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Mercosur: lückenhafte Wirkungsanalysen

09.12.2020, Handel und Investitionen

Nach Abschluss der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten hat das SECO eine Wirkungsanalyse zu ausgewählten Umweltfragen in Auftrag gegeben. Die Bereiche «Soziales und Menschenrechte» wurden ausgeklammert.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Mercosur: lückenhafte Wirkungsanalysen

Einsatz von Pestiziden für den grossflächigen Anbau von Gensoja in Uruguay. Das Futtermittel wird nach China und in die EU exportiert.
© Joerg Boethling

Die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), der die Schweiz angehört, und dem Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) wurden am 23. August 2019 abgeschlossen. Über ein Jahr später ist das Abkommen allerdings immer noch nicht unterzeichnet und publiziert worden; die EFTA begnügt sich mit dem Verweis auf eine 7-seitige Zusammenfassung. Zu Beginn der Verhandlungen hatte Alliance Sud vom Bundesrat eine ex-ante-Wirkungsanalyse zu den Menschenrechten verlangt, was dieser unter dem Vorwand der mangelhaften Datenlage nicht umsetzte. Und dies, obwohl er ein Postulat der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats zur Ausarbeitung einer Methodik angenommen hatte.

Das SECO seinerseits gab eine Wirkungsanalyse in Auftrag, die am 30. Juni 2020 veröffentlicht wurde, also lange nach Abschluss der Verhandlungen. Die vom World Trade Institute durchgeführte Analyse kommt zum Ergebnis, dass das Abkommen für die Schweiz klare Vorteile bringe: Es sorge für wachsende Exporte in die Mercosur-Länder in der Grössenordnung von 55 %, während deren Exporte in die Schweiz um lediglich 5 % zunehmen würden. Mit Verweis auf den Umweltschutz würde der Anstieg der Treibhausgasemissionen aufgrund des Abkommens in der Schweiz 0,1 % und in den Mercosur-Ländern 0,02 % betragen. Bezüglich der Abholzung in den Mercosur-Ländern wurde eine mögliche Zunahme zwischen 0,02 % und 0,1 % ermittelt.

Soziale Fragen und Bodenbewirtschaftung nicht behandelt

Gemäss Elisabeth Bürgi, Rechtswissenschaftlerin am Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt der Universität Bern, deckt die Studie nur Teilbereiche ab: «Untersucht werden drei Umweltfragen: die Treibhausgasemissionen, der Biodiversitätsverlust im Zusammenhang mit der Abholzung und die Eutrophierung. Die Schlussfolgerung lautet, dass die Auswirkungen für die Abholzung minim seien, da der Gold-, Soja- und Rindfleischexport sich im Vergleich zum Status quo quasi nicht ändere. In diesem Bereich würden lediglich die Konzessionen für Mercosur-Länder konsolidiert, die sie aufgrund des Allgemeinen Präferenzsystems bereits hätten. Ansteigen würden unter anderem die Exporte von Weizen, Mais, Wein und Geflügel. Doch die Studie untersucht wichtige Bereiche nicht: Sie befasst sich weder mit Pestiziden, Bodenbewirtschaftung noch mit sozialen Fragen – wie Landrechtsfragen - und Menschenrechten. Auch untersucht sie nicht, wie der Status quo im Umweltbereich verbessert werden könnte (Soja, Gold, Fleisch).»

Die zweite, von Agroscope im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft durchgeführte Studie, kommt ebenfalls zum Schluss, dass der Rindfleischimport im Unterschied zu jenem von Weizen, Mais, Sojaöl, Schweinefleisch, Wein und Hühnerfleisch nicht ansteigen würde. Hier stellt sich die Frage, ob der Status quo beizubehalten oder zu verbessern ist. Gemäss SECO importiert die Schweiz aus Brasilien ausschliesslich Soja, das nicht gentechnisch verändert wurde und das der Abholzung keinen Vorschub leistet – was von einer vom Bundesamt für Umwelt in Auftrag gegebenen Studie bestätigt wurde.

GVO-freies und abholzungsneutrales Soja nicht rentabel

«Tatsächlich gibt es in Brasilien eine Region, aus der Soja in die Schweiz exportiert wird, das garantiert GVO-frei ist und der Abholzung keinen Vorschub leistet», bestätigt Elisabeth Bürgi. «Allerdings zeigt die BAFU-Studie auch auf, dass nicht alle Umweltprobleme gelöst sind – dass zum Beispiel der Pestizideinsatz hoch ist – dass sich aber eine nachhaltigere Sojaproduktion nicht lohnt, da die Preisunterschiede zu konventionellem Soja zu gering seien. Zur Gewährleistung des erforderlichen Preisunterschieds könnte z.B. wirklich nachhaltiges Soja z.B. zu besseren Konditionen importiert werden, was schwierig wäre, da Soja ja bereits heute zollfrei importiert wird. Wie aber das jüngst ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Indonesien gezeigt hat, welches Zollsenkungen für Palmöl an die Einhaltung von sozialen und ökologischen Kriterien knüpft, gäbe es solche Möglichkeiten, wofür auch die WTO einen gewissen Handlungsspielraum belässt. Jedoch wurde dieser Ansatz für das Abkommen mit dem Mercosur nicht gewählt – weder für Soja noch für irgendwelche andere Produkte.»

Das Postulat der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission verlangt vom Bundesrat, eine Methodik für die Erstellung von Nachhaltigkeitsstudien zu erarbeiten. Man sei aber noch nicht am Ziel, so die Wissenschaftlerin: «Das Vorgehen ist zögerlich. Es liegen gegenwärtig verschiedene Studien von diversen Auftraggebern auf dem Tisch, die unterschiedliche Perspektiven aufzeigen und Methoden anwenden und das Abkommen entweder legitimieren oder in Frage stellen. Diese Studien helfen zwar, den Inhalt des Abkommens und seine möglichen Konsequenzen besser zu verstehen, aber sie kommen zu spät, denn das Dossier ist bereits geschlossen. Das Ziel von Wirkungsanalysen wäre vielmehr, rechtzeitig Informationen zu generieren und den beteiligten Akteuren dadurch zu ermöglichen, sich in den Prozess einzubringen.  Die Analysen sollen helfen, Fragen wie die folgenden zu beantworten: Welcher Prozess wird mit dem Abkommen angestossen? Wie könnte das Abkommen formuliert werden, damit nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch Umwelt- und Sozialziele berücksichtigt werden? Ziel sollte ein Abkommen sein, das nicht einfach den Status quo konsolidiert, sondern ihn verbessert – beispielsweise über die Gewährung von Zollpräferenzen auf Produkte, die gewisse Standards erfüllen, oder auf verarbeitete Produkte – gekoppelt an finanzielle Unterstützung zur Stärkung des Transformationsprozesses im Partnerland.»

Protostudie zu den Menschenrechten von Alliance Sud

Im Klartext: Ein solches Abkommen würde die bestehende Situation weiter zementieren, in der die Mercosur-Länder Rohstoffe mit geringem Mehrwert exportieren – mit mehr oder weniger erheblichen Auswirkungen auf die Abholzung – und Industrieprodukte und Dienstleistungen importieren. Ganz zu schweigen von einer Stärkung der Rechte des geistigen Eigentums, die normalerweise in solchen Abkommen vorgesehen ist und die den Zugang zu Saatgut und Medikamenten erschwert. Hinzu kommen weitere, menschenrechtsrelevante Probleme, wie es eine von Alliance Sud in Auftrag gegebene Pilotstudie veranschaulicht.

Mit dieser Studie wollte Alliance Sud aufzeigen, dass sowohl eine Methodik als auch die erforderlichen Daten für eine Menschenrechtsanalyse vorhanden sind. Nun ist es am SECO, selber eine solche zu erarbeiten oder unsere Studie zu verwenden. Und die Thematik der Menschenrechte und der sozialen Entwicklung genauso einzubeziehen wie Umweltfragen – denn darum geht es bei der nachhaltigen Entwicklung. Bevor die Diskussion im Parlament und in der Öffentlichkeit beginnt, müssen die Auswirkungen dieses Abkommens auf die Bevölkerungen der Mercosur-Länder bekannt sein. Schliesslich befinden sich Argentinien und Brasilien unter den am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Ländern; ein Abkommen sollte die bereits dramatische wirtschaftliche und soziale Krise nicht noch weiter zuspitzen. Das wäre die Gelegenheit, das Abkommen mit innovativen Bestimmungen zu ergänzen und zu verbessern. Oder es abzulehnen.