Medienmitteilung

Entwicklungsausgaben im freien Fall

16.04.2025, Entwicklungsfinanzierung

Einmal mehr verfehlt die Schweiz bei weitem das international vereinbarte Ziel von 0.7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungszusammenarbeit. Die heute von der OECD publizierten Zahlen zur öffentlichen Entwicklungsfinanzierung (APD) zeigen, dass die Schweiz 2024 nur 0.51% des BNE für die Entwicklungszusammenarbeit ausgab, 14.9% weniger als im Vorjahr. Mit den im Dezember 2024 beschlossenen Kürzungen ist ein weiterer Rückgang absehbar.

Entwicklungsausgaben im freien Fall

Symbolbild © Keystone

Wie schon in den Vorjahren verfehlte die Schweiz auch im letzten Jahr ihre internationalen Verpflichtungen und steht mit 0.51% des BNE auf Platz 8 der OECD-Geberländer. Ohne Anrechnung der Asylausgaben im Inland, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen ebenfalls der APD angerechnet werden dürfen, betragen ihre Entwicklungsausgaben gar lediglich 0.38%. Somit machen Asylausgaben im Inland satte 25% der von der Schweiz angerechneten Entwicklungsausgaben aus.

Die Reduktion der Entwicklungsausgaben um 14.9% verglichen mit dem Vorjahr steht auch den Ansichten der Schweizer Bevölkerung diametral entgegen. Gemäss einer heute publizierten repräsentativen Umfrage der ETH wünschen sich knapp 80% der Schweizer Bevölkerung, dass die Entwicklungsausgaben gleichbleiben oder erhöht werden.

Der Entscheid des Parlaments, die Entwicklungsausgaben im Finanzjahr 2025 um 110 Millionen Franken und in den Jahren 2026-2028 um 321 Millionen Franken zu kürzen, greifen in der OECD-Statistik noch nicht. Es ist also davon auszugehen, dass sich die Position der Schweiz weiter verschlechtern wird – und dies in einem Kontext, in dem nichts mehr ist wie es einmal war. Seit der Amtseinführung von Donald Trump wurden nicht nur der Multilateralismus und damit auch das internationale Genf stark geschwächt, auch die Abschaffung von USAID hat weltweit dramatische Konsequenzen.

«In dieser veränderten Weltlage sollte die Schweiz sich klar positionieren und sich auf die Seite von Multilateralismus, Demokratie und Menschenrechte stellen», sagt Kristina Lanz, Expertin für internationale Zusammenarbeit bei Alliance Sud. Dies bedingt ebenso eine grosszügige Unterstützung der in Genf ansässigen internationalen Organisationen wie auch einen zukunftsgerichteten Ausbau der Entwicklungsfinanzierung und der internationalen Klimafinanzierung. Die vierte Internationale Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (FfD4), die vom 30. Juni bis 3. Juli in Sevilla stattfindet, bietet hierfür eine hervorragende Gelegenheit.

Zusätzliche Investitionen sind möglich

Auch wenn der Bundesrat dies immer wieder bestreitet – die Schweiz kann es sich leisten, mehr in die internationale Zusammenarbeit zu investieren: Zum einen gäbe es für den Bund – zumindest mittel- bis langfristig – vielfältige Möglichkeiten, um Mehreinnahmen zu generieren; zum anderen besteht für die Schweiz kein Grund zum Sparen. «Die extrem tiefe, abnehmende Staatsverschuldung der Schweiz ermöglicht auch kurzfristig zusätzliche Investitionen», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud. Mit einer Lockerung der Schuldenbremse würden gemäss einer Studie von Cédric Tille, Professor für internationale Ökonomie am Geneva Graduate Institute, bis 2030 mindestens 15 Milliarden Franken für Mehrausgaben zur Verfügung stehen, bis 2050 sogar 25 Milliarden. Dies, ohne dass sich die extrem niedrige Schuldenquote der Schweiz erhöht.

 

Für weitere Informationen:
Kristina Lanz, Expertin für internationale Zusammenarbeit, Tel. +41 31 390 93 40, kristina.lanz@alliancesud.ch
Andreas Missbach, Geschäftsleiter, Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

Infografik

Impact Investing

Wirkung auf die ärmsten Länder bleibt bescheiden

21.03.2025, Entwicklungsfinanzierung

Impact Investing wird von seinen Verfechtern als Königsweg zur Mitfinanzierung der nachhaltigen Entwicklungsziele und des Klimaschutzes angepriesen. In der jüngsten Studie von Alliance Sud werden die bislang noch sehr überschaubaren Auswirkungen dieser Strategie auf den Prüfstand gestellt.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Wirkung auf die ärmsten Länder bleibt bescheiden

Nur wenig Investitionen fliessen in die ärmsten Länder, sie gelten als zu risikoreich. Ein Bauer betreibt in Guerou, Mauretanien, die Bewässerung seiner Weiden mit Solarpanels. © Tim Dirven / Panos Pictures

 

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Schweiz im Bereich der nachhaltigen Finanzen eine führende Rolle anstrebt. Kernstück des sogenannt nachhaltigen Finanzwesens ist das Impact Investing, das «marktbasierte» Finanzrenditen bei gleichzeitiger Bewältigung globaler gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen verspricht. Der Ansatz geht auf eine Veröffentlichung der Rockefeller-Stiftung im Jahr 2007 zurück und hat sowohl unter öffentlichen als auch privaten Finanzmarktakteuren an Popularität gewonnen. Ihr gemeinsames Ziel ist es, auf diesem Weg privates Kapital zu «mobilisieren», um die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu erreichen. Einige Anhänger des Ansatzes sehen darin sogar eine Möglichkeit, die Kürzungen in der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) auszugleichen. Die Finanzierungslücke, die es zur Erreichung dieser Ziele zu schliessen gilt, ist jedoch enorm. Laut der in Genf ansässigen UNO-Handels- und Entwicklungsorganisation (UNCTAD) sehen sich die Entwicklungsländer mit einem jährlichen Finanzierungsdefizit von über 4'000 Milliarden US-Dollar konfrontiert. Davon werden etwa 2’200 Milliarden US-Dollar allein zur Finanzierung der Energiewende benötigt.

Um die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken: Die Schweizer Banken – führend in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung – hielten per Ende 2023 rund 8’392 Milliarden Franken an in- und ausländischen Vermögen. Es drängt sich also die Frage auf, wie viel von diesem Vermögen wohl in den Entwicklungsländern zur Finanzierung der SDGs investiert wird.

Immer noch eine Nische

Tatsächlich kündigt der Bundesrat in seinem Bericht «Sustainable-Finance Schweiz» an, den Zugang zu Impact Investments für privates Kapital über private Stiftungen und die Verwaltung privater Grossvermögen (Family Offices) hinaus «in grossem Umfang» auszuweiten. So könnte privates Kapital den Weg zu Projekten finden, die einen «messbaren und glaubwürdigen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen» leisten. Gleichzeitig sollen der Schweizer Vermögensverwaltungsbranche neue Ertragsmöglichkeiten eröffnet werden. Mit anderen Worten: Es geht darum, das Impact Investing aus seiner Nische herauszuholen und es für institutionelle Anleger, die eine marktgängige finanzielle Rendite anstreben bzw. sicherstellen müssen (dazu gehören auch Pensionskassen), zugänglich und attraktiv zu machen.

Parallel dazu sollen Mittel aus dem Budget für die internationale Zusammenarbeit (IZA) – das davon abgesehen im vergangenen Dezember vom Parlament bereits gekürzt wurde – dazu dienen, im Rahmen von Mischfinanzierungen (Blended Finance) die Anlagerisiken zu reduzieren. Diese Risikominimierung soll einen «Demonstrationseffekt» erzielen und die genannten institutionellen Anleger im grossen Stil anlocken.

Um die Erwartungen einem Plausibilitätscheck zu unterziehen, hat Alliance Sud in einer kürzlich veröffentlichten Studie den Schweizer Markt für Impact Investing beleuchtet. Dieser Markt besteht aus den in der Schweiz ansässigen Asset Managern, die entsprechendes Kapital in Entwicklungsländern einsetzen, und umfasst rund 18 Akteure mit einem verwalteten Kapital von fast 15 Milliarden USD. Etwa 11 Milliarden USD davon sind so genannte private Vermögenswerte, also Investitionen in Aktien und Anleihen, die von privaten Unternehmen im Globalen Süden ausgegeben werden. Der Rest entfällt auf börsenkotierte Unternehmen, bei denen öffentlich gehandelt werden kann.

Um diese Zahl in Relation zu setzen: Der Betrag entspricht weniger als 0,6% des gesamten «nachhaltigkeitsbezogenen Anlagevolumens» (gemäss den vom Verband Swiss Sustainable Finance angewandten Definitionen) oder 0,116% des Gesamtvolumens der verwalteten Vermögen (AuM) der Banken in der Schweiz per Ende 2023 (die oben erwähnten rund 8,4 Billionen Schweizer Franken).

Der Schweizer Markt für Impact Investing ist stark konzentriert, wobei die drei Hauptakteure – ResponsAbility, BlueOrchard und Symbiotics –, die sich inzwischen alle in ausländischem Besitz befinden, 80% des Marktes kontrollieren. Regional gesehen beschränken sich diese Investitionen vor allem auf Lateinamerika und die Karibik (24%) sowie auf Osteuropa und Zentralasien (20%), was auf die relative politische und wirtschaftliche Stabilität und ein günstiges Investitionsumfeld zurückzuführen ist. Im Gegensatz dazu entfallen auf Subsahara-Afrika nur 13% und auf den Nahen Osten und Nordafrika (MENA) gerade einmal 2% der Gesamtinvestitionen, was die weniger attraktiven Investitionsbedingungen und die als höher empfundenen Risiken in diesen Regionen widerspiegelt.

 

In der chilenischen Atacamawüste steht ein hoher Turm, darum herum sind quadratische Solarpanels kreisförmig angeordnet.

An risikoarmen, renditereichen Projekten wie am Solarkraftwerk Cerro Dominador im Schwellenland Chile sind unzählige europäische Banken beteiligt. © Fernando Moleres / Panos Pictures

 

Es profitieren nur wenige Länder….

Die Hälfte des Impact Investment konzentriert sich auf zehn Länder. Indien steht mit 15% des investierten Volumens an der Spitze, gefolgt von Kambodscha, Georgien, Ecuador und Vietnam. Insgesamt entfallen auf 35 Länder 85% der Investitionen (wobei nur Länder mit einem Engagement von mindestens 1% berücksichtigt wurden). Von diesen 35 Ländern sind ab 2025 nur noch 14 Schwerpunktländer der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz. Gemessen am Einkommen sind die Hälfte davon Länder mit höherem mittlerem Einkommen. Nur vier sind den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs gemäss UNO-Kategorisierung) zuzurechnen: Kambodscha (6%), Bangladesch (2%) – ein Land, aus dem sich die DEZA nach eigenen Angaben aufgrund von Budgetkürzungen ab 2025 zurückziehen wird –, Tansania (1%) und Myanmar (1%).

… und wenige Sektoren

Der Schweizer Markt für Impact Investing ist auch sektoral stark konzentriert. Mit etwa der Hälfte des gesamten verwalteten Vermögens dominiert der Mikrofinanzsektor. Auf die beiden Sektoren Mikrofinanz und KMU-Entwicklung entfallen über 80% der Investitionen, was auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit zurückzuführen ist. Die Sektoren Ernährung und Landwirtschaft sowie Klima und Biodiversität erhalten trotz ihres hohen Finanzbedarfs deutlich weniger Investitionen, nämlich 10% bzw. 4%. Die sozialen Sektoren, zu denen Wohnungsbau, Wasser, Gesundheit und Bildung gehören, ziehen zusammen weniger als 2% des Kapitals an. Dies liegt vor allem daran, dass diese Sektoren in der Regel keine attraktiven finanziellen Renditen bieten und häufig von den Regierungen als öffentliches Eigentum verwaltet werden.

Der Schweizer Markt für Impact Investing tendiert daher dazu, auf Regionen und Sektoren zu fokussieren, die geringere Risiken aufweisen und höhere finanzielle Renditen versprechen. Dies widerspiegelt einen breiteren Trend hin zu «sicheren» Investitionen, die nicht unbedingt auf die dringendsten Herausforderungen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung reagieren. In ihren Schlussfolgerungen hebt die Studie von Alliance Sud hervor, dass Impact Investing allein keinesfalls in der Lage ist, die Finanzierungslücke zur Erreichung der SDGs zu schliessen. Daher ist es entscheidend, der Mobilisierung inländischer Ressourcen, der Bekämpfung illegaler Finanzströme und der Aufrechterhaltung einer substanziellen öffentlichen Entwicklungshilfe für die ärmsten Länder Vorrang einzuräumen.

 

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Medienmitteilung

Finanzierung der UNRWA sichert Waffenstillstand in Gaza

13.02.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Wenige Tage vor der Sitzung der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats (APK-S) bekräftigen rund ein Dutzend Organisationen die absolute Notwendigkeit, die Finanzierung der UNRWA fortzusetzen. Nur dank humanitärer Hilfe kann das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas dauerhaft gesichert werden. Mit einer Aktion vor dem Bundeshaus und einem offenen Brief fordern die Organisationen die Schweiz dazu auf, ihrer humanitären Tradition gerecht zu werden.

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

+41 31 390 93 32 laura.ebneter@alliancesud.ch
Finanzierung der UNRWA sichert Waffenstillstand in Gaza

Übergabe des Schreibens an der Tür zur Bundeskanzlei. © Luisa Baumgartner / Alliance Sud

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hat Ende Januar seinen Sitz im Stadtteil Sheikh Jarrah in Ost-Jerusalem geräumt und sein internationales Personal vorübergehend nach Jordanien verlegt. Diese Massnahme folgte auf die Verabschiedung eines völkerrechtswidrigen Gesetzes durch das israelische Parlament, das die Präsenz der UNRWA in Israel und dem seit 1967 besetzten Ost-Jerusalem verbietet.

«Das Tätigkeitsverbot für die UNRWA kommt zu einem Zeitpunkt, an dem humanitäre Hilfe dringender denn je benötigt wird. Das Leben, die Gesundheit und das Wohlergehen von Millionen von Palästinenser*innen sind in Gefahr. Die Schweiz muss die israelische Regierung auffordern, der UNRWA zu erlauben, wieder im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet zu arbeiten. Gleichzeitig muss sie das UNO-Hilfswerk weiterhin finanziell unterstützen», fordert Michael Ineichen, Advocacy-Verantwortlicher von Amnesty Schweiz.

Seit dem Inkrafttreten des Waffenstillstands in Gaza hat die UNRWA 60% der gesamten humanitären Hilfe geleistet, die in das besetzte palästinensische Gebiet gelangte. Damit ist die UNRWA weiterhin die wichtigste humanitäre Akteurin vor Ort. Nur sie verfügt über das notwendige Netzwerk, um Notunterkünfte, sanitäre Einrichtungen, medizinische Versorgung und Ausrüstung sowie die Verteilung von Nahrungsmitteln und Wasser sicherzustellen. Der Erfolg des Waffenstillstands hängt von dieser grundlegenden Hilfe ab.

Nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom Januar 2024 ist die Schweiz nachdrücklich verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern und humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza zu gewährleisten. Als Depositärstaat der Genfer Konventionen organisiert sie zudem eine Konferenz der Vertragsstaaten der Genfer Konventionen mit dem Ziel, den Schutz der palästinensischen Bevölkerung zu verbessern. Ein Grund mehr, sich voll und ganz für die Menschenrechte der Palästinenser*innen einzusetzen – insbesondere durch einen Beitrag zur Sicherstellung von lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen.

«Amnesty International fordert die APK auf, die Unterstützung der UNRWA fortzusetzen. Eine Unterbrechung der Finanzierung würde im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen der Schweiz stehen und die Bemühungen um Frieden und Stabilität in der Region untergraben. Die Unterstützung unseres Landes ist umso notwendiger, nachdem US-Präsident Trump beschlossen hat, die Finanzierung des Uno-Hilfswerks einzustellen», sagte Michael Ineichen.

Folgende Organisationen haben den offenen Brief an die APK mitunterzeichnet: Amnesty International, Alliance Sud, Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina, Frieda – die feministische Friedensorganisation, Gesellschaft Schweiz Palästina, Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSOA), HEKS - Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, Ina autra senda - Swiss Friends of Combatants for Peace, Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina, Médecins du Monde Suisse, Medico International Schweiz, Palestine Solidarity Switzerland, Peace Watch Switzerland.

Im April 2024 überreichten Amnesty Schweiz und Partnerorganisationen mehr als 45'000 Unterschriften für einen Waffenstillstand und die Finanzierung der Uno-Hilfe in Gaza an den Bundesrat und das Parlament. Die Folgen eines Rückzugs der Schweiz von der Unterstützung der UNRWA wurden im Oktober in einem Schreiben an die Kommission dargelegt.

 

Medienmitteilung

Entwicklungszusammenarbeit: Mit weniger bewirkt niemand gleich viel

29.01.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Deza und SECO haben heute kommuniziert, wie sie die vom Parlament beschlossenen Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit umsetzen wollen. Die dramatischen Auswirkungen auf die Menschen in den betroffenen Ländern und Programmen werden dabei heruntergespielt.

Entwicklungszusammenarbeit: Mit weniger bewirkt niemand gleich viel

Trotz der politisch unsicheren Situation und gefährlichen Fluten wird die Streichung des bilateralen Entwicklungsprogramms in Bangladesch unter anderem mit den «tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort» begründet. © Keystone / EPA / STR

Damit keine Missverständnisse entstehen: Die Verantwortung für die Kürzungen von 110 Millionen Franken im Budget 2025 und 321 Millionen im Finanzplan der kommenden Jahre liegt allein bei der bürgerlichen Mehrheit im Parlament, die diese Entscheide gefällt hat. Die Aussage hingegen, dass «durch eine gezielte Priorisierung (…) die angestrebte Wirkung der internationalen Zusammenarbeit (IZA) trotzdem weitgehend möglich sein» soll, sendet aber ein falsches Signal. Natürlich ist die Entwicklungszusammenarbeit, die trotz Kürzungen geleistet werden kann, weiterhin wirksam. Aber genauso klar ist, dass mit 110 Millionen weniger nicht gleichviel gemacht werden kann. Und es ist klar, dass es Menschen im globalen Süden sind, die die Konsequenzen ganz konkret spüren werden, wenn erfolgreiche Projekte eingestellt werden müssen.

Die «Bedürfnisse vor Ort» sind gerade in Bangladesch und Sambia – in beiden Ländern sollen die Programme der DEZA eingestellt werden – sicher nicht kleiner geworden. Bangladesch ist in einer politisch unsicheren Situation, die Auswirkungen auf die für das Land zentrale Textilindustrie hat. Sambia leidet unter einer Schuldenkrise; nach dem Internationalen Währungsfonds besteht weiterhin «(a) high risk of overall and external debt distress». Dies auch deshalb, weil das Land unter aggressiver Steuervermeidung ausländischer Konzerne litt und leidet. So hat zum Beispiel Glencore auch bei hohen Kupferpreisen in Sambia nie Gewinnsteuern bezahlt. Beide Länder sind zudem besonders von der Klimakrise betroffen, die frühere Entwicklungserfolge bedroht. Bangladesch wegen Stürmen und ansteigendem Meeresspiegel und Sambia, weil die Stromproduktion stark zurückgegangen ist, da die Flüsse viel weniger Wasser führen.

Auch im multilateralen Bereich können die Kürzungen nicht einfach folgenlos weggesteckt werden. Eingestellt werden etwa die Zahlungen an UNAIDS. Aids gehört aber in Afrika immer noch zu den grössten Todesursachen und noch immer erhält fast ein Fünftel der afrikanischen HIV-Patient:innen keine lebensrettenden Medikamente. Auch soll es «zusätzliche Querschnittskürzungen» geben und die Kernbeiträge der NGOs sind betroffen, obwohl Bundesrat Cassis letzten Sommer im Parlament gesagt hat, dass diese Partnerorganisationen preisgünstig zur Umsetzung der IZA-Strategie beitragen. Im Klartext bedeutet dies alles konkret, dass etwa Bauernfamilien keine sichere Wasserversorgung im Kampf gegen die Klimakrise haben, Jugendlichen ein Ausbildungsplatz fehlt und mehr Kinder hungrig zu Bett gehen. Die Verantwortlichen für die Kürzungen sollten nicht beruhigt werden, sondern dieser Realität ins Auge blicken müssen.

 

 

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

Medienkommentar

Das IZA-Budget fällt aus dem Rahmen

19.12.2024, Entwicklungsfinanzierung

Die Wintersession geht mit Millionenkürzungen im Zahlungsrahmen 2025-2028 (-151 Millionen CHF) und im Budget 2025 der Entwicklungszusammenarbeit (-110 Millionen) zu Ende. Die Entscheide des Parlaments werden auf Kosten der ärmsten Länder dramatische Konsequenzen haben und waren geprägt von vielen falschen Argumenten, kritisiert Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud.

Das IZA-Budget fällt aus dem Rahmen

© Parlamentsdienste / Tim Loosli

Das Tauziehen um die Aufrüstung der Armee war geprägt von frei interpretierten Zahlen, falschen Argumenten und einem prozeduralen Trick. Einige Minuten lang hatten sich am 9. Dezember beide Räte gegen Kürzungen in den Zahlungsrahmen der IZA-Strategie 2025-2028 ausgesprochen. Der Nationalrat war mit Unterstützung der Mehrheit der Mitte bei 95 zu 94 Stimmen dem Ständerat gefolgt und lehnte alle Kürzungen ab. Doch dann geschah etwas, was zuvor noch nie geschehen ist. Die Ausga-benbremse wurde nicht gelöst. Denn bei Budgetentscheiden über 20 Millionen muss das Parlament diese immer in einem separaten Beschluss lösen, normalerweise eine Routineangelegenheit. Für diesen Entscheid gilt zudem das absolute Mehr, das heisst es braucht im Nationalrat 101 Ja-Stimmen, Enthaltungen zählen als Nein. Es fehlten nur gerade zwei Stimmen. Das gab der FDP die Möglichkeit, noch einmal Kürzungsanträge zu stellen. Diese wurden auch nur mit dem Stichent-scheid der FDP-Nationalratspräsidentin angenommen, mit 96 zu 95 Stimmen.

Neben 151 Millionen bei der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sollte ausgerechnet bei der humanitären Hilfe für die Ukraine das Messer angesetzt werden (-200 Millionen). Dies, nachdem Bürgerliche in der Debatte immer wieder betont hatten, man sei ja nicht herzlos und werde sicher nicht bei der humanitären Hilfe sparen. Der Ständerat korrigierte auf die -151 Millionen bei der DEZA und verhinderte eine totale Blamage der Schweiz und kalte Stuben in der Ukraine.

Überhaupt spielten Fakten in der Debatte keine Rolle. Etwa die wissenschaftlich eindeutige Wirk-samkeit der Entwicklungszusammenarbeit oder die Tatsache, dass es keinen Bereich in der Bun-desverwaltung gibt, wo mehr evaluiert wird und mehr Transparenz herrscht, man also deshalb sehr genau weiss, «was mit dem ganzen Geld im Ausland geschieht». Auch mit frei erfundenen Zahlen über die internationale Zusammenarbeit (IZA) wurde jongliert, es durften dann schon einmal zwei Drittel zu viel sein. Ebenso faktenfrei ist die oft gehörte Aussage, die Armee sei «in den letzten Jahren» zu Gunsten der IZA ausgehungert worden. Dabei war das Wachstum seit 2015 bei der IZA immer geringer (durchschnittlich 1,7%) als das Wachstum des Bundeshaushalts (2,6%), während das Wachstum der Armeeausgaben schon bisher deutlich darüber lag (3,9%). Hunger sieht anders aus und findet anderswo statt.

Es half nicht, dass gleichzeitig mit dem Zahlungsrahmen 2025-2028 auch das (verbindliche) IZA-Budget für 2025 verhandelt wurde. Fürs kommende Jahr wird nun die internationale Zusammenarbeit um 110 Millionen Franken gekürzt. Damit zeigt sich anschaulich, dass Zahlungsrahmen eben nur der Rahmen sind, im dem sich Parlamentarierinnen und Parlamentarier im besseren Licht darstellen können (bzw. im weniger schlechten Licht). Im Budget wurde nämlich auch bei der multilateralen IZA und der Entwicklungszusammenarbeit des SECO gekürzt, die im Zahlungsrahmen verschont worden waren. Und bei der DEZA steht weniger Geld zur Verfügung, als der Zahlungsrahmen erwarten liesse.

Die 30 Millionen Franken, die bei der multilateralen Hilfe fehlen, entsprechen etwa dem gesamten bisherigen Engagement der Schweiz im Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria. Das Geld, das bei der bilateralen Zusammenarbeit fehlt, wird ganz konkret bedeuten, dass weniger Schüler:innen in Flüchtlingslagern unterrichtet werden können, Bauernfamilien eine sichere Wasserversorgung im Kampf gegen die Klimakrise fehlt, Jugendlichen ein Ausbildungsplatz und mehr Kinder hungrig zu Bett gehen. Weihnachten sieht anders aus.

Für weitere Informationen:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter, Alliance Sud, Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

 

 

Klimafinanzierung

Weshalb das Privatkapital an seine Grenzen stösst

05.12.2024, Entwicklungsfinanzierung, Klimagerechtigkeit

Um die Länder im Globalen Süden im Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen, setzen viele Akteure des Nordens auf die Mobilisierung privater Mittel. Doch diese ist nicht annähernd so erfolgreich wie erhofft. Eine Bestandesaufnahme von Laurent Matile

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Weshalb das Privatkapital an seine Grenzen stösst

Korrektur überhöhter Erwartungen: Eine von Barbados' Premierministerin Mia Mottley lancierte Initiative zur Förderung von Klimafinanzierung für Entwicklungsländer hat ihre Forderungen an den Privatsektor heruntergeschraubt. © Keystone / AFP / Brendan Smialowski

«Die Zahlen, die bezüglich des Mobilisierungspotenzials von grünem Kapital kolportiert werden, sind realitätsfremd. Über die Mobilisierung von Privatkapital wird viel Unsinn erzählt.» Mit diesen Worten beendete Lawrence H. Summers, ehemaliger US-Finanzminister und emeritierter Professor und Präsident der Harvard-Universität, im Oktober letzten Jahres eine Podiumsdiskussion in Washington D. C.1

An der COP29 in Baku, die am 24. November endete, wurde in letzter Minute ein neues Ziel für die Klimafinanzierung vereinbart: Die Industrieländer verpflichteten sich, das bisherige Finanzierungsziel von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr auf 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2035 zu verdreifachen. Ein Betrag, der angesichts des Bedarfs der Entwicklungsländer, der global auf 2,4 Billionen pro Jahr geschätzt wird, bei weitem nicht ausreicht. In einer nebulösen Formulierung wurde ausserdem vereinbart, «die Anstrengungen aller Akteure zu sichern», um die Beiträge an die Entwicklungsländer aus öffentlichen und privaten Quellen bis 2035 auf 1,3 Billionen US-Dollar pro Jahr zu erhöhen.

Obwohl die Mobilisierung privater Klimafinanzierung nicht zuoberst auf der Agenda der COP29 stand, bleibt sie für viele öffentliche und private Akteure das Patentrezept schlechthin. Tatsächlich haben seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 zahlreiche öffentliche und private Akteure – diejenigen, die Lawrence Summers anspricht – grosse Anstrengungen unternommen, um die Entwicklung «innovativer Finanzinstrumente» voranzutreiben. Dabei handelt es sich um staatlich subventionierte Instrumente, deren Ziel immer dasselbe ist: die Risiken reduzieren (de-risking), um private Investitionen zu fördern – sei es für das Klima oder für nachhaltige Entwicklung. Dieses Schema ist tief verwurzelt. Viele Delegationen, darunter auch jene der Schweiz, rechnen damit, dass es, unabhängig von den letztendlich geschuldeten Beträgen der Industrieländer, möglich sein wird, einen wesentlichen Teil davon durch die «Mobilisierung von Privatkapital» sicherzustellen.

Die Faktenlage

Woher die Klimafinanzierung bisher kam und wohin sie geflossen ist, lässt sich aus den neuesten Zahlen der OECD2 ermitteln:

  • Achtzig Prozent (80%) der gesamten Klimafinanzierung der Industrieländer in der Höhe von 115,9 Milliarden USD (im Jahr 2022) wurden durch öffentliche Mittel (bilateral und multilateral den Industrieländern zuzurechnen) bereitgestellt.
  • Nur etwa 20% waren private Mittel, die durch öffentliche Finanzierungen mobilisiert wurden. Nach mehreren Jahren der Stagnation stiegen sie von 14,4 Mrd. USD im Jahr 2021 auf 21,9 Mrd. USD im Jahr 2022, was einem Anstieg um 52% entspricht. Zum Vergleich: Die für nachhaltige Entwicklung mobilisierte Gesamtsumme stieg 2022 ebenfalls deutlich um 27% (von 48 Milliarden USD im Jahr 2021 auf 61 Milliarden USD).
  • Klimabezogene Exportkredite blieben volumenmässig gering und volatil, weshalb ihr Anteil an der Gesamtsumme vernachlässigbar blieb.
  • Der Grossteil der privaten Finanzierungen (68%) wurde weiterhin in Ländern mit mittlerem Einkommen (MICs) mobilisiert und beschränkte sich auf einen begrenzten Kreis von Entwicklungsländern und dort wiederum auf eine begrenzte Anzahl von grossen Infrastrukturprojekten. Nur 3% wurden für Länder mit niedrigem Einkommen (LICs) bereitgestellt.
  • Der Grossteil der privaten Mittel floss in die Emissionsminderung (84%), während für Anpassungsmassnahmen nur 16% eingesetzt wurden. Letztere stiegen von 0,4 Milliarden USD im Jahr 2016 auf 3,5 Milliarden USD im Jahr 2022. Auch diese Gelder flossen in einige wenige Grossprojekte.
  • Fast die Hälfte der mobilisierten privaten Finanzmittel wurde in den Energiesektor investiert, in geringerem Masse auch in den Finanz- und Industriesektor, einschliesslich des Bergbaus.

 

 

Die OECD weist (immer wieder) darauf hin, dass «das Potenzial zur Mobilisierung privater Finanzmittel» im Kampf gegen den Klimawandel in den Entwicklungsländern durch eine Reihe von Herausforderungen gemindert wird. Sie verweist auf die mehr oder weniger günstigen Rahmenbedingungen für Investitionen in den Partnerländern, auf die zu geringe Rentabilität vieler Klimaprojekte, die es erschweren, private Investitionen im grossen Massstab anzuziehen, oder darauf, dass einzelne Projekte oft zu klein sind, um eine nennenswerte kommerzielle Finanzierung zu erhalten.

Doch die Überzeugung scheint zu bröckeln

Kaum eine Idee scheint so abgedroschen wie die Hoffnung, ein paar Milliarden Dollar an öffentlichen Geldern könnten dazu führen, Tausende Milliarden (Billionen!) an privaten Investitionen für nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz zu mobilisieren. Diese These wird denn auch zunehmend in Frage gestellt – nicht nur von Nichtregierungsorganisationen.

Ein Beispiel dafür ist die Bridgetown-Initiative 3.0, die ihre Erwartungen an die Mobilisierung des Privatsektors revidiert hat. Die Initiative, 2022 von Mia Mottley, der charismatischen Premierministerin von Barbados, ins Leben gerufen, wurde Ende September in ihrer dritten Version veröffentlicht. Sie zielt darauf ab, das globale Finanzsystem zu überdenken mit dem Zweck, die Schulden zu reduzieren und den Zugang zu Klimafinanzierung für Entwicklungsländer zu verbessern. Während Bridgetown 2.0 dazu aufrief, jährlich 1,5 Billionen US-Dollar aus dem Privatsektor für einen grünen und fairen Wandel zu mobilisieren, wurde die Forderung in der Version 3.0 auf «mindestens 500 Milliarden US-Dollar» heruntergeschraubt.

Mit Blick auf den Umfang und die Merkmale der bislang mobilisierten privaten Finanzierungen lassen sich eine Reihe von Schlussfolgerungen ziehen:

  • Erstens konzentriert sich die private Klimafinanzierung, unabhängig davon, ob sie durch öffentliche Gelder mobilisiert wird oder nicht, angesichts der Rentabilität von Grossprojekten vorrangig auf Emissionsreduktionsprojekte in Ländern mit mittlerem Einkommen, hauptsächlich im Energiesektor. Private Mittel für Anpassungsmassnahmen in Ländern mit niedrigem Einkommen bleiben eine Randerscheinung.
  • Zweitens stellt die Stagnation der globalen privaten Klimafinanzierung die Fähigkeit der privaten Ressourcen in Frage, so schnell und umfassend zu wachsen, wie es ihre Befürworter erwarten.
  • Die öffentliche Finanzierung muss weiterhin im Mittelpunkt der Bemühungen stehen, die Entwicklungsländer bei der Emissionsminderung und vor allem bei der Anpassung an den Klimawandel und der Behebung unvermeidbarer Verluste und Schäden zu unterstützen. Dafür müssen «neue und zusätzliche» Mittel ausserhalb der Budgets für Entwicklungszusammenarbeit sichergestellt werden.

 

Alliance Sud fordert erstens, dass der Grossteil des «fairen Beitrags» der Schweiz zur internationalen Klimafinanzierung durch öffentliche Gelder geleistet wird. Dabei ist ein Gleichgewicht zwischen den Mitteln für die Emissionsreduktion und die Anpassungsmassnahmen anzustreben. Zweitens sollen private Finanzierungen, die durch öffentliche Instrumente mobilisiert werden, nur dann als Klimafinanzierung der Schweiz angerechnet werden, wenn ihre positive Wirkung für die Menschen im Globalen Süden zuverlässig nachgewiesen werden kann.

 

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Medienmitteilung

Impact Investing zeigt wenig Wirkung in den ärmsten Ländern

10.12.2024, Entwicklungsfinanzierung

In Genf hat am Montag die Konferenz «Building Bridges» begonnen. Deren erklärtes Ziel ist es, «den Übergang zu einem globalen Wirtschaftsmodell zu beschleunigen, das sich an den Bedürfnissen der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ausrichtet». Eine neue Analyse von Alliance Sud hebt den Nischencharakter von Impact Investing hervor und beklagt, dass nur wenig in die ärmsten Länder investiert wird.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

+41 22 901 14 81 laurent.matile@alliancesud.ch
Impact Investing zeigt wenig Wirkung in den ärmsten Ländern

Die geografische Fokussierung von Impact Investing. Quelle: Tameo 2023.

Die Schweiz strebt eine führende Rolle im Bereich der nachhaltigen Finanzwirtschaft an. Im Zentrum des sogenannten nachhaltigen Finanzwesens steht das Impact Investing, das zwei Ziele verfolgt: finanzielle Renditen zu erzielen und gleichzeitig die grossen sozialen und ökologischen Herausforderungen anzugehen. Dieser Ansatz, der im internationalen Finanzsystem populär geworden ist, zielt darauf ab, privates Kapital zu mobilisieren, um die SDGs zu erreichen. Das zu deren Umsetzung erforderliche «Finanzierungsloch» ist jedoch abgrundtief: Laut der in Genf ansässigen UNO-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) stehen die Entwicklungsländer einer jährlichen Finanzierungslücke von über 4 Billionen USD gegenüber.

In einer heute veröffentlichten Analyse untersuchte Alliance Sud den Beitrag von Impact Investing zur nachhaltigen Entwicklung. Trotz des Wachstums dieses Sektors wird deutlich, dass dieser Ansatz allein nicht in der Lage sein wird, die Finanzierungslücke zu schliessen und die systemischen und strukturellen Hindernisse für eine nachhaltige Entwicklung zu beseitigen. Die Priorität muss weiterhin auf der Mobilisierung von Steuermitteln in den ärmsten Ländern, der Bekämpfung illegaler Finanzströme und der Aufrechterhaltung einer substanziellen öffentlichen Entwicklungsfinanzierung für die ärmsten Länder liegen.

Darüber hinaus können wirkungsorientierte Investitionen nicht die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Umgestaltung der globalen Finanzmärkte ersetzen. Deren Ausrichtung an Nachhaltigkeits- und Klimazielen erfordert glaubwürdige Regulierungen, die Bepreisung von Kohlenstoff und die Offenlegung von klimabezogenen Finanzinformationen.

Regionale und sektorielle Fokussierung
Eine grosse Sorge, die Alliance Sud teilt, ist das Risiko des «Impact Washing», bei dem Investitionen als sozial oder ökologisch vorteilhaft dargestellt werden, ohne messbare Ergebnisse zu liefern. Verschärft wird dieses Risiko durch das Fehlen allgemein anerkannter Definitionen und Standards zur Messung der Auswirkungen von Investitionen und zur Gewährleistung einer glaubwürdigen Berichterstattung.

Die Analyse von Alliance Sud legt einen besonderen Fokus auf den Schweizer Markt für Impact Investing in Entwicklungsländern. Tatsächlich werden nur etwa 11 Milliarden USD in Unternehmen und Projekte in Entwicklungsländern investiert. Dies entspricht weniger als 0,6 Prozent des Gesamtvolumens der nachhaltigkeitsbezogenen Investitionen oder weniger als 0,12 Prozent des Gesamtvolumens der verwalteten Vermögen der Banken in der Schweiz im Jahr 2023 (rund 8'400 Milliarden Schweizer Franken).

Die Schweizer Impact-Investitionen bleiben zudem regional stark konzentriert. Fast die Hälfte wird in Lateinamerika und der Karibik sowie in Osteuropa und Zentralasien getätigt, was auf die relative politische und wirtschaftliche Stabilität und ein investitionsfreundliches Umfeld in diesen Regionen zurückzuführen ist. Hingegen entfallen trotz des grossen Finanzierungsbedarfs in benachteiligten Regionen nur etwa 15% der Gesamtinvestitionen auf Subsahara-Afrika, den Nahen Osten und Nordafrika (MENA).

Auch auf sektorieller Ebene ist eine Konzentration festzustellen, wobei die Mikrofinanzierung und die Finanzierung von KMU mit über 80% der Investitionen stark dominieren. Die Sektoren «Ernährung und Landwirtschaft» sowie «Klima und Biodiversität» profitieren weitaus weniger von Investitionen. Die «sozialen Sektoren», zu denen Wohnungsbau, Wasser und Gemeinschaften, Gesundheit und Bildung gehören, ziehen zusammen weniger als 2% des Kapitals an. Dies liegt vor allem daran, dass diese Sektoren in der Regel keine attraktiven finanziellen Renditen bieten und von den Regierungen oft als öffentliches Eigentum verwaltet werden.

«Der Schweizer Markt für Impact Investing konzentriert sich auf Regionen und Sektoren mit geringeren Risiken und höheren finanziellen Renditen. Darin widerspiegelt sich der Trend zu «sicheren» Investitionen, die nicht auf die dringendsten Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung reagieren», sagt Laurent Matile, Experte für Unternehmen und Entwicklung bei Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.

Weitere Informationen:
Laurent Matile, Experte für Unternehmen und Entwicklung bei Alliance Sud, Tel. +41 22 901 14 81, laurent.matile@alliancesud.ch

Studie

Impact Investing und nachhaltige Entwicklung

10.12.2024, Entwicklungsfinanzierung

Impact Investing stösst insbesondere auch in der Schweiz, einem Land, das für sein Finanzsystem und sein Bekenntnis zu einem nachhaltigen Finanzplatz bekannt ist, auf immer breitere Akzeptanz. Doch gerade weil Impact Investing oft als Allheilmittel zur Bewältigung von Entwicklungsherausforderungen dargestellt wird, beleuchtet die Studie von Alliance Sud seine Wirksamkeit, seine Grenzen und das Ausmass, in dem es tatsächlich zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen kann, kritisch.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Impact Investing und nachhaltige Entwicklung

Impact Investing wächst zwar, bleibt aber ein Nischenmarkt. Quelle: Tameo 2023.

Medienmitteilung

Budget 2025: Hunger Games im Bundeshaus

04.12.2024, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Der Nationalrat hat heute beschlossen, im Budget 2025 insgesamt 250 Millionen Franken auf Kosten der Ärmsten zu sparen. Dieser gravierende Entscheid wird Millionen von Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Er darf sich morgen im Rahmen der Strategie der internationalen Zusammenarbeit nicht wiederholen.

Budget 2025: Hunger Games im Bundeshaus

Der Spardiskurs überschattet alles: Der Nationalrat beschliesst Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit mit schweren Folgen für die Menschen in den ärmsten Ländern.
© KEYSTONE / Alessandro della Valle

Am Donnerstag wird im Nationalrat die IZA-Strategie 2025-2028 behandelt. Die Finanzkommission beantragt ihrem Rat Kürzungen im Umfang von insgesamt einer Milliarde Franken. Dies obwohl durch die Ukraine-Finanzierung bereits 1.5 Milliarden Franken für den Globalen Süden fehlen.

Eine Kürzung der Verpflichtungskredite im Umfang von 1 Milliarde Franken hätte zusammen mit der bereits beschlossenen Umschichtung für die Ukraine beispielsweise zur Folge1, dass

… über 60’000 Menschen keine Berufsausbildung erhalten und damit die Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben verlieren.

… über 19’000 KMU kein Startkapital erhalten und die lokale Wirtschaft geschwächt wird.

Für die menschliche Entwicklung heisst es, dass

… über 120'000 Kinder in Notsituationen keine Grundbildung mehr erhalten.

… über 670'000 Personen weniger Zugang zu erschwinglichem und sauberem Trinkwasser erhalten.

… fast 160'000 Geburten nicht mehr von qualifiziertem Gesundheitspersonal durchgeführt werden können. Eine Zunahme der Kinder- und Müttersterblichkeit ist die Folge.

… über 910'000 weniger Menschen sich an die Folgen des Klimawandels anpassen können, was zu mehr Armut, Hunger und Migration führt.

Für Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, übertritt der Nationalrat mit dieser Budgetentscheidung eine rote Linie: «Nur wenn in der Wintersession bei den Verpflichtungskrediten der IZA-Strategie 2025 – 2028 und beim Budget 2025 den Anträgen des Bundesrates Folge geleistet wird, erhalten die Menschen in den ärmsten Ländern eine Zukunftsperspektive und Leben von Kindern, Müttern und Kranken können gerettet werden.»

 

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

 

 

1 Diese Berechnungen beruhen auf der Tabelle über die Ergebnisse 2020-2022, die dank der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit erzielt wurden, siehe IZA-Strategie 2025 – 2028, S. 12.

WIEDERAUFBAU DER UKRAINE

Schweizer Unternehmen als Profiteure?

03.10.2024, Entwicklungsfinanzierung

Der Bundesrat will 500 Millionen Franken für den Wiederaufbau der Ukraine dem Schweizer Privatsektor zuschanzen. Dies ist sicher nicht im Interesse der ukrainischen Wirtschaft und ihren Unternehmen.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Schweizer Unternehmen als Profiteure?

Grosse ukrainische Stahlwerke wie Saporischstal wurden angegriffen oder besetzt und können ihre Produktionsmengen kaum halten. © Keystone/EPA/Oleg Petrasyuk

Am 11. Juni stellte Bundesrat Ignazio Cassis anlässlich der Ukraine Recovery Conference (URC) in Berlin die Selbstverpflichtung der Schweiz vor: «Erstens: Der Privatsektor spielt eine Schlüsselrolle im Wiederaufbauprozess. Die Schweiz fördert nachhaltige Rahmenbedingungen und sorgt dafür, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) funktionieren und wettbewerbsfähig bleiben.» In Zusammenarbeit mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) unterstütze die Schweiz einen neuen Mechanismus zum Schutz privater Investitionen vor Kriegsrisiken und sei bereit, sich der Allianz zur Unterstützung von KMU anzuschliessen, die an der Konferenz gegründet werde. Man konnte also davon ausgehen, dass der Schweizer Aussenminister vor allem die Unterstützung ukrainischer Unternehmen und der ukrainischen Wirtschaft im Sinn hatte.

Doch zwei Wochen später, am 26. Juni, gab der Bundesrat bekannt, «dem Schweizer Privatsektor eine führende Rolle beim Wiederaufbau der Ukraine» einräumen zu wollen. Dafür will er in den nächsten vier Jahren ein Drittel der 1.5 Milliarden Franken verwenden, die in der Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 für die Ukraine vorgesehen sind. Die Mittel werden dabei fast vollumfänglich von der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) zum Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verschoben. Verwaltet wird das gesamte «Ukraine-Budget» von Jacques Gerber, derzeit jurassischer FDP-Staatsrat, der als Ukraine-Delegierter im Generalsekretariat des EDA sitzen und direkt den Bundesräten Cassis und Parmelin unterstellt sein wird.

Die Pläne des SECO

Soweit (oder so wenig) bekannt, haben die Pläne des SECO zwei Phasen. In der ersten sollen Schweizer Unternehmen unterstützt werden, die bereits in der Ukraine sind, damit sie Arbeitsplätze schaffen oder erhalten. Dies soll dadurch geschehen, dass der Bund Risiken der Unternehmen übernimmt, etwa durch Finanzhilfen oder Versicherungslösungen. Als Feigenblatt dafür, das Geld aus dem IZA-Budget abzuzweigen, sollen die Projekte der unterstützten Unternehmen eine «Entwicklungskomponente» haben, etwa Massnahmen zur Berufsbildung. So weit, so unklar. Genannt werden hingegen mögliche Begünstigte, etwa der Glashersteller und Glasverarbeiter Glas Trösch. Zudem zielen einige der Massnahmen darauf ab, dass Schweizer Firmen, die noch nicht in der Ukraine tätig sind, dort investieren. Sollte dies gemacht werden, könnten erst recht lokale KMUs und Unternehmen verdrängt werden.

Noch viel problematischer ist die zweite Phase, in der das SECO die «generelle Bevorzugung des Schweizer Privatsektors» plant. Die Ukraine erhielte dann also Geld von der Schweiz, das sie nur für Einkäufe bei Schweizer Firmen verwenden dürfte. Diese gebundene Hilfe (tied aid) widerspricht der guten Praxis in der internationalen Zusammenarbeit (IZA), den WTO-Bestimmungen und dem Schweizer Beschaffungsrecht. Dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage; diese soll in den nächsten Monaten geschaffen werden. Für den Bundesrat reicht dafür ein Staatsvertrag mit der Ukraine, die aussenpolitische Kommission des Ständerates hat hingegen ein eigenes Gesetz gefordert. Den abschliessenden Entscheid über das gesamte Paket fällt das Parlament im Rahmen der IZA-Strategie in der Wintersession. Die bundesrätliche Entscheidung einer Vorzugsbehandlung für den Schweizer Privatsektor ist aber offensichtlich nicht kongruent mit den in Berlin gemachten Versprechen. Dass die Ukraine selbst entscheiden könne, was sie von Schweizer Firmen brauche, ist kein überzeugendes Argument. – In einer Notlage nimmt man die Einkaufsgutscheine der Migros, auch wenn dies dem eigenen Dorfladen schadet, der eigentlich viel wichtiger wäre.

Stärkung der lokalen Wirtschaft

Was die Ukraine wirklich braucht, ist die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, und somit auch der Schweiz, für ihre eigene Wirtschaft und ihre nationalen Unternehmen. Rund 90% davon sind KMUs, die trotz der Unwägbarkeiten des Krieges eine ausserordentliche Widerstandsfähigkeit an den Tag legen. Eine aktuelle Studie der London School of Economics1 kommt zum Schluss, dass die ukrainische Wirtschaft sich als erstaunlich resilient erwiesen hat, ihre Wachstumsaussichten jedoch gering bleiben werden, solange der Krieg andauert. Ukrainische Produzenten verlieren nationale Marktanteile an internationale Konkurrenten, die nicht unter Kriegsbedingungen operieren. Dies zeigt, dass ihre relativ offene Wirtschaft (durch das Assoziierungsabkommen insbesondere gegenüber der EU) schlecht an die Bedingungen in Kriegszeiten angepasst ist. In dieser Situation ist die verstärkte öffentliche Beschaffung des Staates von Waren und Dienstleistungen bei ukrainischen Privatunternehmen ein wichtiges Instrument, um die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft während des Krieges zu stärken und die Produktionskapazität und die Beschäftigung zu stützen. So kann sich die ukrainische Wirtschaft gleichzeitig auf die künftige Erholung und den Wiederaufbau vorbereiten.

«Made in Ukraine» fördern

Die Gebergemeinschaft und die Schweiz sollten deshalb eine «Standortoffensive» für die Ukraine verfolgen, um deren Kapazitäten zu konsolidieren und auszubauen. Das Subventionsprogramm «Made in Ukraine» der ukrainischen Regierung zur Steigerung der inländischen Produktion muss unterstützt werden. Die Geberländer sollten die Verwendung von lokalen Vorprodukten (local content) und lokale Einkäufe zu einer Bedingung für die finanzielle Unterstützung der Ukraine machen, damit die Hilfsgelder für die Ukraine in der Ukraine ausgegeben werden. Auch die Förderung des Technologietransfers für die ukrainische Wirtschaft fällt unter diesen Ansatz. Die Folge wären nicht nur höhere Steuereinahmen, sondern durch die Steigerung von Exporten auch Deviseneinnahmen, die beide zur Rückzahlung der Wiederaufbaukredite der Gebergemeinschaft (vor allem der EU) dringend nötig sein werden.

Darüber hinaus sollten die Geber die Zusammenarbeit zwischen ihren und ukrainischen Unternehmen bei der Güterproduktion (z. B. über Joint Ventures oder Konsortien) mit Versicherungsmodellen gegen Kriegsrisiken und mit günstigen Finanzierungen fördern. Dies kann kurzfristig die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft stärken, solange der Krieg andauert, und mittel- bis langfristig zu ihrer Integration in die globalen Produktionsketten beitragen. Dieser Teil der ersten Phase der Schweizer Pläne wäre mit den entsprechenden Rahmenbedingungen also sinnvoll.

Der Wiederaufbau muss im Sinne eines Übergangs zu einer grünen Wirtschaft geplant werden, sowohl um die ukrainische Wirtschaft nachhaltig zu gestalten als auch um die Anpassung an den Green Deal der EU zu erleichtern. Investitionen in saubere Energie werden von entscheidender Bedeutung sein, ebenso wie die Dezentralisierung der Energieerzeugung – die Ukraine verfügt über eine grosse Anzahl kleiner Kraftwerke –; so wird die Anfälligkeit für russische Angriffe reduziert. Ausländische Partner und Investoren sollten ukrainische Unternehmen unterstützen, denen es an Fachkenntnissen und Humankapital mangelt, und sie bei der Implementierung von Spitzentechnologien (einschliesslich emissionsfreier Technologien) begleiten. Auch hierzu könnten die Pläne des SECO einen Beitrag leisten.

Finanzierung von Unternehmen

Eine enorme Finanzierungslücke besteht jedoch bei der Modernisierung der ukrainischen Industrie, die für den Wiederaufbau nötig ist. Insbesondere im Baustoff- oder Metallsektor, wo die Strukturen teilweise noch aus der Sowjetzeit stammen, muss die Dekarbonisierung vorangetrieben werden. Zur Bereitstellung der langfristig notwendigen Mittel für solche Reindustrialisierungs-Projekte wäre eine ukrainische Entwicklungsbank geeignet. Westliche Partner wie die Schweiz könnten Kiew bei der Beschaffung der Mittel und der Gewährung von Garantien zur Seite stehen, um die Finanzierung ukrainischer Unternehmen in grossem Massstab zu realisieren.

Der im Entstehen begriffene Rohstoffsektor der Ukraine zeigt sowohl den Bedarf an mehr Finanzmitteln als auch an einer gezielten Industriepolitik. EU-Vertreter begrüssten in Berlin die enormen Reserven der Ukraine an «kritischen Rohstoffen», die die Europäische Kommission als entscheidend für die europäische Wirtschaft betrachtet. Die Ukraine verfüge über 22 der 34 Mineralien, die als wesentlich für die Gewährleistung der «strategischen Autonomie» der EU oder sogar der «europäischen Souveränität» gelten. Eine ukrainische Entwicklungsbank könnte nationale Unternehmen unterstützen, damit sie zu Akteuren in dieser aufstrebenden Industrie werden und der grösstmögliche Mehrwert in der Ukraine geschaffen wird.

Dringende Kurskorrektur nötig

Für Alliance Sud ist klar: Gewisse Massnahmen der ersten Phase der Pläne des SECO können sinnvoll sein, wenn sie Arbeitsplätze schaffen, den Technologietransfer – insbesondere «grüner» Prägung – fördern, Partnerschaften mit lokalen Unternehmen beinhalten und sichergestellt ist, dass durch die Förderung von Schweizer Firmen keine lokalen Firmen verdrängt werden. Es ist dabei dringend nötig, dass über die konkreten Pläne transparent berichtet wird, damit deren Nutzen oder Schaden beurteilt werden kann. Im Zentrum der Schweizer Hilfe sollte aber die Unterstützung des lokalen Privatsektors und der ukrainischen Wirtschaft stehen. Dafür braucht es primär Geld; am besten würde die Schweiz dafür bestehende multilaterale Kanäle nutzen, anstatt in der Ukraine die «Swissness» zu pflegen.

Die zweite Phase, die lediglich zum Ziel hat, der Schweizer Exportwirtschaft ein «Stück vom Kuchen» des Wiederaufbaus zu sichern, würde den Interessen der ukrainischen Wirtschaft eindeutig zuwiderlaufen. Eine längerfristig stabile ukrainische Wirtschaft nützt aber auch der Schweiz mehr als volle Auftragsbücher einzelner Unternehmen. Diese Pläne sollten deshalb gestoppt werden. Und natürlich liegt es auf der Hand, dass diese Tätigkeiten nur am Rande die Prioritäten der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz berühren und deshalb nicht aus dem IZA-Budget finanziert werden dürfen.

 


1 A state-led war economy in an open market. Investigating state-market relations in Ukraine 2021-2023. LSE Conflict and Civicness Research Group, 4. Juni 2024.

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