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Verkehrte Welt: Zölle für die ärmsten Länder

05.05.2025, Handel und Investitionen

US-Präsident Donald Trump bringt Alliance Sud mit seinen Zoll-Eskapaden in eine paradoxe Lage: So muss sie ständig betonen, dass diese Zölle für die Länder des Globalen Südens verheerend sind... Dabei hat Alliance Sud doch stets deren Recht verteidigt, sich durch Zölle zu schützen. Die USA aber sind ein Schwergewicht des Welthandels, das seit dreissig Jahren dem gesamten Planeten ein offenes Handelssystem aufzwingt.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Verkehrte Welt: Zölle für die ärmsten Länder

Die Einführung von Zöllen, wie sie Donald Trump vorschwebt, wäre für Lesotho eine Katastrophe. Die Textilindustrie des afrikanischen Kleinstaats produziert hauptsächlich für den US-amerikanischen Markt, wie in dieser Fabrik für Levis-Jeans in Maseru. © Keystone / EPA / Kim Ludbrook

Dass der US-Präsident eine 90-tägige Pause angeordnet hat und sich vorderhand auf einen allgemeinen Zollsatz von 10% beschränkt – mit Ausnahme von China, gegen das er de facto ein Embargo verhängt hat (145%) – nimmt dem Thema nicht die Brisanz. UN Trade and Development (ehemals UNCTAD) fordert die sofortige Aufhebung dieser Zölle und unterstreicht deren Absurdität: In einem am 14. April veröffentlichten Bericht verweist die UN-Organisation darauf, dass von den 57 Ländern, die von reziproken Zöllen bedroht sind, 11 zu den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) gehören. Weiter wird festgestellt, dass 28 der gelisteten Länder zusammen gerade einmal 0,625% zum US-Handelsdefizit beitragen.

Die Theorie der komparativen Vorteile

Derzeit wird das internationale Handelssystem auf den Kopf gestellt. Dabei waren seit der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 1995 die USA stets treibende Kraft hinter der neoliberalen Globalisierung. Diese fusste auf einer umfassenden Liberalisierung des Welthandels und folglich einem allgemeinen Zollabbau. Nach diesem Modell sollte jedes Land gemäss dem Grundsatz komparativer Vorteile agieren, also jene Produkte exportieren, bei denen die niedrigsten Produktionskosten anfallen. Die resultierende internationale Arbeitsteilung führt de facto dazu, dass die Länder des Globalen Südens Rohstoffe exportieren und fertige Industrieprodukte aus dem Norden importieren.

Die Hälfte der afrikanischen Länder ist vom Rohstoffexport abhängig

Infolgedessen ist auch heute noch «die Hälfte der afrikanischen Länder von Rohstoffen abhängig (in mindestens 60% der Länder sind es Öl, Gas und Erze). Auf Afrika entfallen zwar nur 2,9% des internationalen Handels, aber dort leben 16% der Weltbevölkerung, und diese Zahl wird künftig noch steigen», gab Rebeca Grynspan, Generalsekretärin von UN Trade and Development am 10. Februar in Abidjan bei der Vorstellung des Berichts 2024 über die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika zu bedenken.

Da aber der alleinige Export von Rohstoffen kein ausreichender Entwicklungstreiber ist, unterstützt Alliance Sud das Recht der Länder des Globalen Südens, sich den nötigen Spielraum zu verschaffen, um ihre Landwirtschaft und Industrie zu schützen, auch mithilfe von Zöllen. Ohne Zölle und weitere Schutzmassnahmen hätte sich in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern gar keine Industrie entwickeln können. Davon zeugen die Erfolgsgeschichten von Ländern wie Südkorea oder China.

Keine Zölle auf Kakao, dafür auf Schokolade

Kenia ist ein sehr gutes Beispiel für die Politik der Importsubstitution. Vor etwa 15 Jahren nahm ich in Nairobi an einer Pressekonferenz von Nestlé teil, an der das Unternehmen seine Absicht ankündigte, in die Milchproduktion vor Ort einzusteigen. Der Grund dafür war, dass das Land über Nacht beschlossen hatte, in Übereinstimmung mit den WTO-Regeln die Zölle auf importiertes Milchpulver zu erhöhen. Infolgedessen war es für Nestlé nicht mehr rentabel, das Milchpulver Milo nach Kenia zu exportieren. Der Lebensmittelmulti aus Vevey investierte daher in die gesamte Produktionskette der Milchwirtschaft und unterstützte Gross- und Kleinbauern dabei, sich in Genossenschaften zu organisieren. Trotz des Risikos der Marktbeherrschung durch einen einzigen grossen Akteur hat sich Kenia von einem Land, das Milch importiert, zu einem Land entwickelt, das genug Milch produziert, um seinen Bedarf zu decken.

Abgesehen von einigen Ausnahmen besteht das seit 30 Jahren von der WTO, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und den Ländern des Nordens (angeführt von den USA) vorgegebene Modell jedoch darin, die Entwicklungsländer zu Zollsenkungen zu drängen und sich auf einige wenige Exportprodukte zu beschränken. Bangladesh ist hierfür ein Paradebeispiel: Es bezieht den Löwenanteil seiner Einnahmen aus dem Textilexport (die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die Hungerlöhne in diesem Sektor klammern wir hier einmal aus). Im Jahr 2023 machte dieser Zweig 10% des Bruttoinlandprodukts aus, grösster Abnehmer waren die USA.

In die Schweiz und die EU können die LDCs Rohstoffe wie Kakao kontingent- und zollfrei exportieren. Auf verarbeitete Agrarprodukte wie Schokolade werden jedoch Zölle erhoben, was der Wertschöpfung in Ursprungsländern wie der Elfenbeinküste und Ghana nicht dienlich ist.

AGOA in den USA in der Schwebe

Die USA gewähren nicht allen LDCs die gleichen Zollvergünstigungen, haben aber im Jahr 2000 mit rund 30 afrikanischen Ländern mit dem Programm Africa Growth and Opportunity Act (AGOA) vereinbart, dass Tausende von Produkten zollfrei auf den amerikanischen Markt exportiert werden können. Seine Verlängerung im September 2025 ist aber Stand heute alles andere als gesichert.

Beispielsweise hat Lesotho, eines der ärmsten Länder der Welt, von diesem Programm profitiert. Im Jahr 2023 exportierte es vor allem Textilien und Bekleidung in die USA: Deren Wert belief sich auf 168 Mio. USD, davon 166 Mio. im Rahmen des AGOA. Nun wollte Donald Trump dem Land ursprünglich einen Zollsatz von 54% auferlegen, wahrscheinlich mit dem Ziel, das prozentuell unbestritten grosse Handelsdefizit auszugleichen. Im selben Jahr exportierte Washington nämlich Waren im Wert von nur 3,3 Mio. USD nach Lesotho und führte gleichzeitig Güter im Wert von 226,6 Mio. USD ein. Die Einführung solch astronomischer Zölle wäre für den afrikanischen Kleinstaat eine Katastrophe gewesen und hätte im Übrigen auch nicht zu einer Verlagerung der Produktion in die USA geführt: Für die USA ist die Textilherstellung zweifellos keine Alternative (da zu kostspielig) und auch Mineralien wie Diamanten können dort nicht abgebaut werden (über 56 Mio. USD an Importen).

Die USA sind einer von fünf Handelspartnern Afrikas

Deswegen die Schlussfolgerung: Ja, die Entwicklungsländer müssen ihre Industrie und Landwirtschaft durch Zölle schützen können. Gleiches gilt aber nicht für die Grossmacht USA, die dreissig Jahre lang die Speerspitze eines Handelsmodells darstellte, dem sich auch die ärmsten Länder unterwerfen mussten.

Es bleibt die Hoffnung, Donald Trump möge seine Entscheidungen ein für alle Mal revidieren. Gleichzeitig bieten seine Irrungen und Wirrungen den armen Ländern aber auch Gelegenheit, ihr Entwicklungsmodell zu überdenken und sich stärker auf den heimischen und den regionalen Markt zu konzentrieren. Besonders gilt dies für afrikanische Länder, wo die kontinentale Freihandelszone langsam Form annimmt – wobei es auch hier Gewinner und Verlierer geben wird....

Für die afrikanischen Länder wird mithin eine Diversifizierung ihrer Handelspartnerschaften immer dringlicher: Laut UN Trade and Development haben 50% der afrikanischen Länder nur gerade fünf Handelspartner: China, die Europäische Union, Indien, Südafrika und die USA. Als Gegenbeispiel kann Vietnam herangezogen werden, das mit 97 Volkswirtschaften Handel betreibt. Dies veranschaulicht den Spielraum Afrikas, seine Volkswirtschaften zu stärken und zu diversifizieren. Ein Prozess, der durch die aktuellen Turbulenzen beschleunigt werden dürfte.