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Weltbank-Reform: Zurück in die Zukunft?
01.07.2025, Entwicklungsfinanzierung, Klimagerechtigkeit
An der UNO-Konferenz in Sevilla steht auch die zukünftige Ausrichtung der internationalen Finanzinstitutionen im Zentrum der Diskussionen. Die Entwicklung der Weltbank bleibt allerdings weit entfernt von der dringend benötigten Revolution.

Die Idee, in grossem Stil privates Kapital anzuziehen, um Strassen, Krankenhäuser und andere dringend benötigte Infrastrukturprojekte in den ärmsten Ländern zu finanzieren, erwies sich auch bei der Weltbank als Illusion. © Shutterstock
Im Jahr 2015 stellte die Weltbank ihre neue Strategie und Vision vor: den «Forward Look – A Vision for the World Bank Group in 2030». In diesem Zusammenhang entstand auch der «Maximize Finance for Development»-Ansatz. Ziel war es, die Mobilisierung privater Finanzmittel für Entwicklungszwecke deutlich zu steigern – unter anderem durch sektorale und politische Reformen, den verstärkten Einsatz von Garantien sowie Instrumente zur Risikominderung. In den kommenden Jahren fand dieser Ansatz unter dem Schlagwort «Von Milliarden zu Billionen» (from billions to trillions) Einzug in die breitere entwicklungspolitische Debatte. Im Jahr 2023 initiierte die Weltbank mit der sogenannten «Evolution Roadmap» einen neuen strategischen Reformprozess. Dieser zielt darauf ab, die Institution mehr auf die Bewältigung verschiedener globaler Herausforderungen – insbesondere den Klimawandel – auszurichten und somit auch ihre Glaubwürdigkeit zu stärken. Zwar bringt die «Evolution Roadmap» eine Erweiterung des Mandats der Weltbank mit sich, doch stellt sie im Wesentlichen eine Weiterentwicklung und Vertiefung des bestehenden «Maximize Finance for Development»-Ansatzes dar (dies obwohl der vielbemühte Slogan «Von Milliarden zu Billionen» heute selbst unter führenden Ökonominnen und Ökonomen der Weltbank als überholt oder gar irreführend bezeichnet wird).
Der (unsinnige) Traum lebt weiter
Zehn Jahre nach der Einführung des Slogans «Von Milliarden zu Billionen» – Philippe Vanuahu, Geschäftsführer der Private Infrastructure Development Group (PIDG), bezeichnete diesen kürzlich in der Financial Times als «gut gemeint, aber unsinnig» – fällt die Bilanz ernüchternd aus. Der erhoffte Durchbruch bei der Mobilisierung privater Finanzmittel zur Schliessung der wachsenden Finanzierungslücke (allein 4’000 Milliarden USD jährlich für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung, SDGs, ohne die zusätzlichen Anforderungen der Klimafinanzierung) ist weitgehend ausgeblieben.
Die zentrale Idee, mit öffentlichen Geldern in grossem Stil privates Kapital anzuziehen – insbesondere von institutionellen Investoren – hat sich nicht erfüllt. Die (über-)optimistische Erwartung, dass Pensionsfonds und Versicherungen aus Industrieländern bereitwillig in Strassen, Krankenhäuser und andere dringend benötigte Infrastrukturprojekte in den ärmsten Ländern investieren würden, erwies sich als Illusion.
Zum Zeitpunkt der Einführung des Slogans ging man davon aus, dass jeder öffentlich eingesetzte Dollar zwei oder mehr Dollar an privatem Kapital mobilisieren könnte – eine Hebelwirkung (leverage ratio), die in der Praxis kaum je erreicht wird. Eine aktuelle Studie des ODI zeigt, dass im Jahr 2021 im Rahmen von konzessionären Mischfinanzierungen (blended finance) – also dem Einsatz von überwiegend durch multilaterale Entwicklungsbanken (MDBs) bereitgestellten öffentlichen Mitteln zu vergünstigten Konditionen – in Subsahara-Afrika pro Dollar lediglich etwa 59 Cent an privatem Kapital mobilisiert werden konnten; in anderen Regionen lag dieser Wert bei rund 70 Cent.
Multilaterale Entwicklungsbanken (MDBs) und Entwicklungsfinanzierungsinstitutionen (DFIs) stehen weiterhin im Zentrum dieser Mobilisierungsbemühungen. Bis 2023 gelang es ihnen gemeinsam, rund 88 Milliarden USD an privaten Finanzmitteln für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LICs und MICs) zu mobilisieren; davon entfielen 51 Milliarden USD auf die Weltbankgruppe (einschliesslich der beiden auf Privatsektorförderung ausgerichteten Institutionen IFC und MIGA), was etwa 60% des Gesamtbetrags ausmacht. Für Subsahara-Afrika wurden jedoch lediglich 20 Milliarden USD mobilisiert – und davon erreichte nur die Hälfte die ärmsten Länder (LICs). Zum Vergleich: Im selben Jahr erhielt die Region 62 Milliarden USD an öffentlichen Entwicklungsgeldern. Mehr als die Hälfte der bislang mobilisierten privaten Mittel floss zudem in nur zwei Sektoren: Banken- und Unternehmensdienstleistungen sowie Energie. Demgegenüber erhielten die Bereiche Bildung, Gesundheit und Bevölkerungsentwicklung zusammen weniger als ein Prozent der Gesamtsumme.
Trotz dieser ernüchternden Bilanz hält sich die Vorstellung, dass multilaterale Entwicklungsbanken (MDBs) signifikante Mengen privaten Kapitals für Entwicklungsprojekte «anlocken» könnten, hartnäckig. Für viele Geberländer und andere Akteure ist sie zur regelrechten idée fixe geworden. Und so lebt der Traum weiter: Im Rahmen der «Evolution Roadmap» wurde das Anspruchsniveau sogar noch deutlich angehoben.
Zwar räumte Ajay Banga, der aktuelle US-amerikanische Präsident der Weltbank, ein, dass die «Von Milliarden zu Billionen»-Formel unrealistisch sei, und Chefökonom Indermit Gill bezeichnete sie offen als «Fantasie». Dennoch experimentiert die Bank inzwischen mit neuen, zunehmend komplexen Finanzierungsmodellen – etwa der Bündelung von Krediten zu handelbaren Finanzprodukten, die anschliessend an private Investoren verkauft werden (ein Verfahren, das unter dem Begriff Verbriefung – securitization – bekannt ist). Ziel ist es, durch diese Strukturierung Kapital freizusetzen, um zusätzliche Kredite vergeben zu können.
Laufend werden neue Instrumente entwickelt und für ihr Potenzial, privates Kapital zu mobilisieren, gelobt. Der verstärkte Einsatz von Risikoteilungsmechanismen, etwa Garantien, innovativen Investitionsvehikeln oder Versicherungslösungen, soll Investitionen des Privatsektors anregen. Eines der jüngsten Produkte der Weltbank sind sogenannte «Outcome Bonds»: Diese sollen privates Kapital für Projekte in Entwicklungsländern mobilisieren, indem das Risiko für den Projekterfolg auf Investor:innen übertragen wird, welche wiederum belohnt werden, wenn die angestrebten Wirkungen tatsächlich eintreten.
Wird Klimafinanzierung privatisiert?
Im Rahmen der «Evolution Roadmap» hat die Weltbank ihre Zielsetzung erweitert: Zu den bisherigen Zielen – der Beseitigung extremer Armut und der Förderung gemeinsamen Wohlstands – kam das Versprechen hinzu, dies «auf einem lebenswerten Planeten» zu erreichen. In Übereinstimmung mit diesem neuen Selbstverständnis positioniert sich die Bank zunehmend als zentrale Akteurin bei der Umsetzung der internationalen Klimafinanzierung. In einer Stellungnahme im Vorfeld der COP29-Konferenz in Baku erklärte die Weltbank sich zum «mit Abstand grössten Anbieter von Klimafinanzierung für Entwicklungsländer». Im Jahr 2024 hat sie nach eigenen Angaben 42,6 Milliarden USD für Klimafinanzierung bereitgestellt; das entspricht 44% ihres gesamten Kreditvolumens. Trotz gravierender Probleme bei der Berechnung und Transparenz dieser Klimafinanzierung konzentriert sich dieser Text vor allem auf die Klimafinanzierung im Kontext der umfassenderen Privatisierungsstrategie der Weltbank.
Mit den wachsenden globalen Erwartungen an multilaterale Entwicklungsbanken, als zentrale Akteure der internationalen Klimafinanzierung zu agieren, rückt die dringend benötigte öffentliche Klimafinanzierung zunehmend in den Hintergrund. Eine aktuelle Analyse des Bretton Woods Project zeigt, dass die Klimafinanzierung der Weltbank eng mit ihrer allgemeinen Privatisierungsagenda verknüpft ist. Besonders deutlich wird dies im Rahmen des sogenannten Development Policy Financing (DPF) – einer Form flexibler Budgethilfe, die an konkrete politische Reformmassnahmen (sogenannte «Prior Actions») gekoppelt ist. Im Jahr 2023 entfielen 22% der Klimafinanzierung der auf ärmere Länder ausgerichteten Weltbank-Unterorganisationen IDA und IBRD auf solche DPF-Instrumente. Die überwiegende Mehrheit der geforderten Massnahmen zielte auf marktbasierte Reformen ab – darunter Mechanismen zur Risikoreduzierung für private Investor:innen oder die Abschaffung von verbraucherbasierten Subventionen auf fossile Energieträger, was insbesondere die ärmsten Bevölkerungsschichten hart trifft.
Hinzu kommt: Der Grossteil der Klimafinanzierung durch multilaterale Entwicklungsbanken erfolgt in Form von Krediten, nicht als Zuschüsse. Damit wächst die Verschuldung ohnehin schon stark verschuldeter Länder weiter. Im Jahr 2023 machten Kredite 89,9% der Klimafinanzierung von IDA und IBRD aus – also jener beiden Institutionen, die den Löwenanteil an der Klimafinanzierung der Weltbank stemmen. Dass diese Kredite, die selbstverständlich verzinst zurückgezahlt werden müssen, dennoch als Beitrag der Geberländer zur internationalen Klimafinanzierung gewertet werden, steht in krassem Widerspruch zum «Verursacherprinzip».
Evolution rückwärts
Die sogenannte «Evolution Roadmap» der Weltbank stellt daher keine radikale Neuausrichtung dar, sondern vielmehr eine Fortschreibung der bestehenden Privatisierungslogik – diesmal ergänzt um Klimafinanzierung. Doch selbst diese Mandatserweiterung steht nun unter Druck: Die neue US-Regierung hat deutlich gemacht, dass sie eine Rückbesinnung auf das Kerngeschäft der Weltbank wünscht. Während sie zwar ihre grundsätzliche Unterstützung für Weltbank und IWF erneuerte, forderte US-Finanzminister Scott Bessent gleichzeitig eine Reform «ausufernder Programme». Die Bank solle sich wieder stärker auf «privatwirtschaftlich getriebenes, arbeitsplatzintensives Wachstum» konzentrieren und sich aus dem Sozial- und Klimabereich zurückziehen. Bessent betonte zudem, die Weltbank müsse «technologieneutral» agieren und vor allem auf die Bezahlbarkeit von Energieinvestitionen achten, was in der Praxis meist auf Investitionen in Gas und andere fossile Energieträger hinauslaufe.
Um die US-Administration nicht zu verärgern, ist die Weltbank inzwischen deutlich stiller in Bezug auf ihr Klimaengagement geworden. Auf Wunsch der USA hat sie kürzlich sogar ihr Moratorium für die Förderung von Kernenergie aufgehoben, und eine Abstimmung über die Wiedereinführung der Finanzierung der Förderung und Extraktion von Erdgas steht offenbar kurz bevor.
Ob es den USA gelingt, die Erweiterung des Weltbank-Mandats rückgängig zu machen und somit die «Paris-Kompatibilität» der Bank zu unterlaufen, oder ob die europäischen Direktoren diesen Kurs stoppen können, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall sollte sich die Schweiz als Leiterin einer Stimmrechtsgruppe den progressiven Kräften innerhalb der Weltbank anschliessen.
Revolution vertagt
Während sich die internationale Entwicklungsgemeinschaft in Sevilla zur Debatte über die Zukunft der Entwicklungsfinanzierung versammelt, zeichnen sich erste Knackpunkte ab. Der bereits verabschiedete «Compromiso de Sevilla» weist erneut auf die gewaltige Finanzierungslücke von 4 Billionen USD jährlich hin, die es brauchen würde, um die SDGs bis 2030 zu erreichen. Zwar wird anerkannt, dass «private Investitionen die Erwartungen bisher nicht erfüllt haben und die Auswirkungen auf nachhaltige Entwicklung unzureichend waren», dennoch setzt das Dokument weiterhin auf eine verstärkte Mobilisierung privater Mittel über öffentliche Quellen – etwa durch die Ausweitung von Risikoteilungsmechanismen und «blended finance»-Instrumenten. Die multilateralen Entwicklungsbanken sollen dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Während die Suche nach immer neuen Finanzierungsinstrumenten und Lösungen weitergeht, um Projekte «bankable», also investorenfreundlich zu gestalten, beschleunigt sich parallel die Schuldenkrise, und die Rolle des öffentlichen Sektors als Hauptträger von Entwicklungs- und Klimafinanzierung wird weiter geschwächt.
Weltbank-Chefökonom Indermit Gill brachte es kürzlich auf den Punkt: «Seit 2022 haben private Gläubiger weltweit rund 141 Milliarden USD mehr an Schuldendienst von öffentlichen Kreditnehmern in Entwicklungsländern erhalten, als sie an neuen Finanzierungen ausgezahlt haben.» In mehreren afrikanischen Ländern fliesst heute mehr als die Hälfte der staatlichen Mittel in die Schuldentilgung. Gill räumt sogar ein, dass manche Länder Kredite der Weltbank – mit längerer Laufzeit – lediglich nutzen, um private Gläubiger zurückzuzahlen. Damit werden knappe Mittel von essenziellen Bereichen wie Gesundheit und Bildung abgezogen.
Zweifellos können und sollen private Investitionen eine Rolle bei der Finanzierung nachhaltiger Entwicklung und des Klimaschutzes spielen. Doch es ist höchste Zeit, sich von simplen Lösungsansätzen zu verabschieden und die tiefen strukturellen Ursachen der multiplen Krisen anzugehen. Dazu gehören neben einer weitreichenden Gouvernanzreform der Weltbank, welche die Entscheidungsmacht des Globalen Südens stärkt, auch umfassende Entschuldungsinitiativen, Investitionen in die heimische Einnahmengenerierung (domestic resource mobilisation) sowie eine gerechtere globale Steuerpolitik zur Bekämpfung wachsender Ungleichheiten weltweit. Sevilla wird wohl kaum der Ort sein, an dem die dringend notwendige Revolution beginnt – doch der Kampf geht weiter.