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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
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09.12.2025, Internationale Zusammenarbeit
Während die Welt von vielfältigen Krisen betroffen ist, die dringend globaler Lösungen bedürfen, kürzen die meisten Staaten – allen voran die USA – ihre Budgets für die internationale Zusammenarbeit massiv. Damit stürzen sie den gesamten Sektor in eine existenzielle Krise. Analyse von Kristina Lanz und Laura Ebneter
Hilfestopp trotz Krieg und Hunger: Geflüchtete aus dem umkämpften Osten der Demokratischen Republik Kongo stehen neben der letzten USAID-Essenslieferung in Burundi. © Keystone/AFP/Luis Tato
Die internationale Zusammenarbeit (IZA) hat – wenn auch nicht immer perfekt und oft von nationalen Eigeninteressen getrieben – sowohl auf multilateraler wie auch auf bilateraler Ebene viel erreicht. Mit der UNO wurde in der Nachkriegszeit eine Instanz geschaffen, in der alle Länder auf Augenhöhe miteinander diskutieren und Lösungen für gemeinsame Probleme entwickeln. Mit verschiedenen spezialisierten Agenturen widmet sich die UNO allen globalen Problemfeldern; mit internationalen Abkommen wie etwa dem Pariser Klimaabkommen oder den Zielen für nachhaltige Entwicklung wurden gemeinsame Rahmenwerke zur Bearbeitung dringlicher Probleme der Menschheit geschaffen.
Die bilaterale, zwischenstaatliche Entwicklungszusammenarbeit – entstanden im Kontext der Dekolonisierung und anfangs eng mit der Geopolitik des Kalten Krieges verknüpft – hat sich über die Jahre immer mehr gewandelt: weniger top-down, breiter aufgestellt und lokal verankert. Sie hat unter anderem zu substanziellen Verbesserungen in den Bereichen Gesundheit, Müttersterblichkeit oder Bildung beigetragen und dazu geführt, dass Themen wie Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit oder Demokratisierung weltweit breiter verankert wurden.
Natürlich zeigen sowohl die multilaterale wie auch die bilaterale Zusammenarbeit schon länger Krankheitssymptome (wie etwa die steigende Fragmentierung und Bürokratisierung). Sie haben sich auch nie ganz aus der Dominanz des Westens gelöst, sind aber dennoch Teil einer globalen Werteordnung, die auf Frieden, universellen Menschenrechten, internationaler Solidarität und globaler Gerechtigkeit basiert. Und genau diese Werte und damit auch die vielfältigen Errungenschaften der internationalen Zusammenarbeit sind nun gefährdet.
Während sich die globale Polykrise zuspitzt, verschanzen sich immer mehr Länder hinter (sehr kurzfristigen) nationalen Eigeninteressen, rüsten auf und kürzen die Mittel der internationalen Zusammenarbeit massiv. Zudem werden die eigentlich für die Armutsreduktion vorgesehenen Mittel schon seit Jahren schleichend umverteilt. Dies zeigt sich auf vielfältige Art und Weise:
Im Kontext zunehmender rechtspopulistischer Strömungen, welche mit der zweiten Amtszeit von Donald Trump ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen, erscheint die aktuelle Krise als weit mehr als eine vorübergehende finanzielle Verschlechterung. Es handelt sich um einen Wendepunkt in Bezug auf die politischen Ziele, die werteorientierte Ausrichtung und die institutionellen Grundlagen der IZA. Der Grundsatz, dass reichere Länder ärmere Länder bei ihren Entwicklungsbestrebungen unterstützen sollen, wird fundamental in Frage gestellt. Die auf gemeinsame Werte, Armutsreduktion und Multilateralismus ausgerichtete internationale Zusammenarbeit weicht nach und nach einem auf wirtschaftliche sowie innen- und sicherheitspolitische Eigeninteressen basierten Paradigma.
Genauso wie auch der «Westen» als Einheit immer mehr zur Fiktion wird, ist es der «Globale Süden» schon lange. China, das im UNO-System zum Teil immer noch als «Entwicklungsland» angesehen wird, ist selbst ein gewichtiger Akteur in der internationalen Zusammenarbeit. Dasselbe gilt für die Golfstaaten oder die Türkei; auch Länder wie Indien oder Brasilien sind sowohl Empfänger wie auch Geberländer. Die steigende Relevanz sogenannter nicht-traditioneller Geber zeigt sich auch in einer ganzen Reihe neuer multilateraler Gremien (wie etwa der Asiatischen Infrastruktur- und Investmentbank AIIB oder der Neuen Entwicklungsbank NDB), welche im Gegensatz zu vielen «traditionellen» Gremien wie etwa der Weltbank oder dem IWF nicht vom Westen dominiert sind.
Die Weltmächte umgarnen Angola als Rohstofftransitland; den Ärmsten bringt das nichts.
© Tommy Trenchard/Panos Pictures
So ist es auch nicht erstaunlich, dass viele der ärmeren und ärmsten Länder, die unter dem Gewicht eines ungerechten, von westlichen Interessen dominierten globalen Finanz- und Wirtschaftssystems ächzen, sich immer mehr vom Westen abwenden und lieber mit anderen Geberländern, wie China oder Russland, zusammenarbeiten. Und während der Kollaps der internationalen Zusammenarbeit voraussichtlich Millionen von Todesopfern fordern wird, haben verschiedene afrikanische Staatschefs verlauten lassen, dass dieser Umbruch «längst überfällig» gewesen sei (Präsident Hichilema, Zambia) und als Signal gesehen werden müsse, sich stärker auf die eigenen Kräfte zu verlassen (Präsident Mahama, Ghana). Auch die Zivilgesellschaft im sogenannten Globalen Süden fordert nun immer lauter Reformen der internationalen Zusammenarbeit und gerechtere Rahmenbedingungen, die es den ärmeren Ländern erlauben würden, ihre Ressourcen für die eigene Entwicklung zu brauchen.
Expert:innen sind sich einig, dass mit der Zerschlagung von USAID ein neues Zeitalter der internationalen Zusammenarbeit begonnen hat. Nicht einig sind sie sich allerdings bei den propagierten Lösungsansätzen für die aktuelle Krise. Während die meisten europäischen Entwicklungsagenturen verstärkt der Maxime «Mobilisierung des Privatsektors» folgen, werden in den globalen Netzwerken der Zivilgesellschaft weitaus grundlegendere strukturelle Reformen diskutiert.
Auch der immer lauter werdende Ruf nach Dekolonisierung und Lokalisierung der internationalen Zusammenarbeit muss endlich gehört werden.
Denn bei allen Erfolgen der internationalen Zusammenarbeit besteht durchaus Reformbedarf – bei der immer stärkeren Fragmentierung, der Bürokratisierung, aber auch bei der Lokalisierung und Dekolonisierung der IZA. Die aktuelle Krise der internationalen Zusammenarbeit sollte somit auch genutzt werden, um bestehende Strukturen zu überdenken und neu zu gestalten.
Während sich die Anzahl offizieller Entwicklungsakteure zwischen 2000 und 2020 mehr als verdoppelt hat (von etwa 212 auf 544), ist der finanzielle Umfang einzelner Transaktionen stark gesunken. Viele Empfängerländer sind heute mit über 150 verschiedenen Agenturen in Kontakt, von denen die meisten ihre jeweils eigenen administrativen Anforderungen stellen, anstatt sich an den Systemen der Empfängerländer zu orientieren. Hier braucht es dringend eine bessere Zusammenarbeit aller Akteure sowie die konsequente Ausrichtung aller Entwicklungsakteure an den Bedürfnissen und administrativen Systemen der Empfängerländer (country ownership).
Und auch der immer lauter werdende Ruf nach Dekolonisierung und Lokalisierung der internationalen Zusammenarbeit muss endlich gehört werden. Dies bedingt nicht nur dringend notwendige Reformen wichtiger multilateraler Gremien wie des IWF, der Weltbank, dem OECD-Entwicklungshilfeausschuss oder dem UNO-Sicherheitsrat, um die Stimme der «Entwicklungsländer» zu stärken, sondern auch Reformen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Lokalisierung. Dazu müssen komplizierte bürokratische Anforderungen, die es lokalen Entwicklungsakteuren erschweren, an Gelder zu kommen und Projekte und Programme unkompliziert und effizient umzusetzen, abgebaut werden. Ebenso notwendig sind die gezielte Reflexion und der konsequente Abbau von Machtungleichheiten in Entscheid- und Umsetzungsstrukturen der einzelnen Akteure.
Die Ausgaben für internationale Zusammenarbeit bilden ausserdem nur einen von vielen globalen Finanzflüssen. Gemäss der UN-Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD verliert Afrika jedes Jahr 89 Milliarden Dollar durch unlautere Finanzflüsse – dies ist zwei Mal mehr als die gesamte internationale Zusammenarbeit des Kontinents. Zentral sind dabei die Steuerflucht und der Rohstoffsektor. Für die ärmsten Länder hat dies drastische Auswirkungen, denn aufgrund dieses Mittelabflusses fehlt ihnen das Steuersubstrat, um Bildungs- und Gesundheitssysteme zu finanzieren. Gleichzeitig sind viele ärmere Länder hoch verschuldet. Gemäss UNCTAD geben aktuell 61 Entwicklungsländer gemäss Kategorisierung der UNO über 10% ihrer Staatseinnahmen für den Schuldendienst aus. In einigen Ländern sind es gar 30-40% und damit bei weitem mehr als diese Länder für Gesundheit und Bildung ausgeben.
Um weltweit Armut und Hunger zu reduzieren, braucht es somit weit mehr als nur die internationale Zusammenarbeit – es braucht auch eine gerechte Aussen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik, die sicherstellt, dass die reichen Länder nicht länger auf Kosten der armen Länder leben.
Die internationale Zusammenarbeit befindet sich im Umbruch – weltweit und auch in der Schweiz. Wichtige Institutionen gehen zwar tiefgreifenden strukturellen Reformen aus dem Weg und delegieren die Verantwortung lieber an den Privatsektor. Aber es gibt immer mehr Stimmen, die sich eine neue, wahrhaft wertebasierte internationale Zusammenarbeit auf Augenhöhe wünschen. Eine internationale Zusammenarbeit, die eingebettet ist in eine breitere, reformierte Aussen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Angesichts der immer akuter werdenden globalen Krisen und dem fortschreitenden politischen Rechtsrutsch, scheint es aktuell wichtiger denn je, dass sich eine nationale und global koordinierte Zivilgesellschaft formiert, die sich diesen Tendenzen mit einem klaren Bekenntnis zu Demokratie, Menschenrechten und internationaler Zusammenarbeit entschieden entgegenstellt.
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Schweiz - Ukraine
12.11.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung
Unlängst hat der Bundesrat sein Abkommen mit der ukrainischen Regierung in die Vernehmlassung gegeben. Es soll eine gesetzliche Grundlage zur Subventionierung von Schweizer Unternehmen schaffen. Unter dem Deckmantel der «Zusammenarbeit» kehrt damit die längst überwunden geglaubte gebundene Hilfe zurück.
Eigennützige Hilfe aus der Schweiz: Sie will mit aus der Armutsbekämpfung abgezweigten Mitteln die eigene Privatwirtschaft subventionieren, statt ukrainische Firmen zu stärken. Bauarbeiter im zerbombten Charkiw.
© AP Photo/Vadim Ghirda
Liest man den Titel der Vorlage (Abkommen über die Zusammenarbeit im Wiederaufbauprozess der Ukraine), könnte man meinen, es gehe um das gesamte Länderprogramm Ukraine 2025-2028, das die Schweiz mit 1,5 Milliarden Franken aus dem Budget der internationalen Zusammenarbeit finanziert.
Setzt man die Lektüre bei der Präambel fort, so kommt dort der Wille der Parteien zum Ausdruck, die «Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft» zu stärken und die «Integration der Ukraine in den europäischen Markt» voranzutreiben. Ebenfalls wird die wichtige Rolle des Privatsektors für einen «effizienten und nachhaltigen Wiederaufbau» hervorgehoben. Man könnte nun vermuten, dass das Abkommen eine breite Palette von Massnahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit seitens der Schweiz umfasst, von denen vor allem die ukrainische Wirtschaft und die ukrainischen Unternehmen profitieren würden.
Dem ist jedoch nicht so. Der Kern des Abkommens besteht darin, die Modalitäten für eine nicht rückzahlbare finanzielle und technische Hilfe zum «Kauf von Waren und Dienstleistungen von Schweizer Unternehmen» für Wiederaufbauprojekte in der Ukraine zu definieren, insbesondere in den Bereichen Energie, Verkehr und Mobilität, Bauwesen und Wasser. Diese «Hilfe» wird vollständig aus dem Verpflichtungskredit des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) finanziert und unterliegt der Genehmigung durch das Parlament im Rahmen der Budgetdebatten. Gemäss Bundesrat soll dafür ein Drittel des Budgets von 1,5 Milliarden Franken für den Wiederaufbau der Ukraine im Zeitraum 2025-2028 zur Verfügung stehen, also 500 Millionen Franken.
Im August dieses Jahres wurden die ersten zwölf Projekte des Schweizer Privatsektors vorgestellt, die mit Mitteln aus dem Budget der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden. Gesamtbudget: 112 Millionen Franken, davon werden 93 Millionen von der Schweiz finanziert, der Rest von ukrainischen Unternehmen und Partnern. Die Projekte betreffen die Bereiche Infrastruktur (Energie, Wohnungsbau), öffentlicher Verkehr, Gesundheit und humanitäre Minenräumung. Zu den geförderten Unternehmen gehören Hitachi und Roche. Derzeit können nur Schweizer Unternehmen, die bereits in der Ukraine tätig sind, solche Finanzhilfen des SECO erhalten.
Die aufmerksame Leserschaft wird nun zu Recht fragen, auf welcher gesetzlichen Grundlage diese «technische und finanzielle Hilfe» beruht. Der erläuternde Bericht des Bundesrats ist in dieser Hinsicht klar. Diese finanziellen Massnahmen fallen nicht unter das Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (BG IZA), da sie den aussenwirtschaftspolitischen Interessen der Schweiz dienen. Der Bericht lässt keine Zweifel offen: Der Schweizer Privatsektor liegt ausserhalb des Geltungsbereichs des BG IZA. Könnten die Mechanismen zur Unterstützung der Schweizer Exporte, zu denen das Gesetz über die Exportförderung und das Gesetz über die Schweizer Exportrisikoversicherung gehören, allenfalls als Gesetzesgrundlage dienen? Die Antwort lautet: nein. Laut Bundesrat sind sie punkto Zweck und Gegenstand erstens völlig unterschiedlich. Zweitens erlauben diese Gesetze keine Finanzierung von Schweizer Exporten bzw. Subventionen, da dies gegen die einschlägigen Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) verstossen würde. Wir befinden uns also hier in einer rechtlichen Grauzone.
Mit einem juristischen Kunstgriff wurde das Abkommen jedoch so ausgestaltet, dass Käufe bei Schweizer Unternehmen – obwohl sie auf keiner ausdrücklichen schweizerischen Gesetzesgrundlage beruhen – dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) unterliegen. Dabei wird die Notwendigkeit unterstrichen, die «Rechtssicherheit» dieser Transaktionen zu gewährleisten. Dieser Ansatz hinkt allerdings.
Denn gemäss BöB ist die Schweiz verpflichtet, Unternehmen aus Ländern, die der Schweiz Reziprozität gewähren (insbesondere aus der Europäischen Union und der Ukraine), für Ausschreibungen zuzulassen. Diese Verpflichtung setzt das Abkommen kurzerhand ausser Kraft; ausländische Bieter werden hier von den Ausschreibungen ausgeschlossen, um sie Schweizer Unternehmen vorzubehalten. Damit riskiert der Bundesrat, dass die anderen Länder, insbesondere die EU-Mitgliedstaaten, Schweizer Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen in Zusammenhang mit ihren Kooperationsprojekten mit der Ukraine die Reziprozität entziehen. Darüber jedoch schweigt sich der erläuternde Bericht aus.
Abgesehen von den rechtlichen Feinheiten ist aus entwicklungspolitischer Sicht problematisch, dass der Bundesrat unter dem Deckmantel eines «Kooperationsabkommens» der gebundenen Hilfe (tied aid) zu einem Comeback verhilft. Die Rede ist von einer Praxis, die vom Entwicklungshilfeausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD-DAC) heftig kritisiert und aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf die Partnerländer aus der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz fast vollständig verbannt wurde. Somit stellt dieses Abkommen einen besorgniserregenden Präzedenzfall dar, da es diesen überholten und verpönten Mechanismus reaktiviert.
Es handelt sich hier um eine schleichende Umverteilung von Mitteln zur Armutsbekämpfung zugunsten von Akteuren des Privatsektors.
Im Bericht zur letzten Länderüberprüfung vom Juni 2025 durch den OECD-Entwicklungsausschuss (OECD/DAC Peer Review Switzerland 2025) wurde die Schweiz aufgefordert, diese Art der gebundenen Hilfe zu beenden. Denn dadurch, so die OECD, «kann das Empfängerland Güter und Dienstleistungen aus nahezu jedem Land beziehen, wodurch unnötige Kosten vermieden werden».
Aus budgettechnischer Sicht gibt es zudem keinen ersichtlichen Grund, weshalb diese «Finanzhilfen in spezifischen Sektoren» – oder, treffender formuliert, diese Exportsubventionen von Schweizer Waren und Dienstleistungen – vollständig aus dem Budget der internationalen Zusammenarbeit finanziert werden sollen. Da sie ausschliesslich für Schweizer Unternehmen bestimmt sind und nicht auf dem Gesetz über die internationale Zusammenarbeit beruhen, können sie nicht als Instrument der internationalen Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz betrachtet werden. Es handelt sich hier um eine schleichende Umverteilung von Mitteln zur Armutsbekämpfung zugunsten von Akteuren des Privatsektors und ist Teil eines negativen Trends, der die Ziele und den Zweck der internationalen Zusammenarbeit in Frage stellt.
Alliance Sud fordert daher, dass diese Finanzhilfen künftig nicht mehr aus dem Budget für internationale Zusammenarbeit bestritten werden. Wenn der Bundesrat diese Art der Unterstützung für Schweizer Unternehmen im Rahmen des Wiederaufbaus der Ukraine beibehalten möchte, sollte er dafür neue, separate Finanzierungsquellen erschliessen. Die Mittel der IZA müssen vorrangig für die Armutsbekämpfung und die Unterstützung benachteiligter Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden.
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Interview mit Gunjan Veda
30.09.2025, Internationale Zusammenarbeit
Dekolonisierung betrifft nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft einer gerechten internationalen Zusammenarbeit (IZA). Darüber hat Alliance Sud mit Gunjan Veda, Generalsekretärin des Movement for Community-led Development, gesprochen.
Im Kasangadzi Area Program in Dowa, Malawi, nutzen Teilnehmende ein partizipatives Tool für gemeinschaftsgeführte Entwicklung. © Gunjan Veda / MCLD
Sie sind Expertin für die Dekolonisierung der IZA. Welche persönlichen Erfahrungen haben Ihr Bild der internationalen Zusammenarbeit geprägt?
Ich begann meine Laufbahn als Aktivistin in Indien und arbeitete dort fast 20 Jahre im Non-Profit- und Regierungssektor, bevor ich nach Kanada und in die USA zog. Das war eine Art Schock für mich. Als ich mit Institutionen wie USAID zu arbeiten begann, war mein erster Eindruck: Ich dachte, ich könnte Englisch. Aber offenbar konnte ich es nicht, denn der Jargon in diesem Sektor ist voller Fachbegriffe. Es gab nur wenige Momente, in denen wir einander wirklich zuhören und uns verstehen konnten. Diese Erfahrung war frustrierend und gleichzeitig aufschlussreich. Sie hat es mir ermöglicht, die vielfältigen Sichtweisen unterschiedlicher Akteursgruppen in der Majority und der Minority World zu verstehen.
Sie verwenden die Begriffe Majority und Minority World: Was verstehen Sie darunter?
Historisch haben wir viele Begriffe für Länder und Regionen benutzt, die wir zur Majority World zählen – Afrika, Lateinamerika, Karibik, Asien. Von «am wenigsten entwickelte Länder» über «Dritte Welt» oder «ressourcenarme Länder» bis hin zu «Globaler Süden». Jeder dieser Begriffe trägt nicht nur starke Machtverhältnisse in sich, sondern ist auch unzutreffend. Sie stellen die Majority World so dar, als sei sie weniger wert als die Minority World. Als ob sie unzureichend sei und in ihrer Entwicklung aufholen müsse.
Woher stammen die Begriffe?
Der Begriff Majority World wurde vom bangladeschischen Aktivisten und Fotografen Shahidul Alam in den frühen 1990er-Jahren geprägt. Er wollte damit die Minority World herausfordern: Wenn ihr Demokratie wirklich ernst nehmt, wie kann es dann sein, dass ein kleiner Teil der Welt über die grosse Mehrheit bestimmt? Für mich persönlich ist der Begriff auch aus einem weiteren Grund wichtig: Er erinnert uns in der Majority World daran, dass wir die Mehrheit der Weltbevölkerung sind, dass wir Einfluss haben und die Welt verändern können.
Gunjan Veda ist Generalsekretärin des Movement for Community-led Development, einem Netzwerk mit über 3000 lokalen, gemeinschaftsbasierten Organisationen. Als Politikstrategin, Menschenrechtsaktivistin und Autorin ist sie eine aktive Stimme in den Debatten über die Dekolonisierung und die Bewegung #ShiftThePower. Sie hat mit Organisationen wie USAID und der Weltbank zusammengearbeitet, um lokalen Stimmen im internationalen Entwicklungsdiskurs Gehör zu verschaffen. Routledge hat kürzlich ihr drittes Buch veröffentlicht: Community-led Development in Practice: We power our own change.
Finanzierungsstrukturen und gewisse Arbeitsweisen im Entwicklungs- und humanitären Sektor verstärkten ein Gefühl der Machtlosigkeit und Abhängigkeit.
Sie sind eine engagierte Unterstützerin der weltweit aktiven Bewegung #ShiftThePower. Sehen Sie bereits konkrete Anzeichen dafür, dass lokale Gemeinschaften mehr Entscheidungsmacht erhalten haben?
Das Movement for Community-led Development gehörte zu den frühen Unterstützern des Begriffs #ShiftThePower, als er 2016 geprägt wurde. Damals war es ein radikales Konzept, weil es die Machtungleichgewichte in unserem Sektor klar benannte. Inzwischen sind wir aber weitergegangen. Denn «Macht verschieben» impliziert, dass jemand – die Minority World oder Geldgeber –, der die Macht hat, diese abgeben müsste: den Gemeinschaften und Organisationen in der Majority World. Wir in der Majority World hätten auch Macht. Wir hatten sie schon immer. Der Kolonialismus versuchte, sie auszulöschen und uns ein Gefühl der Machtlosigkeit und Abhängigkeit überzustülpen. Finanzierungsstrukturen und gewisse Arbeitsweisen im Entwicklungs- und humanitären Sektor verstärkten dieses Gefühl zusätzlich. Mit der zunehmenden Diskussion über die Dekolonisierung erkennen dies immer mehr Menschen. Aber im Mainstream angekommen ist die Idee noch nicht.
Was hält die internationale Zusammenarbeit zurück?
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die allermeisten Menschen mit guten Absichten in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind. Wir arbeiten in diesem Bereich, weil wir an Menschenrechte glauben und etwas bewegen wollen. Aber die Institutionen der internationalen Zusammenarbeit – ob Regierungsstellen, Stiftungen oder auch NGOs – wurden nicht geschaffen, um eine gerechte Welt aufzubauen. Sie wurden als Instrumente der Kontrolle und der «Soft Power» entworfen. Menschen in der internationalen Zusammenarbeit fügen sich immer wieder diesen Logiken und fördern so ungewollt diejenigen Machtungleichgewichte, die sie eigentlich bekämpfen wollen. Das System verstärkt die Abhängigkeit und das koloniale Erbe. Und genau das hält uns zurück.
Es gibt weder Hauptdarsteller:innen noch Nebenrollen. In manchen Bereichen ist das Wissen der internationalen NGOs wichtig, in anderen das Wissen lokaler Akteure.
Wie also können wir die kolonialen Muster in unserem System überwinden?
Wir müssen unsere Rollen neu denken. Es gibt weder Hauptdarsteller:innen noch Nebenrollen. Jede Rolle ist wichtig, und es gibt Raum für alle. Die Diskussion über die Lokalisierung der Zusammenarbeit hat viele Ängste ausgelöst, insbesondere bei internationalen NGOs, die fürchten, dass ihr Wissen nicht mehr relevant ist, wenn lokale Akteure mehr Verantwortung und Macht erhalten. Aber darum geht es gar nicht. In manchen Bereichen ist ihr Wissen wichtig, in anderen das Wissen lokaler Akteure. Wir müssen unsere Rollen neu ganz nach unseren Stärken ausrichten. Wir müssen vom Konkurrenzdenken zu echter Zusammenarbeit kommen. Und wir müssen anfangen, einander ganz bewusst zuzuhören. Auch wenn es so einfach klingt – es ist unglaublich schwierig. Wir haben die Kunst des Zuhörens verlernt.
Wie könnten wir besser zuhören – und einander dadurch besser verstehen?
Zuhören erfordert einen grundlegenden Wandel in der Haltung. Wir müssen einsehen, dass auch Menschen, die nicht so aussehen oder klingen wie wir, die unsere Sprache nicht sprechen, keinen Zugang zu Eliteinstitutionen haben und vielleicht nie ihr Heimatland verlassen haben, Wissen, Erfahrung und Weisheit besitzen. Ihre Weltsicht zählt, ihre Ideen zählen, ihre Werte zählen. Wir müssen Sprachbarrieren abbauen, neugierig sein, Fragen stellen. Zuhören verlangt Demut und die Bereitschaft zu lernen.
Ist Zuhören der Schlüssel für den lange ersehnten Systemwandel in der internationalen Zusammenarbeit?
Um es klar zu sagen: Das System «Entwicklungszusammenarbeit» wird nie gerecht sein. Entwicklungszusammenarbeit wurde als System von Kontrolle und Macht geschaffen, um ehemalige Kolonien geopolitisch und wirtschaftlich nicht zu verlieren. Die Diskussion um die Lokalisierung der Zusammenarbeit macht ein ungerechtes System nur etwas weniger ungerecht.
Sollte also die internationale Zusammenarbeit überwunden werden?
Ich sage nicht, dass die internationale Zusammenarbeit abgeschafft werden soll. Das wäre aktuell eine Katastrophe für Millionen von Menschen weltweit, die aufgrund fortgesetzter Ausbeutung keinen Zugang zu Grundversorgung und keinen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen haben. Genau deshalb dürfen wir internationale Zusammenarbeit nicht als Hilfe oder Wohltätigkeit verstehen, sondern als Reparationen für historische und fortdauernde Unrechtssysteme.
Echten Systemwandel schaffen wir nur, wenn wir das globale Wirtschaftssystem grundlegend verändern. Gerechte Lösungen für stark verschuldete Länder und global gerechte Steuersysteme sind dringend nötig.
Was braucht es für einen Systemwandel?
Einen echten Systemwandel schaffen wir nur, wenn wir das globale Finanz- und Wirtschaftssystem grundlegend verändern. Gerechte Lösungen für stark verschuldete Länder und global gerechte Steuersysteme sind dringend nötig. Das würde den Regierungen der Majority World ermöglichen, für ihre Bevölkerung zu sorgen und sich von Entwicklungsgeldern loszusagen.
Welche Rolle sehen Sie für internationale NGOs in dieser Welt ohne Entwicklungszusammenarbeit?
Organisationen der Minority World haben Einfluss auf die Menschen und die Politik in ihren Ländern. Es ist enorm wichtig, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, weil das Verständnis von globaler Solidarität, Demokratie und Menschenrechten weitgehend verloren gegangen ist. Auch deshalb sind anti-demokratische Kräfte momentan so stark.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Es gibt Kontexte, in denen Akteure der Minority World tätig sein können, wo es für lokale Akteure gefährlich wird. Wenn Sie zum Beispiel LGBTQI+-Aktivistin in Uganda sind und in Ihrem Land verfolgt werden, braucht es internationale Partner. Diese können ihre Reichweite nutzen, um Stimmen lokaler Akteure zu verstärken oder auf Missstände aufmerksam zu machen. Auch internationale Organisationen werden auf jeden Fall weiterhin eine Rolle spielen. Aber weder internationale noch lokale Organisationen sollten dauerhaft Dienstleistungen, zum Beispiel in den Bereichen Bildung oder Gesundheit, erbringen.
Aber diese sind zentral für die Armutsbekämpfung – warum sollte sich die Zivilgesellschaft in diesen Bereichen nicht engagieren?
Gesundheit, Bildung, Wasser, Strom, Strassen – das sind grundlegende Menschenrechte, garantiert durch Verfassungen und Regierungen. Es ist die Aufgabe gewählter Regierungen, diese Grundversorgung zu leisten – nicht die von NGOs. Die Rolle der Zivilgesellschaft ist es, Regierungen zu befähigen, diese Pflichten zu erfüllen, und die Bevölkerung zu befähigen, ihre Rechte einzufordern.
Die globale Finanzarchitektur ermöglicht es Konzernen, Ressourcen auszubeuten, ohne Steuern zu zahlen oder Gemeinschaften zu entschädigen. Dagegen braucht es starkes politisches Engagement der Zivilgesellschaft, insbesondere von internationalen NGOs.
Und in Kontexten, in denen der Staat diese Leistungen nicht erbringen will?
Die Geschichte zeigt: Die brutalsten und autoritärsten Regime werden gestürzt, wenn sie aufhören, auf ihre Bevölkerung zu hören. Aus diesem Grund gibt es Revolutionen. Wenn Regierungen grundlegende Leistungen nicht erbringen, werden sich die Menschen auflehnen. Wenn du deine Familie hungern siehst, hast du nichts mehr zu verlieren – du hast keine andere Wahl als zu protestieren. Grundversorgung von aussen ist nie eine nachhaltige Lösung. Sie kann kurzfristig helfen – in Katastrophen oder Konflikten zum Beispiel.
Aber wir müssen uns bewusst sein, dass viele Regierungen der Majority World nicht in der Lage sind, grundlegende Dienstleistungen bereitzustellen, weil ihre Steuereinnahmen zu grossen Teilen in den Schuldendienst fliessen. Die globale Finanzarchitektur und Steuergesetze ermöglichen es multinationalen Konzernen, Ressourcen auszubeuten, ohne Steuern zu zahlen oder Gemeinschaften zu entschädigen. Das muss sich ändern – und dafür braucht es ein starkes politisches Engagement der Zivilgesellschaft, insbesondere von internationalen NGOs, da oft die Regierungen der Minority World diese ausbeuterischen Strukturen erhalten.
Wenn die Sicherheit der Schweizer Bürger:innen Priorität hat, dann müssen zuerst die grossen, globalen Fragen angegangen werden.
Welche Botschaft haben Sie an die Schweizer Regierung, etwa im Hinblick auf die zentrale Rolle der Schweiz in der Rohstoffindustrie oder ihrem Finanzplatz?
Die Schweiz ist sehr stolz darauf, Hüterin des humanitären Völkerrechts und Verfechterin der Menschenrechte zu sein. Aber wenn sie diese Werte ernst nimmt, darf sie keine Systeme stützen, die diesen Werten zuwiderlaufen. Der Erhalt von Steueroasen oder die Kürzung der Gelder für die internationale Zusammenarbeit bedeuten heute den direkten Todesstoss für zahlreiche Menschen weltweit. Entwicklungszusammenarbeit muss nicht bleiben, sie sollte nicht bleiben. Aber wie der Ausstieg erfolgt, muss gemeinsam mit den Betroffenen entschieden werden. In unserer stark vernetzten Welt können wir es uns nicht leisten, nur an die «eigenen Leute» zu denken. Wenn die Sicherheit der Schweizer Bürger:innen Priorität hat, dann müssen zuerst die grossen, globalen Fragen angegangen werden.
Und welche Botschaft haben Sie an die Schweizer Zivilgesellschaft?
Im Moment formieren sich anti-demokratische Kräfte, um diejenigen Rechte und Freiheiten zu untergraben, für die wir so lange gekämpft haben. Und wir versäumen es, gemeinsam gegen diese Bedrohung vorzugehen. Wir müssen aus unseren Silos herauskommen und zusammenfinden. Wir müssen uns wieder an die mächtigste Kraft in diesem System erinnern: die Bürgerinnen und Bürger unserer Länder. Wir müssen anfangen, aufeinander zuzugehen, zuzuhören und uns einzubringen, wenn wir die Menschenrechte verteidigen wollen.
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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
Gaza: Joint appeal by international NGOs
Internationale Zusammenarbeit
Alliance Sud and over 100 other organizations call for an end to Israel’s weaponization of aid.
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Publikation
26.06.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung
Die Einstellung eines grossen Teils der US-Entwicklungsfinanzierung hat massive Auswirkungen auf die ärmsten und verletzlichsten Menschen dieser Welt, auf das multilaterale System, welches massgeblich zu Frieden und Stabilität in der Welt beiträgt, und auf die globale Gesundheitsversorgung. Über die konkreten Folgen der USAID-Zerschlagung erfahren Sie mehr im Faktenblatt von Alliance Sud.
© T. Schneider / Shutterstock.com
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Aufruf zur Nationalen Grossdemo
18.06.2025, Internationale Zusammenarbeit
Ein breites Bündnis aus Kollektiven, Organisationen, Parteien und Gewerkschaften fordert den Bundesrat auf, unverzüglich und entschlossen zu handeln und ruft zu einer grossen nationalen Demonstration auf, um gemeinsam am Samstag, 21. Juni, um 16 Uhr auf der Schützenmatte in Bern auf die aktuelle Lage in Gaza aufmerksam zu machen. Wir mobilisieren gemeinsam, um von der Schweiz eine Reaktion auf die humanitäre Notlage und die anhaltende Gewalt zu fordern.
Gemeinsamer Aufruf unter anderem von Amnesty International, Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina (JVJP), Palestine Solidarity Switzerland, SP Schweiz, GRÜNE Schweiz, Gewerkschaft UNIA, Campax, Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB, JUSO Schweiz, Junge Grüne Schweiz, Gesellschaft für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) und Alliance Sud.
Immer mehr Organisationen kommen zum Schluss, dass Israel einen Völkermord an den Palästinenser:innen in Gaza begeht. Die israelische Regierung hat die Absicht ethnischer Säuberungen klar zum Ausdruck gebracht. Die Kriegsverbrechen der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen vom 7. Oktober 2023 rechtfertigen in keiner Weise die von Israel begangenen genozidalen Handlungen und Kriegsverbrechen.
Die israelische Armee hat in anderthalb Jahren mehr als 54.000 Menschen getötet, darunter mindestens 15.000 Kinder. Die indirekten Todesfälle und die Opfer, die immer noch unter den Trümmern liegen, sind in dieser Bilanz nicht berücksichtigt. Hinzu kommt der vorsätzliche Einsatz von Hunger als Kriegswaffe gegen mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen und die langjährige Besatzungs- und Apartheidspolitik Israels in den besetzten Gebieten, die eindeutig gegen das Völkerrecht verstösst.
Als Depositarstaat der Genfer Konventionen und als Sitz des Uno-Menschenrechtsrates hat die Schweiz eine besondere Verantwortung. Die Untätigkeit, insbesondere des EDA, ist inakzeptabel und muss sofort enden.
Dieser Aufruf zur Demonstration wird von einer Koalition von Organisationen und politischen Akteur:innen getragen, die sich für ein mutigeres Engagement der Schweiz in der aktuellen Lage und für die Umsetzung dieser an den Bundesrat gerichteten Forderungen einsetzen.
Diese Kundgebung ist bewilligt und friedlich, offen und zugänglich für alle, die dem Bundesrat klare Forderungen übermitteln möchten. Hasspropaganda, Rassismus, Islamfeindlichkeit oder Antisemitismus werden nicht toleriert.
Weitere Informationen zur humanitären Notlage in Gaza:
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Medienmitteilung
16.06.2025, Internationale Zusammenarbeit
Der Entwicklungsausschuss der OECD (OECD-DAC) hat heute die Resultate der Peer Review der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit publiziert. Während die Schweiz für ihre Bereitschaft, sich in langfristigen, komplexen Projekten zu engagieren, gelobt wird, wird sie unter anderem dazu angehalten, die Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit rückgängig zu machen und die Politikkohärenz zu verbessern. Zudem soll die Schweiz nicht zur international verpönten gebundenen Hilfe zurückkehren.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kritisiert in ihrem Schlussbericht die Kürzungen beim Budget der Entwicklungszusammenarbeit und hält die Schweiz dazu an, sicherzustellen, dass ihre Unterstützung der Ukraine zusätzlich zum regulären Entwicklungsbudget geleistet wird, um so nicht ihr geschätztes und wirksames langfristiges Engagement in den ärmsten Ländern zu untergraben.
Ein spezielles Augenmerk gilt auch der Rückkehr zur gebundenen Hilfe (tied aid) – eine mittlerweile verpönte Praxis, bei der Entwicklungsgelder an die Bedingung der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen aus den Geberländern geknüpft werden. Das schadet nicht nur der lokalen Wirtschaft in den Entwicklungsländern, sondern kommt die Geberstaaten auch teurer zu stehen als eine offene Vergabepraxis. Die Peer Reviewer empfehlen der Schweiz daher – auch und vor allem in ihrem Ukraine-Programm –, nicht von ihrem bisher vorbildlichen Leistungsausweis bei der Aufhebung der gebundenen Hilfe abzuweichen und an ihren Bestrebungen, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis ihrer Programme zu gewährleisten, festzuhalten. Es wird angemerkt, dass die Schweiz mit den 500 Millionen CHF, die im Rahmen des Ukraine-Programms bereits ausschliesslich für Schweizer Unternehmen reserviert wurden, sowohl die Wirkung ihrer Entwicklungszusammen¬arbeit wie auch ihren guten Ruf als prinzipientreue Geberin aufs Spiel setze.
Die Reviewer:innen kommen aber auch zum Schluss, dass die Schweizer Entwicklungszusam-menarbeit in vielerlei Hinsicht Vorbildcharakter aufweist. So würdigt der Ausschuss beispielsweise die Evaluationspraxis der Schweiz sowie ihre Bereitschaft, sich in langfristigen und komplexen Projekten zu engagieren. Gleichzeitig werden Verbesserungen in verschiedenen Bereichen angeregt: So sollen etwa die Armutsreduktion und das Prinzip “Leave no-one behind” in allen Projekten mehr im Fokus stehen, die Koordination zwischen dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) verbessert oder die Kommunikation strategischer gestaltet werden.
Der OECD-Entwicklungsausschuss erinnert die Schweiz einmal mehr daran, einen stärkeren Fokus auf die negativen grenzüberschreitenden Auswirkungen anderer Politikbereiche auf die nachhaltige Entwicklung zu legen und diese systematisch und departementsübergreifend zu analysieren, beispielsweise im Bereich des Rohstoffhandels oder bei der Bekämpfung illegaler Finanzflüsse. «Ohne den konsequenten Einbezug aller Politikbereiche bleibt die nachhaltige Entwicklung sowohl in den Ländern des Globalen Südens wie auch bei uns eine Illusion», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud. Genau diese Politikkohärenz wird an der UNO-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Sevilla (30. Juni-3. Juli) auf dem Prüfstand stehen.
Für weitere Informationen:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, +41 31 390 93 30
Kristina Allianz. Expertin für internationale Zusammenarbeit, +41 31 390 93 40
Hintergrund:
Die sogenannte Peer Review der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit, welche alle vier Jahre stattfindet und letztes Jahr von einer Delegation aus Luxemburg, Ungarn und Kroatien durchgeführt wurde, stützt sich auf Befragungen von über 90 in der EZA tätigen Akteur:innen in der Schweiz sowie auf Besuche von Schweizer Projekten in Simbabwe und Südafrika.
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Gaza: Appell der Entwicklungsorganisationen
23.05.2025, Internationale Zusammenarbeit
Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist desaströs. Schweizer Entwicklungsorganisationen fordern den Bundesrat dazu auf, sich der gemeinsamen Erklärung von über 20 Staaten anzuschliessen und unverzüglich alles daran zu setzen, dass die humanitäre Hilfe uneingeschränkt und unparteiisch geleistet werden kann.
Eingeschlossen inmitten von Schutt und Asche: Gazas Bevölkerung ist Hunger und anhaltenden Offensiven schutzlos ausgesetzt - dennoch schränkt Israels Regierung die humanitäre Hilfe massiv ein.
© Keystone/EPA/Mohammed Saber
Gemeinsame Medienmitteilung von Alliance Sud, Caritas Schweiz, HEKS, Helvetas, Terre des hommes, Swissaid und Solidar Suisse.
Während diese Woche wieder erste Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gelangt sind, schränkt die israelische Regierung weiterhin die lebensnotwendige Versorgung der Zivilbevölkerung ein. Die aktuellen Transporte reichen bei weitem nicht aus, um die 2,1 Millionen Menschen zu versorgen. Gleichzeitig führt die israelische Armee ihre Anfang Woche gestartete Bodenoffensive fort, fliegt Luftangriffe im dicht besiedelten Küstenstreifen und drängt die Zivilbevölkerung in zunehmend kleineren Gebieten zusammen. Humanitäre Einrichtungen oder Konvois werden immer wieder angegriffen. Die Situation der Zivilbevölkerung hat ein katastrophales Ausmass angenommen – das erfordert dringend ein entschiedenes und international koordiniertes Vorgehen.
Der in den letzten Tagen bekannt gewordene israelische Plan für die Bereitstellung der humanitären Hilfe ist aus mehreren Gründen alarmierend: In vier «Hubs» sollen die Güter ausschliesslich im Süden des Gazastreifens und unter der alleinigen Kontrolle Israels verteilt werden. Lange Zugangswege durch ungesichertes und zerstörtes Gebiet, in dem noch immer Kampfhandlungen stattfinden, gefährden die notleidenden Menschen sowie Helferinnen und Helfer. Die Versorgung würde stark eingeschränkt und wäre nur für jene zugänglich, die sich einer Sicherheitsprüfung durch die israelische Armee unterziehen würden. Private Sicherheitskräfte sollen unabhängige humanitäre Organisationen ersetzen. Dieser Plan widerspricht fundamental dem völkerrechtlichen Neutralitätsprinzip der humanitären Hilfe und verknüpft Nothilfe mit politischen und militärischen Zielen. Humanitäre Hilfe darf nicht von Kriegsparteien instrumentalisiert werden.
Caritas Schweiz, HEKS, Helvetas, Terre des hommes, Swissaid, Solidar Suisse und Alliance Sud rufen den Bundesrat dazu auf, sich für den sofortigen und uneingeschränkten Zugang zu humanitärer Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung und die Respektierung des humanitären Völkerrechts einzusetzen, und zwar auf verschiedenen Ebenen:
Die Menschen in Gaza brauchen Hilfe – jetzt. Das zeigt sich auch in den Projekten der Schweizer NGOs mit ihren Partnerorganisationen vor Ort in aller Dringlichkeit. Die Schweiz muss ihrer humanitären Tradition gerecht werden und sich für eine strikte Einhaltung des humanitären Völkerrechts einsetzen.
Für weitere Informationen:
Alliance Sud
Marco Fähndrich, Medienverantwortlicher
079 374 59 73, marco.faehndrich@alliancesud.ch
Caritas Schweiz
Livia Leykauf, Mediensprecherin
076 233 45 04, medien@caritas.ch
HEKS
Lorenz Kummer, Mediensprecher
076 461 88 70, lorenz.kummer@heks.ch
Terre des hommes Lausanne
Cyril Schaub, Media Relations
058 611 07 45, cyril.schaub@tdh.org
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Sahel
25.03.2025, Internationale Zusammenarbeit
Ibrahim Maïga ist Sahel-Experte bei der International Crisis Group. Er erklärt, was die jüngsten Staatsstreiche in Mali, Burkina Faso und Niger für die Demokratie in der Sahelzone und für die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz bedeuten. Interview von Isolda Agazzi.
Gemeinsame Aufbauarbeit trotz Fragilität: Damit sie die Regenzeit übersteht, packen die Menschen jährlich eine Lehmschicht auf die Grosse Moschee von Djenne, Mali. © Keystone / AP / Moustapha Diallo
Laut dem malischen Experten, der zwischen Dakar und Bamako pendelt, kämpft das Modell der formalen Demokratie zwar mit Gegenwind, doch werden die demokratischen Grundwerte von der Bevölkerung nach wie vor mitgetragen. Umso wichtiger sei es, dass sich die westlichen Partnerorganisationen weiterhin an Entwicklungsprojekten beteiligen, denn die Erwartungen an die Staaten der Region seien so hoch wie noch nie. Die herrschenden Militärregime ihrerseits räumen dem Thema Sicherheit oberste Priorität ein und wenden sich den vermeintlich «neuen Akteuren» China, Russland und der Türkei zu. Diese wiederum verfolgen in erster Linie Geschäftsinteressen und liebäugeln mit einer militärischen Zusammenarbeit – die Armutsbekämpfung interessiert sie kaum.
«global»: Warum kommt es in der Sahelzone wieder zu Staatsstreichen?
In den drei Ländern Mali, Burkina Faso und Niger, die bereits zwischen 2010 und 2014 Schauplätze von Umbrüchen waren, hat sich das Militär zurück an die Macht geputscht. Im Gegensatz zu anderen afrikanischen Ländern, die seit den 1990er Jahren von politischen Unruhen verschont geblieben sind, liegen diese Ereignisse also noch nicht lange zurück. Hinzu kommen sicherheitspolitische und politische Rahmenbedingungen, die einen günstigen Nährboden für die Einmischung des Militärs bildeten, das sich als Retter aufspielte. In Mali und Burkina Faso hat sich die Lage in den letzten zehn Jahren kontinuierlich verschlechtert, obwohl ein grosses internationales Stabilisierungsdispositiv, bestehend aus UN-Truppen, französischen Militäroperationen und den Ausbildungsmissionen der Europäischen Union, vorhanden war.
Dies hat zu einer doppelten Ernüchterung geführt; zum einen beim Militär. Obwohl die zivilen Regime die Kapazitäten der Sicherheitskräfte massiv aufstockten, gelang es nicht, die Sicherheitslage zu verbessern. Erschwerend hinzu kam die Korruption bei der Beschaffung von militärischer Ausrüstung. Zum anderen war die Bevölkerung von den herrschenden Eliten ernüchtert, die nach der Aufdeckung mehrerer Veruntreuungsfälle in einem von schwierigen sozioökonomischen Bedingungen geprägten Kontext als korrupt wahrgenommen wurden.
Ist die Unterstützung der Bevölkerung für diese Militärregime angesichts der bedeutenden Demokratisierungsbewegung, die Westafrika Anfang der 1990er Jahre erlebte, nicht erstaunlich?
In der Tat ist der Kontrast zwischen der Demokratieeuphorie vor dreissig Jahren und dem Rückhalt der Bevölkerung für das Militär heute frappierend. Dies ist darauf zurückzuführen, dass dem demokratischen Modell, das Anfang der 1990er Jahre nach den nationalen Souveränitätskonferenzen entstand, die Luft ausgeht. Die Regierungsform, die politische Freiheit und wirtschaftliche Entwicklung miteinander verbindet, hat sich nicht bewährt. Zwar ist das Mali der 1990er Jahre nicht mit dem heutigen Mali vergleichbar, aber die Fortschritte reichen nicht.
Ibrahim Maïga
Ibrahim Maïga ist derzeit Berater für die Sahelzone bei der International Crisis Group. Zuvor war er als Vertreter der Sahelzone beim Niederländischen Institut für Mehrparteiendemokratie tätig. Ausserdem war er als Sonderberater des Premierministers von Mali für Sicherheits- und Gouvernanzfragen zuständig. Von 2015 bis 2020 hatte er verschiedene Funktionen beim Institut für Sicherheitsstudien, einem panafrikanischen Think Tank, inne.
Ist das liberale System gescheitert – sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht?
Es ist auf jeden Fall das Scheitern eines Regierungsmodells, das auf einer formalen Demokratie mit proklamatorischer Verfassung beruht. In Tat und Wahrheit kränkelt der öffentliche Sektor seit geraumer Zeit an einem Demokratiedefizit, die Rechtsstaatlichkeit befindet sich auf dem Rückzug. In diesem Teil Afrikas lag der Fokus auf dem Aufbau von Wahldemokratien, was mitunter auf Kosten der Konsolidierung solider Rechtsstaaten ging. All dies wirft Fragen zum demokratischen Status dieser Länder auf, insbesondere von Mali, das bis zu seinem Niedergang im Jahr 2012 (erster Putsch) das Vorzeigebeispiel der Demokratie in Westafrika war (zusammen mit Senegal und Ghana).
Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung das demokratische Modell völlig ablehnt – in den Debatten und Gesprächen ist es allgegenwärtig.
Heisst das, dass die Bevölkerung den Glauben an die Demokratie aufgegeben hat?
Ich glaube nicht, dass sie das demokratische Modell völlig ablehnt – in den Debatten und Gesprächen ist es allgegenwärtig. Doch die Art und Weise, wie Demokratie ausgeübt wird, mit einer Partei an der Macht, die öffentliche Gelder veruntreut, stösst auf Ablehnung. Die Mehrheit der Menschen hält hingegen am Grundsatz der freien Meinungsäusserung und der souveränen Wahl durch die Bevölkerung fest. Dies erklärt, warum trotz der aktuellen Übergangsphase die 2023 in Mali verabschiedete Verfassung die Demokratie als Modell für den Umgang mit der Staatsgewalt festschreibt.
Nichtsdestotrotz wurden die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben...
Das stimmt. Diesen Übergangsprozessen fehlt es an Transparenz und Klarheit, was die zeitlichen Abläufe angeht. Eine Ausnahme ist Burkina Faso, wo die Frist auf 2027 angesetzt wurde. Zwischen 2000 und 2020 folgten auf Staatsstreiche in diesen Ländern relativ kurze Transitionsphasen. In Mali dauerte sie 16 Monate, in Burkina Faso 14 Monate und in Niger 15 Monate.
Heute werden diese Übergangsprozesse als «Reformtransitionen» bezeichnet: Sie zielen darauf ab, die gesamte Regierungsführung und «demokratische» Verwaltung des Landes auf den Prüfstand zu stellen, um zu erfassen, was funktioniert hat und was nicht. Ein solches Vorgehen ist zwar durchaus sinnvoll, doch drohen sich die Regime zu verzetteln, mit all den potenziellen Fehlentwicklungen, die ein längerer Verbleib an der Macht mit sich bringen kann. Ausserdem werden die politischen und sozialen Kräfte immer weniger in diese Prozesse eingebunden. In Niger und Burkina Faso wurden politische Aktivitäten verboten und dort, wo sie noch erlaubt sind, fehlt es an Dialog. In Mali droht die Transition in einer politischen Sackgasse zu enden, wenn der Kurs nicht korrigiert wird.
Steht die Bevölkerung hinter diesen Transitionen?
Grundsätzlich ja, es ist eine echte Begeisterung zu spüren, die von einer tiefen Sehnsucht nach Veränderung getragen wird. Ich habe 2020 am nationalen Dialog in Mali teilgenommen. Die Debatten waren lebhaft, es war ein echter Wille zu spüren, das Problem an der Wurzel anzugehen. Man setzte auf eine von politischen Zwängen befreite Übergangsbehörde mit begrenztem Mandat, die Reformen anpacken kann. Dies als Gegenentwurf zu einer gewählten Regierung, die von den bisweilen widersprüchlichen und kurzfristigen Agenden ihrer Mandatsträger hin- und hergerissen werden kann. In der Praxis erwies sich letzteres als schwieriger und komplexer.
Vom Militär wurde erwartet, dass es die Sicherheit erhöht, doch scheint sich diese zu verschlechtern.
Stellenweise hat sie sich verbessert, stellenweise verschlechtert. Die Zahl der Zwischenfälle hat auch zugenommen, weil die Streitkräfte mehr Einsätze durchführen. Im Gegensatz zu früher verfügen sie jetzt über eine moderne Ausrüstung, was auch auf die Partnerschaften mit Russland, China und der Türkei zurückzuführen ist. Letztere beispielsweise fungiert als exklusive Drohnenlieferantin. Diese Partnerschaften spielen dem Grossteil der Offiziere und den machthabenden Regimes in die Karten, da die Lieferungen an keinerlei Bedingungen in Bezug auf Regierungsführung und Menschenrechte geknüpft sind. Das Ergebnis sind besser ausgerüstete, leistungsfähigere Armeen. Die Kehrseite ist mehr Gewalt gegen Zivilist:innen und ein höheres Risiko von Kollateralopfern durch den Einsatz von Drohnen.
Die einseitige Fokussierung auf die Verbesserung der Sicherheitslage hat bisweilen die Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sogar der Wirtschaft in den Hintergrund gedrängt.
Führen steigende Militärbudgets und Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit der Länder des Nordens nicht zu einem Entwicklungsrückschritt?
Die Militärregime haben die Erwartungen an den Staat enorm hochgeschraubt. Sie werden durch einen souveränistischen Diskurs genährt, der die vorrangige Rolle des Staates beim Bau von Strassen, Infrastruktur und der Bereitstellung von Energie in den Vordergrund hebt. Dieser Diskurs kann den Eindruck erwecken, dass die Staaten diese Aufgaben im Alleingang stemmen können, obwohl sie aufgrund der politischen Lage und der Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit der Länder des Nordens und der internationalen Finanzinstitutionen weniger Geld zur Verfügung haben. In Mali beispielsweise ist die Stromversorgung seit zwei Jahren ein Riesenproblem. Stromausfälle sind an der Tagesordnung und ohne Energie steht die Wirtschaft still. Die einseitige Fokussierung auf die Verbesserung der Sicherheitslage hat bisweilen die Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sogar der Wirtschaft in den Hintergrund gedrängt.
Hat ein kleines Land wie die Schweiz in der Entwicklungszusammenarbeit noch eine Rolle zu spielen?
Zwar ist die Schweiz ein kleines Land, doch sie hat eine lange Tradition in der Unterstützung lokaler Initiativen. Sie hat immer noch einen guten Ruf, was bei anderen Ländern, über deren Kooperationsmodell Zweifel bestehen, nicht der Fall ist. Diese gute Reputation und die Geschichte der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit ermöglichen es, Projekte für den Zugang zu Wasser und Energie voranzutreiben und die gute Regierungsführung und Dezentralisierung zu fördern, was sich direkt auf das Leben der Bevölkerung auswirkt. Verbindungen zu nichtstaatlichen Akteuren – Organisationen der Zivilgesellschaft, Jugend- und Frauenorganisationen – sind ebenfalls ein Pluspunkt, auch wenn dies nicht nur für die Schweiz gilt. All dies verleiht ihrer Präsenz in der Region Legitimität.
Wie alle Akteure sieht sich die Schweiz jedoch mit einer grundlegenden Veränderung konfrontiert: Wir haben uns von einer Region mit einem starken internationalen Stabilisierungsdispositiv – Präsenz der UNO, der Afrikanischen Union und anderer Partner, insbesondere Frankreich – zu einem Umfeld gewandelt, in dem die Staaten wieder die Federführung übernommen haben. Zunächst wurde versucht, diese zu umgehen und nur mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, aber das geht nicht mehr. Die Staaten haben das Heft wieder selbst in die Hand genommen.
Westliche Geberländer wie die Schweiz haben in diesem Narrativ eine Rolle zu spielen, sie müssen die Entwicklung weiterhin unterstützen.
Sollten ausländische Geber mit undemokratischen Regimen zusammenarbeiten?
Das ist ein heikles Dilemma. Auf der einen Seite wird man ohne effiziente Staaten die Situation nicht verbessern können. Auf der anderen Seite wird bereits mit Militärregimen zusammengearbeitet, wenn auch in kleinerem Massstab und bei technischen Fragen. Die Frage ist also eher, wie weit die Zusammenarbeit gehen soll. Westliche Geberländer wie die Schweiz haben in diesem Narrativ eine Rolle zu spielen, sie müssen die Entwicklung weiterhin unterstützen. Es ist besser, engagiert zu bleiben und die Chancen und Spielräume zu nutzen, wo sie sich bieten. Vielleicht erleben wir gerade einen Wandel, weg von einer Aussenpolitik, die von Schwierigkeiten geprägt war, hin zu einer Realpolitik, in der die Regierungen erkennen, dass sie auf Länder wie die Schweiz angewiesen sind; auf Staaten, die eine lange Tradition bei der Bewältigung von nicht sicherheitsrelevanten Herausforderungen haben. Hier kann eine langfristige Perspektive den Rückhalt der Bevölkerung sichern, denn ihr Gedächtnis ist besser als das der Institutionen. Ausserdem hätte ein Rückzug aus der Entwicklungszusammenarbeit auch seinen Preis: von strategischen Konkurrenten verdrängt zu werden.
Wie sehen Sie die Beziehungen zu China, der Türkei und Russland langfristig?
Es wird immer von neuen Verbündeten gesprochen, aber in Wirklichkeit sind sie gar nicht so neu. Diese Länder haben seit langer Zeit Beziehungen zu den Sahelstaaten – Russland beispielsweise seit deren Unabhängigkeit. Bei China ist es aufgrund seines Interesses an seltenen Erden oder seiner Investitionen in Öl (im Niger) und Zucker (in Mali) ähnlich, und das wird so bleiben. Die Türkei hat nun auch Ambitionen und beschränkt sich nicht darauf, Drohnen an Armeen zu verkaufen. In Niamey standen der neue Flughafen und das Radisson-Hotel in den letzten zehn Jahren unter türkischer Bauherrschaft. Diese Projekte sind Teil einer langfristigen Ausrichtung, die sich wahrscheinlich fortsetzen wird. Aber diese Akteure engagieren sich derzeit nicht in denselben Bereichen wie der Westen, angefangen bei der Entwicklungshilfe. Es geht ihnen in erster Linie ums Geschäft: Die militärische Ausrüstung beispielsweise wird den Ländern der Sahelzone gegen Barzahlung geliefert. Der grösste Akteur der Entwicklungszusammenarbeit in Mali sind die USA. Wenn der von Donald Trump verhängte, im Moment auf 90 Tage beschränkte Stopp der US-Hilfe fortgesetzt wird, wird dies die ohnehin schon prekäre Lage weiter verschärfen. Und es ist unwahrscheinlich, dass die Europäer die Lücke, die die Amerikaner in diesem Bereich hinterlassen, zu schliessen vermögen. Ganz zu schweigen von China oder der Türkei.
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global
Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit
30.04.2025, Internationale Zusammenarbeit
An einem Medienhintergrundgespräch am Club Suisse de la Presse in Genf haben Geschäftsleiter:innen und Expert:innen von Alliance Sud und ihren Mitgliedern die dramatischen Folgen des Rückzugs der USA und weiterer Staaten aus der Entwicklungszusammenarbeit aufgezeigt. In Zukunft müssen mit weniger Mitteln noch mehr Krisen bewältigt werden: ein Ding der Unmöglichkeit. Was gilt es also zu tun, um die internationale Zusammenarbeit aus der Sackgasse zu befreien?
Von links nach rechts: Karolina Frischkopf, HEKS-Direktorin, Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Isabelle Falconnier, Direktorin Club suisse de la presse und Barbara Hintermann, Direktorin Terre des hommes. © Amandine Lacroix / Club suisse de la presse
In nur 100 Tagen hat der neue US-Präsident Donald Trump viele Fortschritte zunichte gemacht, die in den letzten Jahren in der globalen Armutsbekämpfung erreicht worden sind. «Was er genau beschlossen hat und inwiefern gewisse Aktivitäten von USAID im State Department weitergeführt werden, sei noch immer schwer einzuschätzen», sagte der Geschäftsleiter von Alliance Sud, Andreas Missbach. Klar sei aber schon jetzt, dass die massiven Kürzungen auch Schweizer Programme und ihre Partner direkt betreffen – mit verheerenden Konsequenzen für die Menschen in den ärmsten Ländern.
«Der abrupte Finanzierungsstopp des weltweit grössten humanitären Geldgebers hat fatale Auswirkungen auf das globale humanitäre System. Millionen von Menschen in Krisengebieten, die dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, verlieren überlebenswichtige Hilfe», sagte die Direktorin von HEKS, Karolina Frischkopf.
Auch Organisationen wie Caritas Schweiz, die keine direkte Finanzierung von USAID erhalten haben, spüren die Konsequenzen: «Die drastischen Budgetkürzungen, die von USAID und anderen internationalen Gebern auferlegt wurden, haben die humanitären Operationen im Libanon und in Syrien zutiefst gestört, das Leiden verschlimmert und die Institutionen geschwächt. Die Entwicklungsorganisationen sind nun gezwungen, schwierige Entscheidungen zu treffen, um den wachsenden Bedürfnissen gerecht zu werden», sagte Dina Hajjar, Head of Office im Libanon für Caritas Schweiz.
Die drastischen Budgetkürzungen haben die humanitären Operationen zutiefst gestört, das Leiden verschlimmert und die Institutionen geschwächt.
Dina Hajjar, Verantwortliche von Caritas Schweiz im Libanon
Laut einer Umfrage von Alliance Sud, an der 24 NGOs teilgenommen haben, schulden die USA sieben Organisationen circa 15 Millionen USD für Projekte, die bereits umgesetzt wurden, und fünf Organisationen können geplante Projekte im Umfang von circa 25 Millionen nicht realisieren. Der US-Kahlschlag verschärft die Kürzungen, die die eidgenössischen Räte im Dezember 2024 beschlossen haben, zusätzlich: «Es wird geschätzt, dass rund 3,7 Millionen Menschen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, nicht mehr unterstützt werden können, zum Beispiel mit Gesundheits- und Wasserversorgung oder Ernährungshilfe», sagte Andreas Missbach gestützt auf die NGO-Umfrage.
Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit steht somit vor gewaltigen Herausforderungen und muss immer mehr Krisen mit weniger öffentlichen Mitteln bewältigen. Das gehe aber nicht auf, warnte Missbach eindringlich: Das müsse der Bundesrat endlich einsehen und sich klar für eine starke bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Die Kürzungen, die das Parlament beschlossen hat, müssten mit einem Nachtragskredit wieder rückgängig gemacht werden und für das internationale Genf solle ein Aktionsplan zur Unterstützung des multilateralen Systems vorgelegt werden, forderte Missbach.
Am Medienhintergrundgespräch wurde auch die Frage diskutiert, ob die beispiellosen Rückschläge in der Entwicklungsfinanzierung langfristig eine Chance für die eigenständige Entwicklung der ärmsten Länder darstellen könnte, weil sie nun stärker auf ihre eigenen Ressourcen setzen müssen. Die Generaldirektorin von Terre des hommes, Barbara Hintermann, hat dies nicht a priori ausgeschlossen, aber vor kurzfristigen gesellschaftlichen Spannungen und Schwierigkeiten gewarnt. Vielmehr setzt sie ihre Hoffnung in die Kreativität, Innovation und Flexibilität der NGOs im Globalen Süden und Norden: «Es ist an der Zeit, die zivilgesellschaftlichen Allianzen zu stärken, Kooperationen zum Beispiel im Logistikbereich zu intensivieren und die vielen Doppelspurigkeit bei der Evaluation von Entwicklungsprojekten zu reduzieren», sagte Hintermann.
Es besteht allerdings Einigkeit, dass dies nicht genügen wird, um den Rückgang der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung zu kompensieren. Dafür brauche es jetzt auch die Solidarität der Bevölkerung, wie sie in Meinungsumfragen immer wieder an den Tag gelegt wird. Und eine umfassende Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung. Denn Entwicklungsfinanzierung bedeute viel mehr als Geld für internationale Zusammenarbeit und Klimafinanzierung, so Missbach. Dies spiegelt sich im umfassenden UN-Prozess für Entwicklungsfinanzierung mit drei grossen Konferenzen seit der Jahrhundertwende wider. Eine vierte Konferenz wird Ende Juni in Sevilla stattfinden. «Dabei geht es nicht nur um die eng gefasste öffentliche Entwicklungsfinanzierung (ODA/APD)», sagte Missbach, «sondern um grundlegende Reformen, die sich letztlich viel stärker auf die den Ländern des Globalen Südens zur Verfügung stehenden Mittel auswirken werden, als es die öffentliche Entwicklungshilfe je getan hat.»
Auf der Agenda stehen insbesondere die Reform des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, Schulden und Schuldenerlass, Handelsfragen und ein neues Steuersystem im Rahmen der UNO. Dieses würde es den ärmsten Ländern ermöglichen, ihre eigenen Ressourcen zu nutzen, statt dass sie in die Finanzzentren des Nordens abfliessen. Fragen der Politikkohärenz werden angesichts des Rückgangs der öffentlichen Entwicklungsausgaben noch wichtiger und müssen insbesondere von reichen Ländern wie der Schweiz ernsthaft bearbeitet werden.
Beitrag der SRF-Tagesschau vom 29. April 2025:
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