Meinung

Kommunikation im Wandel: vom Mittel zum Programm

06.10.2021, Internationale Zusammenarbeit

Die anstehenden Herausforderungen verlangen ein radikales Umdenken in globalem Ausmass. Gefordert sind auch die Entwicklungsorganisationen: nicht nur im Programm, sondern auch in ihrer Unternehmenskommunikation. Von Jörg Arnold, Fairpicture.

Kommunikation im Wandel: vom Mittel zum Programm

Die ehemalige First-Lady Melania Trump in Kenia: Immer wieder stellen sich Prominente für gute Zwecke (und Bilder) zur Verfügung, auch in der Schweiz. Dadurch wird ein paternalistisches Entwicklungsverständnis zementiert.
© Saul Loeb/AFP

von Jörg Arnold

«Die Welt hat sich verändert und mit ihr die Kommunikation. Sie ist nicht mehr so wie noch vor 30 Jahren. Wir müssen lernen, die internationale Zusammenarbeit von heute zu kommunizieren. Mit der Agenda 2030 sprechen wir nun international eine gemeinsame Sprache», hielt DEZA-Direktorin Patricia Danzi aus Anlass des 60jährigen Bestehens der DEZA fest. Die anonymen Bilder ausgemergelter Kinder sind aus den Mailings und von den Websites der Hilfsorganisationen in den letzten Jahren grösstenteils verschwunden. Doch hat sich damit auch die Art und Weise verändert, wie westliche Entwicklungsorganisationen über den globalen Süden reden?

In der Schweiz engagieren sich mehr als hundert von der ZEWO anerkannte Spendenorganisationen dafür, die Welt zu einem für alle Menschen lebenswerteren Ort zu machen. Dutzende weitere, nicht zertifizierte Vereine kommen hinzu. Sie alle wollen Not lindern und eine nachhaltige Basis für die Überwindung von Armut, Hunger und Ungerechtigkeit schaffen. Sie sind geübt darin, die Inhalte ihrer Arbeit zu kommunizieren und ihren SpenderInnen näherzubringen. Sie versuchen das Verständnis für die Situation von Menschen in Not zu fördern, die Verpflichtung zu konkreter Hilfe zu stärken und ihrem eigenen Wirken damit Nachdruck zu verleihen.

Mit ihrer Kommunikation beeinflussen sie die öffentliche Meinung über die Gesellschaften im globalen Süden wesentlich. Reichweitenstarke Spendenkampagnen vermitteln Emotionen, die SpenderInnen für eine Spende überzeugen. Ob als regelmässige Berichte im kleinen Kreis oder als ausgeklügelte Direktmarketing-Aktionen: Sie prägen die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit, Armut, Not und Gewalt auf dem afrikanischen Kontinent, in Lateinamerika und in Asien mit dringlichen Bildern.

Lackmustest für Entwicklungsorganisationen

Die Kommunikationsarbeit von Entwicklungsorganisationen ist anspruchsvoll. Sie muss die eigene Arbeit gegenüber Politik und Öffentlichkeit immer wieder neu legitimieren, dabei Spenden sammeln und als wesentlichen Teil des zivilgesellschaftlichen Auftrags zusätzlich auch Sensibilisierungsarbeit leisten. Um allen diesen Ansprüchen gerecht zu werden, haben die Organisationen in den vergangenen Jahren deshalb viel in ihre Kommunikationskonzepte investiert. Ganz besonders gefordert sind sie jedoch in ihrem Narrativ über den globalen Süden. Hier haben sie den eigentlichen Lackmustest für ihre Glaubwürdigkeit zu bestehen.

Die Kritik, mit der sich Entwicklungsorganisationen im Westen konfrontiert sehen, ist vielfältig. Da sind zum Beispiel die AktivistInnen von nowhitesaviors.org aus Uganda, die medienwirksam angetreten sind, um die in ihren Augen diskriminierende Repräsentation von Menschen aus dem afrikanischen Kontinent in der Kommunikation von NGOs anzuprangern. Nach einem massiven Shitstorm hat die britische Comic Relief ihre ertragreiche Fundraisingkampagne mit Prominenten, die auf «Projektbesuch in Afrika» um Spenden bitten, eingestellt. Die AutorInnen von peacedirect reden in der im Mai 2021 publizierten Studie Time to Decolonise Aid Klartext: «Viele der heutigen Praktiken und Einstellungen im Hilfesystem spiegeln die Kolonialzeit wider und leiten sich von ihr ab, was die meisten Organisationen und Geber im globalen Norden noch immer nur widerwillig anerkennen. Bestimmte moderne Praktiken und Normen verstärken koloniale Dynamiken und Überzeugungen, wie zum Beispiel die Ideologie des ‘White Saviour’, die in der von INGOs verwendeten Spenden- und Kommunikationssymbolik sichtbar wird.»

Stereotypen unterminieren die Entwicklungszusammenarbeit

Eine in kolonialen Mustern denkende, stereotype Kommunikation − das ist ein schwerwiegender Vorwurf an die Praxis von Entwicklungsorganisationen. Er befragt nicht nur die ethische Grundhaltung der Organisationen kritisch, er konstatiert gleichzeitig einen Widerspruch zum zivilgesellschaftlichen Ziel, ungleiche Machtverhältnisse beseitigen zu wollen. Mit dem am 10. September 2020 in Bern verabschiedeten Manifest für eine verantwortungsvolle Kommunikation der internationalen Zusammenarbeit setzten die Träger- und Partnerorganisationen von Alliance Sud diesbezüglich ein verpflichtendes Zeichen. Selbstkritisch merken die AutorInnen in der Einleitung zum Manifest an: «Menschen des globalen Südens werden häufig als Objekte und Empfängerinnen und Empfänger von Hilfe oder Unterstützung dargestellt, Entwicklungsorganisationen und ihre Mitarbeitenden dagegen als handelnde Subjekte und Experten. (...) Dabei werden oftmals Stereotype reproduziert. Paternalistische Entwicklungsbilder vermitteln, dass die entwickelten Länder den unterentwickelten Ländern zeigen, wie man es richtig macht.»

Die Fixierung ganzer Kontinente und ihrer Menschen in Bildern von Armut und Abhängigkeit ist diskriminierend. Menschen dabei in der Rolle dankbarer HilfeempfängerInnen gefangen zu halten, ist entwürdigend. Es ist längst an der Zeit, dass die Entwicklungsorganisationen einen über viele Jahre sorgfältig gepflegten und durchaus erfolgreichen Fundraising-Topos über Bord werfen. Dass der Kommunikation in unserer globalen Gesellschaft eine immer grössere Bedeutung zukommt, verlangt auch von Entwicklungsorganisationen ein verstärktes Nachdenken darüber, was die eigene Kommunikation bewirkt und was sie zum Entstehen globaler Gerechtigkeit beitragen kann.

Kommunikation ist Programm

Klimakrise, Migration, Humanitäre Hilfe: Die Kommunikation von Entwicklungsorganisationen in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ist mehr als Unternehmenskommunikation und Fundraising. Mit ihren Narrativen gestaltet sie gesellschaftlichen Wandel aktiv mit und prägt wirkmächtige Denkweisen. Entwicklungsorganisationen sind dafür verantwortlich, dass ihre Kommunikation den Lebensrealitäten, -ansichten und -zielen der portraitierten Menschen entspricht. Nicht nur die operativen Organisationseinheiten, sondern auch die Kommunikationsabteilungen tun deshalb gut daran, sich in einen Theory of Change-Prozess zu begeben, in dem sie aus einer selbstreflektierten Situationsanalyse eine wirkungsorientierte Handlungslogik für ihre Arbeit entwickeln. Sie ist nötig, um die von der Gesamtorganisation angestrebte Wirkung zu erreichen. Um der Komplexität der Problemfelder − von den Dargestellten bis hin zu den EmpfängerInnen der Kommunikation − gerecht zu werden, müssen in diese Prozesse lokale AkteurInnen mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen, Expertisen und Rechten einbezogen werden. Die Zeit ist vorbei, in der es sich Entwicklungsorganisationen erlauben konnten, über die Köpfe der Menschen hinweg zu kommunizieren, die im Zentrum ihres zivilgesellschaftlichen Engagements stehen.

 

Der Autor, Jörg Arnold, ist Soziologe und war von 2002 bis 2018 Leiter Marketing und Fundraising bei Caritas Schweiz. Er ist Co-Founder von Fairpicture (fairpicture.org).

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