Klimapolitik

Handel mit CO2-Zertifikaten: mehr Schein als Sein?

03.12.2024, Klimagerechtigkeit

Ob beim CO2-Gesetz oder mit dem neuen Sparprogramm: Die Schweizer Politik verlässt sich immer mehr auf CO2-Zertifikate aus dem Ausland, um ihr Klimaziel bis 2030 zu erreichen. Doch der Plan droht zu scheitern – bereits die ersten Programme offenbaren gravierende Schwächen. Analyse von Delia Berner

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Handel mit CO2-Zertifikaten: mehr Schein als Sein?

Alte Busse und allgegenwärtige Atemschutzmasken: Bangkok leidet unter Abgasen, doch helfen von der Schweiz finanzierte E-Busse in Thailand wirklich? © Benson Truong / Shutterstock

Im Januar 2024 erhielt die Schweiz weltweite Aufmerksamkeit – zumindest in der Fachwelt der Kohlenstoffmärkte. Denn zum ersten Mal überhaupt wurden unter dem neuen Marktmechanismus des Pariser Klimaabkommens CO2-Reduktionen mittels Zertifikaten von einem Land in ein anderes übertragen. Konkret hatte Thailand mit der Einführung von Elektrobussen in Bangkok im ersten Jahr knapp 2000 Tonnen CO2 reduziert. Die Schweiz kaufte diese Reduktion, um sie ihrem eigenen Klimaziel anzurechnen.

Gehen wir einen Schritt zurück: Die Schweiz will bis 2030 mehr als 30 Millionen Tonnen CO2 im Ausland anstatt in der Schweiz einsparen. Im Herbst 2020 wurden dafür die ersten bilateralen Abkommen abgeschlossen, mittlerweile sind es mehr als ein Dutzend. Zahlreiche weitere Projekte werden entwickelt, von Biogasanlagen und effizienten Kochöfen in den ärmsten Ländern über klimafreundliche Kühlsysteme bis zur Energieeffizienz bei Gebäuden und Industrie. Bisher konnten erst zwei Programme für die Anrechnung an das Schweizer Klimaziel genehmigt werden. Und die 2000 Tonnen CO2-Einsparung aus Thailand sind die ersten Zertifikate, die wirklich gehandelt wurden. Bis 2030 muss damit noch viel geschehen, dass der Schweiz überhaupt eine genügende Anzahl Zertifikate zum Kauf zur Verfügung stehen.

Das erste Projekt ist absturzgefährdet…

Nun hat der «Beobachter» – nach Akteneinsicht gemäss Öffentlichkeitsgesetz – enthüllt, dass ausgerechnet das erste Programm in Bangkok Gefahr läuft, keine weiteren Zertifikate zu generieren. Bereits vor einem Jahr erreichten das Bundesamt für Umwelt (BAFU) Vorwürfe, wonach die Herstellerfirma der E-Busse nationales Arbeitsrecht und das menschenrechtlich verankerte Recht auf Gewerkschaftsfreiheit verletze. Nachdem es vor einem Jahr eine vorläufige Einigung gab, kamen dieses Jahr offenbar erneute Vorwürfe auf, welche das BAFU nun prüfen muss. Denn die Schweiz darf keine Zertifikate genehmigen, bei deren Entstehung Menschenrechte verletzt wurden. Das BAFU liess sich im Beobachter dahingehend zitieren, dass es die weitere Ausstellung von Zertifikaten aussetzen «kann und wird», sofern sich die Vorwürfe bestätigen. Eine umfangreiche Recherche der «Republik» bringt noch weitere Vorwürfe ans Licht: Die Schweiz sei in Thailand sogar in einen Wirtschaftskrimi verwickelt, weil sie eine Börsenblase von zehn Milliarden Franken angeheizt und Warnungen ignoriert habe.

Auch das zweite genehmigte Projekt wird weniger Zertifikate generieren, als es verspricht: Eine neue Recherche von Alliance Sud über ein Kochofenprojekt in Ghana zeigt auf, dass dessen Planung die Emissionsreduktionen um bis zu 1.4 Millionen Tonnen überschätzt.

Bereits jetzt zeigt sich, dass die Kompensation im Ausland nicht generell günstiger und schon gar nicht einfacher umsetzbar ist als Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz. Letztere müssen früher oder später sowieso eingeführt werden, um das Netto-Null-Ziel in der Schweiz zu erreichen.

Mehr als Anfangsschwierigkeiten

Die ersten Projekte zeigen, welche Schwierigkeiten es gibt, sicherzustellen, dass dank dem Projekt effektiv eine bestimmte Menge an CO2 reduziert wird und das Projekt zudem kosteneffizient ist. Zweifel an den Reduktionen sind der Grund, weshalb viele Kompensationsprojekte in den letzten Jahren in den Schlagzeilen gelandet sind. Kosteneffizienz ist wichtig, da der Grossteil der Zertifikate durch eine Abgabe auf Treibstoff von der Schweizer Bevölkerung bezahlt wird. Um beides zu überprüfen, müsste das BAFU den Finanzierungsplan der Projekte anschauen. Es müsste sich beispielweise davon überzeugen, dass in den Projektkosten keine unverhältnismässigen Margen oder Profite eingerechnet werden, sondern so viel Geld wie möglich in den Klimaschutz oder die nachhaltige Entwicklung unter Einbezug der betroffenen Bevölkerung im Partnerland investiert wird.

Doch das System der Schweizer Auslandkompensationen zeigt hier seine Schwächen: Da die Zertifikate nicht vom Bund gekauft werden, sondern von der Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK, welche die Einkünfte aus der Treibstoffabgabe in Zertifikate umsetzt, bleiben die «kommerziellen Details» der Öffentlichkeit verborgen. Das will heissen: Niemand weiss, wie viel eine eingesparte Tonne CO2 durch den Einsatz eines E-Busses in Bangkok kostet oder wie viel Geld insgesamt in das Kochofenprojekt in Ghana investiert wird – geschweige denn, wie die Renditen der privaten Marktteilnehmer dabei aussehen. Beim besagten Projekt in Ghana wurden zudem grosse Teile der veröffentlichten Projektdokumentation geschwärzt. Die Transparenz ist sogar schlechter als bei seriösen Standards im freiwilligen CO2-Markt.

Doppelter Handlungsbedarf

Diese Herausforderungen gehen über blosse Anfangsschwierigkeiten hinaus und offenbaren einen doppelten Handlungsbedarf für die Schweizer Politik. Erstens muss die fehlende Transparenz der finanziellen Informationen der Projekte in der Verordnung zum CO2-Gesetz verbessert werden. Die Verordnung wird aktuell an die letzte Gesetzesrevision angepasst. Zweitens muss das Bild korrigiert werden, dass die Auslandkompensationen ein günstiger und einfacher Weg für Klimaschutz seien. Die Schweiz muss ihren Klimaschutz im Inland voranbringen und die Klimaziele nach 2030 wieder ohne CO2-Kompensation erreichen. Alliance Sud fordert den Bundesrat dazu auf, dies im CO2-Gesetz nach 2030 zu berücksichtigen.

Medienmitteilung

CO2-Kompensation in Ghana hält nicht, was sie verspricht

21.11.2024, Klimagerechtigkeit

Die Schweiz will ihre Klimaziele zu einem grossen Teil nicht im Inland erreichen, sondern im Ausland – mit sehr fragwürdigen Kompensationsprojekten. Das zeigt eine neue Recherche von Alliance Sud zu einem Kochofenprojekt der Stiftung KliK in Ghana. Dieses überschätzt seine Wirkung, ist intransparent und hat toxische Nebenwirkungen.

CO2-Kompensation in Ghana hält nicht, was sie verspricht

Ausschnitt aus der ursprünglich komplett geschwärzten Analyse zur Zusätzlichkeit des Projekts.

Die Schweiz will ihre Klimaziele zu einem grossen Teil nicht im Inland erreichen, sondern im Ausland – mit sehr fragwürdigen Kompensationsprojekten. Das zeigt eine neue Recherche von Alliance Sud zu einem Kochofenprojekt der Stiftung KliK in Ghana. Dieses überschätzt seine Wirkung, ist intransparent und hat toxische Nebenwirkungen.

Effiziente Kochöfen sind eine gute Sache, um die individuelle Situation von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in den ärmsten Regionen im Globalen Süden zu verbessern. Vereinfacht gesagt: Sie können damit Geld sparen und atmen weniger Rauch ein. Dabei werden auch weniger CO2-Emissionen verursacht. Doch das Kochofenprojekt der Stiftung KliK als CO2-Kompensationsprojekt ist höchst problematisch, wie die neue Recherche von Alliance Sud aufzeigt. Denn das Projekt mit dem Namen «Transformative Cookstove Activity in Rural Ghana» weist schwerwiegende Probleme auf:

•    Intransparenz: Die privaten Programmeigner ACT Commodities versuchen so viel wie möglich zu verbergen, insbesondere die Berechnungen der Emissionsreduktionen.
•    Überschätzte Wirkung: Die Projektplanung verspricht 3,2 Millionen Tonnen CO2-Reduktion bis 2030, aber realistisch sind höchstens 1,8 Millionen Tonnen CO2-Reduktion. Der Grund ist eine Überschätzung des wichtigsten Parameters der Rechnung.
•    Toxische Nebenwirkungen: Der Geschäftspartner in Ghana verkauft der ländlichen Bevölkerung gleichzeitig die Kochöfen des Projekts und Pestizide, die so giftig sind, dass sie in der Schweiz nicht zugelassen sind.

Nicht der erste Problemfall

Bereits beim ersten Schweizer Kompensationsprojekt unter dem Pariser Klimaabkommen, das Bangkok-E-Bus-Programm, gibt es Medienberichten zufolge menschenrechtliche Probleme und finanzielle Unregelmässigkeiten. Bereits vor einem Jahr hatte eine Untersuchung von Alliance Sud und Fastenaktion Hinweise auf Unregelmässigkeiten geliefert. Kein Zufall also, dass die EU auf solche Kompensationen im Ausland verzichtet.

«Die Projekte in Thailand und Ghana halten bei weitem nicht, was sie versprechen. CO2-Kompensationen der Schweiz im Ausland sind kein Ersatz für reale Emissionsreduktionen im Inland», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.

Für weitere Informationen:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, 031 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch
Marco Fähndrich, Medienverantwortlicher Alliance Sud, 079 374 59 73, marco.faehndrich@allliancesud.ch

Recherche

Die Schweiz im dichten Nebel der CO2-Kompensation in Ghana

20.11.2024, Klimagerechtigkeit

Mit dem Erwerb von neuen Kochöfen sollen in Ghana vor allem Frauen mehr als 3 Millionen Tonnen CO2 einsparen – als Ersatz für Emissionsreduktionen in der Schweiz. Alliance Sud kritisiert die eklatant fehlende Transparenz des Projekts und zeigt auf, welche brisanten Details die Projekteigner vor der Öffentlichkeit verstecken wollten.

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Die Schweiz im dichten Nebel der CO2-Kompensation in Ghana

Ein Mädchen kocht mit ihrer Mutter in ihrem Haus in Tinguri, Ghana. Solche gesundheitsschädlichen Feuerstellen hat die Schweiz bei ihrer Klimakompensation im Fokus.
© Keystone / Robert Harding / Ben Langdon Photography

Grace Adongo, eine Bäuerin aus der Region Ashanti in Ghana, ist glücklich mit ihrem neuen, effizienteren Kochofen. Anstatt über dem offenen Feuer zu kochen, stellt sie den Topf nun auf einen kleinen Kochherd. Sie braucht spürbar weniger Holzkohle und spart damit gleichzeitig Geld und CO2-Emissionen. Dieser Erfahrungsbericht stammt aus dem letzten Jahresbericht des «Ghana Carbon Market Office» und deckt sich mit vielen weiteren, die von den zahlreichen Kochofen-Projekten im weltweiten Kohlenstoffmarkt berichten. Diese sollen dazu beitragen, die ärmeren Bevölkerungsschichten mit Kochöfen auszustatten, die effizienter und weniger gesundheitsschädlich sind als traditionelle Öfen oder Feuerstellen, die viel Rauch bilden. Damit wird der Holzverbrauch gesenkt und CO2-Emissionen werden eingespart (wie viele, ist sehr umstritten – mehr dazu aber später).

Das Prinzip ist dabei immer ähnlich: Die Kochöfen werden vergünstigt verkauft. Dabei treten die Kundinnen und Kunden ihr Recht auf die Emissionsreduktion an die Projekteigner ab. Danach werden die eingesparten Emissionen durch die neuen Öfen über die Folgejahre berechnet und vom Projekteigner als CO2-Zertifikate international verkauft. Die Einnahmen aus den Zertifikaten werden benötigt, um die Kochöfen zu subventionieren.

Was nach einer guten Sache klingt, ist es für Menschen wie Frau Adongo aus einer individuellen Perspektive sicher auch. Aber das System drumherum ist weit vielschichtiger und widersprüchlicher. Im eingangs erwähnten Fall der «Transformative Cookstove Activity in Rural Ghana», den Alliance Sud in dieser Recherche unter die Lupe nimmt, geht es um den staatlichen Kompensationsmarkt, bei dem die Schweiz die erzielten Emissionsreduktionen aus Ghana an die Klimaziele der Schweiz anrechnet. Dabei kommen erstaunlich viele Schauplätze ans Licht, die aus einer Perspektive der Klimagerechtigkeit kritisch beurteilt werden müssen. Die Zusammenarbeit der Schweiz mit Ghana ist auch ein gutes Beispiel, weshalb der Zertifikatehandel unter dem Pariser Abkommen nicht zur Erreichung von ambitionierteren Klimazielen führt.

Bezahlt werden die CO2-Zertifikate aus diesem und vielen weiteren Projekten mit einer Abgabe von 5 Rappen pro Liter Treibstoff an den Schweizer Zapfsäulen. Die Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK, welche den Treibstoffimporteuren gehört, setzt das Geld für Kompensationsprojekte im In- und Ausland ein. Mit der CO2-Kompensation im Ausland will die Schweizer Politik fehlende Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz wettmachen, um dennoch die Klimaziele unter dem Pariser Abkommen zu erreichen.

 

Unter dem Pariser Abkommen von 2015 hat sich die Schweiz verpflichtet, bis 2030 die Hälfte ihres Treibhausgasausstosses im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Mit dem CO2-Gesetz können aber nur gut 30% der Emissionen im Inland reduziert werden – kaum mehr als vor der Gesetzesrevision im Frühling 2024. Die verbleibenden 20% sollen im Ausland kompensiert werden. Mit dem im September 2024 angekündigten Sparpaket des Bundesrats sollen auch Klimaschutzmassnahmen im Inland wegfallen. Das führt unweigerlich dazu, dass die Schweiz immer mehr Kompensationszertifikate benötigt, um die Klimaziele noch erreichen zu können. Das ist nicht der Sinn von Artikel 6 des Pariser Abkommens, der mit der Übertragung von Emissionsminderungen in andere Länder explizit zu «höheren Ambitionen» führen soll. Dazu müsste die Schweiz sicherstellen, dass die Klimaziele beider Länder mit den Zielen des Pariser Abkommens kompatibel sind. Die Schweiz hat Netto-Null bis 2050 versprochen. Da bis 2050 auf globaler Ebene Netto-Null erreicht sein muss, erwartet die Schweiz also de facto auch von den anderen Ländern, dass sie ihr Netto-Null-Ziel auf 2050 setzen. Gemessen daran hat der nationale Beitrag Ghanas bis 2030 zur Erreichung des Pariser Abkommens erhebliche Lücken. Ghana kommuniziert nur unverbindlich ein Netto-Null-Ziel für 2060 und nimmt die Ölförderung von seinen Klimazielen aus. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schreibt dazu auf Anfrage, dass «die Anforderungen des Pariser Abkommens gelten», und verweist dabei auf die unilateral festgelegten Klimaziele nach dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung und Kapazität. «Dabei müssen die Klimaziele die höchstmögliche Ambition umfassen und nachfolgende Ziele in der Ambition gesteigert werden.» Es gibt aber keine anderweitigen Kriterien an die Klimaziele eines Partnerstaates.

Vor einem Jahr kommunizierte Ghana eine Erweiterung seiner Ölförderung und begründete den Schritt mit fehlender finanzieller Unterstützung für den Klimaschutz. Das zeigt das Grundproblem: Es fehlt den Ländern im Globalen Süden an internationaler Klimafinanzierung, die ihnen als Unterstützung aus dem Globalen Norden zustehen würde. Das Resultat: Sie nehmen die für sie zweitbeste Lösung, um an die Finanzierung zu gelangen, der Verkauf ihrer Klimaschutzaktivitäten als CO2-Zertifikate. Der Unterschied zur Klimafinanzierung: Die Schweiz erhält das «Recht», ihre Klimaschutzmassnahmen auf später zu verschieben. Insgesamt werden die Ambitionen für einen wirksamen Klimaschutz gesenkt, nicht erhöht.

 

Dichter Nebel im Februar

Das vorliegende Kochofenprojekt wurde im Februar 2024 von Ghana und der Schweiz unter dem bilateralen Marktmechanismus des Pariser Abkommens (Art. 6.2) genehmigt. Es wird vom Amsterdamer Rohstoffunternehmen ACT Commodities umgesetzt und soll bis 2030 mehr als 3 Millionen Tonnen CO2 reduzieren. Die Regierungen der beiden Länder tragen dabei die volle Verantwortung, dass das Projekt hohe Qualitätsanforderungen respektiert und hält, was es verspricht. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) prüft dazu die Projektdokumentation und veröffentlicht sie nach der Genehmigung.

 

Der Projekteigner ist ein internationaler Konzern mit Sitz in Amsterdam namens ACT Commodities. Das Unternehmen beschreibt sich selbst auf der Website als führenden Anbieter von marktbasierten Nachhaltigkeitslösungen, der die Transition zu einer nachhaltigen Welt antreibe. ACT ist ein grosser Player im Emissionshandel. Das Unternehmen verzichtet aber lieber auf zu viel Transparenz – auf seiner eigenen Website steht kein Wort darüber, dass die Konzerngruppe auch Öl- und Treibstoffhandel im Portfolio hat (über die Schwesterfirma ACT Fuels, die keine Website hat). Dies enthüllt erst ein Blick in das niederländische Handelsregister. Seit Juli 2023 besitzt ACT Commodities zudem eine Firma, die Schiffstreibstoffe anbietet, der dreckigste aller Treibstoffe. Der Konzern gehört also zur wachsenden Gruppe von Rohstoffhändlern, welche mit fossilen Energien geschäften und sich daneben als Akteure auf dem CO2-Markt «grünwaschen».

 

Doch bereits ein erster Blick in die Dokumente offenbart Mängel bei der Transparenz: Das Projekt ist so undurchsichtig wie dichter Nebel. In der Projektbeschreibung sind weite Teile geschwärzt, darunter praktisch die ganze Analyse, mit der nachgewiesen werden muss, dass das Projekt zu zusätzlichen Emissionsreduktionen führt (s. Bild). Aber auch viele weitere relevanten Zahlen und Angaben wurden verschleiert. Und das Dokument mit den Berechnungen, warum die CO2-Reduktion 3,2 Millionen Tonnen betragen soll, wurde gar nicht erst veröffentlicht. Transparenz sieht anders aus.

Alliance Sud hat die Veröffentlichung der ungeschwärzten Dokumente und Berechnungen nach dem Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) eingefordert – und aufgrund der Weigerung der Projekteigner erst einmal vier Monate gewartet. Danach wurde die Projektdokumentation zu grossen Teilen, aber nicht vollständig, freigegeben. Die noch geschwärzten Stellen seien Geschäftsgeheimnis. Jetzt wird aber auch klar, dass im ursprünglichen Dokument viele Stellen völlig willkürlich verdeckt wurden.

 

Ausschnitt aus der ursprünglich komplett geschwärzten Analyse zur Zusätzlichkeit des Projekts.

 

Emissionsreduktionen werden um bis zu 79% überschätzt

Wie berechnet wird, dass dank dem Projekt in Ghana über 8 Jahre 400'000 Tonnen CO2 jährlich eingespart werden sollen, gehört zu den zentralen Informationen über ein Kompensationsprojekt. Bei seriösen Zertifizierungsstellen für den freiwilligen Zertifikatemarkt ist es obligatorisch, diese Berechnungen zu veröffentlichen. Die Daten müssen für wissenschaftliche Analysen zur Verfügung stehen – zumal immer mehr Studien eine Überschätzung der Emissionsreduktionen durch CO2-Zertifikate feststellen, auch bei Kochofen-Projekten.

In diesem Fall sträubt sich der Projekteigner aber dagegen – eine inakzeptable Intransparenz. Mittels BGÖ-Gesuch erhielt Alliance Sud ein PDF der Berechnungstabellen. Ohne Möglichkeit, die integrierten Excel-Formeln zu sehen, ist die Nachvollziehbarkeit immer noch eingeschränkt.

Aber die nun vorliegenden Zahlen bringen Überraschendes ans Licht: Im Berechnungs-PDF wird ersichtlich, dass für die Jahre 2025-30 die Emissionsreduktionen derselben Öfen fast doppelt so hoch berechnet werden wie für 2023-24. Grund dafür ist eine offensichtlich geplante Erhöhung des wichtigsten Parameters, des Anteils der nicht-nachhaltigen Holzbeschaffung, genannt «fNRB» (fraction of non-renewable biomass). Dieser ist eine Schätzung, um wie viel Holzbiomasse die Ernte des Feuerholzes deren natürliches Nachwachsen übersteigt. Nur der geringere Verbrauch von nicht-nachhaltigem Feuerholz kann als Reduktion von CO2-Emissionen geltend gemacht werden. Der Parameter wird direkt mit den weiteren Faktoren multipliziert und ist daher entscheidend für die Berechnungen der Emissionsreduktionen. Eine zu hohe Einschätzung des fNRB ist der Hauptgrund für die teils vernichtende Kritik an bisherigen Kochofen-Projekten zur Emissionsreduktion.

Wer es genau wissen will: Laut Projektdokumentation wurde der fNRB bei 0.3 angesetzt, was konservativer als bei vielen bisherigen Kochofenprojekten ist. Gemäss der offiziellen UNFCCC-Referenzstudie vom Juni 2024 ist dies als Standardwert angebracht, um die Emissionsreduktionen nicht massiv zu überschätzen und ist gleichzeitig kohärent mit dem länderspezifischen Wert der Studie für Ghana von 0.33. Nun hat das Projekt aber eine Klausel, dass Ghana und die Schweiz bilateral den fNRB nachträglich (nach oben) anpassen können. Dass ab 2025 bereits fest mit einem fNRB von 0.7629 gerechnet wird, erschliesst sich nur aus dem Berechnungs-PDF, das zuerst nicht veröffentlicht wurde. Die Projektbeschreibung verschweigt, dass bereits mit einem höheren Wert geplant wird, obwohl dessen Genehmigung noch aussteht. Der Wert 0.7629 stammt aus dem veralteten «CDM-Tool 30», das vom BAFU selber als ungenügende Grundlage bezeichnet wird. Ghana hat im Frühling 2024 eine Ausschreibung für eine unabhängige Studie gemacht, um einen länderspezifischen fNRB-Wert für Ghana zu eruieren – offensichtlich mit der Hoffnung, dass ein deutlich höherer Wert legitimiert werden kann. Damit dieser auch von der Schweiz akzeptiert wird, muss die Studie den peer review der UNFCCC-Gremien bestehen. Angesichts der erwähnten, breit akzeptierten Referenzstudie, die für Ghana einen Länderwert von 0.33 berechnet, dürfte das ein schwieriges Unterfangen werden.

 

Das Berechnungsdokument zeigt, dass ab 2025 mit einem mehr als doppelt so hohen fNRB, dem wichtigsten Parameter, gerechnet wird. Die Emissionsreduktionen zwischen 2025 und 2030 werden so gemäss Berechnungen von Alliance Sud um bis zu 92% überschätzt. Insgesamt beträgt die Überschätzung bis zu 79% (unter Berücksichtigung der korrekten Berechnung für 2023 und 2024).

Das Berechnungsdokument zeigt, dass ab 2025 mit einem mehr als doppelt so hohen fNRB, dem wichtigsten Parameter, gerechnet wird (Zeile in gelb). Die Emissionsreduktionen zwischen 2025 und 2030 werden so gemäss Berechnungen von Alliance Sud um bis zu 92% überschätzt. Insgesamt beträgt die Überschätzung bis zu 79% (unter Berücksichtigung der korrekten Berechnung für 2023 und 2024).

 

Wenn ohne Grundlage von einem mehr als doppelt so hohen fNRB-Wert ausgegangen wird, werden die Emissionsreduktionen also im Voraus überschätzt. Nach den Berechnungen von Alliance Sud würde das Projekt höchstens 1.8 Millionen Tonnen CO2 reduzieren, wenn der fNRB-Wert konstant auf dem realistischeren Wert von 0.3 gehalten würde. Das Projekt verspricht aber die Reduktion von 3.2 Millionen Tonnen CO2. Es überschätzt die Reduktionen also insgesamt um bis zu 79%.
Übrigens legen wir im Gegensatz zum Projekteigner unsere eigenen Berechnungen offen.

 

Mit einiger Recherche lichtet sich der Nebel…

Die Absurdität, die halbe Projektdokumentation als «Geschäftsgeheimnis» zu bezeichnen (in der ersten Version vom Februar), zeigt sich daran, dass viele der verdeckten Informationen an anderer Stelle öffentlich verfügbar sind. Einige kleinere Angaben, die ursprünglich verdeckt wurden, sind sogar im gleichen Dokument an anderer Stelle ungeschwärzt. Weitere Angaben sind in Dokumenten der Regierung von Ghana ersichtlich oder lassen sich aus sonstigen Quellen kombinieren.

So findet man dank einem Online-Artikel der ghanaischen Behörden über einen Besuch des KliK-Stiftungsrats heraus, wer in Ghana der Hauptvertriebspartner des Projekts ist: ein ghanaisches Unternehmen namens «Farmerline». Farmerline erleichtert Bäuerinnen und Bauern den Zugang zu landwirtschaftlichen Hilfsmitteln – und öffnet so der internationalen Agrarindustrie die Tore zu vielen neuen Kundinnen und Kunden in Ghana. Auch diese Beziehung wollten die Projekteigner verbergen. In der Projektdokumentation waren ursprünglich mehrere Hinweise auf Partnerschaften im Agrarsektor verdeckt und die konkrete Zusammenarbeit ist noch immer geschwärzt – und dies hat durchaus Gründe, wie ein genauerer Blick zeigt.

…es bleibt ein Sprühnebel aus Pestiziden

Farmerline hat seinerseits die Zusammenarbeit mit Envirofit, dem Kochofenproduzenten und Umsetzungspartner des Projekteigners, im Juni 2023 angekündigt. In der Projektdokumentation steht dazu, wie 180'000 Öfen innert kurzer Zeit an die ländliche Bevölkerung verkauft werden sollen, dass die Öfen in mehr als 400 Geschäften für landwirtschaftliche Betriebsmittel angeboten werden. Einige Posts von Farmerline auf der Plattform «X» lassen aber aufhorchen. Farmerline führte dieses Jahr eine «Agribusiness Roadshow» in verschiedenen Regionen von Ghana durch, in Zusammenarbeit mit Envirofit – und mit dem Agrokonzern Adama, der Teil der Syngenta-Gruppe ist. An jedem Tag der Roadshow wurden den Bäuerinnen und Bauern gleichzeitig die effizienten Kochöfen von Envirofit wie auch Pestizide von Adama vorgestellt und zum Verkauf angeboten. Auf den Videos von Farmerline sind die Adama-Produkte identifizierbar, und bei drei Insektiziden und einem Herbizid handelt es sich um Produkte mit Wirkstoffen, die in der Schweiz und der EU nicht zugelassen sind, weil sie zu gefährlich für die Umwelt und die Gesundheit sind: Atrazin, Diazinon und Bifenthrin. Atrazin verunreinigt das Grundwasser, hemmt die Photosynthese der Pflanzen und baut sich in der Umwelt fast nicht mehr ab, ausserdem wird es als krebserregend eingestuft. Diazinon greift nicht nur die gewünschten Schädlinge, sondern alle Insekten an, und kann auch bei Menschen akut giftig sein, wenn es auf die Haut gelangt. Bifenthrin ist vor allem für im Wasser lebende Tiere sehr giftig, aber sollte auch von Menschen nicht eingeatmet werden (siehe die Pestiziddatenbank des Pesticide Action Network).

 

Beispielfoto aus einem Video der Farmerline Roadshow, an der neben den Kochöfen auch das Herbizid Maizine 30 OD mit dem in der Schweiz verbotenen Wirkstoff Atrazin verkauft wird.

 

Auf keinem der Videos ist zudem die Demonstration oder der Verkauf von angebrachter Schutzkleidung zu sehen. Gemäss verschiedener Studien (Demi und Sicchia 2021; Boateng et al 2022; und weitere) führt der steigende Gebrauch von Pestiziden in der ghanaischen Landwirtschaft zu erheblichen gesundheitlichen Problemen für die Bäuerinnen und Bauern. Viele wissen mangels Instruktion durch die Händler entweder nicht, wie sie die Pestizide korrekt anwenden und sich dabei schützen müssten, oder ihr Geld reicht nicht für die Schutzkleidung. Fachinformationen beziehen sie ausserdem weitgehend aus dem persönlichen Umfeld oder von ihren Händlern, aber es fehlt an unabhängiger landwirtschaftlicher Beratung. Imoro et al. 2019 fanden in ihrer Studie, dass 50% gar keine Schutzkleidung benutzten und weitere 40% nur ungenügende. Bei KliK nachgefragt, ob an den Roadshows auch Schutzkleidung verkauft werde, antwortet KliK, dass bei ihren Kooperationspartnern selbstverständlich höchste Nachhaltigkeitskriterien Voraussetzung seien. KliK schreibt, der Komplex, den Alliance Sud mit dieser Frage auftue, liege nicht in ihrem Ermessensbereich.

Der Versuch, eine klare Aussage über den Beitrag dieses Kompensationsprojekts für die nachhaltige Entwicklung zu treffen, gleicht also weiterhin dem Stochern im Nebel. Denn die Kundinnen und Kunden der Kochöfen werden zwar Geld sparen und dank weniger Rauch hoffentlich ihre Gesundheit verbessern – aber gleichzeitig dazu angeregt, das gesparte Geld für Pestizide auszugeben, mit deren vermehrtem Einsatz Umweltschäden und in vielen Fällen auch wieder Gesundheitsschäden entstehen. So gesehen hat KliK bei der Beurteilung der «höchsten Nachhaltigkeitskriterien» der Kooperationspartner versagt. Es ist zwar einleuchtend, dass Synergien mit bestehenden Akteuren im Landwirtschaftsbereich gesucht werden, um die Menschen im ländlichen Raum zu erreichen. Wäre aber Nachhaltigkeit im Vordergrund gestanden, hätte sich viel eher eine Partnerschaft mit Organisationen zur Förderung von agrarökologischen Ansätzen aufgedrängt.

Horrender Gewinn für die Investoren

Die neuen Kochöfen ermöglichen eine finanzielle Ersparnis für die Kundinnen und Kunden, das Projekt ist aber in einer viel grösseren Dimension finanziell lohnenswert für die Investoren. Auch in finanzieller Hinsicht bleibt das Projekt intransparent: Die Preisgestaltung der Öfen bleibt geschwärzt, die Preise der Zertifikate sind Privatsache von KliK und ihren Geschäftspartnern. Auch wird für das Projekt kein Finanzplan oder ähnliches vom BAFU überprüft. Doch mit der Herausgabe einiger zusätzlicher Informationen dank dem BGÖ-Gesuch wird klar, dass die Investoren absahnen dürften. Die Investoren hinter diesem Projekt sind unsichtbar, aber gemäss Projektdokumentation dürften sie eine jährliche Rendite von 19.75% auf ihrer Investition erwarten. Diese absurd hohe Rendite wird mit einem Vergleich mit Staatsanleihen von Ghana begründet. Dieser Vergleich hält in keiner Weise stand, das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Die Risiken, in eine Staatsanleihe eines bereits hoch verschuldeten Staats zu investieren, sind ganz anderer Natur, was die hohen Renditen erklärt (wenn auch nicht legitimiert, denn die hohen Zinsen für ärmere Staaten sind erschreckend und verheerend – aber das ist nochmal eine andere Geschichte).

Hier hingegen handelt es sich um ein Projekt, das durch quasi-öffentliche Gelder mitfinanziert und abgesichert ist; man könnte es zu «blended finance» zählen, eine öffentlich-private Mischfinanzierung. Denn die Treibstoffimporteure erheben im Namen des CO2-Gesetzes eine Abgabe auf den Treibstoff. Würden die Einnahmen aus dieser Abgabe rein technisch einen Umweg über die Staatskasse machen – wie das bei anderen Abgaben die Regel ist –, bevor sie für Kompensationsprojekte ausgegeben würden, wären das öffentliche Steuergelder.

Somit besteht ein öffentliches Interesse, dass die Einnahmen aus dieser Abgabe effizient eingesetzt werden. Die Gelder müssen für den Klimaschutz und die nachhaltige Entwicklung vor Ort, anstatt für vergoldete Renditen der Investoren eingesetzt werden.

 

Fazit

Effiziente Kochöfen sind ein günstiger Weg, um Verbesserungen im Leben von vielen Menschen zu erzielen und gleichzeitig Treibhausgasemissionen zu vermindern. Der Marktmechanismus des Pariser Abkommens birgt bei der Umsetzung von Klimaschutzprojekten im Globalen Süden aber erhebliche Widersprüche. Er soll vor Ort zur nachhaltigen Entwicklung beitragen, ist aber als potenziell lukratives Geschäft für die Investoren konzipiert. Und während im Globalen Süden einige Emissionen vermindert werden, bietet der Mechanismus eine politische Ausrede, Klimaschutz in einem reichen Land wie der Schweiz auf später zu verschieben.

Transparenz im Zertifikatehandel ist deshalb zentral, um die vielschichtigen und möglicherweise problematischen Hintergründe von Kompensationsprojekten zu erfahren. Das Klimakompensationsprojekt der Schweiz in Ghana ist hierfür ein aussagekräftiges Beispiel. Weder die Überschätzung der Emissionsreduktionen, der Verkauf der giftigen Pestizide noch die zu hohe Rendite waren aus den Dokumenten, die nach der Genehmigung des Kochofen-Projekts veröffentlicht wurden, herauszulesen. Erst mittels BGÖ-Gesuch und weiterführender Recherche konnte Alliance Sud den Nebel der intransparenten Projektdokumentation lichten: Diese offenbarte die Genehmigung waghalsiger Berechnungsmethoden, umwelt- und menschenschädigendes Geschäftsgebaren der Umsetzungspartner und ein fragwürdiges Verständnis von Transparenz seitens der Hauptakteure. Die Möglichkeit zur öffentlichen Überprüfung bleibt aber matchentscheidend, damit Kompensationsprojekte die Umsetzung des Pariser Abkommens nicht gefährden.

 

 

Der vorliegende Fall ist das zweite von Alliance Sud untersuchte Kompensationsprojekt der Schweiz unter dem Pariser Abkommen. Schon vor einem Jahr zeigten Alliance Sud und Fastenaktion auf, weshalb neue E-Busse in Bangkok kein Ersatz für Klimaschutz in der Schweiz sind.

Artikel, Global

Klimakompensation im Ausland: die Illusion der Freiwilligkeit

07.12.2023, Klimagerechtigkeit

Auf Druck der Zivilgesellschaft und der Medien ist der Kohlenstoffmarkt in Verruf geraten. Zu Recht: Das derzeitige System hält nicht, was es verspricht, und benachteiligt den Globalen Süden.

Von Maxime Zufferey

Klimakompensation im Ausland: die Illusion der Freiwilligkeit

Der übermässige Rückgriff auf Kompensationen anstelle einer substanziellen Reduktion der Emissionen ist in keinster Weise nachhaltig.

© Ishan Tankha / Climate Visuals Countdown

Der freiwillige Kohlenstoffmarkt ermöglicht den Handel mit Kohlenstoffgutschriften. So kann ein Unternehmen, das weiterhin CO2 ausstösst, seine eigenen Emissionen durch die Finanzierung von Projekten ausgleichen, welche Emissionen an anderer Stelle senken. In der Theorie gilt der CO2-Ausgleich als der effektivste, ergebnisorientierteste Marktansatz für die weltweite Senkung von Emissionen. Dem liegt die Idee zugrunde, die Wirkung der verfügbaren Ressourcen zur Emissionsreduktion zu maximieren, indem sie dort eingesetzt werden, wo sie am günstigsten sind. So könnte ein Unternehmen, nachdem es seine kostengünstigsten eigenen Emissionen gesenkt hat, Ressourcen für Projekte für kohlenstoffarme Technologien oder zur Wiederaufforstung von Wäldern bereitstellen, um die Emissionen, die es noch nicht senken konnte, rechnerisch auszugleichen. In der Praxis wird die Annahme, dass billige Kompensationsgutschriften die Lösung sind, jedoch stark kritisiert. Diese untergraben das Ziel der Emissionsminderung und tragen zu einer kontraproduktiven Aufrechterhaltung des Status quo bei. Die verstärkte Kontrolle durch die Zivilgesellschaft liess in jüngster Zeit Zweifel an den – oft irreführenden – Versprechen der «CO2-Neutralität» aufkommen, die von bestimmten Unternehmen unter dem Deckmantel der Kompensation abgegeben werden, während ihre Emissionen in der Realität weiter ansteigen.

Die Kohlenstoffmärkte: eine Bestandesaufnahme

Seit seinen Anfängen in den späten 1980er Jahren und insbesondere seit dem 1997 unterzeichneten Kyoto-Protokoll war der Kohlenstoffmarkt stets Gegenstand von Kontroversen. Seine Entwicklung hat zur Entstehung von Parallelmärkten geführt, die aufgrund ihrer potenziellen Überschneidungen mitunter schwer zu unterscheiden sind: dem «Compliance»-Markt und dem «freiwilligen» Kohlenstoffmarkt. Der Compliance-Markt sieht verpflichtende Emissionsreduktionen vor und wird auf nationaler oder regionaler Ebene reguliert. Der bekannteste dieser Märkte ist das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (EU-ETS), dem die Schweiz 2020 beigetreten ist. Im Rahmen dieses Mechanismus unterliegen bestimmte grosse Emittenten – Kraftwerke und grosse Industriebetriebe – einer Emissionsobergrenze, die sie durch den Kauf von Zertifikaten von anderen Mitgliedern, die ihre Emissionen über das festgelegte Ziel hinaus gesenkt haben, kompensieren können. Diese Obergrenze wird jährlich abgesenkt.

Trotz einer äusserst komplexen Umsetzung hat dieses System zu einer gewissen Verringerung der Emissionen in den betroffenen Sektoren beigetragen. Es wird jedoch kritisiert, dass in seiner Anfangszeit die Zuteilung kostenloser Zertifikate an grosse Emittenten zu grosszügig war und keine ausreichend ehrgeizigen Reduktionsziele vorgeschrieben werden. Ausserdem ist der Kohlenstoffpreis noch zu niedrig; er müsste die sozialen Kosten einer Tonne Emissionen widerspiegeln und schrittweise auf 200 USD angehoben werden. Der freiwillige Markt hingegen schreibt derzeit keine Mindestreduktionsziele vor und bleibt weitgehend unreguliert. Hier werden auch Emissionsgutschriften von sehr unterschiedlicher Qualität und zu sehr unterschiedlichen Preisen (manchmal werden sie unter 1 USD angeboten) eingesetzt.

Die Grenzen des freiwilligen Marktes

Die Vertrauenskrise, die den freiwilligen Kohlenstoffmarkt getroffen hat, ist nicht nur auf seine fehlende Regulierung und seinen lückenhaften Rahmen zurückzuführen, sondern auch auf technische Grenzen dieses Mechanismus. Kohlenstoffgutschriften entsprechen nur selten der exakten Einheit der beanspruchten «Kompensation»; ihre Wirkung wird systematisch überschätzt. Gründe dafür sind eine unzuverlässige Quantifizierungsmethode und das Fehlen eines umfassenden Kontrollsystems, das frei von Interessenskonflikten ist. Doch damit nicht genug: Oft ist unklar, ob die Kompensationsprojekte dem Kriterium der Zusätzlichkeit entsprechen, d. h. ob sie nicht auch ohne den finanziellen Beitrag aus den Emissionsgutschriften umgesetzt worden wären. Dies gilt insbesondere für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien, die in den meisten Ländern zur wirtschaftlichsten Energiequelle geworden sind. Auch Doppelzählungen – die Anrechnung der Emissionsgutschrift sowohl durch das Gastgeberland als auch durch das ausländische Unternehmen – stellen eine grosse Herausforderung dar. Dieses Vorgehen widerspricht dem Grundsatz, dass eine Gutschrift nur von ein und derselben Stelle abgezogen werden kann. Mit dem Abkommen von Paris ist die Gefahr von Doppelzählungen grösser geworden, da es im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll auch von den Entwicklungsländern Emissionssenkungen verlangt.

Auch die Frage, ob die verbuchten Kompensationen dauerhaft sind, wirft viele Zweifel auf. Die Gewinnung und Verbrennung fossiler Energieträger ist Teil des langfristigen Kohlenstoffkreislaufes, während die Photosynthese und damit die Aufnahme von Kohlenstoff durch Bäume oder die Aufnahme in die Ozeane Teil des kurzfristigen biogenen Kohlenstoffkreislaufs sind. Es erscheint daher illusorisch, die langfristige Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre mit zeitlich auf wenige Jahrzehnte begrenzte Kompensationsprojekte ausgleichen zu wollen. Darüber hinaus gefährdet der menschengemachte Klimawandel selbst das Verbleiben des Kohlenstoffs in den temporären Speichern wie Böden und Wäldern, da Brände, Dürreperioden und die Ausbreitung von Schädlingen zunehmen. Hinzu kommt das Risiko der Verlagerung (leakage), wenn beispielsweise ein Projekt zum Schutz des Waldes in einer bestimmten Region dazu führt, dass woanders gerodet wird. . Die Aussichten auf technologische Lösungen mit Geräten zur Kohlenstoffabscheidung und -sequestrierung sollten nicht überschätzt werden. Derzeit sind sie weder wettbewerbsfähig noch kurzfristig in erforderlichem Umfang verfügbar. Wahrscheinlich werden sie auch in Zukunft nur eine begrenzte, wenn auch notwendige Rolle spielen.

Kohlenstoffkolonialismus verstärkt Ungerechtigkeiten

Ganz grundsätzlich ist der übermässige Rückgriff auf Kompensationen anstelle einer substanziellen Reduktion der Emissionen in keinster Weise nachhaltig. Wie Carbon Market Watch in seinem Bericht (Corporate Climate Responsibility Monitor) zur Integrität der Klimaschutzziele von Unternehmen, die sich selbst als Klimavorreiter bezeichnen, darlegt, hängt die Umsetzung der aktuellen «Netto-Null-Fahrpläne» dieser Unternehmen stark von Kompensationen ab. Bei gleichbleibendem Tempo würde der Landbedarf zur Generierung von Emissionsrechten die Verfügbarkeit von Boden bei weitem übersteigen, was das Überleben der lokalen Gemeinschaften, die Artenvielfalt und die Ernährungssicherheit direkt bedroht. Gleichzeitig basieren im freiwilligen Markt beliebte Emissionsreduktions-Projekte wie Aufforstung oder andere «naturbasierte Lösungen» (Nature-based Solutions) häufig auf «Festungsmodellen» des Naturschutzes, bei denen Schutzgebiete abgegrenzt und militarisiert werden - auf Kosten der ursprünglichen Bewohner:innen. Diese Projekte entstehen keineswegs in «leerem Raum», den die Umweltsünder mit Bäumen bepflanzen können, sondern oft in Landstrichen, die von indigenen Gemeinschaften bewohnt werden. Der neue Goldrausch der naturbasierten Lösungen durch die Privatisierung natürlicher Kohlenstoffsenken verschärft historisch komplexe Landkonflikte und stellt für die Waldbevölkerung eine reelle Gefahr der Enteignung dar. Erst recht, wenn bei solchen Vorhaben die Rechte indigener Gemeinschaften auf Selbstbestimmung und auf freie, vorherige und informierte Zustimmung zu allen Projekten, die ihre Gebiete betreffen, beschnitten wird.

Alles in allem ist das derzeitige System weitgehend ungeeignet, um der Dringlichkeit der Klimakrise gerecht zu werden, und es ist überdies zutiefst ungerecht. Es räumt den grössten Emittenten von Treibhausgasen – vor allem grossen Unternehmen und Volkswirtschaften des Globalen Nordens – Verschmutzungsrechte ein: Sie können weiter wirtschaften wie bisher, während insbesondere die Wirtschaftssysteme und Lebensweisen des Globalen Südens eingeschränkt werden. Damit verlagert dieser Kohlenstoffkolonialismus die Verantwortung zur Bekämpfung des Klimawandels und der Abholzung von den grossen Unternehmen auf die lokalen Gemeinschaften, die am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind.

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Medienmitteilung

Das Gesetz zur Reduktion der CO2-Emissionen… im Ausland

26.02.2024, Klimagerechtigkeit

Die Schweiz will ihre Klimaziele zu einem grossen Teil nicht im Inland erreichen, sondern im Ausland – eine klima- und entwicklungspolitische Katastrophe. Alliance Sud appelliert an den Ständerat, bei der CO2-Gesetzesrevision wie bisher festzuschreiben, dass die Emissionsreduktionen mindestens zu 75% im Inland erfolgen müssen.

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

+41 31 390 93 42 delia.berner@alliancesud.ch
Das Gesetz zur Reduktion der CO2-Emissionen… im Ausland

Die «Chambre de réflexion» muss nun beim Klimaschutz handeln – nicht nur im Ausland, sondern auch in der Schweiz.

© Parlamentsdienste 3003 Bern / Rob Lewis

Am 29. Februar geht die Revision des CO2-Gesetzes im Ständerat in die Differenzbereinigung. Bundesrat und Parlament haben es verpasst, endlich griffige Massnahmen zur Reduktion der Emissionen im Inland in den Gesetzesentwurf einzufügen. Stattdessen wird die Schweiz jedes Jahr mehr CO2-Zertifikate aus dem Ausland zukaufen müssen, um mit den Klimazielen auf dem Papier mithalten zu können. Dies muss der Ständerat durch einen Inland-Anteil von 75% am Klimaziel einschränken.

Aus verschiedenen Gründen ist die Auslandkompensation kurzsichtig und ungerecht:

Ein grosser Widerspruch zu Netto-Null bis 2050

Die Schweiz hat gesetzlich festgelegt, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Und sie erwartet dasselbe von der Weltgemeinschaft, wie sie jährlich an der internationalen Klimakonferenz (COP) bekräftigt. Das impliziert, dass es bis 2050 keinen internationalen Handel mit CO2-Zertifikaten aus Emissionsreduktionen mehr gibt, weil alle Länder diese selber anrechnen müssen, um Netto-Null zu erreichen. Je mehr heute im Ausland kompensiert wird, desto schneller müssen später die Emissionen in der Schweiz reduziert werden – eine verheerende Verdrängungsstrategie von Bundesrat und Parlament.

CO2-Zertifikate garantieren keinen gleichwertigen Klimanutzen

Wie verschiedene Recherchen von Alliance Sud, Fastenaktion, Caritas und von Medienschaffenden zeigen, ist der Klimanutzen vieler Schweizer Kompensationsprojekte sehr unsicher und ihre Wirkung kann schlicht nicht garantiert werden. Zudem zeigt sich, dass es bereits schwierig ist, im engen Zeitplan bis 2030 überhaupt genügend Projekte dafür zu entwickeln. Es ist daher höchst fahrlässig, CO2-Zertifikate in noch grösseren Mengen als Ersatz für Inlandreduktionen einzuplanen.

Reiche Länder müssen ihre Emissionen rascher reduzieren

Die Schweiz hat die besten technischen und finanziellen Voraussetzungen, um die Emissionen im Inland schnellstmöglich zu reduzieren. Die politische Verweigerung, dies zu tun und stattdessen auf Verhaltensänderungen in ärmeren Ländern zu setzen, ist der Schweiz nicht würdig und widerspricht vehement der Klimagerechtigkeit.

Schweizer Klimafinanzierung ungenügend

Die Schweiz sollte durchaus Klimaschutzprojekte im Ausland fördern. Aber nicht um die eigenen Emissionsreduktionen zu verzögern, sondern um ergänzend zur Reduktion im Inland einen echten Beitrag an den gerechten Wandel im Globalen Süden zu leisten. Der Schweizer Beitrag an die internationale Klimafinanzierung wird nach der nächsten Klimakonferenz massiv ansteigen müssen. Dabei geht es nicht nur um die Reduktion von Emissionen, sondern ebenfalls um die Anpassung an die Klimaerwärmung in Regionen, deren Bevölkerung besonders stark betroffen ist.

Finanzierung von Millionen von CO2-Zertifikaten ungeklärt

Die Sparwut im Bundesbudget tobt bereits jetzt, aber ein erheblicher Teil der geplanten Ausland-kompensation muss noch vom Bund eingekauft werden. Gemäss der Botschaft zum CO2-Gesetz wird dies den Bund je nach Preis und erforderlicher Menge zwischen 90 Millionen und 2,2 Milliar-den Franken bis 2030 kosten – ein Budgetposten, der noch nirgends eingeplant ist.

Die Bilanz von Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Ent-wicklungspolitik, fällt eindeutig aus. Klimaexpertin Delia Berner: «Die Schweizer Klimapolitik hat sich in der Auslandkompensation verfahren. Sowohl im eigenen Interesse wie auch im Sinne der Klimagerechtigkeit darf die Schweiz die knappe verbleibende Zeit nicht versäumen: Sie muss die eigenen CO2-Emissionen gemäss dem Klimaschutzgesetz reduzieren. Klimaprojekte im Ausland müssen unabhängig davon von der Schweiz mitfinanziert werden.»

 

Für weitere Informationen:
Alliance Sud, Delia Berner, Klimaexpertin, 077 432 57 46, delia.berner@alliancesud.ch

Recherche von Alliance Sud und Fastenaktion über E-Busse in Bangkok
Studie im Auftrag von Caritas Schweiz über Kochofen-Projekt in Peru

 

Artikel

Ein neues Eldorado für die Rohstoffhändler

07.12.2023, Klimagerechtigkeit

In einem Kohlenstoffmarkt, dessen Grenzen absehbar sind, hat sich ein unerwarteter Akteur selbst zu den Verhandlungen eingeladen: Rohstoffhändler haben jüngst ihren CO2-Handel intensiviert, ohne dabei ihre Geschäfte mit fossilen Brennstoffen zurückzufahren.

Von Maxime Zufferey

Ein neues Eldorado für die Rohstoffhändler

Der Klimahandel hat auch das Interesse der grössten Emittenten, allen voran der Rohstoffhändler, geweckt.

© Nana Kofi Acquah / Ashden 

Erdgas mit dem Etikett «CO2-neutral» oder Beton mit dem Label «Netto-Null»: Die Liste der scheinbar klimaneutralen Konsumgüter ist in den letzten Jahren immer länger geworden. Der buchhalterische Kniff hinter dem CO2-Ausgleich besteht darin, dass ein Treibhausgase emittierender Akteur – sei es ein Unternehmen, eine Einzelperson oder ein Land –, dafür bezahlt, dass ein anderer Akteur seine Emissionen vermeidet, verringert oder auf null setzt. So können sich Unternehmen nach ihrem Gutdünken auf dem Markt profilieren, indem sie sich ihren Kunden gegenüber als engagierte Klimaschützer präsentieren, ohne dabei ihre eigenen Emissionen zu senken. Der freiwillige CO2-Markt, der zwischen einem regelrechten Boom und der jüngsten, durch Greenwashing-Vorwürfe ausgelösten Vertrauenskrise hin- und herpendelt, befindet sich an einem Scheideweg.

Einerseits ist da die wirtschaftliche Realität eines freiwilligen Kohlenstoffmarktes, der sich allein 2021 auf 2 Mrd. USD vervierfacht hat – mit dem Potenzial, bis 2030 auf 50 Mrd. USD anzuwachsen; er hat das Interesse der grössten Emittenten, allen voran der Rohstoffhändler, geweckt. Dieses exponentielle Marktwachstum ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der Privatsektor unter dem Drucksteht, immer mehr «Netto-Null»-Verpflichtungen eingehzugehen, und zum anderen darauf, dass die Kompensation im Gegensatz zur Verringerung des eigenen CO2-Fussabdrucks eine finanzielle und logistische Alternative darstellt. Andererseits häufen sich die vernichtenden Berichte über die mangelhafte Qualität der Projekte des freiwilligen Kohlenstoffmarktes. Darin wird vor der unkontrollierten Entwicklung eines Marktes gewarnt, dessen tatsächliche Auswirkungen auf den Klimaschutz vernachlässigbar bis kontraproduktiv sind. So haben die ETH Zürich und die Universität Cambridge aufgezeigt, dass nur gerade 12% des Gesamtvolumens der bestehenden Gutschriften in den wichtigsten Kompensationsbereichen – erneuerbare Energien, Kochherde und Backöfen, Forstwirtschaft und chemische Prozesse – tatsächliche Emissionsreduktionen bewirken. Die Investigativjournalismus-Plattform Follow the Money berichtete in Bezug auf das South Pole-Vorzeigeprojekt Kariba von massiv überhöhten Zahlen. Das Zürcher Unternehmen kündigte daraufhin seinen Vertrag als Carbon Asset Developer für das Projekt in Simbabwe. Die NGO Survival International erhebte schwere Vorwürfe gegen ein freiwilliges Kompensationsprojekt im Norden Kenias, das auf dem Land indigener Gemeinschaften realisiert wird. Ihre Untersuchung deckte potenziell schwere Menschenrechtsverletzungen auf, die die Lebensbedingungen der Hirtenvölker gefährden.

Was also ist der freiwillige Kohlenstoffmarkt? Eine fehlkonzipierte Marketinglösung und gefährliches Blendwerk, das von der dringenden Notwendigkeit transformativer Klimaschutzmassnahmen des Privatsektors ablenkt? Oder eine echte Geschäftsmöglichkeit zur Unterstützung der Klimaschutzmassnahmen von Unternehmen und eine dringend benötigte milliardenschwere Finanzspritze für Projekte zur Emissionssenkung und zum Schutz der Artenvielfalt in Entwicklungsländern?

CO2-Zertifikate – der Rohstoff der Zukunft

Als Pionierin im bilateralen Handel mit CO2-Zertifikaten unter dem Pariser Abkommen ist die Schweiz eine wichtige Akteurin auf dem Kohlenstoffmarkt, einschliesslich seiner freiwilligen Sparte. Sie ist Herkunftsland des grössten Anbieters von freiwilligen CO2-Zertifikaten, South Pole, und des zweitgrössten Zertifizierers, Gold Standard. Vielleicht noch überraschender ist die Positionierung der Schweizer und insbesondere der Genfer Rohstoffhandelsriesen auf in diesem Markt. Sie sind die Flaggschiffe eines Sektors, der ein Rekordjahr nach dem anderen verbucht. Die neuen Investitionen lassen sich aber auch mit dem Potenzial dieses undurchsichtigen Marktes erklären, erhebliche Margen abzuschöpfen und gleichzeitig beim Emissionsausstoss weiterzumachen wie bisher. Ein Markt, notabene, der weder für Preise noch die Verteilung der Einnahmen aus den CO2-Kompensationen eine Regulierung kennt. Gemäss Hannah Hauman, Leiterin des Kohlenstoffhandels bei Trafigura, ist das Kohlenstoffsegment mittlerweile der grösste Rohstoffmarkt der Welt und hat den Markt für Rohöl bereits überflügelt.

So beschloss Trafigura, einer der grössten unabhängigen Öl- und Metallhändler der Welt, im Jahr 2021 ein eigenes Kohlenstoffhandelsbüro in Genf zu eröffnen und das grösste Projekt zur Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern an der pakistanischen Küste zu lancieren. Ein Jahr später beläuft sich sein Kohlenstoff-Handelsvolumen bereits auf 60,3 Millionen Tonnen. In seinem Jahresbericht von 2022 deklarierte der Genfer Energiehändler Mercuria nicht nur seine CO2-Neutralität, sondern gab überdies an, dass 14,9% seines Handelsvolumens aus CO2-Märkten bestünden, verglichen mit 2% im Jahr 2021. Anfang 2023 kündigte Mercuria-Mitgründer Marco Dunand die Schaffung von Silvania an, einem Investitionsvehikel mit 500 Mio. USD Kapital, das sich auf natürliche Klimaschutzlösungen (Nature-based Solutions / NbS) spezialisiert. Kurz darauf startete er mit dem brasilianischen Bundesstaat Tocantins das erste Programm zur Senkung von Emissionen aus Abholzung und Waldschädigung mit einem Volumen von bis zu 200 Millionen an freiwilligen Kohlenstoffgutschriften. Nichtsdestotrotz stellen Öl und Gas mit fast 70% immer noch das Hauptgeschäft des Unternehmens dar.

Mercurias Nachbar an den Gestaden des Genfersees, Vitol, der weltweit grösste private Ölhändler, blickt auf eine über zehnjährige Erfahrung auf den Kohlenstoffmärkten zurück und gedenkt, seine Aktivitäten in diesem Bereich auszubauen. Das Unternehmen strebt für den Kohlenstoffhandel ein Marktvolumen an, das mit seiner Präsenz auf dem Ölmarkt vergleichbar ist. Diese lässt sich für das Jahr 2022 auf 7,4 Millionen Barrel Rohöl und Ölprodukte pro Tag beziffern, was mehr als 7% des weltweiten Ölverbrauchs entspricht. Weniger transparent kommuniziert der Rohölhändler Gunvor, der in den kommenden Jahren sein CO2-Handelsvolumen ebenfalls erhöhen will; dasselbe gilt für Glencore; der Konzern ist seit vielen Jahren im Bereich von Kompensationszahlungen für die Biodiversität tätig, dem Kern seiner Nachhaltigkeitsstrategie. Glencore schätzte seine Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Jahr 2022 auf 370 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, mehr als das Dreifache des gesamten CO2-Ausstosses der Schweiz.

Diese Unternehmen bezeichnen sich selbst als treibende Kräfte der Transition und beanspruchen für sich, die Entwicklung durch die Integration des CO2-Handels in ihre Portfolios beschleunigt zu haben. Fakt bleibt: Sie verfolgen eine Doppelstrategie mit Investitionen in sowohl kohlenstoffarme als auch fossile Energieträger, wobei die Bilanz immer noch deutlich zugunsten der fossilen ausfällt. Im Übrigen hat noch keiner dieser Rohstoffhändler seine Abkehr von fossilen Brennstoffen angekündigt, was jedoch unerlässlich ist, will man unter dem im Pariser Abkommen verankerten Temperaturanstieg von 1,5°C bleiben. Das Gegenteil ist der Fall: Die Unternehmen setzen zur Erfüllung ihrer Klimaverpflichtungen massiv auf Kompensationsgeschäfte und verfolgen so ihre kurzfristigen Gewinnziele, während sie gleichzeitig den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen weltweit verzögern. Angesichts der fehlenden Regulierung zur Einschränkung der Investitionen in fossile Brennstoffe und klimazerstörende Aktivitäten ist es illusorisch zu glauben, die Rohstoffhandelsbranche könne die Transition herbeiführen und die Ziele seien über den freiwilligen Kohlenstoffmarkt erreichbar. Solange die Unternehmen nicht alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihre eigenen Emissionen zu senken, bleiben naturbasierte Lösungen Greenwashing und die Absichtserklärungen zugunsten der Transition Augenwischerei: Diese Unternehmen geben vor, den Flächenbrand, den sie selbst angefacht haben, zu löschen.

Dubai als Schiedsrichter

An der UN-Klimakonferenz (COP 28), die im Dezember 2023 in Dubai stattfindet, dürften einige Weichen für die Zukunft und die Glaubwürdigkeit des freiwilligen Kohlenstoffmarktes gestellt werden. Dort wird unter anderem über die Umsetzung von Artikel 6.4 des Pariser Abkommens verhandelt, der als einheitlicher Rahmen für einen echten globalen Kohlenstoffmarkt dienen könnte. Die COP wird präsidiert von Sultan Al Jaber, seines Zeichens CEO des elftgrössten Öl- und Gasproduzenten der Welt, der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC); letztere hat soeben ein Kohlenstoffhandelsbüro eröffnet. Eine massive Präsenz am Verhandlungstisch haben ausserdem multinationale Konzerne aus dem Bereich der fossilen Brenn- und Rohstoffe. Die Anforderungen an Transparenz, allgemeingültige Regeln und wirksame Kontrollen im freiwilligen Kohlenstoffmarkt dürften deshalb verwässert werden.

Denn obwohl die Befürworter des freiwilligen Kohlenstoffmarktes einige der derzeitigen Schwächen des Sektors anerkennen, so sind sie doch weiterhin davon überzeugt, dass die verschiedenen Initiativen zur Selbstregulierung wie die Voluntary Carbon Markets Integrity Initiative (VCMI) und die Schaffung von Standards zu einer klaren Abgrenzung von glaubwürdigen Kohlenstoffgutschriftenführen werden. Die Gegner:innen hingegen glauben nicht an die Transformationskraft eines freiwilligen Marktes durch Selbstregulierung. Sie sehen in der Debatte um die CO2-Kompensation ein potenzielles Ablenkungsmanöver, das den Status quo zementiert. Sie plädieren für einen vollständigen Paradigmenwechsel. Der derzeitige Markt für den CO2-Ausgleich nach dem Prinzip «Tonne für Tonne» – d. h. eine Tonne CO2, die irgendwo ausgestossen wird, wird mathematisch durch eine Tonne CO2, die anderswo eingespart wird, ausgeglichen – sollte in einen separaten Markt für Klimabeiträge nach dem Grundsatz «Tonne für Geld» umgewandelt werden, d. h. eine Tonne CO2, die irgendwo ausgestossen wird, wird in Höhe der echten sozialen Kosten einer Tonne Emissionen finanziell internalisiert. Dies wäre ein sinnvolles Instrument als Ergänzung zu quantifizierbaren Reduktionsverpflichtungen – kein Ersatz dafür! Dringend nötig ist auch eine gründliche Sorgfaltspflicht für alle Kohlenstoffprojekte, mit Schutzmechanismen für Menschenrechte und Biodiversität sowie einem wirksamen Beschwerdemechanismus.

Recherche

Neue E-Busse in Bangkok – kein Ersatz für Klimaschutz in der Schweiz

11.12.2023, Klimagerechtigkeit

Die Schweiz feiert das weltweit erste Kompensationsprogramm unter dem Pariser Abkommen, das an die Schweizer Klimaziele angerechnet werden soll. Mit der Kofinanzierung von elektrischen Bussen werden in Bangkok Emissionen reduziert. Eine detaillierte Analyse von Alliance Sud und Fastenaktion legt nahe, dass die Investition in elektrische Busse in Bangkok bis 2030 auch ohne Kompensationsprogramm stattgefunden hätte.

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Neue E-Busse in Bangkok – kein Ersatz für Klimaschutz in der Schweiz

Fussgängerpassarelle über der Rachadamri road in Bangkok, am 11. Oktober 2022.

© KEYSTONE / Markus A. Jegerlehner

Schon seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 ist es für Industriestaaten möglich, den Ausstoss von Treibhausgasen mit Klimaprojekten im Globalen Süden zu kompensieren. Dafür wurde der Clean Development Mechanism (CDM) aufgebaut. Im Windschatten des CDM hat sich der freiwillige Kompensationsmarkt entwickelt, der es beispielsweise Unternehmen erlaubt, «CO2-neutrale» Produkte zu bewerben, ohne die Emissionen tatsächlich auf null zu senken. Beide Mechanismen, der CDM und der freiwillige Mechanismus, sind wiederholt in die Kritik geraten. Studien und Recherchen zeigen, dass sich viele der assoziierten Klimaprojekte nachträglich als weitgehend nutzlos und in einigen Fällen schädlich für die lokale Bevölkerung herausstellten.

Im Pariser Abkommen, Nachfolgeübereinkommen des Kyoto-Protokolls, wurde der CO2-Markt neu definiert und unterschieden zwischen einem zwischenstaatlichen (Artikel 6.2) und einem multilateralen Mechanismus (Artikel 6.4). Gemäss dem Abkommen sind alle Länder verpflichtet, eine möglichst ambitionierte Klimapolitik zu verfolgen. Artikel 6 legt als Zweck der beiden Mechanismen fest, dass diese Zusammenarbeit höhere Ambitionen erlauben soll. In anderen Worten, durch den Handel mit Emissionszertifikaten soll es Ländern ermöglicht werden, ihre Emissionen rascher zu reduzieren. Die Schweiz hat diesen Ansatz des bilateralen Zertifikathandels bereits in den Verhandlungen massgeblich vorangetrieben und ist nun auch an vorderster Front bei der Operationalisierung dabei. Mit elf Partnerstaaten hat die Schweiz bereits ein bilaterales Abkommen unterzeichnet, drei weitere Abkommen sollen an der COP28 in Dubai unterzeichnet werden.

Art. 6 Pariser Abkommen

1 Die Vertragsparteien erkennen an, dass sich manche von ihnen für eine freiwillige Zusammenarbeit bei der Umsetzung ihrer national festgelegten Beiträge entscheiden, um sich für ihre Minderungs‑ und Anpassungsmassnahmen höhere Ambitionen setzen zu können und um die nachhaltige Entwicklung und die Umweltintegrität zu fördern.
[...]

 

Innenpolitisch interpretieren der Bundesrat und die bürgerliche Mehrheit des Parlaments diese Möglichkeit als Freipass, das von der Schweiz eingereichte Ziel, ihre Emissionen bis 2030 um 50% zu reduzieren, gar nicht im Inland zu erreichen. Sprich, die Möglichkeit, Zertifikate zu kaufen, wird nicht genutzt, um höhere Ziele zu erreichen. Das ist bei der aktuellen Revision des CO2-Gesetzes besonders deutlich zu sehen, denn es sieht für den Zeitraum von 2025-2030 auffällig wenig Emissionsreduktionen in der Schweiz vor (siehe Wirkungsabschätzung des Bundes). Mit der Weiterführung bisher geltender Massnahmen wird bis 2030 eine Reduktion um 29% gegenüber 1990 erwartet. Das neue CO2-Gesetz soll gemäss Vorschlag des Bundesrats nur zu einer weiteren Reduktion um 5 Prozentpunkte führen, also zu minus 34% gegenüber 1990. Das ist im europäischen Vergleich sehr wenig. Damit die Schweiz auf dem Papier dennoch ihr 50%-Reduktionsziel erreichen kann, wird sie in diesem Zeitraum mehr als zwei Drittel der zusätzlich benötigten Reduktion (15% der Emissionen von 1990) in Form von Zertifikaten von Partnerstaaten abkaufen. Die Partnerstaaten müssen in ihrer Treibhausgasbilanz auf den Ausweis der erfolgten Emissionsreduktionen verzichten. Der Ständerat hat sich als Erstrat erlaubt, im CO2-Gesetz die bereits schwachen Ambitionen des Bundesrats im Inland noch weiter abzuschwächen, nämlich auf weniger als 4 Prozentpunkte zusätzliche Reduktion in fünf Jahren. Er erhöht damit den Druck, dass in der kurzen Zeit bis 2030 genügend Zertifikate in den Partnerländern bereitgestellt werden, welche hohe Qualitätsanforderungen zu erfüllen haben. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigen nicht zuletzt die eingangs erwähnten Probleme, die bereits im CDM und im freiwilligen CO2-Markt ans Licht gekommen sind.

Die Schweiz hat seit November 2022 drei Kompensationsprogramme bewilligt. Zwei Programme wurden vom UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP) entwickelt. Das erste soll den Methanausstoss beim Reisanbau in Ghana verringern und das zweite dezentrale Mini-Solaranlagen auf abgelegenen Inseln von Vanuatu fördern. Beide sollen der freiwilligen Kompensation von Emissionen der Bundesverwaltung dienen.

Das dritte bewilligte Programm ist das weltweit erste Programm unter dem Pariser Abkommen, das Emissionsreduktionen den Reduktionszielen eines anderen Staates, nämlich der Schweiz, anrechnen soll: das “Bangkok E-Bus Programm”. Das Programm wurde von der Stiftung KliK  in Auftrag gegeben und wird von South Pole in Partnerschaft mit dem thailändischen Unternehmen Energy Absolute, das zu einem Viertel der UBS Singapur gehört, entwickelt. Es dient der Elektrifizierung öffentlich lizenzierter Busse in Bangkok, die vom privaten Unternehmen Thai Smile Bus betrieben werden. Die Zusatzfinanzierung durch den Verkauf der Zertifikate an die Stiftung KliK in der Schweiz soll die Preisdifferenz zwischen herkömmlichen und elektrischen Bussen decken, da die Investition in neue elektrische Busse für private Investoren finanziell nicht lohnenswert sei und darum nicht stattfinden würde. Durch den Ersatz alter Busse und den Betrieb von einigen neuen Buslinien sollen von 2022 bis 2030 insgesamt 500’000 Tonnen CO2 eingespart werden. Im Herbst 2022 startete der Betrieb der neuen Busse.

Alliance Sud und Fastenaktion haben die öffentlich verfügbaren Dokumente zum Bangkok-E-Bus-Programm analysiert und dabei Mängel bei der Zusätzlichkeit des Programms sowie bei der Qualität der bereitgestellten Informationen festgestellt. Sie verstärken die Bedenken, dass der Kauf von Kompensationszertifikaten kein gleichwertiger Ersatz für inländische Emissionsreduktionen darstellt. Grundsätzlich widerspricht der Ansatz des Zertifikatehandels dem Prinzip der Klimagerechtigkeit, wonach die hauptverantwortlichen Länder ihre Emissionen so rasch wie möglich reduzieren müssen.

KliK

Die Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK gehört den Schweizer Treibstoffimporteuren. Diese sind durch das CO2-Gesetz verpflichtet, dem Bund jeweils Ende Jahr für einen Teil der Treibstoffemissionen Kompensationszertifikate aus dem Inland oder Ausland abzugeben. KliK entwickelt mit Partnern zu diesem Zweck Programme, über die sie Zertifikate kaufen können.

 

Mängel bei der Zusätzlichkeit

Eine zentrale Voraussetzung, damit die Reduktion einer Tonne CO2 andernorts ein gleichwertiger Ersatz für die eigene Reduktion sein kann, ist die Zusätzlichkeit. Das heisst, die emissionsmindernde Aktivität, wie beispielsweise der Ersatz von Diesel- mit E-Bussen, hätte ohne das zusätzliche Geld durch die Emissionszertifikate nicht stattgefunden. Diese Bedingung ist entscheidend, damit ein Klimanutzen gegeben ist. Sie ist auch im CO2-Gesetz verankert. Denn eine gehandelte Tonne CO2 legitimiert gleichzeitig eine Tonne CO2 des Käufers, die er weiterhin ausstösst, aber auf dem Papier angibt, sie reduziert zu haben.

Die Programmverantwortlichen des Bangkok-E-Bus-Programms müssen darum beweisen, dass die öffentlichen Buslinien von privaten Busbetreibern wie Thai Smile Bus ohne das Programm bis 2030 nicht mit elektrischen Bussen betrieben würden. Dabei ist folgendes zu berücksichtigen: Zum einen darf die Elektrifizierung nicht bereits Teil eines von der Regierung geplanten Subventionsprogramms sein, zum anderen darf die Investition auch nicht von privater Seite abgedeckt sein.

Subventionsprogramm: In der offiziellen Programmdokumentation wird dürftig ausgeführt, weshalb die Regierung keine Subventionen für den Ersatz alter Busse, welche auch erheblich zur lokalen Luftverschmutzung beitragen, mit E-Bussen spricht. Die Förderung von Elektromobilität sowie von Energieeffizienz im Verkehrssektor im Allgemeinen gehört gemäss der Programmdokumentation durchaus zu den Regierungsplänen. Aber es erhielten nur die öffentlichen Busbetreiber Subventionen, nicht die privaten Busbetreiber – die Zielgruppe des Programms also. Weshalb die öffentlichen Subventionen nur für die öffentlichen Betreiber reichen, bleibt unklar. Mit keinem Wort erwähnt werden zudem thailändische Subventionen (vor allem Steuervorteile) für private Investitionen, unter anderem für die Herstellung von Batterien und E-Bussen, von denen die Firma Energy Absolute ebenfalls profitiert.

Investitionsentscheid: Um zusätzlich zu sein, muss der Projekteigner darlegen, dass ohne die Emissionsfinanzierung kein positiver Investitionsentscheid gefällt werden könnte. In der Programmdokumentation wird dafür eine Rechnung präsentiert, die beweisen soll, dass die private Investition ohne die Zusatzfinanzierung aus dem Zertifikateverkauf nicht rentiert und daher auch nicht stattgefunden hätte. Der Verkaufserlös soll die über die gesamte Lebensdauer gerechnete Preisdifferenz zwischen der Neuanschaffung von herkömmlichen Bussen und der Neuanschaffung von E-Bussen decken. Nur: Die Preisdifferenz sowie deren Herleitung ist nicht in der offiziellen Dokumentation aufgeführt. Auf Nachfrage bei KliK wird keine detaillierte Auskunft gegeben, sie sei «Teil des verhandelten Vertrags zur finanziellen Unterstützung des E-Bus-Programms», sprich Privatsache zwischen KliK und Energy Absolute. Das zentrale Argument, weshalb das Programm zur Finanzierung der E-Busse nötig ist, kann also nicht überprüft werden. Die Zusätzlichkeit ist deshalb bestenfalls intransparent, schlimmstenfalls nicht gegeben. Bemerkenswert ist das Argument mit der Preisdifferenz aber auch, weil Energy Absolute als investierender Konzern auf grüne Technologien spezialisiert ist. Es würde der Firma daher kaum einfallen, in die Beschaffung von Bussen mit Verbrennermotoren zu investieren. Hingegen ist plausibel, dass eine grössere Investition in E-Busse in den nächsten Jahren so oder so stattgefunden hätte, denn bereits vor Programmbeginn 2022 setzte Thai Smile Bus auf Bangkoks Strassen E-Busse ein, wie neben mehreren Online-Medienberichten auch ein Twitter-Eintrag mit Foto beweist (s. Abbildung). Es muss also bereits vor dem Bangkok E-Bus Programm Finanzierungswege für E-Busse gegeben haben. Dies ist ein klarer Widerspruch zur Aussage, die Elektrifizierung von E-Bussen in Bangkok würde ohne das Kompensationsprogramm nicht stattfinden. Im Minimum müsste die Problematik in der Programmdokumentation detailliert aufgeführt und erläutert sein, weshalb das Programm trotzdem als zusätzlich betrachtet wird.

Ein Twitter-Eintrag einer Zulieferfirma vom 13.10.2021 beweist, dass Thai Smile Bus bereits ein Jahr vor Programmstart E-Busse in Betrieb hatte.

Fehlende Transparenz und Qualität der öffentlich zugänglichen Informationen

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) veröffentlicht auf seiner Website nach Genehmigung eines Programms durch beide beteiligten Staaten die Programmdokumentation. Darin wird die angewendete Methodik zur Berechnung der erwarteten Emissionsreduktionen erklärt und dargelegt, wie die Zusätzlichkeit sichergestellt werden soll. Ebenso wird die Programmlogik erläutert und auf weitere Aspekte, beispielsweise die positive Auswirkung auf die UN-Nachhaltigkeitsziele, eingegangen. Dadurch soll das Programm für Aussenstehende nachvollziehbar werden. Ein ebenfalls zugänglicher Prüfbericht eines unabhängigen Beratungsbüros bestätigt die Informationen der Programmdokumentation. Aufgrund dieser Dokumente prüfen das BAFU sowie die thailändischen Behörden das Programm und genehmigen es anschliessend. Die Genehmigung der Schweiz wird ebenfalls veröffentlicht.

Im Fall des Bangkok-E-Bus-Programms bleiben entscheidende Aspekte intransparent. Erstens wird in der Programmdokumentation auf ein Excel-Dokument verwiesen, in dem die erwarteten Emissionsreduktionen berechnet werden – das Berechnungsdokument ist aber nicht veröffentlicht. Alliance Sud hat es auf Nachfrage erhalten und sieht keinen Grund, der gegen eine Veröffentlichung sprechen würde. Zweitens werden entscheidende Aspekte wie der Preis der Zertifikate und der Umfang der benötigten Finanzierung im privaten Vertrag zwischen Energy Absolute und der Stiftung KliK verhandelt. KliK schreibt dazu: «Die kommerziellen Aspekte sind vertraulich.» Auch die vertraglichen Bedingungen zwischen dem Programmeigner Energy Absolute und dem Busbetreiber Thai Smile Bus bleiben privat. Das führt zur oben diskutierten Intransparenz bei der Zusätzlichkeit. Nicht einmal das BAFU, welches die Zusätzlichkeit des Programms überprüfen muss, kann die Informationen aus den privaten Verträgen zu diesem Zweck einsehen. Das BAFU bestätigt auf Anfrage von Alliance Sud, dass die Verträge nicht zur Projektdokumentation gehören.

Bei den Informationen in der öffentlichen Programmdokumentation sind zudem Mängel in der Qualität festzustellen. Einige Beispiele:


●    Die Rollen und Kompetenzen der involvierten Akteure bleiben teilweise unklar. Die Investition wird von Energy Absolute getätigt, obwohl Thai Smile Bus die Busse benötigt. Nicht erwähnt wird, dass das Firmengeflecht von Energy Absolute nicht nur erneuerbare Energien, Batterien und Ladestationen herstellt, sondern auch an der Herstellerfirma der E-Busse beteiligt ist – und, wie Internetrecherchen zeigen, zeitgleich mit dem Programmstart in die Firma Thai Smile Bus eingestiegen ist. Die längerfristigen Vorteile einer solchen Investition für den finanziell erfolgreichen Konzern Energy Absolute werden nicht diskutiert.

●    Es gibt widersprüchliche Angaben zum Umfang des Programms. Die Programmdokumentation spricht von max. 500’000 t CO2, die reduziert werden sollen, wofür mindestens 122 Buslinien elektrifiziert werden (mind. 1900 Busse). Einige Seiten weiter steht jedoch, die Finanzierung durch die Zertifikate werde für die ersten 154 E-Busse benötigt, welche auf 8 Linien fahren und einen Bruchteil der erwarteten CO2-Emissionen reduzieren. Auch die Berechnung der Investitionsrendite erfolgt nur für 154 E-Busse. KliK schreibt auf Anfrage jedoch, dass der Preis der Zertifikate die Finanzierungslücke für alle E-Busse im Rahmen des Programms decke, nicht nur für die ersten 154.

●    Es werden Versprechen gemacht, die schwer einzuhalten sind. Beispielsweise soll der Schadstoffgrad von PM2.5 in der Luft überwacht werden, um die Verringerung der Luftverschmutzung durch die alten Busse zu messen. Der positive Nebeneffekt, dass E-Busse die Luft nicht verschmutzen, ist korrekt, aber selbst wenn sich die Luftverschmutzung messbar verringern würde, braucht es grossen Aufwand, um das kausal auf die Aktivitäten dieses Programmes zurückzuführen. Im Programmdokument ist ein solches Vorgehen nicht erläutert.

●    Die «Pionierleistung» des Programms wird aufgebauscht. Die thailändische Öffentlichkeit werde in eine neue Technologie eingeführt, steht da beispielsweise, obwohl es bereits vorher von derselben Firma E-Busse auf Bangkoks Strassen gab. Die KliK-Website enthält klare Falschaussagen: «In Thailand werden derzeit keine Elektrobusse im Linienverkehr als öffentliches Verkehrsmittel eingesetzt. Dies liegt an der fehlenden Infrastruktur und den mangelnden Produktionskapazitäten für E-Busse und Batterien. Dieses Programm ist daher ein einzigartiges Unterfangen, um Thailand auf dem Weg zu einer dekarbonisierten Wirtschaft zu unterstützen.»

 

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Busstop an der Rachadamri road in Bangkok.
© KEYSTONE/Markus A. Jegerlehner

Fazit: Kompensationszertifikate sind kein Ersatz für inländische Emissionsreduktionen

Der Umstieg auf E-Busse in Bangkok ist an sich eine wichtige und gute Entwicklung. Die Schweiz ist aber ein eindrückliches Beispiel dafür, dass der partnerschaftliche Mechanismus aus Artikel 6 des Pariser Abkommens nicht für höhere Ambitionen und mehr Klimaschutz genutzt wird. Das Ziel der Schweiz, ihre Emissionen bis 2030 um 50% gegenüber 1990 zu reduzieren, ist weniger ambitioniert als dasjenige der EU (-55%) – und die EU setzt dafür nicht auf Auslandkompensationen, sondern verhandelt politische Reformen zugunsten einer raschen Dekarbonisierung in Europa. In der Schweiz haben der Bundesrat und die Parlamentsmehrheit nach der verlorenen Abstimmung zum CO2-Gesetz im Jahr 2021 zu leichtfertig jegliche Ambition zur Emissionsreduktion im Inland aufgegeben. Das starke Zurückgreifen auf die Klimakompensation ist nicht Ausdruck von technischen Herausforderungen bei der Umsetzung der Schweizer Klimapolitik – im Gegenteil, die Schweiz verzögert mögliche inländische Massnahmen, sodass später umso schnellere Reduktionen nötig werden. Die Kompensation im Ausland ist ein politischer Entscheid der bürgerlichen Mehrheit in Regierung und Parlament, obwohl viele zusätzliche Massnahmen in der Schweiz wohl auch von der Bevölkerung mehrheitlich akzeptiert würden. Der Marktmechanismus in Artikel 6 kann die Erreichung der Pariser Klimaziele gefährden, weil dies kurzfristig der einfachste Weg für ein wohlhabendes Land ist, seine Ziele auf dem Papier zu erfüllen. Somit wird der eigentliche Zweck der Pariser Marktmechanismen, zur Steigerung der Klimaambitionen beizutragen, ad absurdum geführt.

Dieser Weg ist unter dem Blickwinkel der Klimagerechtigkeit umso störender, als die Klimakrise die vulnerabelsten Menschen weltweit am härtesten trifft. Diesen Menschen und auch den künftigen Generationen ist es die Schweiz schuldig, so schnell wie möglich die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Der Weltklimarat hat betont, dass zur Erreichung der Pariser Klimaziele die Welt bis Mitte des Jahrhunderts bei netto null Emissionen sein muss. In einer Netto-Null-Welt gibt es keinen Platz für substantiellen Handel mit Emissionsreduktionszertifikaten. Die Schweizer Politik des Zukaufs von solchen Zertifikaten ist somit eine unnötige und ungerechte Verzögerung von dringend notwendigen Schritten bei uns in der Schweiz. Diese Ungerechtigkeit beklagen auch zivilgesellschaftliche Organisationen in Ländern des Globalen Südens.

Letztlich zeigt diese Analyse wie ähnliche journalistische Recherchen zu anderen Programmen auch, dass Kompensationsprogramme keine Garantie bieten können, tatsächlich zusätzliche Emissionen zu reduzieren. Zertifikate zu kaufen ist auf keiner Ebene ein gleichwertiger Ersatz für Emissionsreduktionen im Inland.

 

Weiterführende Informationen zum Thema:

Artikel in "Das Magazin"

Studie der Caritas

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Artikel

Klimakosten lassen sich nicht wegzaubern

09.12.2019, Klimagerechtigkeit

Die Schweiz will ihren viel zu grossen Pro-Kopf-Klimafussabdruck im Ausland kompensieren. Das ist moralisch fragwürdig, ökonomisch kurzsichtig und zur Lösung der Klimakrise so wenig nachhaltig wie die propagierte grossflächige Aufforstung im Süden.
Klimakosten lassen sich nicht wegzaubern
Auf dem zum pazifischen Inselstaat Kiribati gehörenden Atoll Tarawa werden Mangroven gegen den steigenden Meeresspiegel gepflanzt.
© Vlad Sokhin / Panos

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

Die Fakten sind klar: In seinem Sonderbericht vom Herbst 2018 legte der Weltklimarat IPCC dar, dass ein Überschiessen der globalen Erhitzung um mehr als 1.5° Celsius nur verhindert werden kann, wenn weltweit noch höchstens 420 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente (CO2eq) in die Atmosphäre gelangen. Wenn dieses «Restbudget» ausgeschöpft ist, muss jede zusätzlich ausgestossene Tonne CO2eq der Atmosphäre wieder entzogen werden. Rein rechnerisch müssten die Emissionen gegenüber heute jedes Jahr um netto 5% abnehmen. Damit könnte der globale Treibhausgas-Ausstoss bis 2030 auf die Hälfte, bis 2040 auf «netto null» abgesenkt werden.

Im August 2019 reihte sich die Schweiz unter jenen Ländern ein, die ihren Treibhausgas-Ausstoss auf «netto null» senken wollen. Bis spätestens 2050 sollen demnach unter dem Strich keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Mit welchen Massnahmen die Schweiz klimaneutral werden soll, insbesondere wie sie etwa nicht reduzierbare Emissionen aus der Landwirtschaft kompensieren will, liess der Bundesrat offen. Stattdessen setzt er weiterhin auf CO₂-Kompensation im Ausland. Sollte das Parlament diesen Kurs weiterhin stützen, würde die Schweiz auf eine Reihe von groben hausgemachten Problemen zusteuern.

Völkerrechtlich ist bis heute unklar, wie grenzüberschreitende Kompensationsprojekte ab Inkrafttreten des Pariser Klimaübereinkommens 2021 geregelt werden sollen. Zwar sieht das Abkommen in Artikel 6 die Möglichkeit vor, dass Vertragsstaaten ihre erzielten Emissionsreduktionen über Zertifikate untereinander austauschen respektive handeln können. Die Details, wie die sogenannten Internationally Transferred Mitigation Outcomes (ITMO) zustande kommen und korrekt abgerechnet werden sollen, sind Gegenstand des letzten noch nicht verabschiedeten Kapitels im Pariser Regelbuch. Dort muss sichergestellt werden, dass jede gehandelte Tonne tatsächlich einer aus Sicht der Atmosphäre reduzierten Tonne CO2eq entspricht und auch nicht doppelt, einmal im Käufer- und einmal im Verkäuferland, angerechnet werden kann.

Ökonomischer Trugschluss

Die angepeilte Halbierung der Schweizer Inlandemissionen bis 2030 soll gemäss Bundesrat und Parlament nur zu drei Fünfteln durch Reduktionsmassnahmen im Inland erzielt werden. Den Rest will die Schweiz, übrigens als eines von ganz wenigen reichen Ländern, über den Zukauf von ITMOs «kompensieren». Dementsprechend setzt sich die Schweiz an vorderster Front ein für einen baldigen Abschluss der Kompensationsregelung im Pariser Klimaübereinkommen.

Auf den ersten Blick ist es verlockend, Emissionen im Ausland zu kompensieren, denn vorläufig ist das noch günstiger. Auf den zweiten Blick drängt sich jedoch die Frage auf, wieso jährlich steigende Mittel für den Zukauf ausländischer Emissionsreduktionszertifikate eingesetzt werden sollen, statt mit diesen Millionen die Umstellung der inländischen Infrastruktur auf emissionsfreie Technologien voranzutreiben. Es ist simple Logik, dass die Auslagerungsstrategie über kurz oder lang scheitern muss: Weil alle Länder ihre Emissionen auf netto null reduzieren müssen, werden ausländische Emissionszertifikate schnell zur Mangelware. Nachdem die low-hanging fruits geerntet sind wird bald kein Land mehr bereit sein, seine mit zunehmendem Aufwand erzielten Fortschritte Richtung Klimaneutralität günstig abzugeben. Die Schweiz wird also nicht darum herumkommen, ihre eigenen Emissionen doch auch zu eliminieren; und zwar unabhängig davon, ob wir zuvor Reduktionen im Ausland bezahlt haben oder nicht.

«Negativemissionen» und Aufforstung

Möglich bleibt, nicht reduzierte Treibhausgasemissionen mittels sog. «Negativemissionen» zu kompensieren; also überschüssige Treibhausgase (v.a. CO2) aus der Atmosphäre einzufangen und langfristig wieder im Boden oder in Biomasse einzulagern. Dafür werden bereits hochtechnische Ansätze getestet, deren Praktikabilität, Wirtschaftlichkeit und Skalierbarkeit jedoch erst noch geklärt werden müssen. Zukunftsweisender scheint dagegen der Weg über die Produktion von Pflanzenkohle als Nebenprodukt aus der Energiegewinnung aus Holz oder Biomasseabfällen. Denn Pflanzenkohle lässt sich mit nachweislich positiven Effekten über Jahrzehnte in landwirtschaftliche Böden einarbeiten.

Im Zentrum der Debatte stehen die «grünen» Ansätze zur CO2-Einlagerung in Biomasse oder Böden. Das reicht von der (Wieder-)Aufforstung abgeholzter Wälder bis zur Anreicherung von CO2 in Form von Humus in landwirtschaftlichen Böden. Meistens unkritisch wird die Aufforstung als ein zentraler Lösungsansatz der Klimakrise gepriesen. Während sich selbst die Fachwelt noch uneinig ist, wie gross das Absorptionspotential von neu aufgeforsteten Wäldern unter dem Strich tatsächlich ist, gilt es auch entwicklungspolitische Einwände zu berücksichtigen. So stellt sich schon aus moralischer Sicht die Frage, mit welcher Rechtfertigung reiche Länder mit einem weit überdurchschnittlichen Pro-Kopf-Klimafussabdruck Entwicklungsländer als Ausweichstandort für versäumte eigene Klimamassnahmen ins Visier nehmen. Es kann nicht sein, dass wir nicht bereit sind, unseren Lebensstil ernsthaft zu überdenken und gleichzeitig fordern, dass die dadurch verursachten Emissionen fernab von zuhause eingespart werden sollen. Ganz zu schweigen von komplexen Fragen wie jener, wo genau denn in grossem Stil überhaupt neue Wälder angepflanzt werden sollen. Wie kann die Vertreibung von Menschen zwecks Weideraufforstung gerechtfertigt sein, selbst wenn deren mittlerweile landwirtschaftlich genutzten Böden ursprünglich einmal Waldflächen waren? Es ist klar: Gerade «grüne» Klimaprojekte müssen den Nachhaltigkeitskriterien der Agenda 2030 standhalten; die Einhaltung demokratischer Mitsprache und der Menschenrechte der betroffenen Bevölkerungen muss gewährleistet sein.

Das meint Alliance Sud

Um Missverständnissen vorzubeugen: Gegen wirksame, nach den Prinzipien guter internationaler Zusammenarbeit durchgeführte Klimaprojekte ausserhalb der Schweiz ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Das Pariser Klimaübereinkommen fordert explizit die Unterstützung von Entwicklungsländern im Kampf gegen die Klimakrise. Dazu gehören aber neben Emissionsreduktions- auch Anpassungsmassnahmen an die Klimaveränderung, die längst eingesetzt hat.

Genau darin liegt der Sinn und Zweck der internationalen Klimafinanzierung, an der sich die Schweiz mit jährlich mindestens 1 Milliarde Franken beteiligen muss (siehe dazu global #75/2019). Im Gegensatz zur vermeintlichen «Kompensation» der verfehlten eigenen Klimaschutzanstrengungen sollen Projekte der internationalen Klimafinanzierung zusätzlich dazu stattfinden und direkt auf den unmittelbaren Nutzen für die lokale Bevölkerung abzielen.

Für Alliance Sud ist es ein Irrweg, mit Millionen ausserhalb unserer Landesgrenzen billige Reduktionsbescheinigungen einzukaufen. Stattdessen sollten diese Gelder für uneigennützige, wirksame Reduktionsmassnahmen und zum Schutz der Bevölkerungen im globalen Süden gegen die fortschreitende Klimakrise zur Verfügung stehen. Was uns allerdings noch nicht von der Verpflichtung entbindet, gleichzeitig unseren eigenen Klimafussabdruck zu reduzieren.

Auf Negativemissionen und rein rechnerische «Klimaneutralität» zu setzen, schiebt unausweichliche Klimamassnahmen im Inland nur hinaus. Die Auslagerungsstrategie ist nicht nur unsicher, sie ist auch moralisch fragwürdig und ökonomisch kurzsichtig. Vor allem aber zementiert sie eine egoistische Klimapolitik, die unseren verheerenden Lebensstil auf Kosten der bereits heute notleidenden Bevölkerung des globalen Südens unhinterfragt lässt.

Meinung

Die Lösung wächst nicht im Reisfeld

06.12.2022, Klimagerechtigkeit

Die Schweiz setzt mit Ghana das weltweit erste ausländische Klimaschutzprojekt unter dem Pariser Klimavertrag von 2015 um. Doch dieses schiesst am Ziel vorbei.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Die Lösung wächst nicht im Reisfeld

© Dr. Stephan Barth / pixelio.de

Der Klimazirkus auf dem afrikanischen Kontinent hat seine Zelte wieder abgebrochen. Zwar gibt es jetzt endlich einen Fonds für Loss & Damage (Schäden & Verluste). Wie er ausgestaltet und vor allem wie er gefüllt werden soll, ist aber noch völlig offen. Insgesamt bleibt als Fazit der COP 27: «Gut, dass wir darüber geredet haben», also reden wir über etwas anderes.

Gleich zu Beginn der Konferenz, hat die «New York Times» der Schweiz mit einem kritischen Artikel über deren Ausland-Kompensationen die Suppe versalzen. Fünf Tage später wurde nämlich das erste Projekt vorgestellt, das im Rahmen eines bilateralen Klimaschutzabkommens zwischen Ghana und der Schweiz durchgeführt wird. Um die Emissionen der Bundesverwaltung zu kompensieren, sollen Reisbauern in Westafrika ihre Felder nicht mehr permanent fluten. Damit sollen die Methan-Emissionen reduziert werden. Dieses vom UNO-Entwicklungsprogramm durchgeführte Projekt mag durchaus sinnvoll sein, es zielt aber an den wichtigsten Herausforderungen zur Reduktion von Treibhausgasen in Afrika vorbei.

600 Millionen Menschen in Afrika sind ohne elektrische Energie und zwei Drittel des Stroms werden heute mit fossilen Brennstoffen produziert. Doch dezentrale, verlässliche und CO2-freie Elektrifizierung ist möglich: Wenn schon, dann sollte das Geld des Ablasshandels mit Emissionszertifikaten dafür verwendet werden.

Die UNO-Organisation für Handel und Entwicklung hat vor der Klimakonferenz auf eine noch viel grössere Herausforderung hingewiesen: Ein Fünftel der Länder in Sub-Sahara Afrika ist von Erdölexporten abhängig. Andere Länder könnten ebenfalls fossile Lagerstätten ausbeuten. Die Demokratische Republik Kongo etwa versteigert gerade neue Konzessionen; und so lange die USA Erdgas und Australien Kohle fördern, fehlt dem Norden jegliche Legitimität, dem bitterarmen Land Verzicht zu predigen. «Leave it in the ground» hat einen Preis und den kann nicht Afrika stemmen.

Gigantische Summen sind zudem nötig, damit die heutigen Exporteure auf ihre Haupteinnahmequelle verzichten können. Umso wichtiger wäre es, die verbleibenden Öleinnahmen für diese Transition zu verwenden, doch bisher haben Korruption, Veruntreuung und Misswirtschaft dazu geführt, dass ein grosser Teil davon verschwendet wurde. Hier steht die Schweiz in der Verantwortung, wie Anfang November einmal mehr ein Gerichtsurteil gezeigt hat: Glencore-Mitarbeiter flogen mit Koffern voll Bargeld kreuz und quer durch Afrika, um an Öl zum Schnäppchenpreis zu kommen. Es braucht eine Regulierung des Rohstoffhandels, um diese Mitverantwortung der Schweiz am Rohstoff-Fluch zu stoppen. Damit könnte Bundesbern Afrika sehr, sehr viel mehr Mittel zur Verfügung stellen als durch den Kauf von Emissionszertifikaten aus Reisfeldern.

Artikel, Global

Gerechtigkeit lässt sich nicht kompensieren

23.03.2023,

Die Schweiz stimmt im Juni über dringende Klimaziele ab. Dabei setzt der Bundesrat für einen Drittel der Emissionsreduktionen bis 2030 auf Kompensationen im Ausland – die Schweiz bezahlt also, damit sie selbst weniger Treibhausgase reduzieren muss.

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Gerechtigkeit lässt sich nicht kompensieren

Nicht ohne Stolz kündigte das Bundesamt für Umwelt (BAFU) während der UNO-Klimakonferenz im November 2022 das «weltweit erste ausländische Klimaschutzprojekt unter dem Pariser Übereinkommen»  an: ein Projekt zur Verminderung des Methan-Ausstosses beim Reisanbau in Ghana. Die Schweiz hat seit 2020 mit elf Staaten  im Globalen Süden bilaterale Abkommen abgeschlossen, um Klimaschutzprojekte zu bezahlen, deren Emissionsreduktionen dann der Schweiz angerechnet werden können. Kompensationsprojekte im Ausland waren bereits unter dem Kyoto-Protokoll möglich. Mit dem Pariser Abkommen, das nicht nur Industriestaaten, sondern neu alle Vertragsstaaten dazu verpflichtet, eine möglichst ambitionierte Klimapolitik zu verfolgen und darüber zu berichten, wurden die Regeln neu definiert.

Die Schweiz nimmt eine Vorreiterrolle in der Umsetzung dieses neuen Marktmechanismus ein, was ihr erlaubt hat, gewisse Standards zu setzen. Gerade für die reiche Schweiz stellen sich aber gewichtige Fragen:

Die Frage der Gerechtigkeit

Die Schweiz hat sich verpflichtet, bis 2030 ihre Emissionen zu halbieren und bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren. Sie gehört zu den Ländern, die mit ihrem hohen Treibhausgasausstoss den Klimawandel weiterhin befeuern; gleichzeitig ist sie finanziell in der komfortablen Lage, mit den Auswirkungen der Klimaerwärmung in der Schweiz umgehen zu können. Im Gegensatz dazu gibt es zahlreiche Länder und Millionen von Menschen, die bis heute fast keine Treibhausgase ausgestossen haben und dennoch viel mehr unter der Klimakrise leiden, weil sie gegenüber den negativen Auswirkungen verletzlicher sind und weniger finanzielle Mittel zur Anpassung oder Behebung von Schäden haben. Aus dieser Perspektive verstösst es gegen die Klimagerechtigkeit, wenn reiche Länder nicht bereit sind, ihre hohen Emissionen rasch im Inland zu reduzieren und auf klimafreundliche Technologien umzusteigen. Stattdessen werden ausländische Kompensationsprojekte als eigene Reduktion ausgewiesen. Dies ist bereits auf internationale Kritik gestossen, beispielsweise von der «New York Times».

Die Schweiz hat durch ihren konsumbasierten Fussabdruck, ihre international tätigen Unternehmen und ihren Finanzplatz sehr wohl eine Mitverantwortung für ausländische Emissionen. Klimaschutzprojekte im Ausland müssten aber zusätzlich zur inländischen Emissionsreduktion finanziert werden – als fairen Anteil an die internationale Klimafinanzierung (s. global 4/22).

Die Frage der Ambitionen

Offiziell sollten die Marktmechanismen unter dem Pariser Abkommen ambitioniertere Reduktionsziele erlauben, da diese billiger zu erreichen sind und so zusätzliche Emissionen reduziert werden können. Das Kostenargument kann für ein Land mit hohem Treibhausgasausstoss, das Zertifikate kauft, kurzfristig stimmen. Für das Partnerland kann es umgekehrt aber bedeuten, dass die günstigsten Möglichkeiten, Treibhausgase zu reduzieren, mit dem Zertifikate-Verkauf vergeben werden. Für die Erreichung der eigenen Klimaziele bleiben dann später die teureren und komplexeren Massnahmen übrig, wie bereits das New Climate Institute analysiert hat. Entscheidend für ambitioniertere Ziele ist, dass ein Projekt zusätzlich zu anderweitig geplanten Klimaschutzprojekten stattfindet und nicht ein anderes ersetzt. Das ist in vielen Fällen schwierig nachzuweisen. In Bezug auf die Schweizer Ambitionen bedeutet es, dass die Kompensation nur dann einen zusätzlichen Nutzen hat, wenn es nicht möglich ist, die entsprechenden Treibhausgase in der Schweiz zu reduzieren. Angesichts der sehr schwachen Schweizer Klimaschutzmassnahmen muss die politische Absicht, die Halbierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 nicht vollständig im Inland umzusetzen, als Verweigerung einer ambitionierteren Klimapolitik angesehen werden. Im Fall der Schweiz können Auslandkompensationen daher nicht als zusätzliche Ambition bezeichnet werden.

Die grosse Frage ist, was mit den Ambitionen der Marktteilnehmenden passiert, wenn viele Länder in diesen Markt einsteigen. Die einfache Möglichkeit, billige Zertifikate zu erwerben, kann reiche Klimasünder dazu bringen, bei den eigenen Klimazielen für das Inland nachlässig zu werden. Umgekehrt können sich die Ambitionen gewisser Partnerländer in Bezug auf ihre eigenen Klimaziele kaum erhöhen, wenn Klimaschutz für sie finanziell nur umsetzbar ist, indem sie ihre Emissionsreduktionen verkaufen. Dies umso mehr, als einige Partnerländer der Schweiz gemäss des Internationalen Währungsfonds (IWF) unter hohen Schulden leiden. Letztlich fördert die Schweiz damit ein gefährliches Experiment mit Risiken auf Kosten des globalen Klimas.

Die Frage der Qualität

Damit die Emissionsverminderungen eines Klimaschutzprojektes, basierend auf dem bilateralen Abkommen, auf die Schweiz übertragen werden können, muss das Projekt qualitative Anforderungen erfüllen. Neben der zuvor erwähnten Zusätzlichkeit sowie der nachgewiesenen Treibhausgasreduktion muss ein Projekt zur nachhaltigen Entwicklung vor Ort beitragen. Es sollte zudem das Partnerland dabei unterstützen, sich neue Technologien anzueignen. Gewisse Kategorien von Projekten werden in dieser Logik von vornherein ausgeschlossen, z. B. wenn die Partnerländer selbst in der Lage sind, sie umzusetzen (sogenannte «low-hanging fruits»). Diese Qualitätskriterien sind sehr wichtig. Deren Einhaltung kann aber unter Druck geraten, wenn ein grosser Bedarf seitens der Schweiz und anderer Staaten besteht, günstige Kompensationszertifikate zu kaufen. In dieser Hinsicht zentral sind der Einbezug der lokalen Bevölkerung und hinreichende Beschwerdemöglichkeiten. Für das BAFU wird es schwierig sein, die Qualität dieser Projekte zu kontrollieren, wenn deren Anzahl anschwillt und die Projekte über die ganze Welt verteilt sind.

Letztlich gehören all diese Fragen zur globalen Klimagerechtigkeit. Die Schweiz darf sich nicht hinter Auslandkompensationen verstecken, um die eigene Umstellung auf eine klimafreundliche Zukunft zu verzögern. Erst recht dürfen Kompensationsprojekte nicht pauschal als gute Sache abgenickt, sondern müssen zusammen mit den Menschen im Globalen Süden bewertet werden. Eine ambitionierte Klimapolitik in der Schweiz dürfen sie aber nie ersetzen. Umso wichtiger ist es daher, am 18. Juni mit einem «Ja» für das Klimaschutz-Gesetz den Weg dafür zu ebnen.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.