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Neue E-Busse in Bangkok – kein Ersatz für Klimaschutz in der Schweiz

11.12.2023, Klimagerechtigkeit

Die Schweiz feiert das weltweit erste Kompensationsprogramm unter dem Pariser Abkommen, das an die Schweizer Klimaziele angerechnet werden soll. Mit der Kofinanzierung von elektrischen Bussen werden in Bangkok Emissionen reduziert. Eine detaillierte Analyse von Alliance Sud und Fastenaktion legt nahe, dass die Investition in elektrische Busse in Bangkok bis 2030 auch ohne Kompensationsprogramm stattgefunden hätte.

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Neue E-Busse in Bangkok – kein Ersatz für Klimaschutz in der Schweiz

Fussgängerpassarelle über der Rachadamri road in Bangkok, am 11. Oktober 2022.

© KEYSTONE / Markus A. Jegerlehner

Schon seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 ist es für Industriestaaten möglich, den Ausstoss von Treibhausgasen mit Klimaprojekten im Globalen Süden zu kompensieren. Dafür wurde der Clean Development Mechanism (CDM) aufgebaut. Im Windschatten des CDM hat sich der freiwillige Kompensationsmarkt entwickelt, der es beispielsweise Unternehmen erlaubt, «CO2-neutrale» Produkte zu bewerben, ohne die Emissionen tatsächlich auf null zu senken. Beide Mechanismen, der CDM und der freiwillige Mechanismus, sind wiederholt in die Kritik geraten. Studien und Recherchen zeigen, dass sich viele der assoziierten Klimaprojekte nachträglich als weitgehend nutzlos und in einigen Fällen schädlich für die lokale Bevölkerung herausstellten.

Im Pariser Abkommen, Nachfolgeübereinkommen des Kyoto-Protokolls, wurde der CO2-Markt neu definiert und unterschieden zwischen einem zwischenstaatlichen (Artikel 6.2) und einem multilateralen Mechanismus (Artikel 6.4). Gemäss dem Abkommen sind alle Länder verpflichtet, eine möglichst ambitionierte Klimapolitik zu verfolgen. Artikel 6 legt als Zweck der beiden Mechanismen fest, dass diese Zusammenarbeit höhere Ambitionen erlauben soll. In anderen Worten, durch den Handel mit Emissionszertifikaten soll es Ländern ermöglicht werden, ihre Emissionen rascher zu reduzieren. Die Schweiz hat diesen Ansatz des bilateralen Zertifikathandels bereits in den Verhandlungen massgeblich vorangetrieben und ist nun auch an vorderster Front bei der Operationalisierung dabei. Mit elf Partnerstaaten hat die Schweiz bereits ein bilaterales Abkommen unterzeichnet, drei weitere Abkommen sollen an der COP28 in Dubai unterzeichnet werden.

Art. 6 Pariser Abkommen

1 Die Vertragsparteien erkennen an, dass sich manche von ihnen für eine freiwillige Zusammenarbeit bei der Umsetzung ihrer national festgelegten Beiträge entscheiden, um sich für ihre Minderungs‑ und Anpassungsmassnahmen höhere Ambitionen setzen zu können und um die nachhaltige Entwicklung und die Umweltintegrität zu fördern.
[...]

 

Innenpolitisch interpretieren der Bundesrat und die bürgerliche Mehrheit des Parlaments diese Möglichkeit als Freipass, das von der Schweiz eingereichte Ziel, ihre Emissionen bis 2030 um 50% zu reduzieren, gar nicht im Inland zu erreichen. Sprich, die Möglichkeit, Zertifikate zu kaufen, wird nicht genutzt, um höhere Ziele zu erreichen. Das ist bei der aktuellen Revision des CO2-Gesetzes besonders deutlich zu sehen, denn es sieht für den Zeitraum von 2025-2030 auffällig wenig Emissionsreduktionen in der Schweiz vor (siehe Wirkungsabschätzung des Bundes). Mit der Weiterführung bisher geltender Massnahmen wird bis 2030 eine Reduktion um 29% gegenüber 1990 erwartet. Das neue CO2-Gesetz soll gemäss Vorschlag des Bundesrats nur zu einer weiteren Reduktion um 5 Prozentpunkte führen, also zu minus 34% gegenüber 1990. Das ist im europäischen Vergleich sehr wenig. Damit die Schweiz auf dem Papier dennoch ihr 50%-Reduktionsziel erreichen kann, wird sie in diesem Zeitraum mehr als zwei Drittel der zusätzlich benötigten Reduktion (15% der Emissionen von 1990) in Form von Zertifikaten von Partnerstaaten abkaufen. Die Partnerstaaten müssen in ihrer Treibhausgasbilanz auf den Ausweis der erfolgten Emissionsreduktionen verzichten. Der Ständerat hat sich als Erstrat erlaubt, im CO2-Gesetz die bereits schwachen Ambitionen des Bundesrats im Inland noch weiter abzuschwächen, nämlich auf weniger als 4 Prozentpunkte zusätzliche Reduktion in fünf Jahren. Er erhöht damit den Druck, dass in der kurzen Zeit bis 2030 genügend Zertifikate in den Partnerländern bereitgestellt werden, welche hohe Qualitätsanforderungen zu erfüllen haben. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigen nicht zuletzt die eingangs erwähnten Probleme, die bereits im CDM und im freiwilligen CO2-Markt ans Licht gekommen sind.

Die Schweiz hat seit November 2022 drei Kompensationsprogramme bewilligt. Zwei Programme wurden vom UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP) entwickelt. Das erste soll den Methanausstoss beim Reisanbau in Ghana verringern und das zweite dezentrale Mini-Solaranlagen auf abgelegenen Inseln von Vanuatu fördern. Beide sollen der freiwilligen Kompensation von Emissionen der Bundesverwaltung dienen.

Das dritte bewilligte Programm ist das weltweit erste Programm unter dem Pariser Abkommen, das Emissionsreduktionen den Reduktionszielen eines anderen Staates, nämlich der Schweiz, anrechnen soll: das “Bangkok E-Bus Programm”. Das Programm wurde von der Stiftung KliK  in Auftrag gegeben und wird von South Pole in Partnerschaft mit dem thailändischen Unternehmen Energy Absolute, das zu einem Viertel der UBS Singapur gehört, entwickelt. Es dient der Elektrifizierung öffentlich lizenzierter Busse in Bangkok, die vom privaten Unternehmen Thai Smile Bus betrieben werden. Die Zusatzfinanzierung durch den Verkauf der Zertifikate an die Stiftung KliK in der Schweiz soll die Preisdifferenz zwischen herkömmlichen und elektrischen Bussen decken, da die Investition in neue elektrische Busse für private Investoren finanziell nicht lohnenswert sei und darum nicht stattfinden würde. Durch den Ersatz alter Busse und den Betrieb von einigen neuen Buslinien sollen von 2022 bis 2030 insgesamt 500’000 Tonnen CO2 eingespart werden. Im Herbst 2022 startete der Betrieb der neuen Busse.

Alliance Sud und Fastenaktion haben die öffentlich verfügbaren Dokumente zum Bangkok-E-Bus-Programm analysiert und dabei Mängel bei der Zusätzlichkeit des Programms sowie bei der Qualität der bereitgestellten Informationen festgestellt. Sie verstärken die Bedenken, dass der Kauf von Kompensationszertifikaten kein gleichwertiger Ersatz für inländische Emissionsreduktionen darstellt. Grundsätzlich widerspricht der Ansatz des Zertifikatehandels dem Prinzip der Klimagerechtigkeit, wonach die hauptverantwortlichen Länder ihre Emissionen so rasch wie möglich reduzieren müssen.

KliK

Die Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK gehört den Schweizer Treibstoffimporteuren. Diese sind durch das CO2-Gesetz verpflichtet, dem Bund jeweils Ende Jahr für einen Teil der Treibstoffemissionen Kompensationszertifikate aus dem Inland oder Ausland abzugeben. KliK entwickelt mit Partnern zu diesem Zweck Programme, über die sie Zertifikate kaufen können.

 

Mängel bei der Zusätzlichkeit

Eine zentrale Voraussetzung, damit die Reduktion einer Tonne CO2 andernorts ein gleichwertiger Ersatz für die eigene Reduktion sein kann, ist die Zusätzlichkeit. Das heisst, die emissionsmindernde Aktivität, wie beispielsweise der Ersatz von Diesel- mit E-Bussen, hätte ohne das zusätzliche Geld durch die Emissionszertifikate nicht stattgefunden. Diese Bedingung ist entscheidend, damit ein Klimanutzen gegeben ist. Sie ist auch im CO2-Gesetz verankert. Denn eine gehandelte Tonne CO2 legitimiert gleichzeitig eine Tonne CO2 des Käufers, die er weiterhin ausstösst, aber auf dem Papier angibt, sie reduziert zu haben.

Die Programmverantwortlichen des Bangkok-E-Bus-Programms müssen darum beweisen, dass die öffentlichen Buslinien von privaten Busbetreibern wie Thai Smile Bus ohne das Programm bis 2030 nicht mit elektrischen Bussen betrieben würden. Dabei ist folgendes zu berücksichtigen: Zum einen darf die Elektrifizierung nicht bereits Teil eines von der Regierung geplanten Subventionsprogramms sein, zum anderen darf die Investition auch nicht von privater Seite abgedeckt sein.

Subventionsprogramm: In der offiziellen Programmdokumentation wird dürftig ausgeführt, weshalb die Regierung keine Subventionen für den Ersatz alter Busse, welche auch erheblich zur lokalen Luftverschmutzung beitragen, mit E-Bussen spricht. Die Förderung von Elektromobilität sowie von Energieeffizienz im Verkehrssektor im Allgemeinen gehört gemäss der Programmdokumentation durchaus zu den Regierungsplänen. Aber es erhielten nur die öffentlichen Busbetreiber Subventionen, nicht die privaten Busbetreiber – die Zielgruppe des Programms also. Weshalb die öffentlichen Subventionen nur für die öffentlichen Betreiber reichen, bleibt unklar. Mit keinem Wort erwähnt werden zudem thailändische Subventionen (vor allem Steuervorteile) für private Investitionen, unter anderem für die Herstellung von Batterien und E-Bussen, von denen die Firma Energy Absolute ebenfalls profitiert.

Investitionsentscheid: Um zusätzlich zu sein, muss der Projekteigner darlegen, dass ohne die Emissionsfinanzierung kein positiver Investitionsentscheid gefällt werden könnte. In der Programmdokumentation wird dafür eine Rechnung präsentiert, die beweisen soll, dass die private Investition ohne die Zusatzfinanzierung aus dem Zertifikateverkauf nicht rentiert und daher auch nicht stattgefunden hätte. Der Verkaufserlös soll die über die gesamte Lebensdauer gerechnete Preisdifferenz zwischen der Neuanschaffung von herkömmlichen Bussen und der Neuanschaffung von E-Bussen decken. Nur: Die Preisdifferenz sowie deren Herleitung ist nicht in der offiziellen Dokumentation aufgeführt. Auf Nachfrage bei KliK wird keine detaillierte Auskunft gegeben, sie sei «Teil des verhandelten Vertrags zur finanziellen Unterstützung des E-Bus-Programms», sprich Privatsache zwischen KliK und Energy Absolute. Das zentrale Argument, weshalb das Programm zur Finanzierung der E-Busse nötig ist, kann also nicht überprüft werden. Die Zusätzlichkeit ist deshalb bestenfalls intransparent, schlimmstenfalls nicht gegeben. Bemerkenswert ist das Argument mit der Preisdifferenz aber auch, weil Energy Absolute als investierender Konzern auf grüne Technologien spezialisiert ist. Es würde der Firma daher kaum einfallen, in die Beschaffung von Bussen mit Verbrennermotoren zu investieren. Hingegen ist plausibel, dass eine grössere Investition in E-Busse in den nächsten Jahren so oder so stattgefunden hätte, denn bereits vor Programmbeginn 2022 setzte Thai Smile Bus auf Bangkoks Strassen E-Busse ein, wie neben mehreren Online-Medienberichten auch ein Twitter-Eintrag mit Foto beweist (s. Abbildung). Es muss also bereits vor dem Bangkok E-Bus Programm Finanzierungswege für E-Busse gegeben haben. Dies ist ein klarer Widerspruch zur Aussage, die Elektrifizierung von E-Bussen in Bangkok würde ohne das Kompensationsprogramm nicht stattfinden. Im Minimum müsste die Problematik in der Programmdokumentation detailliert aufgeführt und erläutert sein, weshalb das Programm trotzdem als zusätzlich betrachtet wird.

Ein Twitter-Eintrag einer Zulieferfirma vom 13.10.2021 beweist, dass Thai Smile Bus bereits ein Jahr vor Programmstart E-Busse in Betrieb hatte.

Fehlende Transparenz und Qualität der öffentlich zugänglichen Informationen

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) veröffentlicht auf seiner Website nach Genehmigung eines Programms durch beide beteiligten Staaten die Programmdokumentation. Darin wird die angewendete Methodik zur Berechnung der erwarteten Emissionsreduktionen erklärt und dargelegt, wie die Zusätzlichkeit sichergestellt werden soll. Ebenso wird die Programmlogik erläutert und auf weitere Aspekte, beispielsweise die positive Auswirkung auf die UN-Nachhaltigkeitsziele, eingegangen. Dadurch soll das Programm für Aussenstehende nachvollziehbar werden. Ein ebenfalls zugänglicher Prüfbericht eines unabhängigen Beratungsbüros bestätigt die Informationen der Programmdokumentation. Aufgrund dieser Dokumente prüfen das BAFU sowie die thailändischen Behörden das Programm und genehmigen es anschliessend. Die Genehmigung der Schweiz wird ebenfalls veröffentlicht.

Im Fall des Bangkok-E-Bus-Programms bleiben entscheidende Aspekte intransparent. Erstens wird in der Programmdokumentation auf ein Excel-Dokument verwiesen, in dem die erwarteten Emissionsreduktionen berechnet werden – das Berechnungsdokument ist aber nicht veröffentlicht. Alliance Sud hat es auf Nachfrage erhalten und sieht keinen Grund, der gegen eine Veröffentlichung sprechen würde. Zweitens werden entscheidende Aspekte wie der Preis der Zertifikate und der Umfang der benötigten Finanzierung im privaten Vertrag zwischen Energy Absolute und der Stiftung KliK verhandelt. KliK schreibt dazu: «Die kommerziellen Aspekte sind vertraulich.» Auch die vertraglichen Bedingungen zwischen dem Programmeigner Energy Absolute und dem Busbetreiber Thai Smile Bus bleiben privat. Das führt zur oben diskutierten Intransparenz bei der Zusätzlichkeit. Nicht einmal das BAFU, welches die Zusätzlichkeit des Programms überprüfen muss, kann die Informationen aus den privaten Verträgen zu diesem Zweck einsehen. Das BAFU bestätigt auf Anfrage von Alliance Sud, dass die Verträge nicht zur Projektdokumentation gehören.

Bei den Informationen in der öffentlichen Programmdokumentation sind zudem Mängel in der Qualität festzustellen. Einige Beispiele:


●    Die Rollen und Kompetenzen der involvierten Akteure bleiben teilweise unklar. Die Investition wird von Energy Absolute getätigt, obwohl Thai Smile Bus die Busse benötigt. Nicht erwähnt wird, dass das Firmengeflecht von Energy Absolute nicht nur erneuerbare Energien, Batterien und Ladestationen herstellt, sondern auch an der Herstellerfirma der E-Busse beteiligt ist – und, wie Internetrecherchen zeigen, zeitgleich mit dem Programmstart in die Firma Thai Smile Bus eingestiegen ist. Die längerfristigen Vorteile einer solchen Investition für den finanziell erfolgreichen Konzern Energy Absolute werden nicht diskutiert.

●    Es gibt widersprüchliche Angaben zum Umfang des Programms. Die Programmdokumentation spricht von max. 500’000 t CO2, die reduziert werden sollen, wofür mindestens 122 Buslinien elektrifiziert werden (mind. 1900 Busse). Einige Seiten weiter steht jedoch, die Finanzierung durch die Zertifikate werde für die ersten 154 E-Busse benötigt, welche auf 8 Linien fahren und einen Bruchteil der erwarteten CO2-Emissionen reduzieren. Auch die Berechnung der Investitionsrendite erfolgt nur für 154 E-Busse. KliK schreibt auf Anfrage jedoch, dass der Preis der Zertifikate die Finanzierungslücke für alle E-Busse im Rahmen des Programms decke, nicht nur für die ersten 154.

●    Es werden Versprechen gemacht, die schwer einzuhalten sind. Beispielsweise soll der Schadstoffgrad von PM2.5 in der Luft überwacht werden, um die Verringerung der Luftverschmutzung durch die alten Busse zu messen. Der positive Nebeneffekt, dass E-Busse die Luft nicht verschmutzen, ist korrekt, aber selbst wenn sich die Luftverschmutzung messbar verringern würde, braucht es grossen Aufwand, um das kausal auf die Aktivitäten dieses Programmes zurückzuführen. Im Programmdokument ist ein solches Vorgehen nicht erläutert.

●    Die «Pionierleistung» des Programms wird aufgebauscht. Die thailändische Öffentlichkeit werde in eine neue Technologie eingeführt, steht da beispielsweise, obwohl es bereits vorher von derselben Firma E-Busse auf Bangkoks Strassen gab. Die KliK-Website enthält klare Falschaussagen: «In Thailand werden derzeit keine Elektrobusse im Linienverkehr als öffentliches Verkehrsmittel eingesetzt. Dies liegt an der fehlenden Infrastruktur und den mangelnden Produktionskapazitäten für E-Busse und Batterien. Dieses Programm ist daher ein einzigartiges Unterfangen, um Thailand auf dem Weg zu einer dekarbonisierten Wirtschaft zu unterstützen.»

 

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Busstop an der Rachadamri road in Bangkok.
© KEYSTONE/Markus A. Jegerlehner

Fazit: Kompensationszertifikate sind kein Ersatz für inländische Emissionsreduktionen

Der Umstieg auf E-Busse in Bangkok ist an sich eine wichtige und gute Entwicklung. Die Schweiz ist aber ein eindrückliches Beispiel dafür, dass der partnerschaftliche Mechanismus aus Artikel 6 des Pariser Abkommens nicht für höhere Ambitionen und mehr Klimaschutz genutzt wird. Das Ziel der Schweiz, ihre Emissionen bis 2030 um 50% gegenüber 1990 zu reduzieren, ist weniger ambitioniert als dasjenige der EU (-55%) – und die EU setzt dafür nicht auf Auslandkompensationen, sondern verhandelt politische Reformen zugunsten einer raschen Dekarbonisierung in Europa. In der Schweiz haben der Bundesrat und die Parlamentsmehrheit nach der verlorenen Abstimmung zum CO2-Gesetz im Jahr 2021 zu leichtfertig jegliche Ambition zur Emissionsreduktion im Inland aufgegeben. Das starke Zurückgreifen auf die Klimakompensation ist nicht Ausdruck von technischen Herausforderungen bei der Umsetzung der Schweizer Klimapolitik – im Gegenteil, die Schweiz verzögert mögliche inländische Massnahmen, sodass später umso schnellere Reduktionen nötig werden. Die Kompensation im Ausland ist ein politischer Entscheid der bürgerlichen Mehrheit in Regierung und Parlament, obwohl viele zusätzliche Massnahmen in der Schweiz wohl auch von der Bevölkerung mehrheitlich akzeptiert würden. Der Marktmechanismus in Artikel 6 kann die Erreichung der Pariser Klimaziele gefährden, weil dies kurzfristig der einfachste Weg für ein wohlhabendes Land ist, seine Ziele auf dem Papier zu erfüllen. Somit wird der eigentliche Zweck der Pariser Marktmechanismen, zur Steigerung der Klimaambitionen beizutragen, ad absurdum geführt.

Dieser Weg ist unter dem Blickwinkel der Klimagerechtigkeit umso störender, als die Klimakrise die vulnerabelsten Menschen weltweit am härtesten trifft. Diesen Menschen und auch den künftigen Generationen ist es die Schweiz schuldig, so schnell wie möglich die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Der Weltklimarat hat betont, dass zur Erreichung der Pariser Klimaziele die Welt bis Mitte des Jahrhunderts bei netto null Emissionen sein muss. In einer Netto-Null-Welt gibt es keinen Platz für substantiellen Handel mit Emissionsreduktionszertifikaten. Die Schweizer Politik des Zukaufs von solchen Zertifikaten ist somit eine unnötige und ungerechte Verzögerung von dringend notwendigen Schritten bei uns in der Schweiz. Diese Ungerechtigkeit beklagen auch zivilgesellschaftliche Organisationen in Ländern des Globalen Südens.

Letztlich zeigt diese Analyse wie ähnliche journalistische Recherchen zu anderen Programmen auch, dass Kompensationsprogramme keine Garantie bieten können, tatsächlich zusätzliche Emissionen zu reduzieren. Zertifikate zu kaufen ist auf keiner Ebene ein gleichwertiger Ersatz für Emissionsreduktionen im Inland.

 

Weiterführende Informationen zum Thema:

Artikel in "Das Magazin"

Studie der Caritas