Investitionsschutz

Adieu Schiedsverfahren: einseitiger Mechanismus unter Druck

30.09.2025, Handel und Investitionen

Wollen Staaten im öffentlichen Interesse regulieren, sehen sie sich oft mit Klagen ausländischer Investor:innen konfrontiert, die auf Abkommen aus einer anderen Zeit beruhen. Doch der Widerstand dagegen wächst.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Adieu Schiedsverfahren: einseitiger Mechanismus unter Druck

Wenn Unternehmen in der Klimakrise ihre fossilen Investitionen einklagen: Rauch steigt aus dem Kohlekraftwerk Trianel im Ruhrgebiet. © Keystone / Westend61 / Wilfried Wirth

«Zahlreiche Investitionsschutzabkommen stammen aus einer längst vergangenen Zeit und enthalten keine Bestimmungen zu Klimawandel und Umwelt. Wollen Länder Massnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit ergreifen, werden sie vor Gericht gezerrt, weil sie gegen Abkommensregeln verstossen», erklärte Rebeca Grynspan, Generalsekretärin der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Mitte Juni in Genf anlässlich der Vorstellung des Weltinvestitionsberichts 2025.

Sie fügte hinzu: «Wir unterstützen die Länder bei der Neuverhandlung dieser Abkommen. Oberstes Ziel ist es, mit dem Privatsektor Win-win-Lösungen auszuhandeln. Allerdings stehen die heutigen Interessen und das, was vor 30 Jahren unterzeichnet wurde, oft im Widerspruch. Eine Neuauflage der Abkommen muss unbedingt private und öffentliche Interessen vereinen.»

Die UN-Beauftragte bezog sich auf Klagen, die im Rahmen des Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor:innen und Staaten (ISDS) vor Schiedsgerichten eingereicht werden. Diese haben oft einen Bezug zu fossilen Energien, wie beispielsweise der Fall der Azienda Elettrica Ticinese (AET), einem öffentlichen Tessiner Unternehmen, das gegen die Entscheidung Deutschlands, das Kohlekraftwerk Lünen zu schliessen, geklagt hat. Es fordert eine Entschädigung in der Höhe von 85,5 Millionen Euro zuzüglich Zinsen. AET beruft sich auf den Energiecharta-Vertrag aus den 1990er Jahren, der ausländische Investitionen in Energien, darunter auch fossile, schützt und damit die Energiewende verzögert.

 

Ein umstrittener Vertrag, den die Schweiz nicht kündigen will

Der Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty, ECT) ist ein multilaterales Abkommen aus den 1990er-Jahren, das Investor:innen vor staatlichen Eingriffen im Energiesektor schützt und ihnen Zugang zu privaten Schiedsgerichten garantiert. Nach einem unzureichenden Reformprozess des ECT haben viele Länder beschlossen, aus dem Vertrag auszutreten, darunter Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die EU als Ganzes. Im Gegensatz zu ihren europäischen Nachbarn ist die Schweiz nicht ausgetreten und hat auch nicht die Absicht, dies zu tun.

 

52 Klagen von Schweizer Investor:innen

Bis heute wurden 52 Klagen von Schweizer Konzernen gegen Drittländer, fast immer aus dem Globalen Süden, publik. Vier davon hat Glencore gegen den Staat Kolumbien eingereicht. Gegenstand sind die Kohleminen Cerrejón und Prodeco sowie ein Hafen. Zwei dieser Klagen wurden zugunsten des Investors entschieden – der 19 Millionen USD beziehungsweise 9 Millionen USD an Entschädigungszahlungen erhielt. Zwei Verfahren sind noch hängig.

Diese Klagen berufen sich auf das Investitionsschutzabkommen (ISA) zwischen der Schweiz und Kolumbien aus dem Jahr 2006, das derzeit auf Antrag Kolumbiens aktualisiert wird. Ziel ist es, ein ausgewogeneres Abkommen zugunsten des Gaststaates (Kolumbien) auszuhandeln. Tatsächlich hat die UNCTAD bei den nach 2020 ausgehandelten ISA einige interessante Entwicklungen festgestellt. Aus der Sicht von Alliance Sud die nennenswerteste ist, dass fast die Hälfte der neueren Abkommen den Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor:innen und Staaten (ISDS) ausschliesst. Beispielsweise ist dies beim ISA zwischen Brasilien und Indien sowie zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Australien der Fall. Oft wird dieser umstrittene Mechanismus durch einen zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismus und/oder durch einvernehmliche Konfliktlösungsmassnahmen wie Schlichtung und Mediation ersetzt.

Besserer Schutz im öffentlichen Interesse

Unter der Maxime, Konfliktlösungen mit der Brechstange zu vermeiden, schützen die jüngsten Abkommen das Recht der Staaten, im öffentlichen Interesse zu regulieren, besser. So schränken sie die vor Gericht am häufigsten angerufenen Klauseln stark ein beziehungsweise definieren sie präziser.

Dies gilt insbesondere für die «faire und gleichberechtigte Behandlung» (fair and equitable treatment, FET), die es ausländischen Unternehmen ermöglicht, sich auf den Standpunkt der willkürlich Diskriminierten zu stellen. Ein weiterer Punkt betrifft die «indirekte Enteignung», die häufig geltend gemacht wird, wenn der Gaststaat neue Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt erlässt, die den Investoren finanzielle Verluste verursachen könnten. Ebenfalls konkretisiert wurde eine Klausel (clause parapluie), die es ermöglicht, Verpflichtungen, die nichts mit dem Abkommen zu tun haben, als durch dieses geschützt zu betrachten.

Dies waren die wichtigsten Klauseln, auf die sich Philip Morris 2010 in seiner Klage gegen Uruguay berief, als das lateinamerikanische Land eine Anti-Tabak-Gesetzgebung einführte, die den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprach, vom Investor jedoch als übertrieben taxiert wurde. Das Schiedsgericht wies dessen Argumente zurück und gab Uruguay recht. Nach einer intensiv geführten internationalen Kampagne, die in der Schweiz von Alliance Sud und ihren südamerikanischen Partnern unterstützt wurde, konnte sich Uruguay durchsetzen.

Nach wie vor kaum Pflichten

Mit den neuen Abkommen würde eine solche Klage wahrscheinlich schneller abgewiesen werden, bliebe jedoch weiterhin möglich. Solange die Investitionsschutzabkommen bestehen bleiben und den Investoren fast ausschliesslich Rechte und keine Pflichten einräumen, dürfte sich dies auch nicht ändern.

Denn obwohl sie etwas ausgewogener ausfallen, enthalten nur 10% der neuen Abkommen Verpflichtungen in diesem Sinne, insbesondere Klauseln gegen Korruption, für eine transparente Regierungsführung, zum Schutz der Umwelt, für Gewerkschaftsrechte und die Unterstützung der lokalen Gemeinschaften sowie zur angemessenen Besteuerung. Unter diesen Abkommen hebt die UNCTAD insbesondere das Abkommen zwischen der Schweiz und Indonesien aus dem Jahr 2022 hervor.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass fast alle seit 2020 abgeschlossenen Abkommen weiterhin sämtliche Investitionen umfassen, ohne Bedingungen hinsichtlich Nachhaltigkeit oder positive Auswirkungen für das Gastland und seine Bevölkerung zu nennen.

Trotz einiger Verbesserungen in den letzten paar Jahren liegt noch ein langer Weg vor uns. Nach den neuesten verfügbaren Daten verhandelt oder revidiert die Schweiz derzeit ISA mit zehn Ländern, darunter Kolumbien, Indien, Mexiko und Vietnam. Es wäre die Gelegenheit, um die Abkommen in ein Gleichgewicht zu bringen und auf den problematischen ISDS-Mechanismus zu verzichten. Doch diesen Weg scheint die Schweiz nicht einzuschlagen. Im jüngst neuverhandelten ISA mit Chile ist der ISDS nach wie vor fest verankert. Ein ausländischer Investor kann also Klage gegen den Gaststaat erheben, das Gegenteil jedoch ist nicht möglich, z. B. wenn das Unternehmen Böden und Flüsse verschmutzt oder Bevölkerungsgruppen umsiedelt.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Artikel

Glencore und die hürdenreiche Schliessung der Prodeco-Mine

18.06.2025, Handel und Investitionen

Wenige Jahre nach dem Rückzug von Glencore aus der Prodeco-Mine hat die kolumbianische Regierung ihre endgültige Schliessung beschlossen. Die lokalen Gemeinschaften fordern nun eine Mitsprache im Schliessungsprozess. Unterstützt werden sie von der Arbeitsgruppe Schweiz – Kolumbien, die ihre Tätigkeit nach fast 40 Jahren einstellen wird. Ihr Generalsekretär Stephan Suhner nahm Ende Mai an der Generalversammlung des Schweizer Rohstoffmultis teil.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Glencore und die hürdenreiche Schliessung der Prodeco-Mine

Nach der Schliessung der Prodeco-Mine ohne Einbezug der lokalen Gemeinschaften bleiben eine soziale Krise und versehrter Lebensraum. © Fundación Chasquis, Bogota

Hat der Kohleabbau zwangsläufig negative Auswirkungen auf die Umwelt und die lokalen Gemeinschaften oder kann er auch umweltschonend betrieben werden? Auf diese komplexe Frage gibt die Arbeitsgruppe Schweiz – Kolumbien (ask!) seit ihrer Gründung im Jahr 1987 nuanciert Antwort. Alliance Sud arbeitet eng mit der ask! zusammen und bedauert, dass diese – aufgrund eines unzureichenden freiwilligen Engagements – ihre Aktivitäten demnächst einstellen wird.

Ihr Fachstellenleiter Stephan Suhner steht in stetem Austausch mit den Gemeinschaften vor Ort, aber auch mit Glencore in der Schweiz. Denn der Konzern mit Sitz in Zug betreibt in Kolumbien drei Kohleminen und ist mit nicht weniger als neun Tochtergesellschaften präsent. Der letzte Kampf des unermüdlichen Aktivisten vor seinem Ruhestand ist jener um die Schliessung der Prodeco-Mine im Departement Cesar. In der Mine wurde 25 Jahre lang Kohle abgebaut, bis die Betreibergesellschaft Glencore im Jahr 2021 bekannt gab, ihre Anteile an den kolumbianischen Staat zurückverkaufen zu wollen. Glencore argumentierte, der Kohleabbau sei nicht mehr rentabel. Nach drei Jahren der Ungewissheit beschloss die Regierung von Gustavo Petro die endgültige Schliessung der Mine.

Absprache mit den Gemeinschaften gefordert

Laut ask! hat diese Entscheidung eine beispiellose soziale Krise ausgelöst. Die Einwohnerschaft ist gespalten in zwei Lager: Für das eine – die Bergleute selbst, aber auch Menschen, die in nebengelagerten Bereichen der Mine arbeiteten, darunter viele Frauen – war die Mine eine wichtige Einkommensquelle; das andere lehnt den Bergbau grundsätzlich ab. Die Gewaltspirale begann sich zu drehen und in diesem explosiven Klima entzündeten sich Proteste, die von bewaffneten Gruppen niedergeschlagen wurden.

Die Gemeinschaften und Gewerkschaften haben sich daher zusammengeschlossen und beharren auf ihrem Mitspracherecht im Schliessungsprozess. Sie fordern einen transparenten und menschenrechtskonformen Ablauf und die Behebung der verursachten Umweltschäden durch die ehemalige Betreiberin Glencore.

Glencore schweigt

«An der Generalversammlung am 28. Mai erkundigte ich mich nach dem Stand der Konsultationen rund um den Schliessungsplan der Prodeco-Mine, da sich die Gemeinschaften vermehrt über das Schweigen von Glencore beschwert haben», so Stephan Suhner. «Darauf antwortete mir Glencore, der Prozess sei im Gang, die Gemeinschaften seien konsultiert worden und würden auch weiterhin involviert.»

Diese Erklärung folgte auf eine Klage der NGO Tierra Digna, in der Glencore vorgeworfen wurde, die Beteiligungsrechte der Gemeinschaften nicht zu respektieren. Sie wurde von den nationalen Gerichten und letztlich vom Verfassungsgericht  in einem Urteil vom 4. Februar 2025 gutgeheissen. Seitdem haben drei Informationsveranstaltungen mit den drei von der Mine betroffenen Gemeinschaften stattgefunden, und Glencore hat versprochen, mit jeder Gemeinschaft insgesamt 30 solcher Veranstaltungen abzuhalten.

Gerechter Schliessungsplan

Aber ist es denn nicht paradox, gegen den Bergbau zu sein und sich zu beschweren, wenn eine Mine geschlossen wird? «Nein», antwortet uns Stephan Suhner. «Die ask! hat immer die Art und Weise kritisiert, wie Glencore in Kolumbien operiert, nicht die Existenz der Minen als solche. Wir haben zum Beispiel nie die Schliessung von Cerrejon gefordert, wie es andere nationale NGOs wie CAJAR taten. Wir verlangten die Konsultation der Gemeinschaften zur Erweiterung der Mine, jedoch nie den Rückzug von Glencore aus Kolumbien. Auch haben wir betont, dass die Schliessung soziale Probleme mit sich bringt und dass ein Plan B unabdingbar ist, einschliesslich alternativer Einkommensquellen. Wie unsere Partner vor Ort fordern wir, dass die Schliessung der Mine auf faire, transparente, partizipative und menschenrechtskonforme Weise erfolgt.»

Umstrittene Einzelumsiedlungen von drei Dörfern

Ein von der ask! eingeladener Vertreter der Asamblea Campesina del Cesar machte die Generalversammlung von Glencore auf die Probleme im Zusammenhang mit der Umsiedlung von drei Dörfern aufmerksam. Im Jahr 2010 ordnete das kolumbianische Umweltministerium aufgrund der Umweltverschmutzung durch die Mine Kollektivumsiedlungen an. Alle Bewohner:innen sollten gemeinsam in ein Gebiet umgesiedelt werden, an dem die grundlegenden sozialen Dienstleistungen wie Schule, medizinische Versorgung etc. vorhanden sein würden. Stattdessen wurden Einzelumsiedlungen durchgeführt, die den Zusammenhalt des Dorfes untergruben und es den Bewohner:innen, von denen viele in die nahegelegene Stadt Santa Marta umgesiedelt wurden, erheblich erschwerten, wieder eine Tätigkeit aufzunehmen.

Glencore mit Rekordzahl von Klagen gegen Kolumbien

Die kolumbianischen Gerichte einschliesslich Verfassungsgericht urteilen in Umwelt- und Menschenrechtsbelangen oft fortschrittlich. Glencore zögert jedoch nicht, deren Urteile unter Berufung auf das Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien vor Schiedsgerichten anzufechten. Bisher sind vier Klagen des Schweizer Multis bekannt; die letzte stammt aus dem Jahr 2023 und betrifft die Prodeco-Mine. Aufgrund der Undurchsichtigkeit des internationalen Schiedsgerichtssystems sind aber weder ihr Inhalt noch die Höhe der Entschädigung bekannt, die Glencore vom kolumbianischen Staat fordert. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sie die Schliessung der Mine zum Thema hat.

Alliance Sud fordert Investitionsschutzabkommen, die es dem Gaststaat erlauben, im öffentlichen Interesse zu regulieren

Im Jahr 2023 nahm Alliance Sud an einer internationalen Mission nach Kolumbien teil, um den Staat aufzufordern, seine Investitionsabkommen zu kündigen oder zumindest den Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten durch Schiedsverfahren auszuschliessen.

Während unseres Aufenthalts kündigte die Regierung von Gustavo Petro ihre Absicht an, alle ihre Investitionsabkommen neu zu verhandeln, angefangen mit dem Abkommen mit der Schweiz. Die Verhandlungen sind im Gang und Alliance Sud wird weiterhin Druck ausüben, damit das neue Abkommen, sollte es denn zustande kommen, Kolumbien die Einführung neuer Sozial- und Umweltstandards erlaubt, ohne eine Schiedsgerichtsklage durch einen Schweizer Konzern befürchten zu müssen.

Medienmitteilung

Schweizer Unternehmen will Millionen für deutschen Kohleausstieg

16.05.2025, Handel und Investitionen

Ein heute von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen veröffentlichtes Briefing beleuchtet die Hintergründe der Klage Azienda Elettrica Ticinese (AET) gegen den deutschen Kohleausstieg vor einem Schiedsgericht. Das öffentlich-rechtliche Schweizer Unternehmen verlangt eine Entschädigung für die Abschaltung eines Kohlekraftwerks im nordrhein-westfälischen Lünen, an dem es eine Beteiligung hält.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
Schweizer Unternehmen will Millionen für deutschen Kohleausstieg

Defizitär und klimaschädlich: Das Trianel Kohlekraftwerk in Lünen, Nordrhein-Westfalen, ist seit 2013 am Netz - beteiligt ist die Schweizer AET. © Keystone/DPA/Bernd Thissen

 

Gemeinsame Medienmitteilung von Alliance Sud, Netzwerk Gerechter Welthandel, PowerShift, Umweltinstitut München, WWF Schweiz, Public Eye, Pro Natura

 

Eine genauere Untersuchung der Klage zeigt:

  • Das Kohlekraftwerk hat seit seinem Bau jedes Jahr Verluste eingefahren. Die AET verlangt also Entschädigung für eine Anlage, die defizitär war und dies voraussichtlich auch weiterhin bleiben wird.
  • Die AET wurde in einem Volksentscheid dazu verpflichtet, sich von der Beteiligung am Kohlekraftwerk spätestens 2035 zu trennen. Trotzdem möchte sie für hypothetische Einnahmen des Kraftwerks bis ins Jahr 2053 entschädigt werden. Die verlangte Entschädigungssumme wurde in den Verfahrensdokumenten geschwärzt.
  • Ein Erfolg der AET in dem Verfahren würde die Architektur des deutschen Kohleausstiegs in Frage stellen und könnte zu weiteren Klagen vor Schiedsgerichten durch Kohleunternehmen führen. Neun weitere Kohlekraftwerke in Deutschland haben ausländische Anteilseigner, die bei einem Erfolg AET’s möglicherweise vor einem Schiedsgericht klagen könnten.

“Es ist ein Skandal, dass sich ein öffentliches Unternehmen undemokratischer Schiedsgerichte bedient, um gegen notwendige Klimaschutzmaßnahmen vorzugehen. Dass die AET Entschädigungen für ein verlustbringendes Kraftwerk verlangt, treibt das Ganze auf die Spitze,” sagt Fabian Flues, Handelsexperte bei der NGO PowerShift.

“Schon vor dem Bau des Kohlekraftwerks in Lünen war das Fiasko absehbar. Entsprechend deutlich hat der WWF, die AET und den Kanton Tessin vor dieser ökonomisch widersinnigen und klimaschädlichen Kurzschluss-Entscheidung gewarnt. Statt Verantwortung zu übernehmen, schiebt die AET nun Deutschlands Klimapolitik die Schuld für ihr eigenes Versagen zu und fordert Schadenersatz. Dieses Vorgehen ist einer öffentlich-rechtlichen Anstalt unwürdig. Der Kanton Tessin muss diesem Hohn ein Ende machen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.” sagt Francesco Maggi, Geschäftsleiter WWF Svizzera italiana.

“Im Gegensatz zur EU und mehreren europäischen Ländern hat die Schweiz den Energiecharta-Vertrag nicht gekündigt. Dieser verlangsamt jedoch den Ausstieg aus fossilen Energien und erschwert ihn, wie die Klage der AET gegen Deutschland zeigt. Die Schweiz muss sich dem Trend anschließen und diesen anachronistischen Vertrag kündigen”, sagt Isolda Agazzi, Investitionsexpertin bei Alliance Sud.

“Deutschland hat mit dem Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag einen wichtigen Schritt getan, aber nicht daraus gelernt. Während Investitionsschutzverträge weiterhin unsere Energiepolitik sabotieren, treibt die Bundesregierung neue Abkommen mit denselben problematischen Schiedsmechanismen voran.”

 

Hintergrund

Die Schiedsgerichtsklage der AET findet unter dem Energiecharta-Vertrag, einem Investitionsschutz-Vertrag aus den 1990er Jahren, statt. Der ECT ermöglicht es Investoren, vor Schiedsgerichten gegen Energie- und Klimamaßnahmen zu klagen, wenn diese ihre Gewinne einschränken. Kein Investitionsschutzvertrag hat so viele Schiedsgerichtsklagen ermöglicht, wie der ECT. Deutschland, die EU und 10 weitere Länder sind aus dem ECT ausgetreten, weil dieser ihre Handlungsfähigkeit in der Klimakrise zu stark beschneidet. Die Schweiz ist weiterhin Mitglied des ECT. Der ECT verfügt über eine Verfallsklausel, die Klagen über einen Zeitraum von 20 Jahren nach dem Austritt möglich macht. Aus dem ECT austretende Länder können jedoch ein Abkommen abschließen, um Klagen untereinander auszuschließen.

Darüber hinaus ist Deutschland mit den meisten bilateralen Investitionsschutzverträgen weltweit, die bereits 58 Investorenklagen ermöglicht haben. Das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat diese Verträge als “in vielen Hinsichten veraltet” bezeichnet. Dennoch gibt es keine Vereinbarungen im neuen Koalitionsvertrag, diese Altlasten anzugehen. Die deutsche Zivilgesellschaft fordert, diese Verträge in Absprache mit den Partnerländern zu kündigen.

Schweizerische Umwelt- und Entwicklungsorganisationen verlangen schon seit langem einen Austritt der Schweiz aus dem Energiecharta-Vertrag. Der Bundesrat beabsichtigt jedoch nicht, aus dem Vertrag auszutreten. Stattdessen hat er hat dessen Modernisierung, wie sie von der Energiecharta-Konferenz am 3. Dezember 2024 beschlossen wurde, gutgeheissen.

 

Link zum Briefing:

https://power-shift.de/aet-briefing/

 

Für weitere Informationen:

Isolda Agazzi, Expertin für Handels- und Investitionspolitik bei Alliance Sud
isolda.agazzi@alliancesud.ch, +41 22 901 07 82

Fabian Flues, Leitung Investitionspolitik bei PowerShift e.V.,
fabian.flues@power-shift.de, +49 30 308 821 92

Medienmitteilung

NGOs fordern Überprüfung von Investitionsabkommen

22.05.2023, Handel und Investitionen

Alliance Sud ist Teil einer NGO-Delegation, die in Kolumbien dazu aufruft, Investitionsschutzabkommen, auch das mit der Schweiz, zu kündigen und insbesondere den umstrittenen Mechanismus der Schiedsgerichtsbarkeit aufzugeben.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
NGOs fordern Überprüfung von Investitionsabkommen

Dieser Auftrag beruht auf einer Erklärung, die von mehr als 280 Organisationen aus 30 Ländern unter­zeichnet wurde und vor allem auch die Schweiz im Visier hat. Denn von den 21 Klagen, die ausländi­sche Investoren gegen Kolumbien eingereicht haben, stammen drei vom Schweizer Rohstoffkonzern Glencore, dem alleinigen Eigentümer der Kohlemine El Cerrejón, dem grössten Tagebau Lateiname­rikas und einer der grössten der Welt. Die jüngste Klage folgt auf die Entscheidung des kolumbiani­schen Verfassungsgerichts, die Umleitung des Flusses Arrojo Bruno zu blockieren, da diese katastro­phale Gesundheits- und Umweltauswirkungen auf die lokalen Gemeinschaften hat. Die Höhe der von Glencore geforderten Entschädigung ist nicht bekannt, was die Undurchsichtigkeit dieses im Völker­recht einzigartigen Mechanismus zeigt: ISDS ermöglicht es nämlich einem ausländischen Investor, auf der Grundlage des bilateralen Investitionsschutzabkommens vor einem Schiedsgericht gegen den Gaststaat zu klagen. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht.

Die 21 bislang bekannten Schadenersatzklagen belaufen sich laut Zahlen der staatlichen Rechts­schutzagentur und einem kürzlich veröffentlichten Bericht von Transnational Institute (TNI) in Zusam­menarbeit mit Cajar, einem kolumbianischen Anwaltskollektiv, auf insgesamt gut 2,5 Milliarden USD. Die Anträge stammen von transnationalen Unternehmen aus fünf Ländern: den USA, Kanada, dem Vereinigten Königreich, der Schweiz und Spanien. Fast die Hälfte davon sind Rohstoffunternehmen, die diesen Mechanismus häufig nutzen, um Druck auf Regierungen auszuüben. Dies, um politische Ent­scheide, Gesetze und Gerichtsurteile anzufechten. Diese wären aber notwendig, damit die Länder die Klimakrise bewältigen, aus dem Extraktivismus aussteigen und sich in Richtung Energiewende und Umweltgerechtigkeit bewegen können.

Globaler Süden beginnt, Abkommen zu kündigen

Alliance Sud prangert seit Jahren diese Investitionsschutzabkommen (ISA) an, die fast ausschliesslich ausländischen multinationalen Konzernen Rechte und den Gaststaaten Pflichten übertragen. Bis heute hat die Schweiz rund 130 ISAs im Globalen Süden abgeschlossen. Mehrere Länder haben begonnen, diese Abkommen zu kündigen, darunter Ecuador, Bolivien, Indien, Indonesien und Südafrika jene mit der Schweiz.

Zu einem Zeitpunkt, da die ausländischen Investitionen in der Schweiz zunehmen und Klagen drohen – der Staatsfonds von Katar erwägt, die Schweiz wegen der Zwangsfusion zwischen der Credit Suisse und der UBS zu verklagen, weil er dadurch 330 Millionen USD verloren haben soll –, wäre die Schweiz gut beraten, diese Abkommen zu kündigen und das umstrittene ISDS aufzugeben. Allenfalls könnten ausgewogenere Abkommen ausgehandelt werden, die es den Gaststaaten erlauben, im öffentlichen Interesse zu regulieren.

Für weitere Informationen:

Isolda Agazzi, Fachverantwortliche «Handel und Investitionen» bei Alliance Sud, ist bis zum 1. Juni in Kolumbien und steht für Interviews gerne zur Verfügung: isolda.agazzi@alliancesud.ch, Tel. + 41 22 901 07 82 (Zeitverschiebung: -7 Std.)

Medienmitteilung

Veraltet, einseitig, revisionsbedürftig

25.02.2013, Handel und Investitionen

Die 130 Investitionsschutzabkommen der Schweiz schützen einseitig die Interessen der Investoren und schränken den politischen Handlungsspielraum der Gastländer ungebührlich ein. Das neue Abkommen mit Tunesien muss geändert werden!

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
Veraltet, einseitig, revisionsbedürftig

Medienmitteilung

Kolumbien: Bericht fordert Schliessungsplan für Glencore-Mine

05.12.2023, Handel und Investitionen

Ein neuer Bericht fordert, dass Glencore seine Klage gegen Kolumbien in Zusammenhang mit der Kohlemine El Cerrejón zurückzieht, einen verantwortungsvollen Schliessungsplan vorlegt und einen Fonds für Umweltsanierungen einrichtet. Der Druck wächst, auch das In-vestitionsschutzabkommen mit der Schweiz nachzubessern.

Isolda Agazzi
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Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

+41 22 901 07 82 isolda.agazzi@alliancesud.ch
Kolumbien: Bericht fordert Schliessungsplan für Glencore-Mine

Die Expertin von Alliance Sud Isolda Agazzi im kolumbianischen Parlament, 30. Mai 2023.

© Alliance Sud

Medienmitteilung von Alliance Sud, ASK, Public Eye, CINEP, CENSAT Agua Viva/Amigos de la Tierra Colombia, Pro Natura/Friends of the Earth Switzerland

Drei Vertreterinnen kolumbianischer NGOs und Gemeinschaften machten letzte Woche in der Schweiz Halt, um die Machenschaften von Glencore anzuprangern. Der Schweizer Konzern ist alleiniger Eigentümer der Kohlemine Cerrejón, dem grössten Tagebau Lateinamerikas. Carolina Matiz von CINEP, Tatiana Cuenca von Censat Agua Viva und Greylis Pinto, Vertreterin der nahe der Mine lebenden Gemeinschaft Chancleta, beendeten damit eine dreiwöchige Tour, die sie durch die Schweiz, Belgien, Deutschland, die Niederlande und Dänemark geführt hatte.

Sie legten Regierungen, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und Finanzinstituten den neuen Bericht «Does Cerrejón always win?» vor, der das unrühmliche Verhalten des Minenbetreibers in Guajira, dem ärmsten kolumbianischen Departement, in den letzten 40 Jahren offenlegt. In diesem wüstenähnlichen Landstrich, der vom Volk der Wayuu, Afro-Kolumbianer:innen und von Kleinbauern bewohnt wird, ist der Bergbau für die Austrocknung von 17 Flüssen, die Umsiedlung von 25 Gemeinschaften und den Tod von 5’000 Wayuu-Kindern verantwortlich: Sie sind in den letzten zehn Jahren entweder verhungert oder verdurstet.

Greylis Pinto berichtete, wie ihre afrokolumbianische Gemeinschaft vor elf Jahren zwangsumge-siedelt wurde, ohne die entsprechenden internationalen Standards zu respektieren. Die Menschen lebten von Landwirtschaft, Viehzucht und Jagd. Doch an ihrem neuen Standort ist weder Land noch Wasser verfügbar und ihre Traditionen und Bräuche gingen verloren. Bis heute werden die Gemeinschaftsmitglieder in Sozialprogrammen nicht berücksichtigt, haben kein festes Einkommen und keine Perspektiven.

Keines von zwölf Urteilen des Verfassungsgerichts umgesetzt

Das kolumbianische Verfassungsgericht hat zwölf Urteile zugunsten der lokalen Gemeinschaften erlassen, von denen jedoch keines vollumfänglich umgesetzt wurde. Zu gross ist die Angst vor astronomischen Entschädigungszahlungen, die der multinationale Konzern in einem Fall bereits gefordert hat. Das letzte dieser Urteile aus dem Jahr 2017 verlangt von Glencore die Rückleitung des Arroyo Bruno (eines Nebenarms des wichtigsten Flusses der Region, Rio Rancheria) in sein ursprüngliches Bett, bis glaubwürdige Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt worden sind. Als Reaktion darauf reichte Glencore auf der Grundlage des Investitionsschutzabkommens zwischen Kolumbien und der Schweiz Klage gegen Kolumbien ein. Es ist dies bereits die dritte lau-fende Klage des in Zug ansässigen Unternehmens gegen Kolumbien, wobei die Höhe der geforderten Entschädigung unbekannt ist. Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass Glencore eine vierte Klage eingereicht hat; diesmal geht es vermutlich um die Prodeco-Mine.

Der Bericht der kolumbianischen Organisationen fordert:

-    den Rückzug der Glencore-Klage gegen Kolumbien im Zusammenhang mit der Umleitung des Arroyo Bruno;
-    einen verantwortungsvollen Schliessungsplan unter Beteiligung der lokalen Gemeinschaf-ten und die Einrichtung eines Fonds für Umweltsanierungen. Dieser Fonds soll dazu die-nen, das Ökosystem wiederherzustellen, die Opfer zu entschädigen und ihre erlittenen Schäden durch öffentliche Massnahmen zu anerkennen. Die derzeitige Konzession läuft 2034 aus und es besteht das Risiko eines Ausstiegs von Glencore, ohne den Verpflichtun-gen nachzukommen. Dies war beispielsweise bei der Kohlemine von Prodeco in der be-nachbarten Region Cesar der Fall, wo dem kolumbianischen Staat die Bürde der Umwelt-sanierung in einem hochgradig konfliktträchtigen Umfeld überlassen wurde;
-    das Ende der Finanzierung von kolumbianischen Kohleminen durch Finanzinstitutionen oder dass diese ihren Einfluss geltend machen, damit die Minenbetreiber die Menschen-rechte und die Umwelt respektieren.

Der internationalen Mission, die im Mai 2023 nach Kolumbien gereist war und der auch Alliance Sud angehörte, kündigte die kolumbianische Regierung die Neuverhandlung all ihrer Investitions-schutzabkommen an, angefangen beim Abkommen mit der Schweiz. Die Neuverhandlungen wurden bereits aufgenommen. Die NGOs fordern insbesondere den Ausschluss des Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus (ISDS) aus dem neuen Abkommen. Dieser Mechanismus ermöglicht es einem ausländischen Unternehmen, gegen den Gaststaat zu klagen, wenn dieser regulatorisch dafür sorgt, dass der Umweltschutz und die Menschenrechte eingehalten werden.
Bleibt der ISDS Teil des Abkommens, besteht die Gefahr, dass die Unternehmen immer gewinnen – egal wie ihre Umwelt- und Menschenrechtsbilanz aussieht. Wie im Fall von Glencore.

 

Für weiterführende Informationen:
Isolda Agazzi, Verantwortliche für Investitionsschutzpolitik, Alliance Sud, 022 901 07 82, isolda.agazzi@alliancesud.ch
Stephan Suhner, Leiter der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien, stephan.suhner@askonline.ch,
079 409 10 12
Carolina Matiz, CINEP, mmatiz@cinep.org.co

Artikel

Entwicklungsmotor, Neokolonialismus – oder beides?

09.12.2019, Handel und Investitionen

Mit der Belt and Road-Initiative forciert China die globale Entwicklung auf nie dagewesene Weise. Doch wie nachhaltig sind die «neuen Seidenstrassen»? Die Schweiz will ein Stück vom Kuchen und hat eine Absichtserklärung mit China unterzeichnet.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Entwicklungsmotor, Neokolonialismus – oder beides?

Militärische Ehren für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban am Belt and Road Forum 2017 vor der Grossen Halle des Volkes in Beijing, China.
© Andy Wong / AP / Keystone

«Dank der neuen Seidenstrassen hat Ostafrika seine erste Autobahn, die Malediven verbinden ihre Inseln erstmals mit einer Brücke, Weissrussland hat seine eigene Automobilindustrie, Kasachstan hat erstmals Zugang zum Meer und der Gütertransport auf dem eurasischen Kontinent kann über die Schiene erfolgen. Was den Zug zwischen Mombasa und Nairobi betrifft, so hat er 50 000 lokale Arbeitsplätze geschaffen», verkündet Geng Wenbing, Chinas Botschafter in der Schweiz, an der Konferenz The New Silk Roads as a Driver of Sustainable Development Goals, die Anfang September in Andermatt von der Schweizer Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE organisiert wurde.

Das als neue Seidenstrasse bekannt gewordene Infrastruktur-Entwicklungsprogramm – es umfasst Strassen, Häfen, Eisenbahnen, Fabriken – wurde 2013 vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping ins Leben gerufen, um China mit dem Rest der Welt zu verbinden und den Import jener Rohstoffe zu erleichtern, die das Reich der Mitte für sein spektakuläres Wachstum braucht. Es ist ein Projekt in pharaonischen Dimensionen, dem sich seither 126 Länder und zahlreiche internationale Organisationen angeschlossen haben. Seine Kennzahlen sind schwindelerregend: 40% des Welthandels sollen darüber abgewickelt und 60% der Weltbevölkerung damit erreicht werden. Die genaue Höhe der Investitionen ist nicht bekannt, Schätzungen variieren von 1 000 bis 8 000 Mrd. US-Dollar. Allein China plant bis 2021 600 bis 800 Milliarden US-Dollar zu investieren.

«Die Belt and Road Initiative (BRI) ist weder eine chinesische One Man Show noch ein China-Club», sagte der chinesische Botschafter. Club oder nicht, die Schweiz hat sich im vergangenen April als eines der ersten Länder Westeuropas mit einer Absichtserklärung der BRI angeschlossen. Die Erklärung zwischen der Schweiz und China sieht keine Erhöhung der chinesischen Investitionen in der Schweiz vor, sondern thematisiert die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Banken und Versicherungen in Drittländern mit Unterstützung der jeweiligen Regierungen. Und das wirft zahlreiche Fragen auf.

Opposition gegen China in Äthiopien

Denn längst nicht alle Projekte funktionieren so gut, wie es der chinesische Botschafter glauben machen will. War es ein Zufall, dass er die 750 Kilometer lange Eisenbahnlinie zwischen der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba und Dschibuti, die erste vollständig elektrifizierte grenzüberschreitende Eisenbahnverbindung in Afrika, nicht erwähnte? Die Strecke wurde im Januar 2018 eingeweiht und kostete 2,8 Mrd. Euro, die Äthiopien über fünfzehn Jahre an China zurückzahlen muss. Ausserhalb Addis Abebas wurde u.a. ein brandneuer, aber wenig frequentierter Bahnhof gebaut.

Es soll der Ersatz sein für die alte Eisenbahn, die 1901 von den Franzosen gebaut wurde und zu Beginn des 21. Jahrhunderts stillgelegt wurde. 1993 hatte ich diesen alten Zug genommen, für eine ausländische Reisende war er zwar voller Charme, aber er brauchte einen ganzen Tag, um mit zwei klapprigen Wagen von Addis Abeba nach Harar nahe der somalischen Grenze zu gelangen. Für diese Strecke braucht der Zug heute weniger als 7 Stunden, die Begeisterung der Behörden für die neue Bahn mit ihrer modernen Technologie lässt sich mithin gut nachvollziehen. Laut Medienberichten beurteilen einfache Einheimische die neue Eisenbahn jedoch äussert kritisch als ein gigantomanisches Projekt der Eliten von Addis Abeba. Die meisten Bahnhöfe lägen weit weg von dort, wo sie gebraucht würden und trügen nicht zur lokalen Wirtschaft bei; dies ganz im Gegensatz zum alten Zug und seinen Stationen, zu denen ein vibrierendes Chaos aus fliegenden Händlern, Restaurants und Hotels gehört hatte. Während die chinesische Betriebsgesellschaft behauptet, die neue Eisenbahn habe in Äthiopien 20 000 und in Dschibuti 5 000 lokale Arbeitsplätze geschaffen, beklagen sich ehemalige, jetzt arbeitslose Mitarbeiter über die niedrigen Löhne und die schlechten Arbeitsbedingungen, welche die neue Bahn biete. Aber das Hauptproblem sei das Land, monieren Vertreter der vor allem betroffenen Oromo-Ethnie. Es gehöre dem Staat und die enteigneten Gemeinschaften hätten keine angemessene Entschädigung erhalten.

Mangelnde Transparenz und Überschuldung, …

Die äthiopische Eisenbahn ist ein gutes Beispiel für das Potenzial chinesischer Projekte, aber auch für deren Risiken. Als Hauptschwierigkeit lässt sich die mangelnde Transparenz festmachen. Es gibt keine offiziellen Studien, Erhebungen und Daten über die BRI-Projekte, die Auskunft gäben über deren Kosten-Nutzen-Verhältnis und deren Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung; Peking legt die Bedingungen für die Kreditvergabe nicht offen. Diese führt zu einer Ver- oder gravierenden Überschuldung der Länder gegenüber China, was nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Abhängigkeit mit sich bringt. Dschibuti, das mit 80% seines Bruttoinlandprodukts (BIP) bei China verschuldet ist, beherbergt jetzt die erste chinesische Militärbasis im Ausland überhaupt. Von solchen Einwänden will der chinesische Botschafter in Andermatt nichts hören; stattdessen unterstreicht er, dass «der Industriekorridor zwischen Pakistan und China das BIP Pakistans um 2,5% erhöht hat». Die Kehrseite lässt er unerwähnt: Pakistans Schulden gegenüber China, die auf 19 Milliarden US-Dollar geschätzt werden, sind mit der BRI explodiert. Im Fall der Malediven macht die Verschuldung bei China, die auf 1,5 Milliarden geschätzt wird, 30% des BIP aus.

An der Andermatter Konferenz wurde darauf hingewiesen, dass multilaterale Investitionsbanken Leitlinien entwickelt haben, welche die soziale, finanzielle und ökologische Nachhaltigkeit gewährleisten sollen. Diese Leitlinien werden zwar von NGOs oft und zu Recht als zu wenig weit gehend kritisiert, sie haben aber zumindest den Vorteil, dass über das Thema Nachhaltigkeit diskutiert wird und sie einen Bezugsrahmen schaffen. Doch nicht wenige Länder halten diese Vergabekriterien für zu restriktiv. So meinte ein hoher Schweizer Beamter, dass es «in multilateralen Foren nicht an Geld fehlt, sondern an tragfähigen Projekten». Der Ausweg seien chinesische Kredite, die seien leichter zu bekommen. Doch es gibt keinen Zweifel: Wer Multimillionen-Kredite annimmt, begibt sich in eine gewisse Abhängigkeit. Die ehemaligen europäischen Kolonialmächte und die USA, die deren Rolle im 20. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht übernommen haben, wittern angesichts der chinesischen Entwicklungs- und Expansionsstrategie eine Art Neo-Kolonialismus. Ob sich dieser für Entwicklungsländer ebenso verhängnisvoll auswirken wird wie der historische Kolonialismus, wird sich zeigen.
Unbestritten ist nur der enorme Finanzbedarf auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung: Die OECD schätzt, dass zur Erreichung der UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bis 2030 Investitionen in der Höhe von 6 900 Milliarden US-Dollar nötig sind.

...Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte, Korruption

Von grosser Bedeutung sind die Auswirkungen chinesischer Projekte auf die Menschenrechte, etwa in Bezug auf Arbeitsnormen und öffentliche Konsultationen. Bei jedem Infrastrukturprojekt sind die Umweltauswirkungen auf Wasser, Boden, Luft, Biodiversität und Klimawandel erheblich – erst recht wenn die Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen im Zentrum steht, Sektoren notabene, die kaum mit dem in der Agenda 2030 geforderten ökologischen Wandel vereinbar sind.  

Ein weiteres Problem, das durch die mangelnde Transparenz der Kredite verschärft wird, ist die Korruption. «Die Globalisierung hat dazu beigetragen, Korruption durch Investitionen zu exportieren», sagte Gretta Fenner vom Basel Institute of Governance, «und es ist ein Problem, das nicht nur die Entwicklungsländer betrifft. Im Bereich Regierungsführung (governance) birgt die BRI massive Korruptionsrisiken. Bei grossen Infrastrukturprojekten geht es um enorme Geldsummen und dies immer vor dem Hintergrund eines offensichtlichen Machtungleichgewichts. Ob es sich dabei um China oder einen anderen Kreditgeber handelt, ist zweitrangig.»  

Nicht verschwiegen werden soll, dass in der Diskussion um die neue Seidenstrasse auch Fortschritte erzielt werden, beginnend mit den Green Investment Principles for the Belt and Road und einem kürzlich von China verabschiedeten Debt Sustainability Framework, die Pekings Engagement für nachhaltigere Investitionen unterstreichen.

Was macht die Schweiz?

Und welche Rolle spielt die Schweiz in der BRI? Die Vereinbarung mit China schafft eine Plattform, die es chinesischen und schweizerischen Unternehmen ermöglichen soll, bei BRI-Projekten zusammenzuarbeiten, wobei finanzielle und schuldenbezogene Nachhaltigkeitsaspekte besonders berücksichtigt werden sollen. Eine Arbeitsgruppe soll die Plattform etablieren. Wenn Schweizer Unternehmen beteiligt sind – darin scheinen sich alle einig zu sein –, müssen zumindest bestimmte Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten werden.

Die von den Konferenzteilnehmern angenommene Andermatt-Deklaration anerkennt diese schönen Prinzipien und die Schweiz kann gewiss dazu beitragen, dass sie auch eingehalten werden. Die Erklärung zielt aber auch darauf ab, ein günstiges Umfeld für private Investitionen in Infrastruktur und öffentlich-private Partnerschaften (PPPs) zu schaffen. Diese Absicht wird auch in der von der Schweiz und China unterzeichneten Absichtserklärung deutlich zum Ausdruck gebracht. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob tatsächlich öffentliche Mittel eingesetzt werden, um Schweizer Unternehmen, Banken und Versicherungen im Ausland zu unterstützen. Und wenn ja, unter welchen Bedingungen dies geschieht.

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Tansania plant Abbau der grössten Nickel-Vorkommen

19.03.2021, Handel und Investitionen

Die tansanische Regierung hat mit einem britischen Konzern ein Abkommen über den Nickel-Abbau unterzeichnet, das die Aufteilung der Gewinne zu gleichen Teilen regelt. Staatliche Eingriffe sind auch im benachbarten Sambia zu beobachten.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Tansania plant Abbau der grössten Nickel-Vorkommen

Zwei Fischer paddeln an dem unter der Flagge der Marshallinseln fahrenden Tanker «Miracle» vorbei, nachdem dieser am 13. Februar 2016 in der Hafenmündung von Daressalam auf Grund gelaufen war.
© Daniel Hayduk / AFP

Im Schein der untergehenden Sonne tuckert die Fähre von Sansibar in den Hafen von Daressalam, der Wirtschaftsmetropole Tansanias, die sich seit ihrer Namensgebung durch den Sultan von Sansibar im Jahr 1866 «Haus des Friedens» nennt. Hinter dem Glockenturm der Kathedrale sind die Hochhäuser der Geschäftsviertel Kisutu und Geresani zu erkennen. Am gegenüberliegenden Ufer brechen die Fischer zu einer langen, anstrengenden Nacht auf dem indischen Ozean auf.

Der Hafen der Stadt soll zum grössten Zentral- und Ostafrikas ausgebaut werden und sogar jenen von Durban in Südafrika in den Schatten stellen. Die geografische Lage Tansanias ist einzigartig: Das Land bietet sechs Binnenländern – Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda, Burundi, Sambia und Malawi – den direktesten Zugang zum Meer. Die Ausbauarbeiten schreiten rasch voran und schon bald werden hier grosse Frachtschiffe anlegen können. Laut der Daily News, einer von zwei englischsprachigen Tageszeitungen, ist der Ausbau von sieben Liegeplätzen durch die China Harbour Engineering Company bereits zu 90% abgeschlossen. Ausserdem ist China dabei, mit Beteiligung eines omanischen Investmentfonds in Bagamoyo, der ehemaligen Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas, einen grossen Hafen zu errichten.

Umschlagplatz für Rohstoffe

Aus dem Hafen werden die in Tansania abgebauten Mineralien, deren Volumen markant ansteigen dürfte, exportiert. Am 19. Januar unterzeichnete die Regierung ein Abkommen mit dem britischen Konzern Kabanga Nickel, dessen Zweck der Abbau der weltweit grössten Vorkommen des Minerals ist, das insbesondere in der Automobilindustrie und in Batterien Verwendung findet. Einige Beobachter vor Ort geben sich enthusiastisch und muten Tansania gar zu, über den Schlüssel für eine kohlenstoffarme Weltwirtschaft zu verfügen.

Das Joint-Venture mit dem Namen Tembo Nickel Corporation hat sich zum Abbau von Nickel und dem Bau einer Raffinerie für das Einschmelzen vor Ort verpflichtet. Dieser Ansatz deckt sich mit der politischen Ausrichtung Tansanias, Mineralien zu veredeln, statt sie im Rohzustand zu exportieren. Kabanga Nickel ist mit 84% Anteil Mehrheitsaktionär der neuen Gesellschaft, während die restlichen 16% auf die Regierung entfallen – was der üblichen Beteiligung Tansanias an Bergbauvorhaben entspricht. Das Land erhofft sich daraus Jahreserträge von 664 Millionen USD. Der Gewinn entfällt zu gleichen Teilen auf die Regierung und das britische Unternehmen.

Pikantes Detail: Die Schürfrechte gehörten zuvor dem Schweizer Konzern Glencore und der kanadischen Barrick Gold; 2018 kündigte Präsident John Magufuli nach einer Anpassung des Steuerregimes und der Bergbau-Gesetzgebung, wonach dem Staat ein grösserer Teil des Einkommens zufällt, jedoch die Förderlizenzen der beiden Unternehmen sowie von zehn weiteren Investoren im Land.

Langfristig sollen vor Ort Batterien produziert werden

Tansania beabsichtigt ausserdem, Investoren für die lokale Produktion von Batterien zu gewinnen. Der gesamte Ertrag des Bergbauvorhabens soll in den tansanischen Banken verbleiben; Massnahmen zur Beschränkung des Mittelabflusses sind vorgesehen. Der Bergbau macht 3,5% des Bruttonationaleinkommens Tansanias, dem drittgrössten Goldproduzenten Afrikas, aus. Diesen Anteil will die Regierung bis 2025 auf 10% erhöhen.

Den Kern der Entwicklungsstrategie des inzwischen vertorbenenen Präsidenten John Magufuli, die bis 2025 ein jährliches Wachstum von 8% und die Schaffung von 8 Millionen Arbeitsplätzen im formellen und informellen Sektor anstrebt, bildet die Förderung von ausländischen wie auch inländischen Investitionen. Das Land möchte seine Industrialisierung fortsetzen. In der Ausgabe von «The Citizen» vom 4. Januar bekräftigte Kitila Mkumbo, Staatsminister für Investitionen, dass «die tansanische Regierung bestrebt sei, das Geschäfts- und Investitionsklima zu verbessern, um in- und ausländische Investitionen zu mobilisieren, zu halten und zu fördern». Grundlage dafür ist der Leitplan für Regulierungsreformen zur Verbesserung des Geschäftsumfelds in Tansania. Durch letzteren soll Überregulierung abgebaut, die Regierungskontrolle jedoch nicht geschwächt werden. Gleichzeitig sollen durch die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle Investitionen rascher und kostengünstiger abgewickelt werden können. Tansania ist ausserdem bestrebt, seine Platzierung im Doing Business Report der Weltbank zu verbessern (derzeit Platz 141 von 190); letzteren hatte Alliance Sud kürzlich kritisiert, weil ein Land umso besser dasteht, je stärker es zu Lasten von Rechten der ArbeitnehmerInnen und von Umweltschutz dereguliert.

DorfbewohnerInnen in Sambia entschädigt

Im Hafen von Daressalam werden auch Rohstoffe aus den Nachbarländern umgeschlagen, angefangen bei Sambia, einem bedeutenden Kupferexportland. Von dort erreicht uns eine interessante Nachricht: Am 19. Januar erklärte sich der britische Bergbaugigant Vedanta bereit, 2’500 DorfbewohnerInnen zu entschädigen, nachdem der oberste Gerichtshof Grossbritanniens in einem wegweisenden Urteil entschieden hatte, dass diese aufgrund der von Vedantas indischer Tochtergesellschaft Konkola verursachten Umweltverschmutzung vor britische Gerichte ziehen können. Eine Möglichkeit, die in der Schweiz bei Annahme der Konzernverantwortungsinitiative ebenfalls geschaffen worden wäre.

Ist das nicht eine gute Nachricht? – «Aussergerichtliche Einigungen sind immer zwiespältig», sagt Rita Kesselring, Sozialanthropologin an der Universität Basel und Spezialistin für Bergbaufragen in Afrika: «Einerseits bringen sie eine willkommene Erleichterung für die KlägerInnen, in diesem Fall arme Familien, deren Lebensgrundlage durch die von der Konkola-Mine verursachten Schäden teilweise zerstört worden ist. Andererseits verhindern diese Vergleiche die Schaffung eines wichtigen gerichtlichen Präzedenzfalls in Bezug auf von Unternehmen verursachtes Unrecht.»

Mischung aus Verstaatlichung und Teilprivatisierung

Kürzlich hat die sambische Regierung die Mine «vorübergehend» geschlossen, mit der Begründung, Konkola habe sie nicht ordnungsgemäss betrieben (was auch die Sammelklage vor den britischen Gerichten belegt). Danach teilte sie das Unternehmen auf und verkaufte 49% der Schmelzhütte an einen Investor. «Was wir hier sehen, ist eine Art 'Verstaatlichung', begleitet von einer 'Teilprivatisierung'. Ähnliches geschah Mitte Januar mit der Mopani-Mine; in diesem Fall erwarb die Regierung die Mine jedoch mit einem Darlehen von Glencore. Die sambische Regierung strebt an, sich stärker an der Bergbauindustrie im Land zu beteiligen; die Beispiele Konkola und Mopani lassen erahnen, welche Form dies annehmen könnte. Es gibt einige interessante Parallelen zu Tansania», ergänzt Rita Kesselring.

Für die Wissenschaftlerin ist dies eine vielversprechende Entwicklung, deren Realisierbarkeit jedoch von einer Reihe von Faktoren abhängt, über die wir derzeit wenig wissen: Wer ist für die Beseitigung der Verschmutzung verantwortlich, die diese Minen in den letzten zwanzig Jahren verursacht haben? Sowohl Konkola als auch Mopani weisen eine sehr schlechte Bilanz auf, die im Fall von Mopani sogar von einem sambischen Gericht bestätigt worden ist.

Die Frage nach der sozialen Verantwortung der Unternehmen bleibt deshalb unbeantwortet.

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Trotz Fortschritten noch Luft nach oben

27.09.2022, Handel und Investitionen

Auf den ersten Blick ermöglicht das neue Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien Regulierungen im Sinne des Gemeinwohls. Es enthält jedoch Bestimmungen, die diese Möglichkeit zunichte machen könnten.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Trotz Fortschritten noch Luft nach oben

Umweltzerstörung auf Konzessionsgebieten des grössten indonesischen Palmöl-Unternehmens in Kapuas Hulu in der Provinz Westkalimantan auf der Insel Borneo.
© AFP PHOTO / ROMEO GACAD

Indonesien hat als eines von wenigen Ländern praktisch all seine Investitionsschutzabkommen (ISA) gekündigt – im Jahr 2016 auch jenes mit der Schweiz. Dies, nachdem sich der Staat mit Schiedsverfahren in Millionenhöhe konfrontiert sah. Bei den Neuverhandlungen stösst Jakarta jedoch auf den Widerstand der Industrieländer, obwohl sein neues Investitionsschutz-Musterabkommen einige übliche Neuerungen gar nicht aufnimmt.

Auch der Bund hat mit Indonesien ein neues Abkommen ausgehandelt, das im Sommer 2022 in die Vernehmlassung ging. «Das neue Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Indonesien enthält wichtige Neuerungen und übernimmt Ansätze, die sich jüngst bewährt haben. Im Vergleich zum letzten Abkommen stellt es zweifellos einen Fortschritt dar, doch von einem 2022 abgeschlossenen Abkommen hätte man in einigen Punkten mehr erwarten dürfen», so Suzy Nikièma, Verantwortliche für nachhaltige Investitionen beim International Institute for Sustainable Development (IISD), einem internationalen Think Tank, der technische Unterstützung und Kooperationsmöglichkeiten bietet, Forschung betreibt und Lösungen für Investitionen im Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklung erarbeitet.

Abkommen fördert nachhaltige Entwicklung nicht

Heute herrscht breiter Konsens darüber, dass diese Investitionsschutzabkommen problematisch sind. Doch was ist zu tun? Laut Suzy Nikièma «wurden sie im Kontext der Entkolonialisierung und des Kalten Krieges zum Schutz der Rechte von im Ausland tätigen Investoren ausgearbeitet, zu einer Zeit, in der nachhaltige Entwicklung kein zentrales Anliegen war. Es ist daher unabdingbar, die Rolle, den Mehrwert und den Inhalt dieser bedeutenden Instrumente mit Blick auf die Herausforderungen und Ziele der Gegenwart neu zu überdenken».

Wie auch Josef Ostřanský, Berater für Investitionsrecht und -politik am IISD, feststellt, wird im Abkommen mit der Schweiz der Begriff «Investition» breit ausgelegt; ausserdem wird nicht zwischen umweltbelastenden, kohlenstoffintensiven und emissionsarmen Investitionen unterschieden. Dabei handelt es sich um die grösste Schwäche dieses Abkommens. Tatsächlich besteht keine Möglichkeit, ausländische Unternehmen zu kategorisieren: Somit schützt das Abkommen auch ein Schweizer Bergbauunternehmen, das in Indonesien die Umwelt verschmutzt. Obwohl diese Unterscheidung bislang in kein Abkommen Eingang gefunden hat, könnte die Schweiz hier mit gutem Beispiel vorangehen.  

«InvestorInnen» schärfer definiert, doch mit sehr wenigen Verpflichtungen

Die präzisere Definition des Begriffs «InvestorIn» hilft immerhin bei der Vermeidung von Treaty-Shopping, also den Rückgriff auf ein vorteilhafteres Abkommen, das von einem anderen Land abgeschlossen wurde. Als InvestorIn wird jede natürliche Person definiert, die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist, sowie jede juristische Person, die im Land eine substanzielle Wirtschaftstätigkeit ausübt, dort registriert ist und dort einen Sitz hat.

Allerdings unterliegen diese Investoren nur sehr wenigen Verpflichtungen: Nur gerade zwei von 44 Artikeln des Abkommens behandeln die soziale Verantwortung von Unternehmen und die Korruptionsbekämpfung – dies jedoch nur in Form von unverbindlichen Ermahnungen. Weder ein Durchsetzungsmechanismus noch rechtliche Folgen im Falle einer Verletzung sind vorgesehen.

Es wurden Anstrengungen zur Konkretisierung des Grundsatzes der fairen und gleichberechtigten Behandlung, einer Meistbegünstigungsklausel und des Regulierungsrechts unternommen. All dies könnte jedoch durch einen zweifelhaften Artikel (37) zunichte gemacht werden; dieser besagt, dass Investoren sich auf die vorteilhaftere der zwischen den Parteien geltenden Rechtsordnungen berufen können. Es handelt sich dabei um eine der problematischsten Bestimmungen des ISA.

Zwangslizenzklagen vom Umfang der Enteignung ausgenommen

Hingegen begrüsst Alliance Sud die Bestimmung in Anhang A des ISA, wonach Regulierungshandlungen zu Gemeinwohlzielen wie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt keine indirekte Enteignung darstellen und finanzielle Entschädigungen nach sich ziehen können. Allerdings könnte die Wirkung des Anhangs aufgrund des folgenden Zusatzes verpuffen: «Davon ausgenommen sind die seltenen Fälle, in denen die Auswirkungen einer Handlung oder einer Reihe von Handlungen unter Berücksichtigung ihres Zwecks so schwerwiegend sind, dass sie offenkundig unverhältnismässig erscheinen.»

Im Gegensatz dazu ist Art. 7 Abs. 6 zu begrüssen, da er vorsieht, dass die indirekte Enteignung nicht für die Erteilung von Zwangslizenzen gilt, die gemäss dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation (WTO) erteilt werden. Alliance Sud hat wiederholt den Druck der Schweiz auf Kolumbien, auf die Erteilung einer Zwangslizenz für Glivec (ein von Novartis hergestelltes Anti-Krebsmedikament) zu verzichten, ebenso wie die Drohung von Novartis kritisiert, Kolumbien auf der Grundlage des ISA zwischen den beiden Ländern zu verklagen. Der neue Artikel sollte derartige Klagen verunmöglichen.

ISDS weiterhin vorgesehen

Schliesslich ist eines der Hauptprobleme des neuen Abkommens der nach wie vor vorgesehene Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) durch Schiedsverfahren. Auch liegt keine Verpflichtung vor, nationale Gerichte anzurufen, geschweige denn, im Vorfeld den innerstaatlichen Rechtsweg auszuschöpfen. Die Beteiligung von Drittparteien am Rechtsstreit wie im Falle des amicus curiae (Freund des Gerichts) ist nicht vorgesehen. Die Möglichkeit der Mediation ist zwar eingeplant, bleibt aber fakultativ.

Davon ausgehend hat Alliance Sud zusammen mit Rambod Behboodi, einem Anwalt für internationales Recht, einen Vorschlag zur Stärkung und Förderung von Schlichtung und Mediation bei Handels- und Investitionsklagen erarbeitet. Der Vorschlag, der hauptsächlich mit Blick auf die WTO konzipiert wurde, enthält strukturelle und institutionelle Elemente, die mit einigen Anpassungen auf Investitionsschutzabkommen übertragen werden können.

Es ist durchaus möglich, in einem solchen Abkommen auf den ISDS-Mechanismus zu verzichten. Abas Kinda, Berater für internationales Recht am IISD, hält fest, dass «das neue Musterabkommen Brasiliens den Schwerpunkt auf die zwischenstaatliche Prävention, Mediation und Beilegung von Streitigkeiten legt – ohne ISDS.»

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Die Schweiz muss die Energiecharta kündigen

05.12.2022, Handel und Investitionen

Die Energiecharta schützt Unternehmen, die in fossile Energieträger investieren. Immer mehr Länder steigen aus dem Vertrag aus, während die Schweiz weiterhin die Energiewende ausbremst.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Die Schweiz muss die Energiecharta kündigen

Das Nord-Stream-Gasleck in der Ostsee, fotografiert vom Satelliten Pléiades Neo.
© AFP Photo / Airbus DS 2022 / Keystone

2019 klagte die Nord Stream 2 AG gegen den Beschluss der EU zur Änderung einer neuen Gasrichtlinie, wonach für Pipelines, die innerhalb der EU betrieben werden, dieselben Auflagen gelten sollen wie für solche, die in die EU hineinführen. Laut dem Unternehmen verstiessen diese Bestimmungen unter anderem gegen die Gebote der gerechten und billigen Behandlung, der Meistbegünstigung und der indirekten Enteignung, die Bestandteil des Vertrages über die Energiecharta (ECT) sind.

Was ist die Energiecharta?

Der 1998 in Kraft getretene Vertrag über die Energiecharta schützt Investitionen in Energie - auch in fossile Energieträger. Von seinen 53 Vertragsstaaten sind die meisten Industrieländer, darunter die Schweiz und die EU-Staaten; aber auch Länder wie Afghanistan, Jemen, die Mongolei und zentralasiatische Länder sind ihm beigetreten. Er ermöglicht einem Investor aus einem Vertragsstaat, gegen einen anderen Vertragsstaat zu klagen, wenn sich dort die Politik oder die Vorschriften zu Ungunsten des Investors ändern.

Der Energiechartavertrag ist mit grossem Abstand der Vertrag, aufgrund dessen am häufigsten geklagt wird. Die Klagen werden in absoluter Intransparenz von einem aus drei Schiedsrichtern bestehenden Schiedsgericht nach dem Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) und ohne die Verpflichtung, zuvor die innerstaatlichen Gerichte anzurufen, entschieden. Somit haben die grossen Gas-, Öl- und Kohlekonzerne ein mächtiges Instrument in der Hand, um Regierungen vom Übergang zu sauberen Energien abzuhalten.

Zur Erinnerung: Nord Stream 2 hätte Erdgas von Russland nach Deutschland befördern sollen, die Betreibergesellschaft – ein Schweizer Unternehmen – ging jedoch Anfang des Jahres in Konkurs. Sie gehörte zwar dem russischen Staatskonzern Gazprom, hatte aber ihren Sitz in Zug. Die umstrittene Pipeline wurde nie in Betrieb genommen, da Deutschland das Projekt am 22. Februar im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine blockiert hatte.

Sechs Klagen von Schweizer InvestorInnen

Von den 43 bekannten Schiedsklagen von Schweizer InvestorInnen basieren sechs auf der Energiecharta: Drei wurden gegen Spanien erhoben. Davon sind zwei noch hängig und eine wurde vom Investor Operafund gewonnen; dieser warf Madrid Reformen im Bereich der erneuerbaren Energien, darunter eine Umsatzsteuer von 7% und eine Kürzung der Subventionen für die Energieerzeuger, vor. Alpiq verlor eine Klage gegen Rumänien und eine weitere gegen Polen ging zu Ungunsten des Schweizer Investors Festorino aus.

Spanien sieht sich mit einer Rekordzahl von 50 Klagen auf der Grundlage des umstrittenen Vertrags konfrontiert. Nach Berechnungen des Transnational Institute belaufen sich die von ausländischen Investoren geforderten Entschädigungen auf mindestens 7 Milliarden Euro. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Spanien, ebenso wie Frankreich, Polen, die Niederlande und Deutschland, beschlossen hat, den Vertrag zu kündigen. Auch Belgien und weitere europäische Länder erwägen derzeit einen Ausstieg. «Ich beobachte die Rückkehr der Kohlenwasserstoffe und der umweltschädlichsten fossilen Energien mit Sorge», wird der französische Präsident Emmanuel Macron in «Le Monde» zitiert. «Der Krieg auf europäischem Boden darf uns nicht unsere Klimaverpflichtungen und unser Bekenntnis zur Senkung der CO2-Emissionen vergessen lassen. Der Rückzug aus diesem Vertrag ist Teil dieser Strategie.»

Nach den jüngsten Zahlen, die das Charta-Sekretariat veröffentlicht hat, wurden 142 Klagen auf der Grundlage dieses Vertrags eingereicht; es könnten jedoch weitaus mehr sein, da für die Staaten keine Notifizierungspflicht besteht. Somit bricht der Vertrag bezüglich eingereichter Klagen alle Rekorde. Deutschland zum Beispiel wurde zweimal wegen seiner Entscheidung zum Atomausstieg verklagt: Im Fall «Vattenfall vs. Germany I» ist die Höhe der von Berlin an das schwedische Unternehmen gezahlten Entschädigung nicht bekannt; im Fall «Vattenfall vs. Germany II» erhielt das schwedische Unternehmen 1.721 Milliarden USD Entschädigung.

Die Schweiz will nicht aussteigen

Die Schweiz ihrerseits wurde bislang noch nie auf der Grundlage des ECT verklagt. Insgesamt richtet sich gegen sie nur eine einzige Schiedsklage, die jedoch nicht auf dem ECT beruht: die eines Investors aus den Seychellen. Sie ist noch hängig.
Erwägt die Schweiz eine Kündigung des Vertrages? «Nein», antwortet Jean-Christophe Füeg, Leiter Internationales des Bundesamtes für Energie, und fügt hinzu: «Die Kritiker des Vertrags übersehen, dass er nur für ausländische Investitionen gilt. Mit anderen Worten: Investitionen im Inland oder aus Nichtvertragsstaaten fallen nicht darunter.»

Die modernisierte Version dieser Charta, die am 9. November vom Bundesrat angenommen wurde, sollte seiner Meinung nach die Anzahl Klagen drastisch reduzieren und den Geltungsbereich des Vertrags einschränken: «Die EU wird nun als eine Vertragspartei zählen, was bedeutet, dass Klagen von InvestorInnen innerhalb der EU nun ausgeschlossen sind», fügt er hinzu. Dadurch wird der ECT zu einem Vertrag zwischen der EU, Grossbritannien, Japan, der Türkei, der Ukraine, Aserbaidschan und der Schweiz; die anderen Parteien haben praktisch keine InvestorInnen. Nun sind aber über 95% der fossilen Investitionen innerhalb der EU entweder EU-interner Natur oder werden von Nichtvertragsparteien getätigt. Dies ermöglicht es z.B. einigen EU-Mitgliedstaaten, munter mit der Förderung von Kohlenwasserstoffen fortzufahren (z.B. Zypern, Rumänien, Griechenland und auch die Niederlande).

«Dem Argument, dass ein Ausstieg für den Klimaschutz grundlegend sei, kann nicht zugestimmt werden, da davon weniger als 5% der fossilen Investitionen betroffen wären. Die restlichen 95% liegen ausserhalb des Einflussbereiches des Vertrags.» Laut Füeg wurde ausserdem eine Umfrage unter Schweizer Investoren mit Anlagen in der EU durchgeführt; die Befragten geben an, dass sie den Rechtsschutz schätzen, den ihnen der ECT gewähre. «Ein Austritt der Schweiz würde ihren Interessen zuwiderlaufen», schlussfolgert er.

Anpassung des Vertrags genügt nicht

Selbst die modernisierte, aber noch immer ungenügende Version der Charta wird allerdings nicht in Kürze in Kraft treten. Obwohl sie von den Vertragsstaaten bei einem Treffen am 22. November in Ulan Bator in der Mongolei hätte angenommen werden sollen, wurde das Traktandum wieder von der Tagesordnung gestrichen, nachdem sich die EU-Mitgliedstaaten nicht einigen konnten.

Alliance Sud fordert einen Austritt der Schweiz aus dem Vertrag, auch wenn die modernisierte Version der Energiecharta eine gewisse Schadensbegrenzung mit sich bringt. Der Vertrag ermöglicht es einem ausländischen Investor, gegen einen Gaststaat aufgrund jeder regulatorischen Änderung – Schliessung eines Kohlekraftwerks, Ausstieg aus der Atomenergie, regulatorische Änderungen bei den erneuerbaren Energien, etc. – zu klagen. Dadurch wird die Energiewende und der Kampf gegen die Klimakrise gebremst. Es ist nicht akzeptabel, dass ausländische Akteure, die in fossile Energieträger investieren, über den nationalen Gesetzen stehen und sich auf eine Privatjustiz berufen können, die ihnen allzu oft Entschädigungen in Millionen- oder gar Milliardenhöhe zuspricht.