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Recherche
Wie die Erdöllobby die Energiewende sabotiert
27.10.2025, Klimagerechtigkeit
Die Schweizer Klimapolitik setzt vor allem auf fragwürdige Auslandkompensationen. Wie kam es dazu? Die versteckte Antwort heisst Avenergy Suisse, wie unsere Recherche über deren problematische Methoden aufdeckt.
Wenn Klimasünder Klimapolitik gestalten: Die Erdölbranche setzt sich gegen Klimamassnahmen im Inland ein und wirbt gleichzeitig für Auslandkompensationen. Ölraffinerie in Cressier, nahe Neuenburg.
© REUTERS/Michael Buholzer
Die Schweiz hat ihre Klimapolitik in den letzten 20 Jahren so aufgegleist, dass sie ihre Klimaziele nur zum Teil mit der CO2-Reduktion im Inland erreicht, unter anderem, weil sie im Verkehrssektor auffallend wenige Massnahmen zur Dekarbonisierung ergreift und auch in Gebäuden noch immer neue Öl- und Gasheizungen eingebaut werden. Entsprechend hat die Schweiz sich bei den Verhandlungen zum Pariser Abkommen vehement dafür eingesetzt, dass sie zur Erreichung ihrer Klimaziele weiterhin gekaufte Emissionsreduktionen aus anderen Ländern anrechnen kann, um ihre Bilanz schönzurechnen.
Wie kommt es, dass die Schweiz diesen Weg der CO2-Kompensation eingeschlagen hat und auch heute trotz zahlreicher Kritik weitergeht? Eine Recherche von Alliance Sud deckt auf, mit welchen Instrumenten die Erdöllobby die wichtigsten Entscheide in der Schweizer Klimapolitik stark beeinflusst, um die Dekarbonisierung in der Schweiz aufzuschieben. Als Ersatz befürwortet sie den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland. Sie arbeitet im Interesse der internationalen Ölkonzerne und dies teilweise auch von diesen finanziert.
Die Schweizer Erdöllobby heisst Avenergy Suisse und wird von ihren Mitgliedern, den Brenn- und Treibstoffimporteuren, die teilweise Tochterfirmen ausländischer Ölkonzerne sind, finanziert. Die Brennstoffhändler werden zusätzlich von Swissoil vertreten, wobei der Geschäftsführer von Swissoil, Ueli Bamert, gleichzeitig der Politikverantwortliche von Avenergy Suisse ist. Bamert tritt aktuell als SVP-Kandidat für die Wahl ins Zürcher Stadtpräsidium an. Die Erdöllobby agiert meist im Gleichschritt mit der Autolobby und oft auch mit dem Hauseigentümerverband. Nach einem Streit mit economiesuisse um das CO2-Gesetz traten die Erdöl- und die Autolobby dem Schweizer Gewerbeverband bei, der eigentlich die Interessen von KMUs vertritt, aber für die Erdölkonzerne eine Ausnahme macht. Mittlerweile ist Avenergy auch wieder Mitglied von economiesuisse.
Wie geht die Erdöllobby vor? Während es keine Angaben über die Finanzierung von Avenergy Suisse oder deren Mitglieder gibt, so sind ihre Aktivitäten genügend sichtbar, um ihre Instrumente und Vorgehensweise darstellen zu können.
Irreführende Argumente
Während die im Inland erzeugten CO2-Emissionen sehr klein seien, schreibt Avenergy auf ihrer Website, «steigt der Schweizer Ausstoss insgesamt aufgrund des Konsums von importierten Waren. Es macht deshalb Sinn, alle Optionen für Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz und im Ausland offen zu halten.» Auch die für die Auslandskompensationen zuständige Stiftung KliK (siehe unten) argumentiert in einem Interview des Tages-Anzeigers im November 2021 mit den importierten Emissionen. Der Bundesrat habe 2017 seine Klimapolitik bis 2030 mit der Auslandkompensation als fixes Element skizziert, «im Wissen, dass Bevölkerung und Wirtschaft über ihre Importe im Ausland noch einmal gut so viel CO2 verursachen, wie sie es im eigenen Land tun. Die Schweiz hat also die Verpflichtung, auch im Ausland CO2 zu reduzieren.» Die Tatsache, dass die importierten Emissionen der Schweiz die Inlandemissionen übersteigen, stimmt natürlich, und dass die Schweiz die Verantwortung hätte, diese grauen Emissionen zu reduzieren, ebenfalls. Doch haben weder der Bundesrat noch Avenergy jemals gefordert, die importierten Emissionen zu kompensieren. Auslandkompensation war stets nur dazu da, um die Bilanz der inländischen Emissionen schönzurechnen. Denn die Reduktion der importierten Emissionen fällt nicht unter das Pariser Abkommen und wird von vielen Akteuren nicht als Verantwortung der Schweiz angesehen. So unterstützte Avenergy Suisse in der Vernehmlassung zur Verordnung des Klima- und Innovationsgesetzes die Eingabe des Schweizer Gewerbeverbands, in der es heisst: «Indirekte Emissionen gehören nicht zur Schweizer Klimapolitik.» Das Argument, dass im Ausland kompensiert werde, weil wir viele Emissionen importieren, ist irreführend. Es lenkt davon ab, dass die Schweiz sich nicht einmal darum kümmert, ihre Inlandemissionen genügend zu reduzieren.
Abb.: Der Geschäftsleiter der Stiftung KliK bringt im Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 26.11.21 dasselbe Argument auf, das Avenergy verwendet: Auslandkompensation sei angezeigt wegen der Verantwortung für importierte Emissionen. Doch das ist irreführend, denn die Schweiz kompensiert nur inländische Emissionen – Importemissionen bekämpft sie erst gar nicht.
Ständerat hört auf «Bitte» der Branche
Der grosse Erfolg der Treibstofflobby vor zwanzig Jahren, einen «Klimarappen» als freiwillige Massnahme der Wirtschaft zur CO2-Kompensation im Ausland einzuführen und damit einer gesetzlich vorgesehenen CO2-Abgabe zu entgehen, ist gut dokumentiert. Die Erdöllobby gründete die Kompensationsstiftung gleich selbst und besetzte damit auch deren Stiftungsrat – heute die Stiftung KliK. Damit war entschieden, dass die Schweiz ihre Verpflichtungen gemäss Kyoto-Protokoll wenn überhaupt, dann nur mit Auslandkompensation erreichen würde. Wie eine Studie später zeigte, war der Grossteil der unter dem Kyoto-Protokoll gehandelten Zertifikate das Papier nicht wert.
Nicht nur vor 20 Jahren war der Einfluss gross, die Branche ist bis heute gut vernetzt. Im Parlament sitzen gemäss den veröffentlichten Interessensbindungen zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Autolobby, des Hauseigentümer- sowie des Schweizer Gewerbeverbands, darunter einflussreiche Partei- oder Fraktionskader. Bundesrat Albert Rösti war bis Ende 2022 Präsident von Swissoil und Nationalrat, heute ist er Klima-, Energie- und Verkehrsminister. Avenergy lässt sich zudem von der Agentur farner vertreten, die in ihrem Auftrag auch die parlamentarische Gruppe zu Wasserstoff führt.
Eine Episode aus dem Ständerat bei der Beratung des CO2-Gesetzes letztes Jahr illustriert, wie gross und offensichtlich der Einfluss der Branche auf die Politik ist (s. Kasten). Als Ständerat Hans Wicki kurzfristig einen Antrag einreichte, um den Begriff «synthetische Treibstoffe» durch «erneuerbare Treibstoffe» zu ersetzen, begründete er diesen mit einer «Bitte» der «Branche». Nachdem er von einem Kollegen darauf hingewiesen wurde, dass mit der gewünschten Änderung die Klimawirkung der Massnahme massiv sinken würde, meinte der Antragsteller, das könne er nicht einschätzen, er sage einfach, dass die Branche ihn darauf hingewiesen habe, dass der Begriff «korrigiert» werden müsse. Und der Ständerat beschloss die Änderung mit 27 zu 13 Stimmen im Sinne der Erdölbranche. Der Nationalrat korrigierte diesen Entscheid wieder zurück.
Abb.: Ständerat Hans Wicki reichte im Auftrag der Erdölbranche einen Änderungsantrag ein, welcher die Klimawirkung des CO2-Gesetzes reduzieren würde. Die Ratsmehrheit stimmte prompt zu.
Eine weitere Episode: Bei der letzten Revision des CO2-Gesetzes im Parlament wurden die Klimaschutzmassnahmen soweit abgeschwächt, dass die Schweiz noch mehr auf Auslandkompensation angewiesen ist, als es der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Daraufhin hat die Branche nachweislich beim BAFU dafür lobbyiert, dass sie selber weniger CO2 kompensieren muss.
Avenergy und die gleichgesinnten Verbände sichern sich diesen Einfluss auch mit gezielten Spenden bei den eidgenössischen Wahlen. Während das nationale Politikfinanzierungsregister für die letzten Wahlen 2023 eher die grösseren Spenden der Autolobby und des Hauseigentümerverbands aufzeigt, so gibt es ein kantonales Register, in dem auch Spuren der Aktivitäten von Avenergy vorhanden sind. Das Register im Kanton Freiburg weist im Gegensatz zum nationalen auch vierstellige Beträge transparent aus. Avenergy hatte 2023 die beiden Ständeratskandidierenden von FDP und SVP mit je 5'000 Franken unterstützt. Dies legt nahe, dass sie auch Kandidierende in anderen Kantonen direkt unterstützt. Das nationale Register wiederum hat zu viele Umgehungsmöglichkeiten, als dass die Abwesenheit von Einträgen automatisch bedeuten würde, dass keine Spenden an bestimmte Parteien oder Kandidierende geflossen sind. Die Wahrheit bleibt im Dunkeln.
Avenergy führt Klimagerechtigkeit ad absurdum
Avenergy führte im Jahr 2021 beim Referendum gegen das revidierte CO2-Gesetz die millionenschwere Nein-Kampagne an. Neben der offiziellen Kampagne der Erdöllobby und ihren Verbündeten gab es aber auch Nebenkampagnen, die auf den ersten Blick weniger nach Erdöllobby aussahen, aber sich als solche entpuppten. Das «liberale Komitee für eine wirksame Umweltpolitik», das sich ebenfalls gegen das Gesetz engagierte, war auf den ersten Blick eine Gruppe Jungfreisinniger. Allerdings gehört das Familienunternehmen von Kampagnenleiter Alain Schwald, die Schätzle AG, zu AVIA, die Mitglied von Avenergy ist. Ebenfalls gegen das CO2-Gesetz sprach sich die «IG Klimagerecht» aus. Diese Website argumentierte mit Klimaschutz als globale Aufgabe der internationalen Zusammenarbeit, aber missbrauchte das Konzept der «Klimagerechtigkeit» dafür, um einen erheblichen Auslandanteil in der Schweizer Klimapolitik zu fordern. Gerechtigkeit wird von der IG so definiert, dass mit dem Klimaschutz keine Umverteilung stattfinden darf. Dabei wird unterschlagen, dass die Ungerechtigkeit darin besteht, dass die ärmsten Menschen am schlimmsten unter der Klimakrise leiden, aber am wenigsten dazu beigetragen haben. Entsprechend beinhaltet Klimagerechtigkeit auch eine Umverteilung in Form von Kompensationszahlungen der Verursacher. Der zynische Absender im Impressum: ebenfalls Avenergy Suisse, als Vertretung der Erdölbranche, die mit ihrem Milliarden-Geschäft die Klimakrise anheizt.
Später wurde Avenergy vorsichtiger mit Parolen gegen Klima- und Energiegesetze, aber sie ist noch immer finanziell involviert. Dies nicht nur auf nationaler Ebene, wie die Abstimmung zum kantonalen Klimagesetz im Wallis im November 2024 zeigt. «Le Nouvelliste» traf am Abstimmungsfest der Gegner den Mediensprecher von Avenergy, der sich beglückt über das Resultat und das gut eingesetzte Geld zeigte. Gefragt, ob Avenergy die Kampagne mitfinanzierte, verweigerte er die Aussage und bat den Journalisten, seine Anwesenheit am Fest zu verschweigen. Abstimmungen zu kantonalen Energie- und Klimagesetzen gab es in den letzten Jahren viele, mit oftmals grossen Gegenkampagnen der SVP. Im September 2025 stimmte der Kanton Zürich über ein Klimagesetz ab – der Politikverantwortliche von Avenergy und Geschäftsführer von Swissoil war in seiner SVP-Parteifunktion prominent im Komitee der Gegenkampagne, das mit irreführenden Argumenten arbeitete und so die Abstimmung gewann.
Abb.: Avenergy gründet mitten im Abstimmungskampf um das CO2-Gesetz 2021 eine «IG Klimagerecht» und definiert Klimagerechtigkeit neu. Besonders ins Auge sticht der Aspekt, dass Klimagerechtigkeit nicht zu einer Umverteilung führen dürfe. Dabei wird unterschlagen, dass die Ungerechtigkeit darin besteht, dass die ärmsten Menschen am schlimmsten unter der Klimakrise leiden, aber am wenigsten dazu beigetragen haben. (Webarchiv Stand 16.4.2021)
Abb.: Auch der Youtube-Kanal der «IG Klimagerecht» hat wenig mit einer global gerechten Bewältigung der Klimakrise zu tun. In der Abstimmungskampagne im Jahr 2021 wurden zehn Kurzvideos gegen das CO2-Gesetz hochgeladen. Neben dem damaligen stellvertretenden Direktor des Gewerbeverbands sgv, Henrique Schneider, liess sich auch Reiner Eichenberger als Professor der Universität Fribourg von Avenergy einspannen.
Imagekampagnen für fossile Energieträger
Avenergy leistet sich nicht nur politische Kampagnen, sondern investiert auch in Kanäle, welche die Öffentlichkeit dazu ermutigen sollen, weiterhin Verbrennerautos zu kaufen und Ölheizungen zu installieren. Die Agentur Bertakomm bewirtschaftet für Avenergy Suisse Kanäle auf sieben Social-Media-Plattformen mit Videos und eine Website mit Blogbeiträgen. Darin werden abwechselnd der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern bis 2050 in Frage gestellt, die Kosten der Energiewende thematisiert, ohne die Kosten der Klimaerwärmung zu erwähnen, die Vorzüge von Ölheizungen gelobt oder argumentiert, dass eine CO2-Abgabe auf Treibstoff aus Sicht der Konsument:innen und Branche keinen Sinn ergebe. Die meisten Views hat jedoch eine Mini-Serie, in der Leute an der Tankstelle zum Beispiel gefragt werden, ob sie mit dem Zug oder mit dem Auto in die Ferien fahren und warum. Dieselbe Frage am Bahnhof zu stellen, gehört natürlich nicht zum Konzept.
Swissoil veranstaltet zudem regelmässige «Informationsanlässe» für die Bevölkerung, um aufzuzeigen, dass Ölheizungen weiterhin fast überall erlaubt und für sie von Vorteil seien.
Abb.: Avenergy wirbt heute noch dafür, neue Ölheizungen zu installieren, und behauptet, dass diese 2050 klimaneutral betrieben werden könnten. Die Website wurde von einer Agentur aufgebaut, die auch sieben Social-media-Kanäle für Avenergy mit Video-Formaten betreibt.
(Blog-Beitrag vom 1.4.2025)
Fazit: Gezielte Strategie gegen die Energiewende
Die Erdölbranche ist also sehr aktiv im Einsatz gegen Klimamassnahmen im Inland – teils mit irreführenden Argumenten und stets mit intransparentem Geldeinsatz –, auf politischer Ebene gegen Lenkungsinstrumente und in der Öffentlichkeit durch einseitige Informationsarbeit gegen die freiwillige Umstellung auf fossilfreie Technologien. Sie hat es geschafft, dass eine Mehrheit im Parlament den Zukauf von Zertifikaten aus dem Ausland als gleichwertig zur Inlandreduktion erachtet, obwohl die wissenschaftliche Literatur zu CO2-Kompensationsmärkten seit Jahrzehnten darauf hinweist, dass CO2-Zertifikate nicht eins zu eins als Emissionsreduktionen verbucht werden dürfen, da sie sehr fehleranfällig sind.
Damit hat die Erdöllobby eine Mitverantwortung, wenn die Emissionen in der Schweiz nicht genügend schnell sinken. Gleichzeitig schmückt sich die Branche über die Kompensationsstiftung damit, Teil der globalen Lösungen gegen die Klimakrise zu sein. Während sie in der Schweiz die Bevölkerung zum Verbrennerauto motiviert, finanziert sie E-Bikes in Ghana und E-Busse in Bangkok. Ihr Engagement im Kompensationsmarkt hilft mit, die inländischen Emissionen viel zu hoch und die Schweizer Bevölkerung weiterhin am Tropf der fossilen Brenn- und Treibstoffe zu halten.