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Handel und Klima: Bemühungen oder Greenwashing?

29.09.2023, Handel und Investitionen

Seit der Wahl Lulas zum brasilianischen Präsidenten wird das Freihandelsabkommen der EFTA mit dem Mercosur wieder zum Thema – doch die Klimaversprechen könnten sich als Greenwashing entpuppen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Handel und Klima: Bemühungen oder Greenwashing?

Ein Holzfäller nicht weit entfernt von indigenem Land im Amazonaswald im Bundesstaat Rondonia, Brasilien.
© Lynsey Addario/Getty Images

Nach vier Jahren Stillstand könnte das Abkommen zwischen den Ländern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), der auch die Schweiz angehört, aus dem Dornröschenschlaf erwachen. Im August 2019 abgeschlossen, jedoch weder unterzeichnet, veröffentlicht noch ratifiziert – offiziell aufgrund einer sich in die Länge ziehenden rechtlichen Prüfung und der Pandemie, die Treffen in Präsenz verhinderte – könnte es nach dem Besuch von Bundesrat Guy Parmelin Anfang Juli in Brasilien nun wiederbelebt worden sein. Tatsächlich haben sich die Bedingungen vor Ort geändert: Während die EFTA-Staaten mit einem Klimaskeptiker wie Jair Bolsonaro kaum verhandeln konnten, ist dies nach der Wahl von Inácio Lula Da Silva zum brasilianischen Präsidenten wieder zu einer reellen Option geworden. Im Westschweizer Radio gab sich der Wirtschaftsminister optimistisch: «Es gibt ermutigende Signale. Die Abholzung ist im letzten Jahr um ein Drittel zurückgegangen. Lula hat sich nicht nur verpflichtet, die Entwaldung zu stoppen, sondern auch Massnahmen zu ergreifen, um den Amazonas-Regenwald wieder aufzuforsten», so Parmelin.

Zurzeit aktualisieren die Unterhändler das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung, um es dem höheren Standard des Nachhaltigkeitskapitels der Europäischen Union (EU) anzupassen.  Letztere ist parallel zur EFTA mit dem Mercosur in Verhandlungen. Nach einem zwanzig Jahre dauernden mühseligen Prozess konnte 2019 zwar eine Einigung erzielt werden, seither lag das Abkommen aber ebenfalls auf Eis.

Die europäische Entwaldungsverordnung

Am 30. Juni, eine Woche vor Guy Parmelins Besuch in Lateinamerika, trat in der EU eine neue Verordnung in Kraft, die den Import von Rohstoffen verbietet, deren Produktion die Abholzung von Wäldern vorantreibt; dazu gehören Rindfleisch, Kakao, Kaffee, Palmöl, Sojabohnen, Holz, Gummi, Kohle und Papierprodukte. Importeure müssen nachweisen, dass die Produkte am Ursprungsort nicht nach dem 1. Januar 2021 auf abgeholzten Anbauflächen erzeugt wurden, wobei die Produktionsländer in drei Kategorien eingeteilt werden, die einer relativ strengen Sorgfaltspflicht unterstellt sind. Zur Kontrolle ist gar der Einsatz von Drohnen und Satellitenbildern vorgesehen.

Bedeutet dies nun, dass das EU-Abkommen mit dem Mercosur punkto Klimaschutz akzeptabel ist? – «Nein», antwortet Pierre-Jean Sol Brasier von der Brüsseler NGO Fern, ohne zu zögern. Die Organisation hat ein umfassendes Dokument zu diesem Thema verfasst und – gemeinsam mit 50 anderen NGOs – einen offenen Brief publiziert. Die NGOs kritisieren, dass die neue Verordnung nur Wälder (im Fall von Mercosur das Amazonasgebiet), nicht aber andere Ökosysteme wie die Savannen des Cerrado, wo der Sojaanbau bereits zum Verschwinden der Hälfte der Vegetation geführt hat, und des Chaco einschliesst, was das Problem lediglich verlagern wird; sensible Produkte wie Zucker, Bioethanol, Mais und Hühnerfleisch seien nicht abdeckt, was die Produktion von Bioethanol und Zuckerrohr fördern könnte; ebensowenig Finanzdienstleistungen von Banken und Versicherungen, welche die Abholzung finanzieren. Ausserdem könnten die Länder eine politische Einigung erzielen, die das Kategorisierungssystem der neuen Verordnung schwächt. «Die laufenden Verhandlungen mit dem Mercosur könnten die neue Entwaldungsverordnung untergraben, die trotz ihrer Schwächen einen grossen Schritt nach vorne darstellt», bedauert Pierre-Jean Sol Brasier.

Aber wollte Lula nicht die Abholzung stoppen und das Amazonasgebiet wieder aufforsten? – «Er versucht es mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln», räumt der Umweltaktivist ein. «Doch er hat leider keine Mehrheit im Kongress insbesondere nicht in der Abgeordnetenkammer, wo der Bolsonarismus noch sehr stark vertreten ist. Diese fährt gerade eine gesetzgeberische Offensive gegen indigene Gemeinschaften und Wälder – mit potenziell verheerenden Folgen».

Klimapolitischer Unsinn

Auch aus klimapolitischer Sicht könnte sich das Freihandelsabkommen EFTA-Mercosur als Fehlschlag erweisen. Obwohl der Text erst zum Zeitpunkt der Unterzeichnung bekannt sein wird, schätzt die Organisation GRAIN, dass das Abkommen allein im Agrarhandel zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen um 15% führen würde. Diese Berechnung umfasst den Handel mit den zehn klimaintensivsten Produkten – Rindfleisch, Lamm und Geflügel, Mais, Soja, Hartweizen, Olivenöl und Milchpulver –, die in die EFTA-Länder importiert werden, sowie die Käseexporte der Schweiz und Norwegens in die Mercosur-Länder.

Das erstaunt nicht wirklich, wenn man bedenkt, dass laut Weltbank ein Viertel der CO2-Emissionen auf den internationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen zurückzuführen ist. Obwohl Anstrengungen unternommen wurden, um diese Effekte abzufedern, schätzt die WTO, dass nur 64 der 349 notifizierten regionalen Handelsabkommen klimarelevante Bestimmungen enthalten und dass diese weniger umfangreich und detailliert sind als andere Umweltaspekte (z. B. Biodiversität). Die gängigsten Bestimmungen definieren die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an den Klimawandel als einen Bereich der Zusammenarbeit. Viel ist das nicht.

Gefahr von Greenwashing

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) setzt der lautstarken Kritik entgegen, dass ein griffiges Kapitel über nachhaltige Entwicklung in Planung sei. Nur: Es wird nicht durchsetzbar sein, allfällige Verstösse werden keine Sanktionen nach sich ziehen. Was die Bestimmungen zum Klimawandel im engeren Sinne betrifft, so bleibt die Entwicklung abzuwarten. In den Schweizer Freihandelsabkommen verpflichten sich die Parteien im Normalfall dazu, die Vorgaben aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen und den Übergang zu einer Wirtschaft mit geringem Kohlenstoffausstoss zu fördern. Das ist mager.

Die Schweiz hätte sich am Freihandelsabkommen mit Indonesien orientieren und einen PPM-Ansatz (Process and Production Method) für sensible Produkte vorschlagen, d. h. Zollkonzessionen nur für nachhaltig produzierte Produkte gewähren können. Dies wäre in der Umsetzung zwar schwieriger als bei Palmöl, für das es internationale Standards gibt, aber die Entwicklung weiterer Standards unter Mitwirkung aller Beteiligten wäre im Bereich des Machbaren gelegen.  

Auch wenn der Text des Abkommens noch nicht vorliegt: Auf den ersten Blick deutet einiges darauf hin, dass die Bemühungen zur Bekämpfung der Klimakrise sich als Greenwashing herausstellen werden.