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Kein Freihandel mit China ohne Menschenrechte

05.11.2015, Handel und Investitionen

Von Januar 2010 bis Juli 2013 verhandelte die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit China. Schweizer NGO, darunter Alliance Sud, verlangten vom Bundesrat, dass im Abkommen die Menschenrechte respektiert und gefördert würden. Mit relativem Erfolg.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Kein Freihandel mit China ohne Menschenrechte

© Wang Yishu/Keystone/China Photopress

Arbeiterinnen bei Foxconn in Guangzhou in der chinesischen Provinz Shenzen.

Die China-Plattform, zu der neben Alliance Sud auch Solidar Suisse, die Erklärung von Bern, die Gesellschaft für bedrohte Völker und die Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft zählen, verlangte von Beginn an, dass verbindliche Klauseln zu den Menschenrechten Teil des Freihandelsabkommens sein sollen. Im Zentrum standen namentlich die Rechte der oft unterdrückten chinesischen Minderheiten. Diese Klauseln sollten auch die Respektierung der Grundrechte der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) einschliessen: Gewerkschafts- und Versammlungsfreiheit, Verbot jeglicher Form von Zwangsarbeit, Abschaffung von Kinderarbeit und der Diskriminierung von Wanderarbeitern.

Lobbying im Parlament

Alliance Sud und die China-Plattform unternahmen ein intensives Lobbying im National- und im Ständerat. Mit Erfolg, denn 2010 sprach sich die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) dafür aus, die Arbeitsrechte im Freihandelsabkommen aufzunehmen.

Sensibilisierung der öffentlichen Meinung

Im September 2012 lud die Schweiz den bekannten chinesischen Dissidenten Harry Wu in die Schweiz ein. Wu, der damals in Washington lebte und am 26. April 2016 verstorben ist, hatte 19 Jahre in chinesischen Arbeitslagern verbracht. In seinen Treffen mit PolitikerInnen, Behörden, BürgerInnen und den Medien unterstrich Wu, dass auf dem Weltmarkt zahlreiche Produkte angeboten werden, die aus den mehr als 1000 chinesischen Arbeitslagern stammen, wo zwischen drei und fünf Millionen Menschen festgehalten werden.

Angesichts des erhöhten Risikos, dass solche Waren zu erleichterten Bedingungen auf dem Schweizer Markt auftauchen, verlangte die China-Plattform vom Bundesrat erneut die  Verankerung von Menschenrechtsklauseln im Abkommen, die es erlaubt hätten, die Herkunft von Produkten aus China genauer verfolgen zu können.

Petition an Bundesrat Schneider-Ammann

Am 25. Januar 2013 während des Weltwirtschaftsforums in Davos überreichte die China Plattform Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann eine von über 23'000 Personen unterzeichnete Petition. Diese verlangte, dass im Freihandelsabkommen verbindliche Passagen zu Menschenrechten und Arbeitsnormen vorkämen und dass eine Kommission eingesetzt werde, die deren Einhaltung überprüfe. Ebenso seien klar formulierte Verfahren zu definieren, falls ILO-Normen oder die Menschenrechte im Allgemeinen verletzt würden.

Abkommen ohne Menschenrechte

Am 6. Juli 2013 unterzeichneten die Schweiz und China ein über 1100 Seiten umfassendes Abkommen. Das Wort «Menschenrechte» erscheint darin kein einziges Mal, ebenso wenig wie verpflichtende Bestimmungen zu den Arbeitsrechten. Zwar verweist der Vertrag auf ein Zusatzabkommen zu Arbeits- und Beschäftigungsfragen, aber dieses ist – anders als andere vergleichbare Parallelabkommen – nicht explizit mit dem Freihandelsabkommen verbunden. Es ruft zwar in Erinnerung, welche Verpflichtung sich aus der ILO-Mitgliedschaft ergeben, hält jedoch nicht fest, dass die Minimalstandards der ILO auch zu den Bedingungen des Freihandels gehören.

Auf dem Schweizer Markt könnten darum einheimische Produkte gegenüber solchen aus China diskriminiert werden. Kinderarbeit – offiziell zwar verboten, in der Realität aber immer noch weit verbreitet – und andere Verletzungen der Arbeitsnormen setzen Schweizer Arbeitsplätze einem absolut unlauteren Wettbewerb aus.

Ratifizierung durch das Parlament

Der Nationalrat und am 20. März 2014 auch der Ständerat haben das Freihandelsabkommen mit China ratifiziert, ohne die geringste Verbesserung in Sachen Menschen- und Arbeitsrechte zu verlangen. Der Ständerat widersetzte sich auch der Möglichkeit, dass dieser Wirtschaftsvertrag dem fakultativen Referendum unterstellt würde. Angesichts der Bedeutung des Abkommens ein fragwürdiger Entscheid.

Bedauerlicher Präzedenzfall

Die Schweiz ist das erste europäische Land, das mit China ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat. Dass darin verbindliche Bestimmungen zu Menschen- und Arbeitsrechten fehlen, ist ein unglückseliger Präzedenzfall. Denn sogar die USA, die EU und seit kurzem auch die EFTA bringen unter dem Druck der Zivilgesellschaft solche Bestimmungen in ihren  Freihandelsabkommen unter. China könnte sich in Verhandlungen mit anderen Ländern auf diese Lücken im Vertrag mit der Schweiz berufen.

Was Alliance Sud betrifft, so wird sich diese weiterhin nicht nur für Menschen- und Arbeitsrechte in zukünftigen Freihandelsabkommen einsetzen, sondern auch darauf bestehen, dass die im Zusatzabkommen mit China festgeschriebenen Bestimmungen zu den Arbeitsrechten tatsächlich auch überwacht und eingehalten werden.