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Bundesrat heftig zurückgepfiffen

25.03.2019, Internationale Zusammenarbeit

Die Rüstungsindustrie darf nicht mit erleichterten Exporten in Bürgerkriegsländer gestärkt werden. Waffenexporte und Entwicklung vertragen sich schlecht.

Bundesrat heftig zurückgepfiffen
Die Schweizer Waffenindustrie ist gut vertreten an der IDEX (International Defence Exhibition & Conference) in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate.
© Philipp Künzli

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Als der Bundesrat Mitte Juni 2018 über seinen Beschluss informierte, die Ausfuhr von Kriegsmaterial in Bürgerkriegsländer zu erleichtern, fiel der Protest heftig aus. Die einseitige Berücksichtigung der Bedürfnisse der Rüstungsindustrie auf Kosten von Menschenleben in Konfliktgebieten löste bei Parteien und BürgerInnen Entsetzen aus. Wie kann die Schweiz Waffen in Bürgerkriegsländer liefern und gleichzeitig gute Dienste anbieten und auf ihrer humanitären Tradition bestehen? Im Nationalrat fand in der Herbstsession eine dringliche Debatte zum Thema statt, bereits stand die Absichtserklärung im Raum, es werde eine Volksinitiative lanciert, sollte der Bundesrat seinen Entscheid nicht rückgängig machen.

Die Ausfuhrkriterien für Waffenexporte waren bereits vor zehn Jahren auf der politischen Agenda. 2006 hatte die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) ihre Volksinitiative „Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Export“ lanciert. Als Antwort darauf verschärfte der Bundesrat 2008 die Ausfuhrbedingungen. Die Kriegsmaterialverordnung wurde in mehreren zentralen Punkten ergänzt. So wurden Exporte verboten, wenn das Bestimmungsland in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt ist, die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt oder zu den am wenigsten entwickelten Ländern zählt. Ebenso wurden Exporte ausgeschlossen, wenn ein hohes Risiko besteht, dass die Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt oder an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben werden. Die weiter gehende GSoA-Initiative wurde im Folgenden an der Urne abgelehnt.

Alleingänge der Regierung verunmöglichen

Im Nationalrat stiess insbesondere der Alleingang des Bundesrates sauer auf. Entsprechend wurde eine Motion der BDP angenommen, welche die Mitsprache des Parlaments verankern will. Sie fordert, die Bewilligungskriterien für Auslandgeschäfte aus der Verordnung zu streichen und in das Kriegsmaterialgesetz aufzunehmen. Damit würde die Verantwortung vom Bundesrat an das Parlament übergehen. Änderungen der Ausfuhrbestimmungen müssten den parlamentarischen Weg gehen und könnten via Referendumsoption auch den Schweizerinnen und Schweizern vorgelegt werden.

Aus entwicklungspolitischer Sicht sind verschiedene Aspekte des Themas relevant. Generell gilt, dass Frieden eine Grundvoraussetzung für Entwicklung ist. Der Einsatz der Entwicklungszusammenarbeit für friedliche, stabile Gesellschaften ist auch ein Einsatz für erfolgreiche soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Die internationale Unterstützung für funktionierende Bildungs- und Gesundheitssysteme in den ärmsten Ländern darf dabei aber nicht Budgetmittel im Zielland freimachen, die für militärische Aufrüstung ausgegeben werden. Entsprechend war die Bestimmung in der Verordnung von 2008 ein wichtiger Hebel, um Rüstungsexporte in die am wenigsten entwickelten Länder zu untersagen und zu verhindern, dass staatliche Mittel für Rüstungskäufe ausgegeben wurden, sondern prioritär in Armutsbekämpfung und die Finanzierung von Gesundheit und Bildung flossen. Diese Bestimmung hatte der Bundesrat 2014 in einer ersten Lockerung der Kriegsmaterialverordnung abgeschwächt. Der Entwicklungsstand eines Landes sollte nur berücksichtigt werden, jedoch kein zwingendes Hindernis für die Exportbewilligung darstellen. Im Zusammenhang mit der sich verändernden Natur von Konflikten und zunehmender terroristischer Gefahren beispielsweise im Sahel hat die Frage nach staatlichen Ausgaben für nationale Sicherheitskräfte durchaus seine Berechtigung. Die Schweiz muss bei der Prüfung entsprechender Anfragen aber zwingend abklären, ob die Polizei oder andere sicherheitspolitischen Akteure im Bestimmungsland einer demokratischen Kontrolle unterstehen. Ist diese nicht gewährleistet, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden.

In der Beurteilung des Kontextes hat die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) eine wichtige Rolle zu spielen. Sie ist in vielen der ärmsten Länder mit Programmen im Bereich der Regierungsführung aktiv und verfügt über die Möglichkeiten, um die Situation vor Ort treffend einschätzen zu können. Entsprechend ist es unerlässlich, die Deza in die Beurteilung von Exportgesuchen einzubeziehen. Sie kann mithelfen, den Grad der demokratischen Kontrolle der Sicherheitskräfte oder die Korruption in einem Land zu beurteilen. Korruption ist ein wesentlicher, aber nicht ausreichender Indikator zur Einschätzung, ob die Zusicherungen eines Käufers glaubhaft sind, die Waffen nicht weiter zu verkaufen.

Der Bundesrat hat am 31. Oktober seinen Verzicht auf die Lockerung der Kriegsmaterialverordnung bekannt gegeben. Doch der Stein ist ins Rollen gekommen und lässt sich nicht mehr stoppen. Eine breite Allianz gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer hat in nur zwei Monaten bereits die nötigen 100‘000 Unterschiften für ihre Initiative gesammelt, zurzeit läuft deren Beglaubigung. Die sicherheitspolitische Kommission des Ständerats empfahl am 11. Februar ihrem Rat, auf eine Beratung der BDP-Motion zu verzichten und die Frage im Rahmen der Debatte zur Initiative zu führen. Am 11. März folgte der Ständerat der Argumentationslinie der Kommission. Die Debatte um Waffenexporte in Bürgerkriegsländer wird damit auf die lange Bank geschoben.

 
Korrekturinitiative

Nach Bekanntgabe des bundesrätlichen Entscheids, die Ausfuhrbestimmungen für Waffenexporte zu lockern, formierte sich rasch eine breite gegnerische Allianz. Von den Alliance Sud-Träger- und Partnerorganisationen sind Helvetas, HEKS, Swissaid und Terre des Hommes Schweiz Teil dieser Koalition. Die sogenannte Korrekturinitiative will Waffenexporte in Bürgerkriegsländer verbieten. Erklärtes Ziel ist nicht ein generelles Exportverbot, wie es die Initiative der GSoA 2006 verlangte, sondern eine Rückkehr zum Stand von vor 2014, als die Kriegsmaterialverordnung zuletzt gelockert wurde. 24 Stunden nach Bekanntgabe, dass die Lancierung einer Initiative geprüft werde, hatten bereits 25‘000 Menschen versprochen, je vier Unterschriften zu sammeln.

 
Zahlen und Fakten

  • Für zivile Friedensförderung und Menschenrechte hat die Schweiz 2017 100 Millionen Franken ausgegeben. (Quelle: EDA)
  • Die weltweiten Militärausgaben beliefen sich 2017 auf 1‘739 Milliarden US-Dollar. (Quelle: SIPRI)
  • Zur Finanzierung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030) rechnet die UNO mit einem jährlichen Finanzbedarf von 5000 bis 7000 Milliarden US-Dollar.

Die Bedeutung von Kriegsmaterialexporten für den Werkplatz Schweiz ist bescheiden. Gesamthaft exportierte die Schweiz 2016 Güter im Umfang von fast 211 Milliarden Franken. Annähernd die Hälfte davon entfiel auf die Pharmaindustrie. Der Anteil der Rüstungsexporte machte nur knapp 0,17 Prozent des gesamten Aussenhandels aus.

Die Befürworter möglichst schrankenloser Waffenexporte behaupten, die Schweiz brauche eine Rüstungsindustrie für ihre eigene Sicherheit und nur ungehinderte Exporte garantierten deren Überleben.

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Unter den grössten Abnehmern von Schweizer Rüstungsgütern fallen drei Länder auf, in denen entweder fundamentale Menschenrechte nicht garantiert sind und/oder die als akute Gefährdung für den Frieden in ihrer Region eingeschätzt werden müssen. Indien (Rang 3) kaufte 2016 für 35 Mio. Franken Schweizer Waffen, Pakistan (Rang 5) für 16 Mio. und Saudi-Arabien (Rang 10) für 12 Mio. Für den in dieser Grafik ausgewiesenen wachsenden Anteil an Waffenexporten nach Afrika ist primär Südafrika (Rang 2, 51 Mio.) verantwortlich.

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So geht wirkungsvolle EZA

06.05.2019, Internationale Zusammenarbeit

Zum Auftakt der Vernehmlassung über die internationale Zusammenarbeit 2021-2024 hat Alliance Sud in einem Positionspapier zusammengefasst, an welchen Prinzipien sich gute und sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit (EZA) orientiert.

So geht wirkungsvolle EZA

© SRF Arena

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Das Positionspapier von Alliance Sud «Die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz» gibt auf folgende Fragen Auskunft:

  • Aktuelle Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit
  • Was ist der Auftrag der Entwicklungszusammenarbeit?
  • Weshalb soll sich die Schweiz in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren?
  • Wie soll die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz gestaltet werden?
  • Welches sind die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz?
  • Wo soll die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz ihre Schwerpunkte setzen?
  • Wer sind die Partner der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit?
  • Wie soll die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz finanziert werden?
  • Wie soll die Wirkung gemessen werden?

Die Forderungen von Alliance Sud auf einen Blick:

  1. Die Schweiz verbessert ihre Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung. Dafür müssen alle Politikbereiche, die Auswirkungen auf Entwicklungsländer haben, entwicklungsfördernd gestaltet werden.
  2. Die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz orientiert sich weiterhin an ihrem verfassungsmässigen Grundauftrag und den entsprechenden gesetzlichen Prinzipien – insbesondere am Auftrag, Not und Armut zu lindern.
  3. In der konkreten Ausgestaltung achtet die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz darauf, dass sie mehrere Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vorwärts bringt, ohne Rückschritte bei der Verwirklichung anderer Ziele zu riskieren.
  4. Die Entwicklungszusammenarbeit trägt weiterhin und noch stärker als bisher in ärmeren Ländern zur Reduktion von Ungleichheiten und zur Verbesserung der lokalen Lebensperspektiven bei, etwa indem sie die ländliche Entwicklung, den Zugang zu Bildung und Gesundheit sowie die gute Regierungsführung fördert. Sie orientiert sich dabei an den Bedürfnissen der Ärmsten und am stärksten Benachteiligten (leave no one behind).
  5. In der Ausgestaltung ihrer Entwicklungszusammenarbeit folgt die Schweiz einem rechtebasierten Ansatz (rights-based approach).
  6. Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit sucht verstärkt die Zusammenarbeit mit lokalen NGOs und gemeinschaftsbasierten Organisationen (community based organisations, CBO). Insbesondere in Ländern mit autoritären Regimes trägt sie dadurch zum Aufbau eines zivilgesellschaftlichen Gegengewichts bei, das zu inklusiveren politischen Entscheidungsprozessen beitragen kann.
  7. Die Kriterien für ein Engagement in einem Land müssen sich am Entwicklungsstand (Human Development Index der Uno, HDI) dieses Landes orientieren. Länder mit tiefem Entwicklungsstand/HDI-Rang sind zu priorisieren. In aufstrebenden Ländern soll sich die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz vor allem in Form von Politikdialog engagieren, um auch hier für partizipative und inklusive Entwicklungsprozesse, die Einhaltung der Menschenrechte und die Zusicherung eines offenen Handlungsspielraums für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu sorgen.
  8. Die Schweiz gestaltet Migration über geeignete Interventionen so mit, dass kein Land davon überfordert wird, alle Betroffenen daraus den grösstmöglichen Entwicklungsnutzen ziehen und insbesondere die Rechte der Migrantinnen und Migranten geschützt sind.
  9. Die Schweiz führt ihre bewährte Partnerschaft zwischen den staatlichen Akteuren der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und den privaten Schweizer Entwicklungsorganisationen weiter und baut sie nach dem Prinzip der geographischen und thematischen Komplementarität aus.
  10. Partnerschaften zwischen den Akteuren der internationalen Zusammenarbeit und dem Privatsektor richten sich primär an lokale kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Sie müssen sich am gesellschaftlichen Nutzen in den Entwicklungsländern orientieren, auf die Schaffung menschenwürdiger und nachhaltiger Arbeit abzielen und höchste Standards in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz erfüllen.
  11. Die Schweiz erhöht ihre Ausgaben für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (APD: aide publique au développement) auf 0.7% des Bruttonationaleinkommens.
  12. Die Schweiz rechnet Kosten zur Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden nicht länger der APD an.
  13. Die Schweiz schafft Quellen für innovative und verursachergerechte öffentliche Klimafinanzierung, um gegenüber den Entwicklungsländern einen fairen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels und vor allem auch zur Anpassung an seine Folgen zu leisten.
  14. Über ihr Mitwirken in verwaltungsinternen politischen Konsultationsprozessen und Mitberichtsverfahren wirken die Akteure der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit darauf hin, dass Entscheide kohärent im Sinne von nachhaltiger Entwicklung gefällt werden.
  15. Die Schweizer Entwicklungsakteure investieren– unter Einbezug der Schweizer NGOs und der Wissenschaft – weiterhin in die Wirkungsmessung. Quantitative und qualitative sowie output- und wirkungsfokussierte Methoden müssen sich dabei ergänzen und kombiniert werden.

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OECD fordert von der Schweiz mehr Politikkohärenz

13.06.2019, Internationale Zusammenarbeit

Die Schweiz soll mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben, den Fokus auf Armutsreduktion beibehalten und die Politikkohärenz stärken. Dies fordert der Entwicklungsausschuss der OECD (DAC).

OECD fordert von der Schweiz mehr Politikkohärenz

von Eva Schmassmann, ehemalige Fachverantwortliche «Politik der Entwicklungszusammenarbeit»

Alle 5 Jahre unterziehen sich die Mitglieder des OECD Entwicklungsausschusses einem gegenseitigen Prüfverfahren (Peer Review), welches die Wirksamkeit, die Finanzierung und die Arbeitsweise ihrer internationalen Zusammenarbeit (IZA) prüft. Dieses Jahr haben die DAC-Mitgliedsstaaten Dänemark und Portugal die IZA der Schweiz genauer unter die Lupe genommen. Eine Delegation der beiden Länder führte hierzu Gespräche mit Ignazio Cassis, dem Vorsteher des Eidgenössischen Departments für auswärtige Angelegenheiten (EDA), mit Entscheidungsträgern des Departments für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA), des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) sowie der Abteilung für menschliche Sicherheit (AMS). Ausserdem wurden verschiedene Parlamentsmitglieder, sowie die beratende Kommission für internationale Zusammenarbeit und eine Vielzahl nichtstaatlicher und privatwirtschaftliche Akteure konsultiert. Nach ihrem einwöchigen Besuch in Bern reiste die DAC-Delegation weiter in die Ukraine, um sich vor Ort ein Bild vom Engagement der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz zu machen.

Erstmals durften die Schweizer NGOs neben dem offiziellen Memorandum der DEZA, SECO und AMS, den Reviewern im Vorfeld des Peer Review Prozesses ihre eigene Sicht auf die Schweizer IZA zukommen lassen. Die Schweiz zeigte sich auch sonst sehr offen für die Kritik der NGOs und lud mit Mark Herkenrath, Direktor von Alliance Sud, einen Vertreter der Zivilgesellschaft zur Länderdiskussion des Peer Reviews nach Paris ein.

Am 5. April 2019 veröffentlichte der DAC seine Empfehlungen an die Schweiz. Obwohl die DAC die Schweizerische IZA für ihre Expertise, Flexibilität und Zuverlässigkeit, sowie gute Synergien zwischen ihrem bilateralen und multilateralen Engagement lobt, werden verschiedene Aspekte bemängelt. Die folgenden Empfehlungen des DAC sind für Alliance Sud zentral:

Es wird festgehalten, dass die Schweiz mehr tun muss um die politische Kohärenz zu stärken, sowie eine öffentliche Debatte über die Auswirkungen verschiedener innen- und aussenpolitischer Entscheide auf die Entwicklungsländer anzuregen.

Ebenfalls erwähnt wird die Notwendigkeit die Gelder für die IZA progressiv zu erhöhen – in einem ersten Schritt auf die 2011 versprochenen 0.5% des BNE, längerfristig aber mindestens auf die in der Addis Abeba Action Agenda und der SDG Agenda vorgesehenen 0.7%.

Als weiterer Punkt wird angeführt, dass die Schweiz sicherstellen muss, dass ihre Entwicklungsprogramme weiterhin auf die langfristige Armutsreduktion und nachhaltige Entwicklung in Partnerländern ausgerichtet bleiben und nicht in den Dienst migrationspolitischer Interessen gestellt wird. Im Bezug auf die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor, sei es zudem wichtig, dass die DEZA eine klare Strategie und Vision entwickelt, welche komplementär zur Strategie des SECO zu sehen ist.

Zudem wird bemängelt, dass sich die bisherigen Partnerschaften der Schweiz mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen hauptsächlich auf die Implementierung von Schweizer IZA Projekten beschränkt. Somit verpasst die Schweiz eine Chance die lokale Zivilgesellschaft als eigenständigen «Agent of Change» wahrzunehmen und zu stärken.

Die Empfehlungen der Peer Review werden sicherlich in die Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit Eingang finden, wobei sich Alliance Sud vor allem dafür einsetzen wird, dass die obenstehenden Prioritäten angemessen berücksichtigt und umgesetzt werden.

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An der Mehrheit vorbei politisiert

14.06.2019, Internationale Zusammenarbeit

Bundesrat Cassis will die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit neu ausrichten. Zentrale Anliegen von Alliance Sud wie die Agenda 2030 und die Rolle der Zivilgesellschaft im globalen Süden finden dabei kaum Erwähnung.

An der Mehrheit vorbei politisiert
Mark Herkenrath, Geschäftsleiter Alliance Sud.
© Daniel Rihs/Alliance Sud

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Rund zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger der Schweiz wünschen sich, dass unser Land seine Entwicklungsausgaben erhöht. Sie sind der Ansicht, dass die Entwicklungszusammenarbeit im Interesse der Schweiz ist und zur Sicherheit in der Welt beiträgt. Zu diesem Schluss kommt die kürzlich veröffentlichte Studie «Sicherheit 2019» der Militärakademie und des Zentrums für Sicherheitsstudien der ETH. In der Suisse romande sprechen sich sogar mehr als 80% der Bürgerinnen und Bürger für einen Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit aus.

Der Bundesrat lässt sich vom grossen Rückhalt, den die Entwicklungszusammenarbeit in der Bevölkerung geniesst, nicht beeindrucken. Im Entwurf zur Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2021-2024 schlägt er vor, dass die Schweiz in den kommenden Jahren gerade einmal 0,45% ihres Bruttonationaleinkommens für die öffentliche Entwicklungshilfe aufwenden soll. 2016 waren es immerhin 0,53%. Seither musste die Entwicklungszusammenarbeit massive Einsparungen über sich ergehen lassen; trotz jährlicher Milliardenüberschüsse in der Bundeskasse.

Die reiche Schweiz gibt aktuell einen kleineren Anteil ihres Nationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit aus als der Durchschnitt aller EU-Staaten. Abzüglich der Asylausgaben, die absurderweise auch zur öffentlichen Entwicklungshilfe gerechnet werden können, soll dieser Anteil in den nächsten Jahren gar nur 0,4% betragen.

Der Botschaftsentwurf zur zukünftigen internationalen Zusammenarbeit der Schweiz lässt aber nicht nur in Sachen Finanzen zu wünschen übrig. Er ist auch in strategischer Hinsicht oberflächlich und lückenhaft. So fehlt das klare Bekenntnis, dass die Reduktion von Armut und die Stärkung der Zivilgesellschaft weiterhin Hauptziele des Schweizer Engagements sein sollen. Die Reduktion von Armut ist nur dann und dort noch ein Ziel, wo dies auch aus migrationspolitischen Gründen opportun erscheint. 

Stattdessen soll die Entwicklungszusammenarbeit vor allem auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und Partnerschaften mit privatwirtschaftlichen Akteuren ausgerichtet werden. Es fehlt der entscheidende Hinweis darauf, dass es dabei um menschenwürdige Arbeit im Rahmen einer ökologisch nachhaltigen Produktionsweise gehen muss. Welche Kriterien die privatwirtschaftlichen Partner in Sachen Menschenrechte, Umweltschutz und fairer Besteuerung erfüllen sollen, bleibt im Botschaftsentwurf ungeklärt.

Alliance Sud wird sich in ihrer Vernehmlassungsantwort für eine Botschaft einsetzen, welche die Umsetzung der Uno-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ins Zentrum stellt. Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit muss dem Kampf gegen Armut und der Linderung von Not dienen. Und sie soll in ihren Partnerländern mehr denn je all jene zivilgesellschaftlichen Kräfte unterstützen, die für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit einstehen.

Meinung

Die zurückgelassenen Männer

14.06.2019, Internationale Zusammenarbeit

Es ist eine Binsenwahrheit: Ohne aufgeschlossene Männer gibt es in der Genderdebatte keinen Fortschritt. Was aber ist, wenn wie in der Mongolei die Männer in Sachen Bildung abgehängt werden?

Die zurückgelassenen Männer
Ohne Pickup-Truck wären die riesigen Distanzen in der mongolischen Steppe nicht zu überwinden.
© zVg

von Lkhamdulam Natsagdorj

Galaa[1] und seine Frau Odnoo sind Hirten im Verwaltungsbezirk (mongolisch Soum) Tsenkher rund 450 Kilometer von der Hauptstadt Ulaanbaatar entfernt. Sie haben zwei Kinder - den 30-jährigen Sohn Tumur und die 20-jährige Tochter Tuya. Tumur ist ebenfalls Hirte und immer noch nicht verheiratet. Üblich wäre auf dem Land, allerspätestens mit 25 den Bund fürs Leben zu schliessen. «Ich habe mich in allen benachbarten Tälern nach einer potentiellen Frau umgesehen und es gab keine», sagt er. Tuya studiert in der Hauptstadt für einen  Bachelor. «Ich werde nach meinem Abschluss nie zurückkehren, sondern mich in der Stadt niederlassen», sagt sie zuversichtlich. Auf die Frage nach dem Grund ihrer Entscheidung antwortet sie: «Das Nomadenleben ist so hart.»

Ähnliche familiäre Konstellationen haben wir sie in der ländlichen Mongolei während unserer Forschung mit dem Projekt WOLTS[2] immer wieder erlebt. Alleinstehende Männer erzählen uns, dass die wenigsten Jungen, die für einige Jahre nach Ulaanbaatar gezogen sind, wieder aufs Land zurückkehren. Zu angenehm könne das Leben in der Stadt sein. Von der Landflucht zurückgehalten werden von ihren Familien vor allem junge Männer, denn die werden dringender benötigt bei der harten Arbeit draussen beim Vieh.

Etwa 20% der mongolischen Haushalte pflegen heute noch eine halbnomadische Lebensweise, die sich ausschließlich auf die Tierhaltung stützt. Und wir Mongolen sind stolz auf diese tief verwurzelte Identität als Hirtenvolk, es war über Jahrhunderte die beste Art und Weise, sich an ein empfindliches Ökosystem anzupassen, wir müssen uns bewegen, wenn wir Weiden für unser Vieh haben wollen. Männer und Frauen haben in dieser Lebensform unterschiedliche Aufgaben, die Männer arbeiten vor allem draussen und sorgen dafür, dass die Herden erhalten, was sie brauchen, während die Frauen sich ums Melken, die Verarbeitung der Milch, die Kinderbetreuung und den Haushalt kümmern. Auch in der ländlichen Mongolei braucht es zwei, um Tango zu tanzen.

Als die Mongolei in den 1990er Jahren schnell vom Sozialismus auf die Marktwirtschaft umstellte, stieg der Druck auf die jungen Männer, für ihre Familien Bargeld zu verdienen. Viele versuchten es als Händler oder verliessen das Land, um ihr Glück als Arbeitskräfte in Ländern wie Südkorea, den USA und oder Grossbritannien zu suchen. Für junge Frauen dagegen öffnete sich der Zugang zu den Universitäten. Ich erinnere mich, dass wir in meinem Bachelorstudium unter 50 Studierenden nur gerade vier Männer in unserer Klasse hatten. Auf dem Land begannen sich die Eltern an die neue Lebensweise anzupassen, indem sie ihre Söhne oder mindestens einen davon zu Hause bleiben liessen, um ihr Vieh zu treiben, die Töchter dagegen zur Schule und zum Studium schickten. In unserer Arbeit bei WOLTS untersuchen wir einige der sozialen Konsequenzen, welche die Benachteiligung der Männer im Bildungsbereich für die Gesellschaft hat. Denn unsere Feldarbeit bestätigt für die ländlichen Gebiete, was auch die nationalen Statistiken für die ganze Mongolei belegen: Die Frauen sind deutlich besser ausgebildet als die Männer. Der Global Gender Gap Report 2018 zeigt, dass 86,1% der Frauen in der Mongolei eine Sekundarschulausbildung absolvieren, verglichen mit 77,7% der Männer. Dieses umgekehrte Geschlechtergefälle akzentuiert sich bei der höheren Bildung, zu der 76,4% der Frauen, aber nur 53,5% der Männer Zugang haben. Und schliesslich spiegeln sich die Unterschiede auch in den Anteilen von Frauen und Männern, die in technischen Berufen zu finden sind. 64,6% Frauen stehen 35,4% Männer gegenüber.

Nach dem mongolischen Gesetz über die Grund- und Sekundarbildung aus dem Jahr 2002 müssen alle Kinder eine 12-jährige Schulbildung haben. Das gut gemeinte Gesetz soll das Bildungssystem des Landes an internationale Standards anpassen, übt aber zusätzlichen Druck auf den traditionellen halbnomadischen Lebensstil aus, der zwangsläufig saisonalem Wechsel unterworfen ist. Mit nur 1,9 Menschen pro Quadratkilometer ist die Mongolei das am dünnsten besiedelte Land der Welt und Schulen gibt es nur in den Bezirkshauptorten, entsprechend schwer sind sie für die ländliche Bevölkerung zu erreichen. Verheiratete Nomadenpaare setzt das unter Druck, den grössten Teil des Jahres getrennt zu leben, damit Mütter ihren Kindern den Schulbesuch im Hauptort des Soum ermöglichen können.

Wir treffen uns mit Bold, der jedes Jahr für mindestens zehn Monate allein bleibt, während seine Partnerin im Soum-Zentrum bleibt und sich dort während des ganzen Schuljahrs um die gemeinsamen Kinder kümmert. Herdenarbeit ist an sich schon hart, jetzt muss er sie ohne weibliche Unterstützung erledigen. Er kämpft darum, die Viehzucht am Leben zu erhalten, sie ist die einzige Einkommensquelle der Familie. Bold wirkt, als hätte er die Hoffnung verloren, sein Haushalt ist chaotisch, es ist kalt, es brennt kein wärmendes Feuer in der Jurte um Essen zu kochen. Er sagt: «Ohne meine Frau ist das kein richtiges Zuhause, ich bin nur noch zum Geld machen gut». Viele Männer in dieser Situation beginnen zu trinken, Alkoholismus ist in der Mongolei zu einem Problem geworden.

Wie aber wirkt sich diese Situation auf die Frauen aus? Viele der Mädchen, die an den Universitäten in der Hauptstadt Ulaanbataar studieren, arbeiten nach ihrem Abschluss als Händlerinnen, andere arbeiten als Kellnerinnen. Längst nicht alle junge Frauen, die für ein besseres Leben in die Stadt aufgebrochen sind, können beruflich erfolgreich sein. Denn das Leben in der Stadt ist vielleicht körperlich weniger hart, kann aber auf andere Weise brutal sein. Im Grossraum Ulaanbaatar leben mittlerweile auf 0,3% der Fläche des Landes zwei Drittel der mongolischen Bevölkerung von insgesamt gut 3 Millionen; die unendliche Weite unserer Heimat hat sich dort in ihr Gegenteil verkehrt.

Die Themen, die ich hier beschreibe, tragen zu grösseren sozialen Problemen in der Hauptstadt bei. Nicht wenige Mädchen und junge Frauen in Ulaanbaatar, die dort keine gut geregelte Unterkunft haben, landen in der Prostitution oder werden Opfer von Menschenhändlern. Und auch jenen, denen es gelingt, mit ihrer Ausbildung Karriere zu machen, fällt es schwer, einen passenden Mann zu finden, wie das unlängst auch in der britischen Zeitung The Guardian beschrieben wurde.

In unserer intensiven Feldarbeit mit WOLTS in drei verschiedenen Regionen der Mongolei stossen wir immer wieder auf diese Problematik von getrennt lebenden Familien und zurückgelassenen Hirten. Wir Mongolinnen und Mongolen müssen dringend Lösungen suchen und finden, bevor unsere nomadisch-mongolische Identität und unsere traditionelle pastorale Lebensweise zerstört wird.

 

Die Autorin Lkhamdulam ist Mitbegründerin und Vorsitzende der mongolischen NGO People Centered Conservation (PCC) und aktive Mitarbeiterin des Women's Land Tenure Security (WOLTS) Projekts.

 

[1] Die Namen wurden geändert

[2] Women's Land Tenure Security (WOLTS) ist eine Zusammenarbeit zwischen den NGOs Mokoro Ltd (UK), PCC (Mongolei) und HakiMadini (Tansania).

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«Für Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit!»

14.06.2019, Internationale Zusammenarbeit

Die höchste Schweizerin hat zum 25. Jahrestag des Genozids Ruanda und anschliessend Mosambik, eines der ärmsten Länder der Welt, besucht. «global» sprach mit der Ärztin und Nationalratspräsidentin Marina Carobbio.

«Für Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit!»
Marina Carobbio
© Daniel Rihs / Alliance Sud

Interview: Daniel Hitzig, ehemaliger Verantwortlicher für Medien und Kommunikation bei Alliance Sud

global: Welche persönlichen Eindrücke haben Sie von dieser Afrikareise mitgenommen?

Marina Carobbio: Es war eine sehr intensive und anspruchsvolle Reise. Das Gedenken an den Völkermord in Ruanda 1994 war ein sehr starker Moment. Die Menschen zu hören, die den Genozid persönlich überlebt haben, das hat mich sehr berührt. Es ist notwendig, daran zu erinnern, damit sich etwas Ähnliches nicht wiederholen kann. Dabei gibt es immer noch viele Orte, an denen es inakzeptable Angriffe auf Menschen und die Menschenrechte gibt. Die Reise hat mich sehr motiviert, mein Engagement für die Entwicklungszusammenarbeit fortzusetzen.

Dass die Wahl auf Ruanda und Mosambik fiel, war sicher kein Zufall.

Natürlich nicht. Es interessierte mich, die Rolle der Frauen in Schweizer Entwicklungsprojekten kennenzulernen, speziell wollte ich auch Projekte im Gesundheitswesen sehen. Wir wissen im Allgemeinen ja wenig über Afrika und Politiker und Politikerinnen sollten mehr darüber erfahren, was die Schweiz tut und was sie selbst aus dieser Zusammenarbeit lernen kann. Denn Entwicklung ist nie eine Einbahnstrasse. Bei meinen Besuchen stand die Rolle des Bundes im Vordergrund. Unser Land gilt als Vorbild in Sachen gute Regierungsführung und ist als zuverlässiger Partner anerkannt.

Die Schweiz verfügt über drei aussenpolitische Instrumente – die Entwicklungszusammenarbeit, die Friedens- und Menschenrechtsförderung sowie die humanitäre Hilfe. Was haben Sie bei Ihrem Besuch diesbezüglich erfahren?

In beiden Ländern haben wir Wasser- und Gesundheitsprojekte besucht, aber auch solche, mit denen Menschen unterstützt werden, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Auch Projekte im Bereich Public Private Partnership (PPP) haben wir gesehen und wir konnten beobachten, wie die Schweiz bei der Friedensförderung durch Dialog und die Beteiligung der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Das alles hat meine Überzeugung bestärkt, dass die Schweiz, wenn sie diese Arbeit fortsetzt, weiterhin und zunehmend als wichtige Akteurin auf der internationalen Bühne anerkannt wird. Es wäre ein Fehler, bestimmte Formen der Zusammenarbeit aufzugeben oder unsere Arbeit gar einzustellen. Sie ist für die Entwicklungsländer wichtig, aber eben auch für die Schweiz.

Mosambik ist eines der Schwerpunktländer der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz. Nach den Überschwemmungen forderten mehrere NGOs die Credit Suisse auf, Mosambik Schulden von einer Milliarde Dollar zu erlassen. Im Jahr 2016 hatten giftige Kredite das Land in eine schwere Schuldenkrise gestürzt. Es ist doch paradox, auf der einen Seite steht die staatliche Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz, auf der anderen Seite stürzt eine Schweizer Bank das Land in eine beispiellose Krise...

Das Problem ist, dass die Bank als privates Unternehmen wenig zur Klärung dieser Geschichte beiträgt. Das führt uns ohne Umweg zum Thema der Konzernverantwortungsinitiative. Auch wenn das Volksbegehren die Banken nicht direkt betrifft, ist das Thema der Sorgfaltspflicht von zentraler Bedeutung. In Mosambik haben wir bei offiziellen Treffen auch darüber gesprochen, wie wichtig die Bekämpfung der Korruption ist. In Ruanda habe ich festgestellt, wie heikel die Frage nach den Rohstoffen ist, die aus der Demokratischen Republik Kongo ins Land gelangen. Auch das erinnert uns wieder an unsere eigene Verantwortung, denn aus Ruanda gelangen Rohstoffe auch weiter zu uns.

Die Schweiz will gute Geschäfte machen, aber auch mit ihrer humanitären Tradition wahrgenommen werden. Wie erleben Sie diesen Spagat als Politikerin?

Der wirtschaftliche Erfolg ist zwar ein grundlegendes Thema, er darf aber nicht getrennt betrachtet werden von unserer Politik der Friedensförderung, des Umweltschutzes und der Menschenrechte. Es ist genau dieser Widerspruch, auf den die Konzernverantwortungsinitiative hinweist.

Die Gegner der Initiative sagen, das Anliegen sei zwar richtig, aber es genüge, wenn sich die Unternehmen freiwillig an Menschenrechte und Umweltstandards halten…

Wir haben auch in der Schweiz in vielen Bereichen festgestellt, dass freiwillige Standards nicht ausreichen, wenn es keine Regeln gibt. Nehmen wir nur das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen!
So wie die Schweiz als Vermittlerin in Konfliktfällen einen guten Ruf hat, können wir auch beim verantwortungsbewussten Unternehmertum eine Vorbildrolle einnehmen.

Bundesrat Ignazio Cassis will die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit vermehrt an den Eigeninteressen der Schweiz ausrichten. Auch Migrationsaspekte sollen stärker gewichtet werden. Wird die Zusammenarbeit so nicht instrumentalisiert?

Die Zusammenarbeit darf nicht mit rein internen Zielen verknüpft werden. Für mich ist klar, dass wir mit einer guten Entwicklungspolitik auf der internationalen Bühne auch Ansehen gewinnen, wovon die Schweiz nur profitieren kann. Verknüpfen wir hingegen die Zusammenarbeit mit dem Ziel, dass weniger Menschen in die Schweiz migrieren, so stellen wir die ursprünglichen und primären Ziele der Zusammenarbeit in Frage.
Wir leben in einem stabilen Land, wo es den Menschen gut geht. Ausgehend von dieser privilegierten Situation muss die Entwicklungszusammenarbeit klar einen Diskurs der Solidarität führen. Auf diesem Wert – der Solidarität – ist die Schweiz gewachsen und den sollten wir heute nicht in Frage stellen.

Ist die internationale Zusammenarbeit in der Bevölkerung noch verankert?

Sie ist heute zwar weniger bekannt als in den 1980er und 1990er Jahren, aber es gibt immer noch viele junge Menschen, die sich im Ausland engagieren. In den Medien wird heute weniger über Entwicklungszusammenarbeit gesprochen. Wir erfahren zwar schnell von Katastrophen, die sich weit weg ereignet haben, reden etwa zwei Tage lang über einen Wirbelsturm und gehen dann zu einer anderen humanitären Krise über. Zusammenhänge kommen dabei eindeutig zu kurz. Mosambik war so ein Beispiel: Der Wirbelsturm an sich ist eine Naturkatastrophe, er trifft aber ein Land, das ohnehin schon sehr arm und stark vom Klimawandel betroffen ist.

Für viele gebildete Menschen im globalen Süden ist die «Entwicklungshilfe» des Nordens eine kaum kaschierte Form von Neokolonialismus. Da ist in den letzten dreissig Jahren einiges geschehen…

Ja, das stimmt. Zusammenarbeit darf eben nicht nur die Bereitstellung von Geld bedeuten, sondern muss auch auf die Ausbildung der Menschen zielen, damit sie in ihrem Land bleiben und arbeiten können. Die Zusammenarbeit muss so ausgerichtet sein, dass die Projekte selbstständig weitergeführt werden können. Ruanda, das habe ich mit eigenen Augen gesehen, hängt extrem stark von der internationalen Zusammenarbeit ab. In den Projekten, die wir mit der AMCA[1] fördern, spielt gerade die Ausbildung von Medizin- und Pflegepersonal eine zentrale Rolle, damit nicht alles von der Zusammenarbeit abhängt.

Gemäss dem Botschaftsentwurf zur internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 soll die Schweiz rund 0,45% ihres Nationaleinkommens (BIP) für die öffentliche Entwicklungshilfe aufwenden. Also weniger als die vom Parlament festgelegten 0,5%. Sie selbst setzen sich – wie es auch die Uno in den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) vorsieht – für 0,7% ein. Wie beurteilen sie das?

Es war ein gutes Zeichen, dass das Parlament im vergangenen Jahr beschloss, das Ziel von 0,5% beizubehalten. Ich wünschte mir aber nach wie vor, wie andere nördliche Länder 0,7% zu erreichen. Alliance Sud spielt mit ihrer Information aller ParlamentarierInnen in dieser Diskussion eine wichtige Rolle. Ich bin optimistisch und zuversichtlich, dass wir das Ziel von 0,5% beibehalten können.

2017 haben Sie während einer Konferenz zur Agenda 2030 eine Rede mit dem Titel "Agenda 2030 und politische Entscheidungen, welche Widersprüche gibt es?" gehalten. Welche Widersprüche sehen Sie in diesem Bereich?

Die Schweiz hat die Agenda 2030 und die Sustainable Development Goals (SDG) unterstützt, stellt gleichzeitig aber die finanziellen Ressourcen für die Entwicklungszusammenarbeit in Frage. Die SDGs sollen im Geist der Teilnahme und Teilhabe umgesetzt werden, zum Nutzen von Minderheiten, gegen Diskriminierung und zur Unterstützung der Geschlechterpolitik. Bei AMCA etwa haben wir ein Projekt zur Bekämpfung von Gebärmutterkrebs bei Frauen: In der Schweiz und im Tessin wurde eine Impfkampagne durchgeführt, parallel dazu haben wir in den Schulen erklärt, was diese Art von Krebs in armen Ländern für ein Drama ist. Vielleicht ist es einfacher, den Diskurs über Solidarität und Zusammenarbeit mit solchen praktischen Beispielen verständlich zu machen.

Als Nationalratspräsidentin und damit höchste Schweizerin können sie bestimmten Themen zu mehr Resonanz verhelfen. Was haben Sie sich vorgenommen?

Ich habe Themen ausgewählt, die durch meine eigene Erfahrung geprägt sind. Eine davon ist die Vertretung von Frauen in der Politik sowie die Gleichstellung. Ich habe mich immer für die Rechte der Frauen eingesetzt und war in der feministischen Bewegung engagiert. Ein anderes mir wichtiges Thema ist jenes der Minderheiten, ich bin eine Vertreterin der italienischen Schweiz und stehe ein für eine mehrsprachige und multikulturelle Schweiz.

Am 14. Juni streiken die Frauen. Warum finden Sie es so wichtig, dass die Frauen dann auf die Strasse gehen?

Schon 1991 kam der Streik von der Basis, von Frauenverbänden und Gewerkschaften. Es wird ja nicht bloss in Bern eine Demonstration geben, sondern auch lokale Aktivitäten. Viele werden den ganzen Tag streiken, andere nur eine Stunde lang symbolisch. Wenn mir vor fünf Jahren gesagt worden wäre, dass 2019 ein Jahr der Frauen sein würde, hätte ich es nicht geglaubt. Dank der Demonstration im vergangenen September in Bern wurde das Gesetz über die Lohngleichheit im Parlament nicht blockiert.  

Wie hängen der Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter und jener um soziale Gerechtigkeit zusammen?

Frauen spielen in beiden Kämpfen eine zentrale Rolle. Sie sind es, die sich um die Familie kümmern und eine zentrale Rolle beim Aufbau der Gesellschaft spielen. Wenn es Ruanda und Mosambik gelingen sollte, sich von der Abhängigkeit der klassischen Entwicklungszusammenarbeit zu lösen, dann nur dank der Frauen.
Die Frauenbewegung, die Gleichstellung und der Kampf gegen Diskriminierung sind eng mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit verbunden. Wenn wir die Diskriminierung von Frauen bekämpfen, soll das immer auch in Richtung sozialer Gerechtigkeit gehen und sich gegen jenes Modell der patriarchalischen Gesellschaft richten, das es den Reichsten ermöglicht, über die Ärmsten zu herrschen.

 

Das Interview wurde auf Italienisch geführt.

Marina Carobbio Guscetti ist seit November 2018 Präsidentin des Schweizer Nationalrats und damit die amtshöchste Schweizerin. Von 1991 bis 2007 war sie Mitglied des Tessiner Grossrats, seit 2007 politisiert sie im Nationalrat, früher als Mitglied der Finanzkommission, heute in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Carobbio ist Vizepräsidentin der SP Schweiz, der NGO AMCA, des Vereins Alpeninitiative sowie des Schweizer Mieter- und Mieterinnenverbands.

 

[1] AMCA, die Vereinigung zur medizinischen Hilfe in Mittelamerika, wurde 1985 im Tessin gegründet.

Publikation

Migration und Entwicklung: Fakten statt Polemik

10.07.2019, Internationale Zusammenarbeit

Richtige Entwicklungszusammenarbeit (EZA) kann einen wichtigen Beitrag zu einer gerechten globalen Entwicklung leisten. Das neue Positionspapier von Alliance Sud fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Migration und EZA zusammen.

Migration und Entwicklung: Fakten statt Polemik
Seit September 2018 unterstützt die Schweiz ein Projekt, um die Fachkompetenzen von 500 jungen Ägypterinnen und Ägyptern zu verbessern, damit diese im einheimischen Arbeitsmarkt Fuss fassen können.
© SECO

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Die Behauptung, dass Entwicklungszusammenarbeit (EZA) die Migration anheizt, ist falsch. Hingegen kann richtige EZA einen wichtigen Beitrag zu einer gerechten globalen Entwicklung leisten, die sich wiederum auf die Migration auswirkt. Das neue Positionspapier von Alliance Sud fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Migration und Entwicklungsarbeit zusammen.

Kaum ein Thema löst bei der Bevölkerung so viele Ängste aus wie die Zuwanderung, nicht zuletzt aus Ländern des globalen Südens. Entsprechend kontrovers wird die Diskussion über die Ursachen der Migration geführt und welche Rolle dabei die EZA der Schweiz spielt bzw. spielen soll. In ihrem Positionspapier Migration und Entwicklungszusammenarbeit trennt Alliance Sud, die Denkfabrik der Schweizer Entwicklungsorganisationen, die Polemik von den Fakten. Sie hat dafür die verfügbaren internationalen Studien und Statistiken ausgewertet und auf 25 Seiten in eine gut lesbare Form gebracht.

Alliance Sud-Geschäftsleiter und Autor Mark Herkenrath: «Entwicklungszusammenarbeit kann und soll einen Beitrag zur Linderung der Ursachen von Migration leisten – und tut dies bereits. Den stärksten migrationshemmenden Effekt haben dabei Programme und Projekte in den angestammten Bereichen Gesundheit, Bildung, ländliche Entwicklung und gute Regierungsführung.» Um nachhaltige Wirkung zu entfalten müsse EZA indes langfristig angelegt sein, für einen migrationspolitischen «quick fiix» zur Beruhigung der Öffentlichkeit sei sie ungeeignet.

Das hat auch der Bundesrat erkannt, der sich im Entwurf zu seiner Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit (2021-2024) dagegen ausspricht, EZA direkt mit migrationspolitischen Anliegen zu verknüpfen. Allerdings unterschätzt der Bundesrat, dass Entwicklungspolitik nie isoliert betrachtet werden darf. Voraussetzung für eine zukunftstaugliche Migrationspolitik wäre entwicklungspolitische Kohärenz, die sich auch auf andere Politikfelder erstreckt. Im Vordergrund stehen dabei die internationale Steuerpolitik, aber auch die Klimafinanzierung und die soziale und ökologische Ausgestaltung von Handelsbeziehungen. Denn wenn Menschen in armen Ländern echte Entwicklungsperspektiven erkennen, sinkt der Anreiz, das Glück in häufig lebensgefährlicher Migration zu suchen. 

Artikel

Switzerland first? Nein danke!

07.10.2019, Internationale Zusammenarbeit

250 Institutionen, Organisationen und Verbände nahmen an der erstmaligen Vernehmlassung zur internationalen Zusammenarbeit teil. Das Verdikt: Die Bundesräte Cassis und Parmelin müssen nochmals über die Bücher.

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Switzerland first? Nein danke!
Welche Rolle sollen Schweizer Konzerne in Zukunft in der Entwicklungszusammenarbeit spielen?
© Ashwini Bhatia / AP / Keystone

Alle vier Jahre schlägt der Bundesrat dem Parlament eine überarbeitete Strategie für die internationale Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz vor. Welche Ziele soll die Schweiz mit ihrer internationalen Zusammenarbeit fördern, welche Schwerpunkte soll sie setzen und in welchen Ländern soll sie aktiv sein? Diese Fragen sollten in der erstmaligen Vernehmlassung zur IZA beantwortet werden. Eingereicht wurden 250 Stellungnahmen, wesentlich mehr als die 100 bis 150 Institutionen, Organisationen und Individuen, die sich an diesem Prozess, den Puls der Bevölkerung zu fühlen, sonst beteiligen.

Kaum jemand verwirft den strategischen Rahmen komplett, viele sind in den Grundsätzen einverstanden, die Mehrheit fordert jedoch teils signifikante Anpassungen am Text. Sehr kontrovers beurteilt wird der geplante Ausstieg aus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika. Eine grosse Anzahl an Stellungnahmen, auch solche aus den Kantonen, kritisiert den Fokus auf die Interessen der Schweiz. Eine zu einseitige Priorisierung der Eigeninteressen der Schweiz – insbesondere der kurzfristigen handels- oder migrationspolitischen Interessen – beunruhigt etwa auch die Zürich-Versicherung, die findet, das Prinzip der Langfristigkeit und der Nachhaltigkeit müsse überwiegen.

Agenda 2030 als Referenzrahmen

Klar vermisst wird ein explizites Bekenntnis zur Uno-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung als übergeordneten Referenzrahmen. An dieser Agenda haben sich alle Massnahmen und Programme der IZA zu orientieren. So lautet der Kanon aus Kantonen, Gewerkschaften, NGOs, Wissenschaft und Privatwirtschaft. Dieser Referenzrahmen muss in der IZA-Strategie besser verankert werden.

Zum Thema der Migration, das von den Medien am häufigsten kommentiert wurde, nehmen vergleichsweise weniger Akteure Stellung. Hier wird insbesondere darauf hingewiesen, man solle nicht zu hohe Erwartungen wecken. Der Verzicht auf eine strikte Verknüpfung von EZA und migrationspolitischem Entgegenkommen durch Empfängerländer wird begrüsst.

Die wichtige Frage nach den zur Verfügung stehenden Mitteln für die Aide publique au développement (APD) fehlte in der Vernehmlassung. Nichtsdestotrotz findet sich in mindestens jeder zweiten Stellungnahme ein Kommentar dazu. Einzig die SVP und der Schweizerische Gewerbeverband SGV fordern direkt oder zumindest indirekt eine Kürzung der Mittel für die IZA. Alle andern fordern eine Erhöhung. Im Minimum solle die Schweiz die vorgesehene Quote von 0.45% des Bruttonationaleinkommens (BNE) auf die vom Parlament beschlossenen 0.5% erhöhen und zumindest längerfristig die international mehrfach zugesagten 0.7% einhalten. Mehrere Stellungnahmen fordern sogar eine APD-Quote von 1%. Angesichts der Budgetüberschüsse in Milliardenhöhe sei dies finanziell auch tragbar.

Kaum Überraschungen

Diese erste Analyse der Stellungnahmen bestätigt, was bereits aus früheren Diskussionen bekannt war. Niemand ist gegen ein Engagement der Schweiz in der internationalen Zusammenarbeit. Selbst die SVP unterstützt die generelle Ausrichtung, verpasst aber die Gelegenheit nicht, sich gegen Multilateralismus und die Unterstützung von Schweizer NGOs auszusprechen. Von den Kantonen beteiligten sich vor allem die lateinischsprachigen mit substanziellen Kommentaren an der Vernehmlassung. Diese engagieren sich über kantonale Föderationen weit direkter in der IZA als Deutschschweizer Kantone, die dem Entwurf zum grossen Teil kommentarlos zustimmen oder sich gar nicht vernehmen liessen. Stellungnahmen aus der Privatwirtschaft (UBS, Zürich Versicherungsgesellschaft, Swiss Trading and Shipping Association STSA) nutzen ihre Antworten im Sinne einer Werbekampagne und stellen ihre eigenen Beiträge für nachhaltige Entwicklung ins Zentrum.

Als Überraschung kann die grosse Beteiligung aus kirchlichen Kreisen gelten. Neben den zu erwartenden zahlreichen Antworten von Organisationen, welche mit eigenen Projekten in der IZA aktiv sind, trafen viele Antworten aus einzelnen Kirchgemeinden ein.  

Klare Unterstützung für IZA, aber bitte langfristig und nachhaltig!

Alles in allem zeigt die Vernehmlassung klar den grossen Rückhalt, den die IZA in der Schweiz geniesst. Die Schweiz darf ihren Beitrag zum Wohlergehen der Weltgemeinschaft durchaus fokussieren, allerdings braucht es dazu klarere Kriterien. Nun ist der Bundesrat wieder gefragt. Wenn er die Vernehmlassung ernst nimmt, muss er nochmals über die Bücher und seine Strategie in zentralen Punkten nachbessern.

Das sagen die Parteien

Die SVP will die Mittel für die IZA auf 2 Milliarden Franken pro Jahr limitieren. Im Zentrum sollen die humanitäre Hilfe und bilaterale Entwicklungszusammenarbeit stehen.

Die SP fordert einen klaren Fokus auf die Agenda 2030, verbesserte Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung. Die schrittweise Erhöhung der ODA-Mittel auf 0.7% des BNE sei überfällig. Das Engagement in Lateinamerika solle beibehalten werden, die Mittel für die Schweizer NGOs sollen erhöht werden.

Die FDP begrüsst die geographische Fokussierung. Die IZA soll sich am verfassungsmässigen Auftrag orientieren (Art. 54 BV). Sie fordert eine stärkere Verknüpfung zwischen IZA und Migration. Zum Finanzrahmen will sich die Partei erst im Parlament äussern, akzeptiert aber die 0.45% des BNE als „Arbeitshypothese“.

Die CVP begrüsst die Verknüpfung der IZA mit der Migrationsthematik und die Stärkung des Privatsektors. Die Agenda 2030 und das Pariser Klimaübereinkommen sollen als klare Referenzrahmen der IZA genannt werden.  

Die Grünen kritisieren den Ansatz „Switzerland first“, streichen die Wichtigkeit der Agenda 2030, des Pariser Klimaübereinkommens und von Politikkohärenz heraus. Die Mittel für die IZA sollen auf 0.7% des BNE erhöht werden. Sie sprechen sich gegen den Rückzug aus Lateinamerika aus.

Die glp setzt sich für die Erhöhung der Mittel auf 0.5% des BNE ein und verlangt ebenfalls eine stärkere Orientierung an der Agenda 2030 und dem Pariser Klimaübereinkommen. 30% der IZA-Mittel sollen explizit für Projekte und Programme im Umweltbereich bereitgestellt werden.  

Die BDP fordert, dass die humanitäre Tradition der Schweiz nicht wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden dürfe. Armutsbekämpfung müsse weiterhin das Ziel der Schweizer IZA sein.

Artikel

Die Weltbank will mehr Geld – aber wem nützt es?

07.10.2019, Internationale Zusammenarbeit

Mit der Gewährung von Grosskrediten und ihren Beratungsdienstleistungen hat die Weltbank einen enormen Einfluss auf die internationale Entwicklungspolitik. Nun ist auch die Schweiz aufgefordert, sich an Kapitalerhöhungen zu beteiligen.

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Die Weltbank will mehr Geld – aber wem nützt es?
Infrastrukturbauten sind kapitalintensiv. Bau einer Autobahnbrücke in Neu Delhi, Indien.
© Qilai Shen / Panos

In den letzten Jahren hat die Weltbank ihr Monopol in der Vergabe von Entwicklungsdarlehen verloren, da Länder vermehrt private Anbieter nutzen und sich neue Entwicklungsbanken formiert haben. Allen voran die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), der die Schweiz 2016 beigetreten ist. Um sich dem veränderten Umfeld anzupassen, hat die Weltbankgruppe (WBG - siehe Kasten) eine Reihe von Reformen eingeleitet. Die Transformation zu einer „Wissensbank“ soll den Fokus verschieben, weg von der Darlehensvergabe hin zu einer Verstärkung der politischen und technischen Beratung und der direkten Projektfinanzierung. Ausserdem möchte die Weltbank in den nächsten Jahren vermehrt in fragilen Kontexten aktiv werden und hat angekündigt, im Klimabereich eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Das übergeordnete Ziel der gesamten Weltbankgruppe für die nächsten Jahre ist unter der Bezeichnung Maximize Finance for Development (MFD) zusammengefasst. MFD setzt ein besseres Zusammenspiel aller Unterorganisationen der WBG voraus, mit dem übergeordneten Ziel, konsequent private Gelder für die Entwicklungsfinanzierung zu mobilisieren.

Der MFD-Ansatz basiert auf der Vorstellung, dass zum Erreichen der in der Uno-Agenda 2030 zusammengefassten Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ein Umdenken stattfinden muss: Weil die Milliarden offizieller Entwicklungsgelder nicht ausreichen, um die SDGs zu finanzieren, soll es der Privatsektor richten und die Billionen zur Verfügung stellen, die es zur Zielerreichung braucht.  

Ein sogenannter Kaskadenansatz erklärt, wie das gelingen soll: Um Entwicklungsziele zu erreichen, wird zuerst immer versucht, private Gelder zu mobilisieren. In Ländern und Sektoren, in denen der Privatsektor schwächelt, propagiert die Weltbank in einem zweiten Schritt landesweite oder sektorielle Reformen zur Verbesserung des Investitionsklimas. Um die Risiken für Private zu mindern, sollen in einem dritten Schritt Garantien oder Instrumente zur Risikoteilung angewandt werden; zum Beispiel in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften. Wenn sektorielle Reformen oder Risikoteilung nicht zu marktbasierten Lösungen führen – und nur dann – werden öffentliche Ressourcen mobilisiert.

Kritik an der Weltbank

Obwohl die Weltbank in den letzten Jahrzehnten vor allem mit den Instrumenten der IDA in vielen Ländern zur Armutsreduktion beitragen konnte, steht sie seit den 1980er Jahren immer wieder in der Kritik. Trotz vieler Reformen und vermehrtem Austausch mit der Zivilgesellschaft stellt die Weltbank den kreditnehmenden Länder nach wie vor eine Reihe von Bedingungen, ehe diese in den Genuss von billigem Geld kommen: Einseitige Handelsöffnung, finanzielle Deregulierung, Privatisierung und der Rückzug des Staates gehören dazu. Diese sogenannten Konditionalitäten sind von den wirtschaftlichen Interessen der reichen Länder beeinflusst, die nach wie vor die Stimmrechte in der WBG kontrollieren und einen (noch) besseren Zugang zum Markt der ärmeren Länder anstreben. Der neue MFD-Ansatz ist eine Verschärfung dieser Praxis.

Obwohl Investitionen des Privatsektors unter gewissen Bedingungen durchaus sinnvoll und wichtig sind, ist es fragwürdig, ob der von der Weltbank propagierte Ansatz tatsächlich der Armutsreduktion dient; oder ob er nicht in der Absicht entwickelt wurde, global tätigen Firmen den Markteinstieg in Entwicklungsländern zu erleichtern und eigene Risiken dabei zu minimieren. Kritische Stimmen betonen, dass der MFD-Ansatz viel weiter geht als bloss den Privatsektor in die Entwicklungsfinanzierung miteinzubeziehen. Fakt ist, der im MFD enthaltene Kaskadenansatz zieht die private Finanzierung von Entwicklung immer und in jedem Kontext der öffentlichen Finanzierung vor, ohne zuvor eine Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen oder sicherzustellen, dass die private Finanzierung dem öffentlichen Interesse entspricht und einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung und Armutsreduktion leistet. Da die propagierten Reformen den Ländern top-down von der WB aufgezwungen werden, sind sie zumeist nicht das Ergebnis eines demokratischen Prozesses.

Entgegen verschiedener Versprechungen und trotz ihrer Sozial- und Umweltstandards investieren die IBRD und die IFC zudem nach wie vor in klimaschädliche und nicht menschenrechtskonforme Grossprojekte in Entwicklungsländern. Dies liegt unter anderem daran, dass die Standards nicht in allen operativen Bereichen der Weltbank gleich anwendbar sind. Zurzeit kommen die Standards vor allem bei der direkten Projektfinanzierung zur Anwendung, nicht aber bei entwicklungspolitischen Beratungsdienstleistungen, die in manchen Jahren bis zu 40% der gesamten Weltbank-Finanzierung ausmachen und oftmals heikle Sektoren wie etwa den Bergbau oder die Forst- und Landwirtschaft betreffen. Ausserdem hat vor allem die IFC in den letzten Jahren vermehrt Kredite an Banken, Aktienfonds oder Pensionskassen (sogenannte Finanzintermediäre) vergeben, die dieses Geld wiederum in andere, zum Teil undurchsichtige, Projekte investieren. Investitionen in Finanzintermediäre, die in Hochrisikosektoren operieren, haben sich in den letzten Jahren vervielfacht.

So waren Ende 2018 beim unabhängigen Beschwerdemechanismus der IFC 65 Fälle von Menschenrechtsverletzungen und negativen Umwelteinflüssen hängig. Eine langjährige Recherche der NGO Inclusive Development International belegt zudem bei 150 Projekten von Finanzintermediären negative soziale und schädliche Umweltauswirkungen sowie Menschenrechtsverletzungen. Auch gegen durch die IBRD finanzierte Projekte wurden in den letzten zehn Jahren 32 Klagen beim Inspection Panel – dem unabhängigen Beschwerdemechanismus der IBRD und der IDA – eingereicht; viele davon betreffen grosse Infrastrukturprojekte.

Das Interesse der Schweiz

Nachdem die Schweiz bereits Mitglied von MIGA und ICSID war, ist sie 1992 der IDA, IBRD und IFC  beigetreten und beteiligt sich seither regelmässig an den Kapitalaufstockungen, sowie an den Wiederauffüllungen des IDA-Fonds, der für die ärmsten Länder reserviert ist. Gegenwärtig hat die Schweiz nicht nur den Diskurs der Weltbank – die Entwicklungszusammenarbeit mehr auf die Interessen des Privatsektors zu fokussieren – übernommen, sie wird sich voraussichtlich auch an den anstehenden Kapitalerhöhungen der IFC und der IBRD beteiligen und der Weltbank dabei behilflich sein, ihre MFD- Strategie in Entwicklungsländern umzusetzen. Dies nicht nur um ihr Stimmrecht in dieser einflussreichen Institution zu erhalten, sondern auch aus wirtschaftlichem Eigeninteresse. Vor allem die IFC co-finanziert verschiedene in der Schweiz ansässige multinationale Firmen, Banken und Unternehmen mittlerer Grösse, die an Investitionen in aufstrebenden Märkten interessiert sind. Das langfristig angelegte Portfolio des IFC in Schweizer Firmen betrug 2018 1.4 Milliarden US-Dollar – im Rahmen des angestrebten Ausbaus der Privatisierung der Entwicklung wird dieses voraussichtlich noch wachsen.

Die Weltbankgruppe (WBG)
besteht aus diesen fünf Unterorganisationen:

  • Die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA), die langfristige zinslose Kredite und Zuschüsse an die ärmsten Entwicklungsländer vergibt.
  • Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD), die den Ländern mittleren Einkommens Kredite anbietet.
  • Die Internationale Finanz-Korporation (IFC), die Kredite an Privatunternehmen vergibt.
  • Die Multilaterale Investitions-Garantie-Agentur (MIGA), die ausländische Direktinvestitionen im Ausland absichert und Investoren berät.
  • Das Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID), das Streitigkeiten zwischen ausländischen Investoren und Regierungen schlichtet.

Die WBG funktioniert im Sinne einer Finanzkooperative, deren Mitglieder die 189 Mitgliedstaaten sind. Diese haben Stimmrechte, die auf dem einbezahlten Kapital aber auch auf der Grösse ihrer Wirtschaft basieren. Aufgrund der hohen Reserven erhält die Bank auf den internationalen Kreditmärkten zusätzlich Kredite zu Vorzugskonditionen, die sie an Entwicklungsländer weitergeben kann. Im Unterschied zu kommerziellen Banken ergänzt die WBG ihre Finanzdienstleistungen mit entwicklungspolitischer Beratungstätigkeit und anderweitiger Unterstützung. Kredite werden jedoch oft an entwicklungspolitische Konditionen geknüpft. Bei der Festlegung gemeinsamer Standards und Richtlinien in verschiedensten Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit nimmt die WBG eine Vorreiterrolle ein. Während der IDA-Fonds regelmässig alimentiert wird, kommt es nur unregelmässig und aufgrund spezieller Umstände zu Kapitalerhöhungen. Nun steht wieder eine solche an, namentlich bei der IFC und der IBRD.

Die Alliance Sud-Position

Bis jetzt ist unklar, wie die Kapitalerhöhungen finanziert werden sollen und wann die Vorlage dem Parlament vorgelegt wird. Für Alliance Sud ist allerdings klar, dass es sich bei den Kapitalerhöhungen der Weltbank um einen Aktienkauf der Schweiz in einer einflussreichen globalen Institution handelt, die auch den aussenwirtschaftlichen Interessen in der Schweiz ansässiger Firmen und Banken dient. Es handelt sich hingegen nicht um Entwicklungszusammenarbeit, wie sie in der Schweizer Verfassung und im Gesetz definiert sind – auch wenn Beiträge an die Weltbank gemäss den einschlägigen Kriterien der OECD offiziell als Entwicklungsausgaben verbucht werden dürfen.

IBRD und die IFC investieren vor allem in Länder mittleren Einkommens und nicht in die ärmsten Länder; bedenklicher noch, die von ihnen investierten Gelder fliessen oft in Sektoren und Projekte, die sogar entwicklungs- und klimaschädlich sind. Aus diesen Gründen und angesichts eines prognostizierten Rechnungsüberschusses von 2.8 Milliarden Franken im Bundesbudget wäre eine Anrechnung der Weltbank-Kapitalerhöhungen bei den Geldern der internationalen Zusammenarbeit (IZA) ein Hohn.

Meinung

Noble Absichten, verkürzte Sicht

09.12.2019, Internationale Zusammenarbeit

Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer, die diesjährigen TrägerInnen des Wirtschaftsnobelpreises, entbinden mit ihren Konzepten die Industrieländer von jeglicher politischen Verantwortung.

Noble Absichten, verkürzte Sicht

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Dieses Jahr teilen sich Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer den prestigeträchtigen Wirtschaftsnobelpreis. Ihre Forschung zeigt, dass gut gemachte Entwicklungszusammenarbeit Armut und Not erfolgreich zu bekämpfen vermag. Banerjee und Duflo betonen in ihrem bekannten Buch “Poor Economics”, dass es dafür keine abstrakten Theorien und erst recht keine vermeintlich allgemeingültigen Patentrezepte braucht. Verlangt ist vielmehr eine genaue Kenntnis der konkreten Lebenssituation und der kulturell geprägten Präferenzen der Armutsbetroffenen.

Richtig und wichtig ist die Forderung der drei PreisträgerInnen, die Entwicklungszusammenarbeit müsse ihre Aktivitäten immer wieder kritisch überprüfen und kontinuierlich verbessern. Ihre Präferenz für experimentelle Wirkungsanalysen ist allerdings moralisch problematisch. Werden zufällig ausgewählte Kontrollgruppen miteinander verglichen (randomized controlled trials, RCT), so schliesst man die zufällig ausgewählten Personen bewusst von Entwicklungsprojekten aus und misst, ob es ihnen nach der Testphase schlechter geht. Ausserdem ist methodologisch umstritten, ob sich die Ergebnisse solcher Experimente beliebig auf andere gesellschaftliche Kontexte übertragen lassen. Die Gefahr ist, dass Geld, das sonst direkt der Armutsbekämpfung zugutekäme, in aufwändige Vergleichsstudien fliesst, deren Befunde anderswo dann doch nicht gelten.

Auf die Frage, wie die langfristige gesellschaftliche und politische Wirkung von Entwicklungsprogrammen gemessen werden kann, die zur Selbstermächtigung der Partner beitragen, geben die sogenannten „Randomistas“ keine befriedigende Antwort. Sie konzentrieren sich in ihrer Forschung auf Projekte, die rasche Resultate produzieren oder bestenfalls mittelfristig wirken. Dauerhafte systemische Veränderungen, die überhaupt erst die Bezeichnung „Entwicklung“ verdienen, kommen darin klar zu kurz.

Vor allem aber entbinden die drei ForscherInnen die Industrieländer von jeglicher politischen Verantwortung. Sie suggerieren, effiziente Entwicklungszusammenarbeit könnte ohne weiteres Zutun die Welt retten. Eine nachhaltige globale Entwicklung im Sinne der UNO-Agenda 2030 verlangt aber von den Industrieländern nicht nur wirksame und ausreichend finanzierte Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch eine gerechte Handelspolitik, beherzte Schritte gegen den Klimawandel und griffige Massnahmen gegen die Gewinnverschiebungen und Steuervermeidungspraktiken multinationaler Konzerne.