oder ideologisch motivierter Gewalt hinreissen», heisst es im Aussenpolitischen Aktionsplan der Schweiz zur PVE. So steht es im Aussenpolitischen Aktionsplan der Schweiz zu PVE. Die Angst vor terroristischen Anschlägen wächst, auch bei uns. Projekte, die gewalttätigen Extremismus zu verhindern versuchen, stossen darum auf breite Unterstützung in der Bevölkerung wie auch in der UNO.

Die Entwicklungszusammenarbeit hat zum Ziel, die globale Armut zu mindern. Bedeutet PVE, dass sie sich neu orientieren muss? Oder trägt sie sowieso schon dazu bei, Gewalt und extremistischen Ideologien den Nährboden zu entziehen?

Inwieweit klassische Armutsbekämpfung gewalttätigen Extremismus vermindert, ist in der Forschung umstritten. Problematisch an dieser Forschung ist aber, dass sie bisher auf das (vergleichsweise) marginale Phänomen des transnationalen Terrorismus fokussierte. Sie vernachlässigt den Blick auf lokale, aber breit abgestützte extremistische Bewegungen und auf die Beweggründe, sich solchen Bewegungen anzuschliessen. Die Terrorismusforschung verneint einen direkten Zusammenhang von Armut und Ungleichheit mit Gewaltakten. Forschung zu politischer Gewalt hingegen zeigt, dass hier durchaus ein Zusammenhang mit Armut und ökonomischer Marginalisierung von Minderheiten besteht. Der Zusammenhang ist dort besonders stark, wo die staatlichen Strukturen schwach sind.

Ein schwacher Staat und fehlende bürgerliche Freiheiten sind nach Ansicht der Wissenschaft wichtige Faktoren für die Entstehung von politischer und extremistischer Gewalt. Schlechte Regierungsführung, fehlende staatliche Versorgung der Grundbedürfnisse (Bildung, Gesundheit, Wohlfahrt) sowie Diskriminierungs- und Exklusionserfahrungen von Minderheiten, können unter dem Schlagwort der ‚Fragilität‘ zusammengefasst werden. Dazu gehören auch fehlende politische Partizipation und die zunehmende Repression von Andersdenkenden. Fokussiert die EZA auf diese Faktoren, erschwert sie extremistischen Gruppen die Mobilisierung von Anhängern. Sie geht damit auch gegen ein potentielle Ohnmachtsgefühle vor. Frustration alleine reicht jedoch nicht aus, um gewaltbereite Gruppierungen hervorzubringen: Hier spielt auch eine Rolle, ob politische oder zivilgesellschaftliche Akteure die Gunst der Stunde nutzen und die Unzufriedenheit zu kanalisieren wissen.

Viele Interventionen der EZA setzen zu Recht bei der guten Regierungsführung, der Rechtsstaatlichkeit und der politischen Partizipation an. Solche Demokratisierungsansätze bergen allerdings auch gewisse Risiken. Denn politische Transitionen können durch ihre Instabilität neue Chancen für extremistische Gruppen eröffnen und sind anfällig für politisch motivierte Gewalt.

Für die Prävention von Gewalt ist denn auch zentral, dass Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft eingebunden sind. Fehlen lokale Strukturen, speziell für Jugendliche auf der Suche nach Sinn und Identität, so können gewaltbereite Organisationen in die Bresche springen. Die Inklusion der Jugend wird im Schweizer Aktionsplan zu PVE auf den Zugang zu Berufsbildung und Arbeitsplätzen zugespitzt. Ein Forschungsüberblick zu Treibern von gewalttätigem Extremismus bestätigt, dass gewisse extremistische Gruppen Unterbeschäftigte und Arbeitslose rekrutieren. Er empfiehlt der EZA deshalb, die Schaffung von Arbeitsplätzen zu priorisieren, speziell in Regionen mit starken oppositionellen Strömungen und mit Fokus auf Männer im kampffähigen Alter. Während solche Interventionen sinnvoll sein können, warnt eine andere Studie aber davor, den Zusammenhang von politischer Gewalt und Arbeitslosigkeit zu hoch zu bewerten. Die Bereitschaft zu politischer Gewalt entstehe aus vielschichtigen Unrechtserfahrungen, Arbeitslosigkeit alleine reiche dazu nicht aus.

Ein Fokus auf die Berufsbildung – in enger Verknüpfung mit der Schaffung von Arbeitsplätzen, um nicht noch weitere frustrierte Arbeitslose zu produzieren – ist trotzdem ein valabler Ansatz, um die Rekrutierungsbasis extremistischer Gruppen zu schmälern. Bildungsprogramme sind für die PVE auch deshalb sinnvoll, weil die Förderung von kritischem Denken, Toleranz und gewaltlosen Konfliktlösungsstrategien die Anziehungskraft extremistischer Ideologien schmälert. Bildung kann allerdings auch die Sensibilität für soziale und ökonomische Ungleichheit erhöhen und die Bereitschaft für einen politischen Umsturz fördern. Dies gilt aber vor allem dort, wo kaum Möglichkeiten für gemässigten Protest und politische Einflussnahme bestehen. Bildungsinterventionen alleine genügen also nicht.

Problematisch am PVE-Ansatz ist, dass gewalttätiger Extremismus aktuell vor allem mit dem politischen Islam in Verbindung gebracht wird. Es besteht die Gefahr, dass EZA im Zuge dieses Ansatzes ihre Interventionen auf Bevölkerungsgruppen reduziert, die aufgrund ihrer Religion pauschal verdächtigt werden. Ein allzu offenkundiger Extremismus-Fokus kann ausserdem bei der betroffenen Bevölkerung und Zivilgesellschaft auf Widerstand stossen. Er erschwert die Zusammenarbeit mit Zivilorganisationen, die regierungskritisch auftreten und von den herrschenden Eliten nur schon deshalb als extremistisch bezeichnet werden.

Klar ist, dass die EZA bereits heute einen Beitrag zur Gewaltprävention leistet. Ihre Kernaufgabe – der Einsatz für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen, für einen funktionierenden Rechtsstaat, integre Institutionen und politische Teilhabe sowie für eine starke und offene Zivilgesellschaft – mindert zugleich die Anziehungskraft gewaltbereiter Gruppen, die eine bessere Zukunft versprechen. Die EZA hat hier einen Nutzen, auch wenn sie nicht ausdrücklich unter der Fahne der PVE segelt. Allerdings ist sie auch kein Garant für die Verhinderung von Gewaltausbrüchen. Gewalt ist ein genauso komplexes Phänomen wie Entwicklung ein vielschichtiger Prozess ist. Die EZA kann einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung und gegen die Gewalt leisten, vollständig kontrollieren kann sie beides nicht.

Die Autorin ist Historikerin und hat sich im Rahmen eines über Drittmittel finanzierten Projekts für Alliance Sud mit PVE auseinandergesetzt.

Meinung

Widersprüchliche Pläne für und mit Afrika

09.10.2017, Internationale Zusammenarbeit

Die internationale Zusammenarbeit steht immer mehr im Zeichen der Migrationsverhinderung. Auch die Finanzierung von Repressionsapparaten gehört neuerdings dazu. Der neue Aussenminister tut gut daran, diese Entwicklung zu hinterfragen.

Widersprüchliche Pläne für und mit Afrika
Mark Herkenrath, Geschäftsleiter Alliance Sud.
© Daniel Rihs/Alliance Sud

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Aussenminister Ignazio Cassis kennt das Thema Migration aus eigener Anschauung, er ist der erste Secondo in der Schweizer Regierung und Vertreter eines Grenzkantons. Neu wird er sich jetzt mit dem wenig durchdachten Parlamentsauftrag herumschlagen müssen, dass die internationale Zusammenarbeit strategisch mit der Migrationspolitik zu verknüpfen sei.

Auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten wird die Entwicklungszusammenarbeit zusehends zur Migrationsbekämpfungspolitik umfunktioniert. Mit seinem « Marshall-Plan mit Afrika » will Deutschland auf dem afrikanischen Kontinent für einen massiven Entwicklungsschub sorgen. So weit, so gut. Pikanterweise hiess der Plan aber ursprünglich « Marshall-Plan für Afrika » und war unter Ausschluss der afrikanischen Regierungen und Parlamente entworfen worden. Viele Massnahmen – etwa die Förderung von Kleinbauernfamilien, Programme für gute Regierungsführung oder das Hinwirken auf bessere Umwelt- und Sozialgesetze – gehören längst zum Repertoire der Entwicklungszusammenarbeit, auch der schweizerischen. Gleichzeitig will Deutschland aber auch mehr private Investitionen nach Afrika fliessen lassen.

Der Investitionsförderung dienen letztlich auch die Freihandelsverträge, die seit einiger Zeit unter dem Titel « Europäische Partnerschaftsabkommen» mit afrikanischen Staaten verhandelt werden. Neu sollen afrikanische Länder ihre Binnenmärkte aber eine Zeit lang durch Schutzzölle vor der übermächtigen globalen Konkurrenz schützen dürfen. Der « Marshall-Plan mit Afrika » geht bis zu einem gewissen Grad also auch gegen Fluchtursachen made in Europe vor, wie unfaire Handelsbeziehungen und ungleiche Investitionschancen. Sinnvoll ist auch, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zukünftig Länder bevorzugen soll, die von sich aus den Rechtsstaat stärken und die Korruption bekämpfen.

Nur: Geht es um unmittelbare Migrationsverhinderung, sind die guten Ansätze gleich wieder Makulatur. So knüpfen im Rahmen des sogenannten Khartoum-Prozesses Deutschland und die EU ihre Zusammenarbeit an die Bereitschaft afrikanischer Regierungen, schärfere Grenzkontrollen einzuführen. Hier hofieren sie hochgradig autoritäre Regierungen und unterstützen diese beispielsweise beim Aufbau von Polizeitrainingszentren. Es werden also die Repressionsapparate just jener Diktaturen gestärkt, vor denen die Menschen fliehen.

Umso bedenklicher ist, dass die Schweiz inzwischen Vollmitglied dieses Khartoum-Prozesses ist. Sie zahlt in den Europäischen Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika ETF ein, der im Namen der gesamteuropäischen Migrationsaussenpolitik in Ländern wie dem Sudan oder Eritrea die Sicherheitskräfte und die dem Geheimdienst unterstellte Grenzkontrolle unterstützt. Sieht so also die vom Parlament geforderte Verknüpfung von internationaler Zusammenarbeit und migrationspolitischen Interessen in der Praxis aus ? Es bleibt zu hoffen, dass Bundesrat Cassis erkennt, wie inkohärent eine solche Afrikapolitik ist.

Artikel

So arbeiten Entwicklungsorganisationen heute

26.11.2017, Internationale Zusammenarbeit

Hilfswerke bauen Brunnen und Brücken. Dieses Bild der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit ist längst überholt. Alliance Sud stellt die Arbeit ihrer Träger und Partner vor. Das Wichtigste auf den Punkt gebracht.

So arbeiten Entwicklungsorganisationen heute

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Die Meinungen über Sinn und Zweck von Entwicklungszusammenarbeit (EZA) gehen auseinander. Höchste Zeit, Missverständnisse auszuräumen. Und zu erklären, was Entwicklungsorganisationen heute tun.

Das sind die Grundlagen der Schweizer EZA:

  • In der Bundesverfassung (Art. 54/2) heisst es: Der Bund  trägt  bei  zur  Linderung  von  Not  und  Armut  in  der  Welt,  zur  Achtung  der  Menschenrechte  und  zur  Förderung  der  Demokratie,  zu  einem  friedlichen  Zusammenleben  der  Völker  sowie  zur  Erhaltung  der  natürlichen Lebensgrundlagen.
  • Die Ziele der EZA umschreibt das Entwicklungshilfegesetz so: Die Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die Entwicklungsländer im Bestreben, die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern. Sie soll dazu beitragen, dass diese Länder ihre Entwicklung aus eigener Kraft vorantreiben. Sie unterstützt in erster Linie die ärmeren Entwicklungsländer, Regionen und Bevölkerungsgruppen.

Das leistet die EZA
Richtige EZA zeigt echte und messbare positive Wirkung – dort, wo es beabsichtigt ist. Dafür sorgen wissenschaftlich erprobte Instrumente der Wirkungsmessung. Diese erlauben auch, begangene Fehler möglichst rasch zu korrigieren. EZA unterstützt nicht nur Individuen, Familien und Gemeinschaften, sondern trägt auch dazu bei, dass die Verbesserungen dauerhaft sind und einen systemischen Wandel bewirken.

Das kann die EZA nicht leisten
EZA kann die Welt nicht retten, denn dafür fehlen ihr – verglichen mit den Geldern, die in anderen Politik- und Wirtschaftsfeldern bewegt werden – die Mittel. Globale Ungleichheit ist historisch gewachsen und hat sich in jüngster Zeit noch enorm verstärkt. Das ist kein Widerspruch zur Tatsache, dass es prozentual noch nie so vielen Menschen materiell so gut ging wie heute.

Das macht gute EZA
Richtig konzipierte EZA erzielt Wirkung. Sie trägt dazu bei, das Vertrauen der Menschen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken. Sie begegnet den Armen und Ärmsten auf Augenhöhe, orientiert sich an ihren Bedürfnissen und stärkt so das Bewusstsein, dass sich alle Menschen mit Erfolg für Chancengleichheit einsetzen, und sich gegen verkrustete Strukturen und fatale Abhängigkeiten wehren können.

Das macht gute EZA nicht
EZA nimmt die Regierungen von Empfängerstaaten nicht aus der Verantwortung, selbst das Beste für ihre Bürgerinnen und Bürger zu tun. Budgethilfe auch an ärmste Staaten ist darum nur in gut begründeten Fällen die Ausnahme der Regel. EZA darf kein Schmiermittel für Schweizer Wirtschaftsbeziehungen mit Staaten sein, die bereits auf einem erfolgreichen Entwicklungspfad sind.

Wer betreibt EZA?
Zu unterscheiden ist die EZA der öffentlichen Hand sowie die EZA privater Organisationen. Die öffentliche EZA (Deza und Seco) sollte sich auf die ärmeren Entwicklungsländer konzentrieren. Die Privaten führen Mandate im Auftrag des Bundes aus, betreiben aber vor allem mit Spendengeldern finanzierte Projekte in Eigenregie. Mit diesen engagieren sie sich auch für die Ärmsten in Schwellenländern.

Wie wird EZA finanziert?
Die öffentliche EZA ist Teil der internationalen Zusammenarbeit (IZA) des Bundes. 2016 standen Deza und Seco dafür 2.5 Milliarden zur Verfügung. Private Organisationen finanzierten über Spendengelder eigene Projekte im Umfang von 520 Millionen Franken (Stand 2015).


Fazit: EZA ist gut investiertes Geld

Von A bis Z durchdachte EZA zahlt sich für alle aus. Menschen in benachteiligten Ländern eröffnet sie dauerhafte Perspektiven, sie hilft Konflikte rechtzeitig zu erkennen oder abzubauen, sie zeigt Alternativen auf zum Versuch,  sein Glück in der Migration zu suchen. EZA ist Ausdruck der Solidarität mit jenen, die nicht das Glück hatten, in einem Land wie der Schweiz zur Welt zu kommen. Sie ist unser Beitrag an eine bessere Welt für alle.

slum_indien_meer.jpg

© Paul Smith / Panos

 

In diesen Themen ist die Schweizer EZA heute engagiert

Zielführende EZA-Projekte setzen den Hebel parallel an verschiedenen Stellen an. Mit der Philosophie, über Sektorengrenzen hinaus zu denken, orientiert sich die Schweizer EZA an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, wie sie in der Uno-Agenda 2030 formuliert sind.

Eine Auswahl:

Stärkung der politischen Rechte und Teilhabe der Zivilgesellschaft

  • In Zentralindien (Chhattisgarh und Orissa) hält ein ausbeuterisches Kreditsystem die landlose Mehrheit der Bauern seit Generationen in Schuldknechtschaft. In 240 Projektdörfern werden neue, gemeinsam verwaltete Sparkassen aufgebaut. (Fastenopfer)
  • In Kambodscha, wo der Zugang zu Land und Wasser für Konflikte sorgt, werden Gremien auf Gemeinde-, Distrikt- und Provinzebene gestärkt und vernetzt, um eine gewaltfreie Lösung dieser Konflikte zu ermöglichen. (HEKS)

Förderung nachhaltiger Landwirtschaft – auch im Hinblick auf den Klimawandel

  • In Ostafrika profitieren Zehntausende von Bauern vom Farmer Communication Programme, in dem Wissen über Bodenqualität, Agroökologie, Selbstorganisation, Wertschöpfung und Anpassung an den Klimawandel geteilt und weiter verbreitet wird. (Biovision)
  • Im zentralen Hochland Ecuadors leiden die Menschen unter Mangelernährung, übernutzten Böden und schwindenden Wasserreserven. Sieben Gemeinden erhalten fachliche, organisatorische und finanzielle Unterstützung, um ihre Nahrungsmittelproduktion auf eine nachhaltige Basis zu stellen. (SWISSAID)

Verbesserung von Marktzugang und Förderung nachhaltiger Strukturen

  • In Bangladesch erreicht ein Einkommensprogramm über 1 Million arme Haushalte. 3000 neue lokale Dienstleistungsanbieter arbeiten mit den Kleinbauern zusammen und stellen die Verbindung zu regionalen Märkten sicher. (Helvetas)
  • In Tadschikistan, wo rund 80% der Bevölkerung von Landwirtschaft und Viehhaltung leben, wird In Kursen Wissen zu Nachhaltigkeit, Produktivitätssteigerung und Vermarktung vermittelt. Dadurch können für die Produkte bessere Preise erzielt werden. (Caritas)

Kampf gegen Enteignung und Wahrnehmung legitimer Landrechte

  • In Kolumbien sind die Rechte der Landbevölkerung nicht garantiert. Ökosysteme sind durch Gold- und Kupferabbau bedroht. Afro-amerikanische Kleinbauern werden bei der Verteidigung ihres Bodens, ihrer Lebensweise und Identität unterstützt. (Fastenopfer)
  • Im brasilianischen Bundesstaat Matto Grosso do Sul kämpft die indigene Gemeinschaft der Guarani-Kaiowà gegen Monokulturen (Soja, Zuckerrohr), die ihre Lebensgrundlage zerstören. Sie erhalten dabei juristische und politische Unterstützung. (HEKS)

Unterstützung im Kampf für menschenwürdige Arbeit und Arbeitsbedingungen

  • In Thailand leben und arbeiten ungefähr 3 Millionen Sans-papiers aus Kambodscha und Myanmar ohne jeden Schutz. Deren rechtliche Situation und ihre Lebensbedingungen werden in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen gestärkt. (Solidar Suisse) 
  • In China, wo jedes zweite Smartphone hergestellt wird, herrschen in Fabriken oft unmenschliche Arbeitsbedingungen: giftige Chemikalien, unbezahlte Überstunden, Tiefstlöhne. Die Organisation Sacom dokumentiert die Missstände und setzt sich für Verbesserungen ein. (Brot für alle)

Zugang zu Bildung für alle

  • In Nepal wurde mit dem Employment Fund ein innovatives Berufsbildungsprogramm mit einem erfolgsbasierten Bezahlungsprogramm aufgebaut. Seit 2007 wurden mehr als 100‘000 Menschen in über 34 Berufen ausgebildet. Eine ETH-Studie hat die grosse Wirkung bestätigt. (Helvetas)
  • In Zimbabwe gibt es kaum eine Familie, die nicht von der AIDS-Pandemie betroffen ist. Stigmatisierten Jugendlichen wird mit einem Ausbildungsprogramm und psychosozialer Unterstützung gegen die Ausgrenzung geholfen. (Terre des Hommes Schweiz)

Unterstützung von Frauen und ihrer Rolle in der Gesellschaft

  • In Uganda leben viele Bauernfamilien am Rand der Armut, Frauen haben kaum Mitspracherecht. Die Rural Women Development Association unterstützt Frauen und Mädchen und bildet sie in Fragen der Agroökologie aus und zeigt Wege zur Erschliessung neuer Einkommensquellen. (Biovision)

Gesundheitsversorgung

  • In Togo werden tödliche Krankheiten, wozu neben Malaria auch Durchfall gehört, mit der Stärkung des Gesundheitsbewusstseins in sogenannten Mütterklubs bekämpft. (Schweizerisches Rotes Kreuz)

Artikel

Wo die Missverständnisse wuchern

11.12.2017, Internationale Zusammenarbeit

Entwicklungszusammenarbeit soll Migration verhindern und Terrorismus vorbeugen. Das ist zu kurz gedacht. Eine überfällige Klarstellung der Grenzen und Möglichkeiten von EZA.

Wo die Missverständnisse wuchern
Ein spielerischer Moment am Rand eines vom Heks mit Unterstützung der Deza durchgeführten Projekts im Südsudan.
© Christian Bobst

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Die gängigste Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) – geteilt auch von Wirtschafts-Nobelpreisträger Angus Deaton – ist nicht nur an Stammtischen, sondern auch im Parlament zu hören: Entwicklungszusammenarbeit nehme Regierungen aus der Pflicht, selbst für anständige Bildungs- und Gesundheitssysteme zu sorgen. Fakt ist aber, dass diese Kritik auf die Schweizer EZA in keiner Weise zutrifft. Denn die Schweiz leistet nur in Ausnahmefällen Budgethilfen an Regierungen in Entwicklungsländern. Und das ist gut so.

In den Projekten der bilateralen EZA liegt der Fokus auf der Stärkung der Zivilgesellschaft. In Armut und ungerechten Verhältnissen lebende Menschen sollen in die Lage versetzt werden, von ihren Regierungen die Erfüllung staatlicher Aufgaben einzufordern. Statt Regierungen aus ihrer Verantwortung zu entlassen, geschieht damit das Gegenteil: Sie sollen einer verstärkten Kontrolle durch die eigene Bevölkerung ausgesetzt werden.  

Prioritäten statt Universalität

Ein Vorwurf an die Schweizer Entwicklungspolitik, den auch der Entwicklungsausschuss der OECD in einer Peer Review 2013 geäussert hat, ist die breite Präsenz der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in (zu) vielen Ländern. Bundesrat Didier Burkhalter hielt dem sein Credo einer «Universalität» der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit entgegen. Aus der Sicht von Alliance Sud steigt das Risiko, dass Entwicklungsarbeit zu diplomatischen Zwecken missbraucht wird, je mehr sich ein Land in verschiedenen Aktivitäten geographisch verzettelt. Auch würde eine Konzentration der Mittel auf weniger Länder die DEZA als Akteurin in den jeweiligen Ländern stärken und deren Effizienz erhöhen. Diese verstärkte Konzentration müsste sich konsequent am Grundauftrag der Schweizer EZA (siehe Kasten) ausrichten. Das heisst, sie soll auf die armen und ärmsten Länder fokussieren und sich aus Ländern mit mittleren Einkommen zurückziehen.

Weiter sollte gefragt werden, wie viele andere Geberländer bereits in einem Kontext aktiv sind; denn die Schweiz sollte als Akteurin unter den grössten Gebern sein und damit grösseres politisches Gewicht haben. Ganz wichtig ist auch, ob ein Kontext überhaupt Entwicklungsfortschritte und eine Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft erlaubt. Autoritäre Regimes wie Eritrea lassen diesbezüglich kaum Spielraum offen. Ist dieser zu klein, so muss die Schweiz von einem Engagement absehen.

Prävention: günstiger als Krisenhilfe

Von den Sparrunden im Parlament der letzten Jahre blieb die humanitäre Hilfe mehrheitlich verschont. Im Falle von plötzlichen Krisen, sei dies ein Tsunami oder ein Erdbeben, ist die Not sichtbar auf allen Kanälen; dementsprechend gross ist die Solidarität.

Langfristig angelegte EZA ist vordergründig unspektakulär, sie muss darum im Parlament und der Öffentlichkeit mehr Überzeugungsarbeit leisten; dies obwohl deren präventiver Nutzen unbestritten ist: Die Stärkung der Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern kann dem Ausbruch von Pandemien wirksam vorbeugen und damit neben menschlichem Leid auch finanzielle Folgekosten verhindern. Die Ernährungssicherheit etwa von Säuglingen zu gewährleisten, kostet viel weniger, als später die Folgen von Mangelernährung zu behandeln.

Seit einiger Zeit soll EZA auch das Entstehen von gewalttätigem Extremismus verhindern. Klar ist, dass die EZA mit ihrem Einsatz für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen, funktionierende Institutionen, politische Teilhabe und Rechtsstaatlichkeit, dazu tatsächlich einen Beitrag leistet. Ein Garant für die Verhinderung von Gewaltausbrüchen kann sie aber nicht sein (siehe auch Global+ Nr. 66: «Was leistet Gewaltprävention?»).

EZA als Flucht(ursachen)bekämfpung?

Seit 2016 schreibt das Parlament der Schweizer EZA zudem eine Ausrichtung an den migrationspolitischen Interessen der Schweiz vor. Im Vordergrund steht dabei für gewisse Parteien die Absicht, die Fluchtbewegungen nach Europa und der Schweiz zu stoppen. Zu Ende gedacht heisst das nichts anderes, als dass EZA nicht die Fluchtursachen bekämpfen soll, sondern die Flucht an sich. Aus Sicht von Alliance Sud ein problematischer Ansatz. Denn EZA zur Migrationsverhinderung müsste sich entsprechend der Entwicklung von Krisen und Katastrophen alle paar Jahre neu ausrichten. Langfristige Projekte könnten nicht mehr durchgeführt werden.

Sicher kann EZA dazu beitragen, Fluchtursachen zu mindern, indem sie Perspektiven vor Ort bietet, indem sie sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzt und damit die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft vor Ort vergrössert. Sie kann jedoch keine Garantie bieten, dass es nicht weiterhin zu Flucht und Migration kommt.

Die Gründe für Flucht und Migration sind vielfältig. Neben richtiger Entwicklungszusammenarbeit trägt vor allem die Ausgestaltung der Steuer-, Handels- oder Klimapolitik der Industrienationen zu nachhaltiger Entwicklung bei. Konkret sind folgende Massnahmen zu ergreifen:

  • Die Unterbindung unlauterer Finanzflüsse. Das ist eine zentrale Voraussetzung dafür, dass Entwicklungsländern genug eigene Ressourcen zur Verfügung stehen, um ihren Bevölkerungen die erwarteten Basisdienstleistungen zu erbringen.
  • Die Reduzierung von Landwirtschaftssubventionen im Rahmen gerechter Handelsverträge, die den Zugang zu den Märkten der Industrieländer ermöglichen und entstehende Märkte in Entwicklungsländern schützen.
  • Wirksame Massnahmen gegen den Klimawandel und die Entwicklungsländer finanziell unterstützen, sich an dessen Folgen anzupassen.

Erst wenn diese Politikfelder koordiniert und aufeinander abgestimmt sind, kann man von Politikkohärenz sprechen. Davon sind wir heute weit entfernt.

 
Entwicklungszusammenarbeit in Verfassung und Gesetz

Der Grundauftrag der Entwicklungszusammenarbeit leitet sich aus der Bundesverfassung ab. Diese erteilt dem Bund den klaren Auftrag, «zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen» beizutragen.

Das Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe präzisiert weiter, dass die Ausgestaltung der Entwicklungszusammenarbeit «die Verhältnisse der Partnerländer und die Bedürfnisse der Bevölkerung, für die sie bestimmt sind», berücksichtigen muss. Sie soll ausserdem in erster Linie die ärmeren Entwicklungsländer, Regionen und Bevölkerungsgruppen unterstützen.

Meinung

Von Reset-Knöpfen

08.02.2018, Internationale Zusammenarbeit

100 Tage ist Bundesrat Ignazio Cassis im Amt. Kohärentes zu seiner Arbeit als Entwicklungsminister war bis jetzt nicht zu erfahren.

Von Reset-Knöpfen

© Beat Mumenthaler

von Daniel Hitzig, ehemaliger Verantwortlicher für Kommunikation bei Alliance Sud

Anfang Februar hat Ignazio Cassis über seine ersten drei Monate im Amt als Schweizer Aussenminister und seine Suche nach dem Reset-Knopf – das Polit-Unwort des Jahres 2017 – informiert. Allerdings sprach Cassis nur über die von ihm verantwortete Schweizer EU-Politik, dabei ist der EDA-Chef auch unser Entwicklungsminister.

Am Weihnachtsessen mit der Belegschaft der Direktion für Zusammenarbeit und Entwicklung (DEZA) hatte sich Cassis den bemerkenswerten Faux-pas geleistet, die DEZA mit der Armee zu vergleichen. Nicht etwa weil Entwicklung tatsächlich einiges mit Sicherheit zu tun hat, nein, es war ein simpler Gedanke: Armee und DEZA, beide haben viele Angestellte und ein hohes Budget. Subtext: es gibt Sparpotential bei der DEZA. Eine Antrittsrede, die zu einem um Aufmerksamkeit buhlenden Parlamentarier, aber nicht zu einem verantwortungsvollen Regierungsmitglied passt.

Nach einem moderaten Ausbau des Entwicklungsbudgets auf 0,5% des Nationaleinkommens – der im UNO-Rahmen vereinbarte Wert liegt notabene bei 0,7% – ist seit den letzten eidgenössischen Wahlen der Rückbau des Schweizer Entwicklungsengagements zum Mantra bürgerlicher (Spar-) Politiker/innen geworden. Parallel dazu wurde unter der Bundeshauskuppel die DEZA quasi als Selbstbedienungsladen entdeckt. So werden Gelder, die laut Gesetz für die Armutsbekämpfung ausgegeben werden sollen, zunehmend für die internationale Klimafinanzierung zweckentfremdet. Also Zahlungen, zu denen sich die Schweiz im Pariser Klimaübereinkommen verpflichtet hat, mit denen im globalen Süden Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel finanziert werden. Von Fall zu Fall mögen Klimaprojekte als Armutsbekämpfung durchgehen, wenn gleichzeitig jedoch Geld fehlt zum Aufbau guter Regierungsführung (good governance), funktionierender Bildungs- und Gesundheitswesen, dann ist das eine Akzentverschiebung der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (EZA), die weder diskutiert wurde noch breit abgestützt ist.  

Entwicklungszusammenarbeit ist seit Jahren im Gegenwind, nicht erst seit der Ankunft von Ignazio Cassis im Aussendepartement. Man kennt die Argumente der Gegner, die durch ihre Wiederholung nicht wahrer werden: EZA sei ein Fass ohne Boden, ineffektiv, nütze bloss der «Gutmenschen-Industrie». Wahr ist, dass die Herausforderungen an die internationale Zusammenarbeit in einer hochkomplexen Welt enorm zugenommen haben: Krisen und Konflikte, die nach schneller humanitärer Hilfe verlang(t)en, bleiben ungelöst, siehe Palästina, Darfur oder Myanmar. Oder glaubt jemand tatsächlich, dass die Rohingyas in absehbarer Zeit nach Myanmar zurückkehren werden? Wann endet humanitäre Hilfe und wann beginnt langfristig aufbauende Entwicklungsarbeit? Welche Rolle spielen Investionen in Entwicklungsländern, die ihren Bevölkerungen keine Perspektiven bieten können? Was hat die Korruption einheimischer Eliten mit der Dysfunktionalität des internationalen Steuerregimes (siehe Panama Papers) zu tun? Und was kommt in Sachen Klimamigration auf uns zu? Und immer wieder: Was kann die Schweiz mit einer kohärenten Politik auf sinnvolle Art und Weise zur Lösung dieser Probleme beitragen?

Auf komplexe Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Darum wird in der DEZA an einer Strategie 2030 gearbeitet, wovon bis jetzt wenig an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Bleibt zu hoffen, dass Entwicklungsminister Cassis schnell lernt, seinen Fachleuten auch zuzuhören. Um gelegentlich qualifiziert mitreden zu können. Ein Reset-Knopf muss reichen.

Dieser Beitrag wurde für den «Aufbruch», die unabhängige Zeitschrift für Religion und Gesellschaft verfasst.

Meinung

Keine korrupten Regime stützen

27.09.2018, Internationale Zusammenarbeit

Sich mit korrupten diktatorischen Regimen an den Verhandlungstisch zu setzen und ihnen im Tausch gegen Migrationspartnerschaften und Rückführungsabkommen Entwicklungsprojekte anzubieten, ist kontraproduktiv. Mark Herkenrath im Gastkommentar der NZZ.

Keine korrupten Regime stützen
Bei zielführender Entwicklungszusammenarbeit stehen die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung an erster Stelle. Nicht der Nutzen für die Geber.
© Pixabay

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Am diesjährigen Botschaftertreffen der Schweiz bekräftigte Aussenminister Cassis seine Absicht, die Entwicklungszusammenarbeit fortan so auszurichten, dass sie die Massenmigration aus Afrika nach Europa möglichst vollständig unterbindet. Die NZZ berichtete am 24. August darüber («Cassis will bei der Schweizer Entwicklungshilfe durchgreifen»). Beim selben Treffen betonte Cassis auch die Notwendigkeit, politische Entscheidungen auf fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse abzustützen. Es lohnt sich darum, einen genauen Blick auf die aktuellsten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in Sachen Entwicklungszusammenarbeit und Migration zu werfen.

Dabei wird klar, dass unser neuer Aussenminister mit seiner geplanten Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit Versprechen macht, die er nie und nimmer wird halten können. Migrationspolitische Erwartungen an die Entwicklungszusammenarbeit zu knüpfen, wird zwangsläufig zu massiven Enttäuschungen führen. Denn die Wissenschaft ist sich einig: Der Hauptgrund für Migrationsbewegungen vom globalen Süden in den Norden sind die enormen internationalen Einkommensunterschiede. In reichen Industrieländern liegt das Durchschnittseinkommen über 70 Mal höher als in Ländern mit tiefem Einkommen. Wer aus einem ärmeren Entwicklungsland in ein Industrieland auswandert, kann laut der Weltbank sein Einkommen im Durchschnitt um den Faktor 15 steigern. Die Chance, dass seine Kinder zur Schule gehen können, verdoppelt sich. Die Gefahr, dass seine Kinder sterben, verringert sich um den Faktor 16. Das sind zwar keine anerkannten Gründe, um den Flüchtlingsstatus und Asyl zu beantragen, aber trotzdem starke Motive, um ausserhalb der Heimat bessere Lebensperspektiven zu suchen.

Migrationspolitische Erwartungen an die Entwicklungszusammenarbeit zu knüpfen, wird zwangsläufig zu massiven Enttäuschungen führen.

Weitere wichtige Ursachen für die internationale Migration sind Bürgerkriege, Massenvertreibungen, Korruption und Repression. Hinzu kommen Naturkatastrophen, Nahrungsknappheit und Hunger. Hier bestätigt die Forschung, dass der fortschreitende Klimawandel eine immer wichtigere Rolle spielt.

Wollte die Schweiz die Migration aus afrikanischen und anderen Entwicklungsländern substanziell und rasch senken, müsste sie also nicht nur Kriege stoppen, sondern auch die in vielen Ländern grassierende Korruption und obendrauf auch noch den Klimawandel unterbinden. Mit dem Entscheid, Waffenexporte weiter zu liberalisieren, und mit der Blockade des Pariser Klimaabkommens bei der CO₂-Gesetzesrevision geht die Schweiz aber just in die entgegengesetzte Richtung. Stattdessen die Entwicklungszusammenarbeit zur Migrationsverhinderung in die Pflicht zu nehmen, ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar.

Migration – die Welt auf Wanderschaft

Gute Entwicklungszusammenarbeit kann durchaus Ausbildungsplätze und Arbeitsmöglichkeiten schaffen und damit punktuell die Perspektiven Migrationswilliger nachhaltig verbessern. Das tut sie auch schon, obwohl ihr dafür weniger als ein halbes Prozent des Schweizer Nationaleinkommens zur Verfügung steht. Sie kann auch ein Wirtschaftswachstum begünstigen, das nicht nur den Eliten zugutekommt. Vor allem aber muss sie noch stärker als bisher gegen die Migrationsfaktoren Korruption und Repression eingesetzt werden. Hierzu sind neben diplomatischem Druck vor allem der Schutz und die Stärkung einer politisch aktiven lokalen Zivilgesellschaft wichtig.

Vollkommen kontraproduktiv ist hingegen die Tendenz, sich mit korrupten diktatorischen Regimen an den Verhandlungstisch zu setzen und ihnen im Tausch gegen Migrationspartnerschaften und Rückführungsabkommen Entwicklungsprojekte anzubieten, die garantiert nicht zur Stärkung einer politisch aktiven Zivilgesellschaft beitragen. So werden im Namen der Migrationsaussenpolitik just jene Regime gestützt, die ihren Bevölkerungen eine gerechte und nachhaltige Entwicklung verunmöglichen.

Dieser Gastkommentar des Alliance Sud-Geschäftsleiters ist in der NZZ erschienen.