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Medienmitteilung
NGOs fordern Überprüfung von Investitionsabkommen
22.05.2023, Handel und Investitionen
Alliance Sud ist Teil einer NGO-Delegation, die in Kolumbien dazu aufruft, Investitionsschutzabkommen, auch das mit der Schweiz, zu kündigen und insbesondere den umstrittenen Mechanismus der Schiedsgerichtsbarkeit aufzugeben.

Dieser Auftrag beruht auf einer Erklärung, die von mehr als 280 Organisationen aus 30 Ländern unterzeichnet wurde und vor allem auch die Schweiz im Visier hat. Denn von den 21 Klagen, die ausländische Investoren gegen Kolumbien eingereicht haben, stammen drei vom Schweizer Rohstoffkonzern Glencore, dem alleinigen Eigentümer der Kohlemine El Cerrejón, dem grössten Tagebau Lateinamerikas und einer der grössten der Welt. Die jüngste Klage folgt auf die Entscheidung des kolumbianischen Verfassungsgerichts, die Umleitung des Flusses Arrojo Bruno zu blockieren, da diese katastrophale Gesundheits- und Umweltauswirkungen auf die lokalen Gemeinschaften hat. Die Höhe der von Glencore geforderten Entschädigung ist nicht bekannt, was die Undurchsichtigkeit dieses im Völkerrecht einzigartigen Mechanismus zeigt: ISDS ermöglicht es nämlich einem ausländischen Investor, auf der Grundlage des bilateralen Investitionsschutzabkommens vor einem Schiedsgericht gegen den Gaststaat zu klagen. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht.
Die 21 bislang bekannten Schadenersatzklagen belaufen sich laut Zahlen der staatlichen Rechtsschutzagentur und einem kürzlich veröffentlichten Bericht von Transnational Institute (TNI) in Zusammenarbeit mit Cajar, einem kolumbianischen Anwaltskollektiv, auf insgesamt gut 2,5 Milliarden USD. Die Anträge stammen von transnationalen Unternehmen aus fünf Ländern: den USA, Kanada, dem Vereinigten Königreich, der Schweiz und Spanien. Fast die Hälfte davon sind Rohstoffunternehmen, die diesen Mechanismus häufig nutzen, um Druck auf Regierungen auszuüben. Dies, um politische Entscheide, Gesetze und Gerichtsurteile anzufechten. Diese wären aber notwendig, damit die Länder die Klimakrise bewältigen, aus dem Extraktivismus aussteigen und sich in Richtung Energiewende und Umweltgerechtigkeit bewegen können.
Globaler Süden beginnt, Abkommen zu kündigen
Alliance Sud prangert seit Jahren diese Investitionsschutzabkommen (ISA) an, die fast ausschliesslich ausländischen multinationalen Konzernen Rechte und den Gaststaaten Pflichten übertragen. Bis heute hat die Schweiz rund 130 ISAs im Globalen Süden abgeschlossen. Mehrere Länder haben begonnen, diese Abkommen zu kündigen, darunter Ecuador, Bolivien, Indien, Indonesien und Südafrika jene mit der Schweiz.
Zu einem Zeitpunkt, da die ausländischen Investitionen in der Schweiz zunehmen und Klagen drohen – der Staatsfonds von Katar erwägt, die Schweiz wegen der Zwangsfusion zwischen der Credit Suisse und der UBS zu verklagen, weil er dadurch 330 Millionen USD verloren haben soll –, wäre die Schweiz gut beraten, diese Abkommen zu kündigen und das umstrittene ISDS aufzugeben. Allenfalls könnten ausgewogenere Abkommen ausgehandelt werden, die es den Gaststaaten erlauben, im öffentlichen Interesse zu regulieren.
Für weitere Informationen:
Isolda Agazzi, Fachverantwortliche «Handel und Investitionen» bei Alliance Sud, ist bis zum 1. Juni in Kolumbien und steht für Interviews gerne zur Verfügung: isolda.agazzi@alliancesud.ch, Tel. + 41 22 901 07 82 (Zeitverschiebung: -7 Std.)
Medienmitteilung
Veraltet, einseitig, revisionsbedürftig
25.02.2013, Handel und Investitionen
Die 130 Investitionsschutzabkommen der Schweiz schützen einseitig die Interessen der Investoren und schränken den politischen Handlungsspielraum der Gastländer ungebührlich ein. Das neue Abkommen mit Tunesien muss geändert werden!

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Medienmitteilung
Kolumbien: Bericht fordert Schliessungsplan für Glencore-Mine
05.12.2023, Handel und Investitionen
Ein neuer Bericht fordert, dass Glencore seine Klage gegen Kolumbien in Zusammenhang mit der Kohlemine El Cerrejón zurückzieht, einen verantwortungsvollen Schliessungsplan vorlegt und einen Fonds für Umweltsanierungen einrichtet. Der Druck wächst, auch das In-vestitionsschutzabkommen mit der Schweiz nachzubessern.

Die Expertin von Alliance Sud Isolda Agazzi im kolumbianischen Parlament, 30. Mai 2023.
© Alliance Sud
Medienmitteilung von Alliance Sud, ASK, Public Eye, CINEP, CENSAT Agua Viva/Amigos de la Tierra Colombia, Pro Natura/Friends of the Earth Switzerland
Drei Vertreterinnen kolumbianischer NGOs und Gemeinschaften machten letzte Woche in der Schweiz Halt, um die Machenschaften von Glencore anzuprangern. Der Schweizer Konzern ist alleiniger Eigentümer der Kohlemine Cerrejón, dem grössten Tagebau Lateinamerikas. Carolina Matiz von CINEP, Tatiana Cuenca von Censat Agua Viva und Greylis Pinto, Vertreterin der nahe der Mine lebenden Gemeinschaft Chancleta, beendeten damit eine dreiwöchige Tour, die sie durch die Schweiz, Belgien, Deutschland, die Niederlande und Dänemark geführt hatte.
Sie legten Regierungen, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und Finanzinstituten den neuen Bericht «Does Cerrejón always win?» vor, der das unrühmliche Verhalten des Minenbetreibers in Guajira, dem ärmsten kolumbianischen Departement, in den letzten 40 Jahren offenlegt. In diesem wüstenähnlichen Landstrich, der vom Volk der Wayuu, Afro-Kolumbianer:innen und von Kleinbauern bewohnt wird, ist der Bergbau für die Austrocknung von 17 Flüssen, die Umsiedlung von 25 Gemeinschaften und den Tod von 5’000 Wayuu-Kindern verantwortlich: Sie sind in den letzten zehn Jahren entweder verhungert oder verdurstet.
Greylis Pinto berichtete, wie ihre afrokolumbianische Gemeinschaft vor elf Jahren zwangsumge-siedelt wurde, ohne die entsprechenden internationalen Standards zu respektieren. Die Menschen lebten von Landwirtschaft, Viehzucht und Jagd. Doch an ihrem neuen Standort ist weder Land noch Wasser verfügbar und ihre Traditionen und Bräuche gingen verloren. Bis heute werden die Gemeinschaftsmitglieder in Sozialprogrammen nicht berücksichtigt, haben kein festes Einkommen und keine Perspektiven.
Keines von zwölf Urteilen des Verfassungsgerichts umgesetzt
Das kolumbianische Verfassungsgericht hat zwölf Urteile zugunsten der lokalen Gemeinschaften erlassen, von denen jedoch keines vollumfänglich umgesetzt wurde. Zu gross ist die Angst vor astronomischen Entschädigungszahlungen, die der multinationale Konzern in einem Fall bereits gefordert hat. Das letzte dieser Urteile aus dem Jahr 2017 verlangt von Glencore die Rückleitung des Arroyo Bruno (eines Nebenarms des wichtigsten Flusses der Region, Rio Rancheria) in sein ursprüngliches Bett, bis glaubwürdige Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt worden sind. Als Reaktion darauf reichte Glencore auf der Grundlage des Investitionsschutzabkommens zwischen Kolumbien und der Schweiz Klage gegen Kolumbien ein. Es ist dies bereits die dritte lau-fende Klage des in Zug ansässigen Unternehmens gegen Kolumbien, wobei die Höhe der geforderten Entschädigung unbekannt ist. Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass Glencore eine vierte Klage eingereicht hat; diesmal geht es vermutlich um die Prodeco-Mine.
Der Bericht der kolumbianischen Organisationen fordert:
- den Rückzug der Glencore-Klage gegen Kolumbien im Zusammenhang mit der Umleitung des Arroyo Bruno;
- einen verantwortungsvollen Schliessungsplan unter Beteiligung der lokalen Gemeinschaf-ten und die Einrichtung eines Fonds für Umweltsanierungen. Dieser Fonds soll dazu die-nen, das Ökosystem wiederherzustellen, die Opfer zu entschädigen und ihre erlittenen Schäden durch öffentliche Massnahmen zu anerkennen. Die derzeitige Konzession läuft 2034 aus und es besteht das Risiko eines Ausstiegs von Glencore, ohne den Verpflichtun-gen nachzukommen. Dies war beispielsweise bei der Kohlemine von Prodeco in der be-nachbarten Region Cesar der Fall, wo dem kolumbianischen Staat die Bürde der Umwelt-sanierung in einem hochgradig konfliktträchtigen Umfeld überlassen wurde;
- das Ende der Finanzierung von kolumbianischen Kohleminen durch Finanzinstitutionen oder dass diese ihren Einfluss geltend machen, damit die Minenbetreiber die Menschen-rechte und die Umwelt respektieren.
Der internationalen Mission, die im Mai 2023 nach Kolumbien gereist war und der auch Alliance Sud angehörte, kündigte die kolumbianische Regierung die Neuverhandlung all ihrer Investitions-schutzabkommen an, angefangen beim Abkommen mit der Schweiz. Die Neuverhandlungen wurden bereits aufgenommen. Die NGOs fordern insbesondere den Ausschluss des Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus (ISDS) aus dem neuen Abkommen. Dieser Mechanismus ermöglicht es einem ausländischen Unternehmen, gegen den Gaststaat zu klagen, wenn dieser regulatorisch dafür sorgt, dass der Umweltschutz und die Menschenrechte eingehalten werden.
Bleibt der ISDS Teil des Abkommens, besteht die Gefahr, dass die Unternehmen immer gewinnen – egal wie ihre Umwelt- und Menschenrechtsbilanz aussieht. Wie im Fall von Glencore.
Für weiterführende Informationen:
Isolda Agazzi, Verantwortliche für Investitionsschutzpolitik, Alliance Sud, 022 901 07 82, isolda.agazzi@alliancesud.ch
Stephan Suhner, Leiter der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien, stephan.suhner@askonline.ch,
079 409 10 12
Carolina Matiz, CINEP, mmatiz@cinep.org.co
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Entwicklungsmotor, Neokolonialismus – oder beides?
09.12.2019, Handel und Investitionen
Mit der Belt and Road-Initiative forciert China die globale Entwicklung auf nie dagewesene Weise. Doch wie nachhaltig sind die «neuen Seidenstrassen»? Die Schweiz will ein Stück vom Kuchen und hat eine Absichtserklärung mit China unterzeichnet.

Militärische Ehren für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban am Belt and Road Forum 2017 vor der Grossen Halle des Volkes in Beijing, China.
© Andy Wong / AP / Keystone
«Dank der neuen Seidenstrassen hat Ostafrika seine erste Autobahn, die Malediven verbinden ihre Inseln erstmals mit einer Brücke, Weissrussland hat seine eigene Automobilindustrie, Kasachstan hat erstmals Zugang zum Meer und der Gütertransport auf dem eurasischen Kontinent kann über die Schiene erfolgen. Was den Zug zwischen Mombasa und Nairobi betrifft, so hat er 50 000 lokale Arbeitsplätze geschaffen», verkündet Geng Wenbing, Chinas Botschafter in der Schweiz, an der Konferenz The New Silk Roads as a Driver of Sustainable Development Goals, die Anfang September in Andermatt von der Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE organisiert wurde.
Das als neue Seidenstrasse bekannt gewordene Infrastruktur-Entwicklungsprogramm – es umfasst Strassen, Häfen, Eisenbahnen, Fabriken – wurde 2013 vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping ins Leben gerufen, um China mit dem Rest der Welt zu verbinden und den Import jener Rohstoffe zu erleichtern, die das Reich der Mitte für sein spektakuläres Wachstum braucht. Es ist ein Projekt in pharaonischen Dimensionen, dem sich seither 126 Länder und zahlreiche internationale Organisationen angeschlossen haben. Seine Kennzahlen sind schwindelerregend: 40% des Welthandels sollen darüber abgewickelt und 60% der Weltbevölkerung damit erreicht werden. Die genaue Höhe der Investitionen ist nicht bekannt, Schätzungen variieren von 1 000 bis 8 000 Mrd. US-Dollar. Allein China plant bis 2021 600 bis 800 Milliarden US-Dollar zu investieren.
«Die Belt and Road Initiative (BRI) ist weder eine chinesische One Man Show noch ein China-Club», sagte der chinesische Botschafter. Club oder nicht, die Schweiz hat sich im vergangenen April als eines der ersten Länder Westeuropas mit einer Absichtserklärung der BRI angeschlossen. Die Erklärung zwischen der Schweiz und China sieht keine Erhöhung der chinesischen Investitionen in der Schweiz vor, sondern thematisiert die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Banken und Versicherungen in Drittländern mit Unterstützung der jeweiligen Regierungen. Und das wirft zahlreiche Fragen auf.
Opposition gegen China in Äthiopien
Denn längst nicht alle Projekte funktionieren so gut, wie es der chinesische Botschafter glauben machen will. War es ein Zufall, dass er die 750 Kilometer lange Eisenbahnlinie zwischen der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und Dschibuti, die erste vollständig elektrifizierte grenzüberschreitende Eisenbahnverbindung in Afrika, nicht erwähnte? Die Strecke wurde im Januar 2018 eingeweiht und kostete 2,8 Mrd. Euro, die Äthiopien über fünfzehn Jahre an China zurückzahlen muss. Ausserhalb Addis Abebas wurde u.a. ein brandneuer, aber wenig frequentierter Bahnhof gebaut.
Es soll der Ersatz sein für die alte Eisenbahn, die 1901 von den Franzosen gebaut wurde und zu Beginn des 21. Jahrhunderts stillgelegt wurde. 1993 hatte ich diesen alten Zug genommen, für eine ausländische Reisende war er zwar voller Charme, aber er brauchte einen ganzen Tag, um mit zwei klapprigen Wagen von Addis Abeba nach Harar nahe der somalischen Grenze zu gelangen. Für diese Strecke braucht der Zug heute weniger als 7 Stunden, die Begeisterung der Behörden für die neue Bahn mit ihrer modernen Technologie lässt sich mithin gut nachvollziehen. Laut Medienberichten beurteilen einfache Einheimische die neue Eisenbahn jedoch äussert kritisch als ein gigantomanisches Projekt der Eliten von Addis Abeba. Die meisten Bahnhöfe lägen weit weg von dort, wo sie gebraucht würden und trügen nicht zur lokalen Wirtschaft bei; dies ganz im Gegensatz zum alten Zug und seinen Stationen, zu denen ein vibrierendes Chaos aus fliegenden Händlern, Restaurants und Hotels gehört hatte. Während die chinesische Betriebsgesellschaft behauptet, die neue Eisenbahn habe in Äthiopien 20 000 und in Dschibuti 5 000 lokale Arbeitsplätze geschaffen, beklagen sich ehemalige, jetzt arbeitslose Mitarbeiter über die niedrigen Löhne und die schlechten Arbeitsbedingungen, welche die neue Bahn biete. Aber das Hauptproblem sei das Land, monieren Vertreter der vor allem betroffenen Oromo-Ethnie. Es gehöre dem Staat und die enteigneten Gemeinschaften hätten keine angemessene Entschädigung erhalten.
Mangelnde Transparenz und Überschuldung, …
Die äthiopische Eisenbahn ist ein gutes Beispiel für das Potenzial chinesischer Projekte, aber auch für deren Risiken. Als Hauptschwierigkeit lässt sich die mangelnde Transparenz festmachen. Es gibt keine offiziellen Studien, Erhebungen und Daten über die BRI-Projekte, die Auskunft gäben über deren Kosten-Nutzen-Verhältnis und deren Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung; Peking legt die Bedingungen für die Kreditvergabe nicht offen. Diese führt zu einer Ver- oder gravierenden Überschuldung der Länder gegenüber China, was nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Abhängigkeit mit sich bringt. Dschibuti, das mit 80% seines Bruttoinlandprodukts (BIP) bei China verschuldet ist, beherbergt jetzt die erste chinesische Militärbasis im Ausland überhaupt. Von solchen Einwänden will der chinesische Botschafter in Andermatt nichts hören; stattdessen unterstreicht er, dass «der Industriekorridor zwischen Pakistan und China das BIP Pakistans um 2,5% erhöht hat». Die Kehrseite lässt er unerwähnt: Pakistans Schulden gegenüber China, die auf 19 Milliarden US-Dollar geschätzt werden, sind mit der BRI explodiert. Im Fall der Malediven macht die Verschuldung bei China, die auf 1,5 Milliarden geschätzt wird, 30% des BIP aus.
An der Andermatter Konferenz wurde darauf hingewiesen, dass multilaterale Investitionsbanken Leitlinien entwickelt haben, welche die soziale, finanzielle und ökologische Nachhaltigkeit gewährleisten sollen. Diese Leitlinien werden zwar von NGOs oft und zu Recht als zu wenig weit gehend kritisiert, sie haben aber zumindest den Vorteil, dass über das Thema Nachhaltigkeit diskutiert wird und sie einen Bezugsrahmen schaffen. Doch nicht wenige Länder halten diese Vergabekriterien für zu restriktiv. So meinte ein hoher Schweizer Beamter, dass es «in multilateralen Foren nicht an Geld fehlt, sondern an tragfähigen Projekten». Der Ausweg seien chinesische Kredite, die seien leichter zu bekommen. Doch es gibt keinen Zweifel: Wer Multimillionen-Kredite annimmt, begibt sich in eine gewisse Abhängigkeit. Die ehemaligen europäischen Kolonialmächte und die USA, die deren Rolle im 20. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht übernommen haben, wittern angesichts der chinesischen Entwicklungs- und Expansionsstrategie eine Art Neo-Kolonialismus. Ob sich dieser für Entwicklungsländer ebenso verhängnisvoll auswirken wird wie der historische Kolonialismus, wird sich zeigen.
Unbestritten ist nur der enorme Finanzbedarf auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung: Die OECD schätzt, dass zur Erreichung der UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bis 2030 Investitionen in der Höhe von 6 900 Milliarden US-Dollar nötig sind.
...Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte, Korruption
Von grosser Bedeutung sind die Auswirkungen chinesischer Projekte auf die Menschenrechte, etwa in Bezug auf Arbeitsnormen und öffentliche Konsultationen. Bei jedem Infrastrukturprojekt sind die Umweltauswirkungen auf Wasser, Boden, Luft, Biodiversität und Klimawandel erheblich – erst recht wenn die Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen im Zentrum steht, Sektoren notabene, die kaum mit dem in der Agenda 2030 geforderten ökologischen Wandel vereinbar sind.
Ein weiteres Problem, das durch die mangelnde Transparenz der Kredite verschärft wird, ist die Korruption. «Die Globalisierung hat dazu beigetragen, Korruption durch Investitionen zu exportieren», sagte Gretta Fenner vom Basel Institute of Governance, «und es ist ein Problem, das nicht nur die Entwicklungsländer betrifft. Im Bereich Regierungsführung (governance) birgt die BRI massive Korruptionsrisiken. Bei grossen Infrastrukturprojekten geht es um enorme Geldsummen und dies immer vor dem Hintergrund eines offensichtlichen Machtungleichgewichts. Ob es sich dabei um China oder einen anderen Kreditgeber handelt, ist zweitrangig.»
Nicht verschwiegen werden soll, dass in der Diskussion um die neue Seidenstrasse auch Fortschritte erzielt werden, beginnend mit den Green Investment Principles for the Belt and Road und einem kürzlich von China verabschiedeten Debt Sustainability Framework, die Pekings Engagement für nachhaltigere Investitionen unterstreichen.
Was macht die Schweiz?
Und welche Rolle spielt die Schweiz in der BRI? Die Vereinbarung mit China schafft eine Plattform, die es chinesischen und schweizerischen Unternehmen ermöglichen soll, bei BRI-Projekten zusammenzuarbeiten, wobei finanzielle und schuldenbezogene Nachhaltigkeitsaspekte besonders berücksichtigt werden sollen. Eine Arbeitsgruppe soll die Plattform etablieren. Wenn Schweizer Unternehmen beteiligt sind – darin scheinen sich alle einig zu sein –, müssen zumindest bestimmte Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten werden.
Die von den Konferenzteilnehmern angenommene Andermatt-Deklaration anerkennt diese schönen Prinzipien und die Schweiz kann gewiss dazu beitragen, dass sie auch eingehalten werden. Die Erklärung zielt aber auch darauf ab, ein günstiges Umfeld für private Investitionen in Infrastruktur und öffentlich-private Partnerschaften (PPPs) zu schaffen. Diese Absicht wird auch in der von der Schweiz und China unterzeichneten Absichtserklärung deutlich zum Ausdruck gebracht. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob tatsächlich öffentliche Mittel eingesetzt werden, um Schweizer Unternehmen, Banken und Versicherungen im Ausland zu unterstützen. Und wenn ja, unter welchen Bedingungen dies geschieht.
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Tansania plant Abbau der grössten Nickel-Vorkommen
19.03.2021, Handel und Investitionen
Die tansanische Regierung hat mit einem britischen Konzern ein Abkommen über den Nickel-Abbau unterzeichnet, das die Aufteilung der Gewinne zu gleichen Teilen regelt. Staatliche Eingriffe sind auch im benachbarten Sambia zu beobachten.

Zwei Fischer paddeln an dem unter der Flagge der Marshallinseln fahrenden Tanker «Miracle» vorbei, nachdem dieser am 13. Februar 2016 in der Hafenmündung von Daressalam auf Grund gelaufen war.
© Daniel Hayduk / AFP
Im Schein der untergehenden Sonne tuckert die Fähre von Sansibar in den Hafen von Daressalam, der Wirtschaftsmetropole Tansanias, die sich seit ihrer Namensgebung durch den Sultan von Sansibar im Jahr 1866 «Haus des Friedens» nennt. Hinter dem Glockenturm der Kathedrale sind die Hochhäuser der Geschäftsviertel Kisutu und Geresani zu erkennen. Am gegenüberliegenden Ufer brechen die Fischer zu einer langen, anstrengenden Nacht auf dem indischen Ozean auf.
Der Hafen der Stadt soll zum grössten Zentral- und Ostafrikas ausgebaut werden und sogar jenen von Durban in Südafrika in den Schatten stellen. Die geografische Lage Tansanias ist einzigartig: Das Land bietet sechs Binnenländern – Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda, Burundi, Sambia und Malawi – den direktesten Zugang zum Meer. Die Ausbauarbeiten schreiten rasch voran und schon bald werden hier grosse Frachtschiffe anlegen können. Laut der Daily News, einer von zwei englischsprachigen Tageszeitungen, ist der Ausbau von sieben Liegeplätzen durch die China Harbour Engineering Company bereits zu 90% abgeschlossen. Ausserdem ist China dabei, mit Beteiligung eines omanischen Investmentfonds in Bagamoyo, der ehemaligen Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas, einen grossen Hafen zu errichten.
Umschlagplatz für Rohstoffe
Aus dem Hafen werden die in Tansania abgebauten Mineralien, deren Volumen markant ansteigen dürfte, exportiert. Am 19. Januar unterzeichnete die Regierung ein Abkommen mit dem britischen Konzern Kabanga Nickel, dessen Zweck der Abbau der weltweit grössten Vorkommen des Minerals ist, das insbesondere in der Automobilindustrie und in Batterien Verwendung findet. Einige Beobachter vor Ort geben sich enthusiastisch und muten Tansania gar zu, über den Schlüssel für eine kohlenstoffarme Weltwirtschaft zu verfügen.
Das Joint-Venture mit dem Namen Tembo Nickel Corporation hat sich zum Abbau von Nickel und dem Bau einer Raffinerie für das Einschmelzen vor Ort verpflichtet. Dieser Ansatz deckt sich mit der politischen Ausrichtung Tansanias, Mineralien zu veredeln, statt sie im Rohzustand zu exportieren. Kabanga Nickel ist mit 84% Anteil Mehrheitsaktionär der neuen Gesellschaft, während die restlichen 16% auf die Regierung entfallen – was der üblichen Beteiligung Tansanias an Bergbauvorhaben entspricht. Das Land erhofft sich daraus Jahreserträge von 664 Millionen USD. Der Gewinn entfällt zu gleichen Teilen auf die Regierung und das britische Unternehmen.
Pikantes Detail: Die Schürfrechte gehörten zuvor dem Schweizer Konzern Glencore und der kanadischen Barrick Gold; 2018 kündigte Präsident John Magufuli nach einer Anpassung des Steuerregimes und der Bergbau-Gesetzgebung, wonach dem Staat ein grösserer Teil des Einkommens zufällt, jedoch die Förderlizenzen der beiden Unternehmen sowie von zehn weiteren Investoren im Land.
Langfristig sollen vor Ort Batterien produziert werden
Tansania beabsichtigt ausserdem, Investoren für die lokale Produktion von Batterien zu gewinnen. Der gesamte Ertrag des Bergbauvorhabens soll in den tansanischen Banken verbleiben; Massnahmen zur Beschränkung des Mittelabflusses sind vorgesehen. Der Bergbau macht 3,5% des Bruttonationaleinkommens Tansanias, dem drittgrössten Goldproduzenten Afrikas, aus. Diesen Anteil will die Regierung bis 2025 auf 10% erhöhen.
Den Kern der Entwicklungsstrategie des inzwischen vertorbenenen Präsidenten John Magufuli, die bis 2025 ein jährliches Wachstum von 8% und die Schaffung von 8 Millionen Arbeitsplätzen im formellen und informellen Sektor anstrebt, bildet die Förderung von ausländischen wie auch inländischen Investitionen. Das Land möchte seine Industrialisierung fortsetzen. In der Ausgabe von «The Citizen» vom 4. Januar bekräftigte Kitila Mkumbo, Staatsminister für Investitionen, dass «die tansanische Regierung bestrebt sei, das Geschäfts- und Investitionsklima zu verbessern, um in- und ausländische Investitionen zu mobilisieren, zu halten und zu fördern». Grundlage dafür ist der Leitplan für Regulierungsreformen zur Verbesserung des Geschäftsumfelds in Tansania. Durch letzteren soll Überregulierung abgebaut, die Regierungskontrolle jedoch nicht geschwächt werden. Gleichzeitig sollen durch die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle Investitionen rascher und kostengünstiger abgewickelt werden können. Tansania ist ausserdem bestrebt, seine Platzierung im Doing Business Report der Weltbank zu verbessern (derzeit Platz 141 von 190); letzteren hatte Alliance Sud kürzlich kritisiert, weil ein Land umso besser dasteht, je stärker es zu Lasten von Rechten der ArbeitnehmerInnen und von Umweltschutz dereguliert.
DorfbewohnerInnen in Sambia entschädigt
Im Hafen von Daressalam werden auch Rohstoffe aus den Nachbarländern umgeschlagen, angefangen bei Sambia, einem bedeutenden Kupferexportland. Von dort erreicht uns eine interessante Nachricht: Am 19. Januar erklärte sich der britische Bergbaugigant Vedanta bereit, 2’500 DorfbewohnerInnen zu entschädigen, nachdem der oberste Gerichtshof Grossbritanniens in einem wegweisenden Urteil entschieden hatte, dass diese aufgrund der von Vedantas indischer Tochtergesellschaft Konkola verursachten Umweltverschmutzung vor britische Gerichte ziehen können. Eine Möglichkeit, die in der Schweiz bei Annahme der Konzernverantwortungsinitiative ebenfalls geschaffen worden wäre.
Ist das nicht eine gute Nachricht? – «Aussergerichtliche Einigungen sind immer zwiespältig», sagt Rita Kesselring, Sozialanthropologin an der Universität Basel und Spezialistin für Bergbaufragen in Afrika: «Einerseits bringen sie eine willkommene Erleichterung für die KlägerInnen, in diesem Fall arme Familien, deren Lebensgrundlage durch die von der Konkola-Mine verursachten Schäden teilweise zerstört worden ist. Andererseits verhindern diese Vergleiche die Schaffung eines wichtigen gerichtlichen Präzedenzfalls in Bezug auf von Unternehmen verursachtes Unrecht.»
Mischung aus Verstaatlichung und Teilprivatisierung
Kürzlich hat die sambische Regierung die Mine «vorübergehend» geschlossen, mit der Begründung, Konkola habe sie nicht ordnungsgemäss betrieben (was auch die Sammelklage vor den britischen Gerichten belegt). Danach teilte sie das Unternehmen auf und verkaufte 49% der Schmelzhütte an einen Investor. «Was wir hier sehen, ist eine Art 'Verstaatlichung', begleitet von einer 'Teilprivatisierung'. Ähnliches geschah Mitte Januar mit der Mopani-Mine; in diesem Fall erwarb die Regierung die Mine jedoch mit einem Darlehen von Glencore. Die sambische Regierung strebt an, sich stärker an der Bergbauindustrie im Land zu beteiligen; die Beispiele Konkola und Mopani lassen erahnen, welche Form dies annehmen könnte. Es gibt einige interessante Parallelen zu Tansania», ergänzt Rita Kesselring.
Für die Wissenschaftlerin ist dies eine vielversprechende Entwicklung, deren Realisierbarkeit jedoch von einer Reihe von Faktoren abhängt, über die wir derzeit wenig wissen: Wer ist für die Beseitigung der Verschmutzung verantwortlich, die diese Minen in den letzten zwanzig Jahren verursacht haben? Sowohl Konkola als auch Mopani weisen eine sehr schlechte Bilanz auf, die im Fall von Mopani sogar von einem sambischen Gericht bestätigt worden ist.
Die Frage nach der sozialen Verantwortung der Unternehmen bleibt deshalb unbeantwortet.
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Trotz Fortschritten noch Luft nach oben
27.09.2022, Handel und Investitionen
Auf den ersten Blick ermöglicht das neue Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien Regulierungen im Sinne des Gemeinwohls. Es enthält jedoch Bestimmungen, die diese Möglichkeit zunichte machen könnten.

Umweltzerstörung auf Konzessionsgebieten des grössten indonesischen Palmöl-Unternehmens in Kapuas Hulu in der Provinz Westkalimantan auf der Insel Borneo.
© AFP PHOTO / ROMEO GACAD
Indonesien hat als eines von wenigen Ländern praktisch all seine Investitionsschutzabkommen (ISA) gekündigt – im Jahr 2016 auch jenes mit der Schweiz. Dies, nachdem sich der Staat mit Schiedsverfahren in Millionenhöhe konfrontiert sah. Bei den Neuverhandlungen stösst Jakarta jedoch auf den Widerstand der Industrieländer, obwohl sein neues Investitionsschutz-Musterabkommen einige übliche Neuerungen gar nicht aufnimmt.
Auch der Bund hat mit Indonesien ein neues Abkommen ausgehandelt, das im Sommer 2022 in die Vernehmlassung ging. «Das neue Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien enthält wichtige Neuerungen und übernimmt Ansätze, die sich jüngst bewährt haben. Im Vergleich zum letzten Abkommen stellt es zweifellos einen Fortschritt dar, doch von einem 2022 abgeschlossenen Abkommen hätte man in einigen Punkten mehr erwarten dürfen», so Suzy Nikièma, Verantwortliche für nachhaltige Investitionen beim International Institute for Sustainable Development (IISD), einem internationalen Think Tank, der technische Unterstützung und Kooperationsmöglichkeiten bietet, Forschung betreibt und Lösungen für Investitionen im Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklung erarbeitet.
Abkommen fördert nachhaltige Entwicklung nicht
Heute herrscht breiter Konsens darüber, dass diese Investitionsschutzabkommen problematisch sind. Doch was ist zu tun? Laut Suzy Nikièma «wurden sie im Kontext der Entkolonialisierung und des Kalten Krieges zum Schutz der Rechte von im Ausland tätigen Investoren ausgearbeitet, zu einer Zeit, in der nachhaltige Entwicklung kein zentrales Anliegen war. Es ist daher unabdingbar, die Rolle, den Mehrwert und den Inhalt dieser bedeutenden Instrumente mit Blick auf die Herausforderungen und Ziele der Gegenwart neu zu überdenken».
Wie auch Josef Ostřanský, Berater für Investitionsrecht und -politik am IISD, feststellt, wird im Abkommen mit der Schweiz der Begriff «Investition» breit ausgelegt; ausserdem wird nicht zwischen umweltbelastenden, kohlenstoffintensiven und emissionsarmen Investitionen unterschieden. Dabei handelt es sich um die grösste Schwäche dieses Abkommens. Tatsächlich besteht keine Möglichkeit, ausländische Unternehmen zu kategorisieren: Somit schützt das Abkommen auch ein Schweizer Bergbauunternehmen, das in Indonesien die Umwelt verschmutzt. Obwohl diese Unterscheidung bislang in kein Abkommen Eingang gefunden hat, könnte die Schweiz hier mit gutem Beispiel vorangehen.
«InvestorInnen» schärfer definiert, doch mit sehr wenigen Verpflichtungen
Die präzisere Definition des Begriffs «InvestorIn» hilft immerhin bei der Vermeidung von Treaty-Shopping, also den Rückgriff auf ein vorteilhafteres Abkommen, das von einem anderen Land abgeschlossen wurde. Als InvestorIn wird jede natürliche Person definiert, die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist, sowie jede juristische Person, die im Land eine substanzielle Wirtschaftstätigkeit ausübt, dort registriert ist und dort einen Sitz hat.
Allerdings unterliegen diese Investoren nur sehr wenigen Verpflichtungen: Nur gerade zwei von 44 Artikeln des Abkommens behandeln die soziale Verantwortung von Unternehmen und die Korruptionsbekämpfung – dies jedoch nur in Form von unverbindlichen Ermahnungen. Weder ein Durchsetzungsmechanismus noch rechtliche Folgen im Falle einer Verletzung sind vorgesehen.
Es wurden Anstrengungen zur Konkretisierung des Grundsatzes der fairen und gleichberechtigten Behandlung, einer Meistbegünstigungsklausel und des Regulierungsrechts unternommen. All dies könnte jedoch durch einen zweifelhaften Artikel (37) zunichte gemacht werden; dieser besagt, dass Investoren sich auf die vorteilhaftere der zwischen den Parteien geltenden Rechtsordnungen berufen können. Es handelt sich dabei um eine der problematischsten Bestimmungen des ISA.
Zwangslizenzklagen vom Umfang der Enteignung ausgenommen
Hingegen begrüsst Alliance Sud die Bestimmung in Anhang A des ISA, wonach Regulierungshandlungen zu Gemeinwohlzielen wie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt keine indirekte Enteignung darstellen und finanzielle Entschädigungen nach sich ziehen können. Allerdings könnte die Wirkung des Anhangs aufgrund des folgenden Zusatzes verpuffen: «Davon ausgenommen sind die seltenen Fälle, in denen die Auswirkungen einer Handlung oder einer Reihe von Handlungen unter Berücksichtigung ihres Zwecks so schwerwiegend sind, dass sie offenkundig unverhältnismässig erscheinen.»
Im Gegensatz dazu ist Art. 7 Abs. 6 zu begrüssen, da er vorsieht, dass die indirekte Enteignung nicht für die Erteilung von Zwangslizenzen gilt, die gemäss dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) erteilt werden. Alliance Sud hat wiederholt den Druck der Schweiz auf Kolumbien, auf die Erteilung einer Zwangslizenz für Glivec (ein von Novartis hergestelltes Anti-Krebsmedikament) zu verzichten, ebenso wie die Drohung von Novartis kritisiert, Kolumbien auf der Grundlage des ISA zwischen den beiden Ländern zu verklagen. Der neue Artikel sollte derartige Klagen verunmöglichen.
ISDS weiterhin vorgesehen
Schliesslich ist eines der Hauptprobleme des neuen Abkommens der nach wie vor vorgesehene Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) durch Schiedsverfahren. Auch liegt keine Verpflichtung vor, nationale Gerichte anzurufen, geschweige denn, im Vorfeld den innerstaatlichen Rechtsweg auszuschöpfen. Die Beteiligung von Drittparteien am Rechtsstreit wie im Falle des amicus curiae (Freund des Gerichts) ist nicht vorgesehen. Die Möglichkeit der Mediation ist zwar eingeplant, bleibt aber fakultativ.
Davon ausgehend hat Alliance Sud zusammen mit Rambod Behboodi, einem Anwalt für internationales Recht, einen Vorschlag zur Stärkung und Förderung von Schlichtung und Mediation bei Handels- und Investitionsklagen erarbeitet. Der Vorschlag, der hauptsächlich mit Blick auf die WTO konzipiert wurde, enthält strukturelle und institutionelle Elemente, die mit einigen Anpassungen auf Investitionsschutzabkommen übertragen werden können.
Es ist durchaus möglich, in einem solchen Abkommen auf den ISDS-Mechanismus zu verzichten. Abas Kinda, Berater für internationales Recht am IISD, hält fest, dass «das neue Musterabkommen Brasiliens den Schwerpunkt auf die zwischenstaatliche Prävention, Mediation und Beilegung von Streitigkeiten legt – ohne ISDS.»
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Die Schweiz muss die Energiecharta kündigen
05.12.2022, Handel und Investitionen
Die Energiecharta schützt Unternehmen, die in fossile Energieträger investieren. Immer mehr Länder steigen aus dem Vertrag aus, während die Schweiz weiterhin die Energiewende ausbremst.

Das Nord-Stream-Gasleck in der Ostsee, fotografiert vom Satelliten Pléiades Neo.
© AFP Photo / Airbus DS 2022 / Keystone
2019 klagte die Nord Stream 2 AG gegen den Beschluss der EU zur Änderung einer neuen Gasrichtlinie, wonach für Pipelines, die innerhalb der EU betrieben werden, dieselben Auflagen gelten sollen wie für solche, die in die EU hineinführen. Laut dem Unternehmen verstiessen diese Bestimmungen unter anderem gegen die Gebote der gerechten und billigen Behandlung, der Meistbegünstigung und der indirekten Enteignung, die Bestandteil des Vertrages über die Energiecharta (ECT) sind.
Was ist die Energiecharta?
Der 1998 in Kraft getretene Vertrag über die Energiecharta schützt Investitionen in Energie - auch in fossile Energieträger. Von seinen 53 Vertragsstaaten sind die meisten Industrieländer, darunter die Schweiz und die EU-Staaten; aber auch Länder wie Afghanistan, Jemen, die Mongolei und zentralasiatische Länder sind ihm beigetreten. Er ermöglicht einem Investor aus einem Vertragsstaat, gegen einen anderen Vertragsstaat zu klagen, wenn sich dort die Politik oder die Vorschriften zu Ungunsten des Investors ändern.
Der Energiechartavertrag ist mit grossem Abstand der Vertrag, aufgrund dessen am häufigsten geklagt wird. Die Klagen werden in absoluter Intransparenz von einem aus drei Schiedsrichtern bestehenden Schiedsgericht nach dem Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) und ohne die Verpflichtung, zuvor die innerstaatlichen Gerichte anzurufen, entschieden. Somit haben die grossen Gas-, Öl- und Kohlekonzerne ein mächtiges Instrument in der Hand, um Regierungen vom Übergang zu sauberen Energien abzuhalten.
Zur Erinnerung: Nord Stream 2 hätte Erdgas von Russland nach Deutschland befördern sollen, die Betreibergesellschaft – ein Schweizer Unternehmen – ging jedoch Anfang des Jahres in Konkurs. Sie gehörte zwar dem russischen Staatskonzern Gazprom, hatte aber ihren Sitz in Zug. Die umstrittene Pipeline wurde nie in Betrieb genommen, da Deutschland das Projekt am 22. Februar im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine blockiert hatte.
Sechs Klagen von Schweizer InvestorInnen
Von den 43 bekannten Schiedsklagen von Schweizer InvestorInnen basieren sechs auf der Energiecharta: Drei wurden gegen Spanien erhoben. Davon sind zwei noch hängig und eine wurde vom Investor Operafund gewonnen; dieser warf Madrid Reformen im Bereich der erneuerbaren Energien, darunter eine Umsatzsteuer von 7% und eine Kürzung der Subventionen für die Energieerzeuger, vor. Alpiq verlor eine Klage gegen Rumänien und eine weitere gegen Polen ging zu Ungunsten des Schweizer Investors Festorino aus.
Spanien sieht sich mit einer Rekordzahl von 50 Klagen auf der Grundlage des umstrittenen Vertrags konfrontiert. Nach Berechnungen des Transnational Institute belaufen sich die von ausländischen Investoren geforderten Entschädigungen auf mindestens 7 Milliarden Euro. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Spanien, ebenso wie Frankreich, Polen, die Niederlande und Deutschland, beschlossen hat, den Vertrag zu kündigen. Auch Belgien und weitere europäische Länder erwägen derzeit einen Ausstieg. «Ich beobachte die Rückkehr der Kohlenwasserstoffe und der umweltschädlichsten fossilen Energien mit Sorge», wird der französische Präsident Emmanuel Macron in «Le Monde» zitiert. «Der Krieg auf europäischem Boden darf uns nicht unsere Klimaverpflichtungen und unser Bekenntnis zur Senkung der CO2-Emissionen vergessen lassen. Der Rückzug aus diesem Vertrag ist Teil dieser Strategie.»
Nach den jüngsten Zahlen, die das Charta-Sekretariat veröffentlicht hat, wurden 142 Klagen auf der Grundlage dieses Vertrags eingereicht; es könnten jedoch weitaus mehr sein, da für die Staaten keine Notifizierungspflicht besteht. Somit bricht der Vertrag bezüglich eingereichter Klagen alle Rekorde. Deutschland zum Beispiel wurde zweimal wegen seiner Entscheidung zum Atomausstieg verklagt: Im Fall «Vattenfall vs. Germany I» ist die Höhe der von Berlin an das schwedische Unternehmen gezahlten Entschädigung nicht bekannt; im Fall «Vattenfall vs. Germany II» erhielt das schwedische Unternehmen 1.721 Milliarden USD Entschädigung.
Die Schweiz will nicht aussteigen
Die Schweiz ihrerseits wurde bislang noch nie auf der Grundlage des ECT verklagt. Insgesamt richtet sich gegen sie nur eine einzige Schiedsklage, die jedoch nicht auf dem ECT beruht: die eines Investors aus den Seychellen. Sie ist noch hängig.
Erwägt die Schweiz eine Kündigung des Vertrages? «Nein», antwortet Jean-Christophe Füeg, Leiter Internationales des Bundesamtes für Energie, und fügt hinzu: «Die Kritiker des Vertrags übersehen, dass er nur für ausländische Investitionen gilt. Mit anderen Worten: Investitionen im Inland oder aus Nichtvertragsstaaten fallen nicht darunter.»
Die modernisierte Version dieser Charta, die am 9. November vom Bundesrat angenommen wurde, sollte seiner Meinung nach die Anzahl Klagen drastisch reduzieren und den Geltungsbereich des Vertrags einschränken: «Die EU wird nun als eine Vertragspartei zählen, was bedeutet, dass Klagen von InvestorInnen innerhalb der EU nun ausgeschlossen sind», fügt er hinzu. Dadurch wird der ECT zu einem Vertrag zwischen der EU, Grossbritannien, Japan, der Türkei, der Ukraine, Aserbaidschan und der Schweiz; die anderen Parteien haben praktisch keine InvestorInnen. Nun sind aber über 95% der fossilen Investitionen innerhalb der EU entweder EU-interner Natur oder werden von Nichtvertragsparteien getätigt. Dies ermöglicht es z.B. einigen EU-Mitgliedstaaten, munter mit der Förderung von Kohlenwasserstoffen fortzufahren (z.B. Zypern, Rumänien, Griechenland und auch die Niederlande).
«Dem Argument, dass ein Ausstieg für den Klimaschutz grundlegend sei, kann nicht zugestimmt werden, da davon weniger als 5% der fossilen Investitionen betroffen wären. Die restlichen 95% liegen ausserhalb des Einflussbereiches des Vertrags.» Laut Füeg wurde ausserdem eine Umfrage unter Schweizer Investoren mit Anlagen in der EU durchgeführt; die Befragten geben an, dass sie den Rechtsschutz schätzen, den ihnen der ECT gewähre. «Ein Austritt der Schweiz würde ihren Interessen zuwiderlaufen», schlussfolgert er.
Anpassung des Vertrags genügt nicht
Selbst die modernisierte, aber noch immer ungenügende Version der Charta wird allerdings nicht in Kürze in Kraft treten. Obwohl sie von den Vertragsstaaten bei einem Treffen am 22. November in Ulan Bator in der Mongolei hätte angenommen werden sollen, wurde das Traktandum wieder von der Tagesordnung gestrichen, nachdem sich die EU-Mitgliedstaaten nicht einigen konnten.
Alliance Sud fordert einen Austritt der Schweiz aus dem Vertrag, auch wenn die modernisierte Version der Energiecharta eine gewisse Schadensbegrenzung mit sich bringt. Der Vertrag ermöglicht es einem ausländischen Investor, gegen einen Gaststaat aufgrund jeder regulatorischen Änderung – Schliessung eines Kohlekraftwerks, Ausstieg aus der Atomenergie, regulatorische Änderungen bei den erneuerbaren Energien, etc. – zu klagen. Dadurch wird die Energiewende und der Kampf gegen die Klimakrise gebremst. Es ist nicht akzeptabel, dass ausländische Akteure, die in fossile Energieträger investieren, über den nationalen Gesetzen stehen und sich auf eine Privatjustiz berufen können, die ihnen allzu oft Entschädigungen in Millionen- oder gar Milliardenhöhe zuspricht.
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Die Schweiz vor Weltbank-Schiedsgericht gezerrt
25.08.2020, Handel und Investitionen
Die Schweiz ist vor der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit nicht gefeit: Zum ersten Mal wurde Klage gegen sie eingereicht. Für Alliance Sud ist dies der überfällige Anlass, die Investitionsschutzabkommen zugunsten der Empfängerländer anzupassen.

© Isolda Agazzi / Alliance Sud
Eine juristische Person mit Sitz auf den Seychellen kritisiert die Schweiz wegen eines 30 Jahre alten Gesetzes, das den vorübergehenden Wiederverkauf von nicht-landwirtschaftlichen Immobilien verbietet. Bisher waren vor allem Entwicklungsländer das Ziel solcher Beschwerden.
Früher oder später musste es so kommen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist die Schweiz Gegenstand einer Klage vor dem ICSID (International Centre for Settlement of Investment Disputes), dem Schiedsgericht der Weltbank, das über Streitigkeiten im Zusammenhang mit Investitionsschutzabkommen entscheidet. Ironischerweise kommt die Klage, welche der Schweiz die Hölle heiss machen will, aus einem tropischen Paradies. Absender ist eine juristische Person mit Sitz auf den Seychellen, die von einem Schweizer Bürger kontrolliert wird. Dieser behauptet, im Namen von drei Italienern zu handeln, die angeblich Verluste erlitten haben aufgrund eines dringenden Bundesbeschlusses von 1989, der den Wiederverkauf von nicht-landwirtschaftlichen Immobilien für fünf Jahre verbietet. Ein Dokument, das so alt ist, dass es nicht einmal mehr auf der Website der Bundesverwaltung zu finden ist. Der Kläger stützt seine Klage auf das schweizerisch-ungarische Investitionsschutzabkommen (ISA) von 1988 und fordert 300 Millionen Franken Entschädigung. Es überrascht nicht, dass die Schweiz das Ganze rundheraus bestreitet.
37 Beschwerden von Schweizer Unternehmen gegen Staaten
So weit hergeholt dieser Fall auch erscheinen mag, zeigt er doch, dass die Schweiz nicht immun ist gegen diesen umstrittenen Mechanismus der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Umstritten, weil er es einem ausländischen Investor erlaubt, eine Klage gegen den Empfängerstaat von Investitionen zu erheben, wenn dieser neue Vorschriften zum Schutz der Umwelt, der Gesundheit, der Arbeitnehmerrechte oder des öffentlichen Interesses erlässt. Eine Klage in umgekehrter Richtung – ein Staat verklagt einen Investor – ist jedoch nicht möglich.
Bislang ist Bern das Kunststück gelungen, solchen Klagen zu entkommen. Umgekehrt wurden von der UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung) 37 Beschwerden von Schweizer Unternehmen oder solchen, die sich als das bezeichnen, registriert. Der jüngste Fall betrifft Chevron gegen die Philippinen auf der Grundlage des schweizerisch-philippinischen Investitionsschutzabkommens. Ein Fall, über den fast nichts bekannt ist, abgesehen von der Tatsache, dass er sich um ein Offshore-Gasvorkommen dreht. Chevron, ein Schweizer Unternehmen? Auf den ersten Blick nicht wirklich, doch der amerikanische Konzern stellte beim Vertrags-Shopping, wie man im Jargon sagt, fest, dass das schweizerisch-philippinische ISA ihren Interessen am besten dient und schaffte es, sich als Schweizer Unternehmen auszugeben. Und dies obwohl Chevron seit Jahrzehnten mit Ekuador in Gerichtsverfahren wegen Verschmutzung des Amazonasgebiets verwickelt ist.
Abschaffung der ISDS
Alliance Sud fordert die Schweiz seit Jahren auf, die Investitionsschutzabkommen mit den Empfängerländern (es gibt 115 ISA, ausschliesslich mit Entwicklungs- bzw. Schwellenländern) anzupassen, um deren Rechte besser zu garantieren. In jüngster Zeit haben Südafrika, Bolivien, Ekuador, Indien, Indonesien und Malta ihre Abkommen mit der Schweiz gekündigt und wollen entweder ausgewogenere Abkommen aushandeln oder ganz darauf verzichten. Das umstrittenste Element ist der Mechanismus der Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS), der vorsieht, dass der Investor einen Richter wählt, der beschuldigte Staat einen anderen und die beiden sich auf einen dritten einigen müssen. Drei Richter können schliesslich einen Staat zur Zahlung einer Entschädigung verurteilen, die sich auf Hunderte von Millionen Dollar belaufen kann. Alliance Sud fordert, das ISDS-System vollständig aufzugeben oder höchstens noch nach Ausschöpfung der innerstaatlichen Rechtsmittel als letztes Mittel einzusetzen.
Staaten sollten die Möglichkeit auf Gegenklage haben
Das Prinzip, dass Investitionsschutzabkommen nur die Rechte ausländischer Investoren schützen, wurde durch das ISDS-Urteil vom Juli 2016 im Fall von Philip Morris gegen Uruguay in Frage gestellt; dieses schützte Uruguays Recht auf Gesundheit und wurde vom Schweizer Zigarettenhersteller rundweg abgelehnt. Ein zweiter Hoffnungsschimmer folgte kurz darauf Ende 2016, als ein Schiedsgericht gegen das spanische Unternehmen Urbaser entschied, das die Wasserversorgung in Buenos Aires verwaltet hatte und nach der argentinischen Finanzkrise von 2001/02 in Konkurs gegangen war. Die Richter hielten fest, dass ein Investor auch die Menschenrechte respektieren müsse. Zum ersten Mal traten sie damit auf eine "Gegenklage" ein, weil das Recht der Bevölkerung auf Wasser verletzt worden sei. Letztlich entschieden sie jedoch, dass Urbaser in der Sache das Recht auf Wasser nicht verletzt habe. Die Gegenklage hatten sie für zulässig gehalten, weil das argentinisch-spanische Investitionsschutzabkommen (ISA) "beiden Parteien" erlaubt, im Streitfall eine Klage einzureichen.
Die Kokospalme schütteln
Genau dies ist leider nicht der Fall bei den schweizerischen ISA, die nur dem Investor die Möglichkeit geben, eine Beschwerde einzureichen und nicht beiden Parteien1. Die Aktualisierung bestehender Abkommen oder die Aushandlung neuer Abkommen ist eine Gelegenheit, diese wichtige Änderung einzuführen. Sie bliebe jedoch bescheiden, denn die erste Klage würde nach wie vor in der Verantwortung des Investors liegen: Opfer von Verstössen gegen das Recht auf Wasser, auf Gesundheit oder Gewerkschaftsrechte gegen ausländische multinationale Unternehmen blieben also weiterhin ausgeschlossen.
Nun, da ein Investor von den Seychellen die Kokospalme geschüttelt hat, hofft Alliance Sud, dass die Schweiz, unabhängig vom Ausgang dieser Klage, ernsthafte Anstrengungen unternehmen wird, um ihre Investitionsabkommen anzupassen. Wie der skurrile Fall zeigt, liegt kann das eindeutig in ihrem Interesse liegen.
1Siehe z.B. Art. 10.2 des ISA mit Georgien, das jüngste Schweizer ISA.
Dieser Text wurde zuerst auf Isolda Agazzis Blog "Lignes d'horizon" von Le Temps veröffentlicht.
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Mit der Coronakrise zu (noch mehr) Geld kommen
05.10.2020, Handel und Investitionen
In Lateinamerika klagen multinationale Unternehmen gegen Staaten, weil diese Massnahmen gegen die Covid-19-Pandemie getroffen haben. Investitionsschutzabkommen, die das zulassen, gehören abgeschafft!

Mittagspause in der Firma K.P. Textil in San Miguel Petapa in Guatemala. Nach dem Covid-19-Ausbruch wurden Plexiglasplatten zum Schutz vor Ansteckung installiert.
© Moises Castillo / AP / Keystone
Es stand zu befürchten, jetzt ist es eingetroffen. Wie das Transnational Institute enthüllt, drohen mit Peru, Mexiko und Argentinien mindestens drei lateinamerikanischen Staaten Klagen vor Schiedsgerichten wegen Massnahmen, die sie zur Bekämpfung der Coronakrise getroffen haben. Was genau ist geschehen? Anfang April, als immer noch mehr PeruanerInnen ihre Arbeit zu verlieren drohten, verabschiedete das peruanische Parlament ein Gesetz zur Aussetzung der Autobahngebühren, um so den Waren- und Personenverkehr zu erleichtern bzw. zu vergünstigen. Die Reaktion der ausländischen Firmen, die über die entsprechenden Autobahnkonzessionen verfügen, kam schnell. Bereits im Juni kündigten sie an, Peru vor ein Weltbank-Schiedsgericht (ICSID - International Centre for Settlement of Investment Disputes) zu bringen. Verschreckt leitete die Wirtschaftsministerin einen Prozess zur Umgehung des Gesetzes und zur Beibehaltung der Mautgebühren ein, der jedoch verfassungswidrig sein könnte. Das wird als chilling effect bezeichnet: Aus Angst, dem ausländischen Investor eine sehr hohe Entschädigung – zuzüglich der Gerichtskosten – zahlen zu müssen, verzichtet eine Regierung auf eine im öffentlichen Interesse liegende Massnahme. Das peruanische Verfassungsgericht muss jetzt über die Rechtmässigkeit des exekutiven Rückziehers entscheiden und je nach Urteil werden die KlägerInnen entscheiden, ob sie ihre Beschwerde beim Schiedsgericht einreichen oder nicht.
Mexiko und Argentinien auf dem heissen Stuhl
Kurz darauf war die Reihe an Mexiko, ausländische Investoren zu verärgern, weil es infolge gesunkenen Stromverbrauchs die Produktion erneuerbarer Energien eingeschränkte. Gleich mehrere auf internationale Schiedsgerichtsbarkeit spezialisierte Anwaltskanzleien beschwörten die davon betroffenen ausländischen Energieunternehmen, doch eine potentiell einträgliche Klage gegen Mexiko einzureichen. Spanische und kanadische Unternehmen haben diese Möglichkeit bereits ausdrücklich in Betracht gezogen. Und schliesslich der Fall von Argentinien, das immer tiefer und tiefer in einer nicht enden wollenden Krise versinkt. Am 22. Mai erklärte die Regierung, dass sie ihre Schulden bei ausländischen Gläubigern, darunter bei BlackRock, der weltweit grössten Vermögensverwaltungsgesellschaft, nicht zurückzahlen könne. Gleichzeitig wurden mit der Zustimmung des Internationalen Währungsfonds (IWF) Verhandlungen über eine Umschuldung der öffentlichen Schulden in Höhe von 66 Milliarden US-Dollar geführt. Am 4. August erklärte sich Argentinien zur Zahlung von 54,8% seiner Schulden bereit, BlackRock hatte 56% verlangt, Argentinien hatte zunächst nur 39% offeriert. Diese Kapitulation war kein Zufall: Am 17. Juni hatte White and Case, die Anwaltskanzlei von BlackRock, damit gedroht, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um Argentinien zum Einlenken zu zwingen – ein kaum verhüllter Hinweis auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Es war dieselbe Anwaltskanzlei gewesen, die 2016 im Namen von 60 000 italienischen Gläubigern 1.35 Milliarden US-Dollar gegen den argentinischen Staat erstritten hatte. Diese hatten (im sog. Fall Abaclat) die von der Regierung zur Bewältigung der Wirtschaftskrise von 2001 vorgeschlagene Umschuldung abgelehnt.
Wenn Multis treaty shopping betreiben
Ebenfalls in Lateinamerika, in Bolivien, sind zwei Schiedsverfahren hängig zwischen dem Staat und dem in der Schweiz beheimateten Rohstoffkonzern Glencore. Bolivien hat aufgrund der Pandemie die vorübergehende Aussetzung der Schiedsverfahren in zwei Bergbaustreitigkeiten beantragt. Die Pandemie hindere die bolivianische Regierung daran, die erforderlichen Dokumente vorzulegen, La Paz beruft sich dabei auf höhere Gewalt. Allerdings ohne Erfolg. Die Glencore-Klagen stützen sich notabene nicht auf das Investitionsschutzabkommen (ISA) zwischen der Schweiz und Bolivien, denn der Andenstaat hat dieses wie andere Entwicklungs- und Schwellenländer (Ekuador, Indonesien, Indien, Südafrika) gekündigt. Glencore ist es gelungen, sich für das Schiedsverfahren als britisches Unternehmen auszugeben und bezieht sich auf ein ISA zwischen Grossbritannien und Bolivien. Dieses Vorgehen ist keineswegs unüblich und trägt in Fachkreisen den schönen Namen treaty shopping. Eine multinationale Firma beruft sich dabei auf jenen zwischenstaatlichen Vertrag, der ihm am meisten Nutzen verspricht. Ein weiteres Unternehmen, das dieses treaty shopping praktiziert, ist Chevron. Der US-Energiekonzern, der seit mittlerweile dreissig (!) Jahren wegen fahrlässiger Umweltverschmutzung im Amazonasgebiet in einen Rechtsstreit mit Ekuador verwickelt ist, hat gegen die Philippinen eine Klage um eine offshore Gasbohrplattform eingereicht. Chevron kann sich dabei auf das schweizerisch-philippinische ISA berufen, das ihm offenbar bessere Chancen einräumt, den Rechtsstreit gegen den asiatischen Inselstaat zu gewinnen.
Die routinemässige Androhung und häufige Einreichung von Klagen multinationaler Unternehmen gegen Staaten hat dazu geführt, dass immer mehr Länder Sinn und Zweck von ISA hinterfragen. Dies tun sie umso mehr, als zahlreiche Abkommen längst nicht so viele Investitionen angezogen haben, wie sich die Empfängerstaaten von Investitionen erhofft haben. Zur Diskussion steht, ISA ein für alle Mal aufzugeben oder zumindest die umstrittene internationale Schiedsgerichtsbarkeit zur Streitbeilegung auszuschliessen und diese durch den Rückgriff auf inländische Gerichte zu ersetzen.
Klagewelle nach Chiles Verfassungsreform?
Der französische Mischkonzern Suez hat Chile mit rechtlichen Schritten gedroht, falls die Wasserversorgung in der südchilenischen Stadt Osorno wieder von der kommunalen Verwaltung übernommen werden sollte, wie das die BewohnerInnen der Stadt wünschen. Auslöser dieses Konflikts war eine zehntägige Unterbrechung der Wasserversorgung im vergangenen Jahr, nachdem es in der Trinkwasseraufbereitung der Tochtergesellschaft des französischen Multis zu einer Ölverschmutzung gekommen war. Falls es die Coronakrise zulässt, wird die chilenische Bevölkerung am 25. Oktober über eine Verfassungsreform abstimmen. Wird die Reform gutgeheissen, könnte dies in Chile eine wahre Lawine von Klagen auslösen, denn multinationale Unternehmen sind dort in allen Bereichen, angefangen beim öffentlichen Dienst, sehr präsent.
Diese und zahllose Fälle in der Vergangenheit zeigen, wie ungleich die Klagemöglichkeiten zwischen Staaten und Investoren verteilt sind. Nur in sehr wenigen ISA ist vorgesehen, dass Staaten ihrerseits gegen ausländische Investoren klagen können, etwa wenn diese Menschenrechte oder Umweltstandards verletzen. In den ISA, welche die Schweiz geschlossen hat, ist das explizit nicht vorgesehen, eine Tatsache die Alliance Sud seit Jahren scharf kritisiert. IA
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Südsudan soll 1 Mia. an libanesische Firma zahlen
06.02.2023, Handel und Investitionen
Ein Schiedsgericht verurteilte die Republik Südsudan zur Zahlung von 1 Milliarde US-Dollar an ein libanesisches Mobilfunkunternehmen. Südsudan will in der Schweiz Berufung einlegen.

Hirten im Südsudan
© Sonia Shah
Die Republik Südsudan wurde von einem Schiedsgericht zur Zahlung von 1 Milliarde US-Dollar an das libanesische Mobilfunkunternehmen Vivacell verurteilt, dessen Betriebskonzession wegen der Nichtzahlung einer Gebühr von 66 Millionen US-Dollar ausgesetzt worden war. Allem Anschein nach ist der Schiedsgerichtsort die Schweiz und der südsudanesische Staat will nun in der Schweiz in Berufung gehen.
Während der Südsudan wegen des Besuchs von Papst Franziskus im Fokus der Medien steht, droht eine andere Nachricht, die für das jüngste und eines der ärmsten Länder der Welt ebenso entscheidend ist, im Trubel unterzugehen. Ende Januar wurde die Republik Südsudan vom Internationalen Schiedsgerichtshof zur Zahlung von 1 Milliarde USD an Vivacell, ein Mobilfunkunternehmen der libanesischen Al Fattouch-Gruppe, verurteilt. Grund dafür war die Aussetzung seiner Betriebskonzession im Jahr 2018, nachdem sich das Unternehmen geweigert hatte, Lizenzgebühren und Steuern in der Höhe von 66 Millionen USD zu begleichen.
Eine Milliarde USD ist eine exorbitante Summe für ein Land, dessen Bruttonationalprodukt (BNP) von der Weltbank auf weniger als 12 Milliarden USD (2015) geschätzt wird (nach der Corona-Pandemie dürfte es heute noch viel niedriger sein) und dessen BNP pro Kopf mit 791 USD das zweitniedrigste der Welt ist.
Wie konnte es so weit kommen? Der südsudanesische Minister für Information, Kommunikation, Technologie und Postdienste, Michael Makuei Lueth, erklärte der lokalen Presse, dass Vivacell seine Lizenz 2008 von New Sudan erhalten hatte, das von John Garangs Sudan People's Liberation Movement (SPLM) während des Bürgerkriegs gegründet worden war. Gemäss den Lizenzbedingungen der auf zehn Jahre angelegten Konzession war Vivacell von der Zahlung jeglicher Steuern und Gebühren befreit. Allerdings änderte sich die Konstellation im Jahr 2011 mit der Unabhängigkeit der Republik Südsudan. Der Minister bekräftigt, das libanesische Unternehmen 2018 zur Neuverhandlung der Konzession und Zahlung der Lizenzgebühren aufgefordert zu haben, was dieses jedoch ablehnte.
Auch wenn der Vertrag zwischen einer nicht souveränen Einrichtung und dem Dienstleistungsunternehmen vor der Unabhängigkeit des Südsudan geschlossen worden war, will Vivacell weiterhin unter den Bedingungen operieren, die New Sudan ihr gewährt hatte.
Berufung in der Schweiz
«Wir sind dabei, vor einem Schweizer Gericht, das als Schiedsstelle fungiert, Berufung einzulegen», sagte Makuei der lokalen Presse und fügte hinzu, dass die Regierung 4,5 Millionen USD zur Begleichung der in der Schweiz und international anfallenden Gerichts- und Anwaltskosten bereitgestellt habe. Die Berufungsfrist sei zwar am 16. Januar abgelaufen, doch die Regierung habe eine Verlängerung beantragt.
Da das Urteil vom Internationalen Schiedsgerichtshof nicht veröffentlicht wurde und die südsudanesische Mission in Genf nicht auf unsere Anfragen geantwortet hat, ist es schwierig, Näheres zu erfahren. Rambod Behboodi, ein in Genf ansässiger Spezialist für internationale Schiedsgerichtsbarkeit, erklärte sich zu einer Stellungnahme bereit, verwies jedoch explizit darauf, dass er sich nur auf Presseberichte berufe.
«Obwohl der Internationale Schiedsgerichtshof seinen Sitz in Paris hat, können die Vertragsparteien einen anderen Rechtssitz für eine Streitigkeit festlegen, in diesem Fall anscheinend die Schweiz», so der Anwalt. Wird jedoch ein Schiedsspruch in der Schweiz gefällt, sind die Berufungsmöglichkeiten beim Bundesgericht äusserst eingeschränkt: Dieses kann sich nicht zum Inhalt des Falls, sondern lediglich zu Form- und Verfahrensfehlern oder Kompetenzüberschreitungen des Schiedsgerichts äussern.»
Sollte die Berufung des Südsudan abgelehnt werden: Was würde passieren, wenn der Staat die Milliarde nicht zahlt? «Vivacell kann versuchen, den Schiedsspruch von Schweizer Gerichten vollstrecken zu lassen, wenn der Südsudan Vermögenswerte in diesem Land hat, meint Behboodi. Das Unternehmen kann auch versuchen, den Schiedsspruch in jedem anderen Land, in dem der Südsudan Vermögenswerte hat, vollstrecken zu lassen. Doch es muss sich ausserhalb des Südsudans mit Problemen der souveränen Immunität auseinandersetzen: Eine Privatklage gegen einen souveränen Staat kann nicht in einem Drittland vollstreckt werden, es sei denn, besondere Umstände seien gegeben.»
Obwohl die Einzelheiten dieses Falls aufgrund der Undurchsichtigkeit, welche internationale Schiedsgerichte auszeichnet, nicht bekannt sind, so zeigt er für Alliance Sud doch die ganze Absurdität dieser Form der Privatjustiz. Ein Schiedsgericht verfügt über die Macht, eines der ärmsten Länder der Welt zur Zahlung eines Zehntels (wenn nicht sogar mehr) seines Volksvermögens an einen ausländischen Investor zu zahlen, der sich weigerte, eine Konzessionsgebühr in Höhe von einigen Dutzend Millionen zu entrichten.
«In diesem typischen Fall wäre es für beide Seiten besser, ein Mediations- und Schlichtungsverfahren in Anspruch zu nehmen, anstatt sich vor Gericht zu zerfleischen», schliesst Rambod Behboodi, der gerade im Begriff ist, in Genf eine solche Instanz aufzubauen.
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