Sahel

«Es ist besser, engagiert zu bleiben»

25.03.2025, Internationale Zusammenarbeit

Ibrahim Maïga ist Sahel-Experte bei der International Crisis Group. Er erklärt, was die jüngsten Staatsstreiche in Mali, Burkina Faso und Niger für die Demokratie in der Sahelzone und für die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz bedeuten. Interview von Isolda Agazzi.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

«Es ist besser, engagiert zu bleiben»

Gemeinsame Aufbauarbeit trotz Fragilität: Damit sie die Regenzeit übersteht, packen die Menschen jährlich eine Lehmschicht auf die Grosse Moschee von Djenne, Mali. © Keystone / AP / Moustapha Diallo

 

Laut dem malischen Experten, der zwischen Dakar und Bamako pendelt, kämpft das Modell der formalen Demokratie zwar mit Gegenwind, doch werden die demokratischen Grundwerte von der Bevölkerung nach wie vor mitgetragen. Umso wichtiger sei es, dass sich die westlichen Partnerorganisationen weiterhin an Entwicklungsprojekten beteiligen, denn die Erwartungen an die Staaten der Region seien so hoch wie noch nie. Die herrschenden Militärregime ihrerseits räumen dem Thema Sicherheit oberste Priorität ein und wenden sich den vermeintlich «neuen Akteuren» China, Russland und der Türkei zu. Diese wiederum verfolgen in erster Linie Geschäftsinteressen und liebäugeln mit einer militärischen Zusammenarbeit – die Armutsbekämpfung interessiert sie kaum.

«global»: Warum kommt es in der Sahelzone wieder zu Staatsstreichen?

In den drei Ländern Mali, Burkina Faso und Niger, die bereits zwischen 2010 und 2014 Schauplätze von Umbrüchen waren, hat sich das Militär zurück an die Macht geputscht. Im Gegensatz zu anderen afrikanischen Ländern, die seit den 1990er Jahren von politischen Unruhen verschont geblieben sind, liegen diese Ereignisse also noch nicht lange zurück. Hinzu kommen sicherheitspolitische und politische Rahmenbedingungen, die einen günstigen Nährboden für die Einmischung des Militärs bildeten, das sich als Retter aufspielte. In Mali und Burkina Faso hat sich die Lage in den letzten zehn Jahren kontinuierlich verschlechtert, obwohl ein grosses internationales Stabilisierungsdispositiv, bestehend aus UN-Truppen, französischen Militäroperationen und den Ausbildungsmissionen der Europäischen Union, vorhanden war.

Dies hat zu einer doppelten Ernüchterung geführt; zum einen beim Militär. Obwohl die zivilen Regime die Kapazitäten der Sicherheitskräfte massiv aufstockten, gelang es nicht, die Sicherheitslage zu verbessern. Erschwerend hinzu kam die Korruption bei der Beschaffung von militärischer Ausrüstung. Zum anderen war die Bevölkerung von den herrschenden Eliten ernüchtert, die nach der Aufdeckung mehrerer Veruntreuungsfälle in einem von schwierigen sozioökonomischen Bedingungen geprägten Kontext als korrupt wahrgenommen wurden.

Ist die Unterstützung der Bevölkerung für diese Militärregime angesichts der bedeutenden Demokratisierungsbewegung, die Westafrika Anfang der 1990er Jahre erlebte, nicht erstaunlich?

In der Tat ist der Kontrast zwischen der Demokratieeuphorie vor dreissig Jahren und dem Rückhalt der Bevölkerung für das Militär heute frappierend. Dies ist darauf zurückzuführen, dass dem demokratischen Modell, das Anfang der 1990er Jahre nach den nationalen Souveränitätskonferenzen entstand, die Luft ausgeht. Die Regierungsform, die politische Freiheit und wirtschaftliche Entwicklung miteinander verbindet, hat sich nicht bewährt. Zwar ist das Mali der 1990er Jahre nicht mit dem heutigen Mali vergleichbar, aber die Fortschritte reichen nicht.

 

Ibrahim Maïga in einem hellblau-karierten Hemd mit dunkelblauem Sakko vor schwarzem Hintergrund.

Ibrahim Maïga

Ibrahim Maïga ist derzeit Berater für die Sahelzone bei der International Crisis Group. Zuvor war er als Vertreter der Sahelzone beim Niederländischen Institut für Mehrparteiendemokratie tätig. Ausserdem war er als Sonderberater des Premierministers von Mali für Sicherheits- und Gouvernanzfragen zuständig. Von 2015 bis 2020 hatte er verschiedene Funktionen beim Institut für Sicherheitsstudien, einem panafrikanischen Think Tank, inne.

 

Ist das liberale System gescheitert – sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht?

Es ist auf jeden Fall das Scheitern eines Regierungsmodells, das auf einer formalen Demokratie mit proklamatorischer Verfassung beruht. In Tat und Wahrheit kränkelt der öffentliche Sektor seit geraumer Zeit an einem Demokratiedefizit, die Rechtsstaatlichkeit befindet sich auf dem Rückzug. In diesem Teil Afrikas lag der Fokus auf dem Aufbau von Wahldemokratien, was mitunter auf Kosten der Konsolidierung solider Rechtsstaaten ging. All dies wirft Fragen zum demokratischen Status dieser Länder auf, insbesondere von Mali, das bis zu seinem Niedergang im Jahr 2012 (erster Putsch) das Vorzeigebeispiel der Demokratie in Westafrika war (zusammen mit Senegal und Ghana).

 

Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung das demokratische Modell völlig ablehnt – in den Debatten und Gesprächen ist es allgegenwärtig.

 

Heisst das, dass die Bevölkerung den Glauben an die Demokratie aufgegeben hat?

Ich glaube nicht, dass sie das demokratische Modell völlig ablehnt – in den Debatten und Gesprächen ist es allgegenwärtig. Doch die Art und Weise, wie Demokratie ausgeübt wird, mit einer Partei an der Macht, die öffentliche Gelder veruntreut, stösst auf Ablehnung. Die Mehrheit der Menschen hält hingegen am Grundsatz der freien Meinungsäusserung und der souveränen Wahl durch die Bevölkerung fest. Dies erklärt, warum trotz der aktuellen Übergangsphase die 2023 in Mali verabschiedete Verfassung die Demokratie als Modell für den Umgang mit der Staatsgewalt festschreibt.

Nichtsdestotrotz wurden die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben...

Das stimmt. Diesen Übergangsprozessen fehlt es an Transparenz und Klarheit, was die zeitlichen Abläufe angeht. Eine Ausnahme ist Burkina Faso, wo die Frist auf 2027 angesetzt wurde. Zwischen 2000 und 2020 folgten auf Staatsstreiche in diesen Ländern relativ kurze Transitionsphasen. In Mali dauerte sie 16 Monate, in Burkina Faso 14 Monate und in Niger 15 Monate.

Heute werden diese Übergangsprozesse als «Reformtransitionen» bezeichnet: Sie zielen darauf ab, die gesamte Regierungsführung und «demokratische» Verwaltung des Landes auf den Prüfstand zu stellen, um zu erfassen, was funktioniert hat und was nicht. Ein solches Vorgehen ist zwar durchaus sinnvoll, doch drohen sich die Regime zu verzetteln, mit all den potenziellen Fehlentwicklungen, die ein längerer Verbleib an der Macht mit sich bringen kann. Ausserdem werden die politischen und sozialen Kräfte immer weniger in diese Prozesse eingebunden. In Niger und Burkina Faso wurden politische Aktivitäten verboten und dort, wo sie noch erlaubt sind, fehlt es an Dialog. In Mali droht die Transition in einer politischen Sackgasse zu enden, wenn der Kurs nicht korrigiert wird.

 

 

Steht die Bevölkerung hinter diesen Transitionen?

Grundsätzlich ja, es ist eine echte Begeisterung zu spüren, die von einer tiefen Sehnsucht nach Veränderung getragen wird. Ich habe 2020 am nationalen Dialog in Mali teilgenommen. Die Debatten waren lebhaft, es war ein echter Wille zu spüren, das Problem an der Wurzel anzugehen. Man setzte auf eine von politischen Zwängen befreite Übergangsbehörde mit begrenztem Mandat, die Reformen anpacken kann. Dies als Gegenentwurf zu einer gewählten Regierung, die von den bisweilen widersprüchlichen und kurzfristigen Agenden ihrer Mandatsträger hin- und hergerissen werden kann. In der Praxis erwies sich letzteres als schwieriger und komplexer.

Vom Militär wurde erwartet, dass es die Sicherheit erhöht, doch scheint sich diese zu verschlechtern.

Stellenweise hat sie sich verbessert, stellenweise verschlechtert. Die Zahl der Zwischenfälle hat auch zugenommen, weil die Streitkräfte mehr Einsätze durchführen. Im Gegensatz zu früher verfügen sie jetzt über eine moderne Ausrüstung, was auch auf die Partnerschaften mit Russland, China und der Türkei zurückzuführen ist. Letztere beispielsweise fungiert als exklusive Drohnenlieferantin. Diese Partnerschaften spielen dem Grossteil der Offiziere und den machthabenden Regimes in die Karten, da die Lieferungen an keinerlei Bedingungen in Bezug auf Regierungsführung und Menschenrechte geknüpft sind. Das Ergebnis sind besser ausgerüstete, leistungsfähigere Armeen. Die Kehrseite ist mehr Gewalt gegen Zivilist:innen und ein höheres Risiko von Kollateralopfern durch den Einsatz von Drohnen.

 

Die einseitige Fokussierung auf die Verbesserung der Sicherheitslage hat bisweilen die Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sogar der Wirtschaft in den Hintergrund gedrängt.

 

Führen steigende Militärbudgets und Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit der Länder des Nordens nicht zu einem Entwicklungsrückschritt?

Die Militärregime haben die Erwartungen an den Staat enorm hochgeschraubt. Sie werden durch einen souveränistischen Diskurs genährt, der die vorrangige Rolle des Staates beim Bau von Strassen, Infrastruktur und der Bereitstellung von Energie in den Vordergrund hebt. Dieser Diskurs kann den Eindruck erwecken, dass die Staaten diese Aufgaben im Alleingang stemmen können, obwohl sie aufgrund der politischen Lage und der Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit der Länder des Nordens und der internationalen Finanzinstitutionen weniger Geld zur Verfügung haben. In Mali beispielsweise ist die Stromversorgung seit zwei Jahren ein Riesenproblem. Stromausfälle sind an der Tagesordnung und ohne Energie steht die Wirtschaft still. Die einseitige Fokussierung auf die Verbesserung der Sicherheitslage hat bisweilen die Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sogar der Wirtschaft in den Hintergrund gedrängt.

Hat ein kleines Land wie die Schweiz in der Entwicklungszusammenarbeit noch eine Rolle zu spielen?

Zwar ist die Schweiz ein kleines Land, doch sie hat eine lange Tradition in der Unterstützung lokaler Initiativen. Sie hat immer noch einen guten Ruf, was bei anderen Ländern, über deren Kooperationsmodell Zweifel bestehen, nicht der Fall ist. Diese gute Reputation und die Geschichte der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit ermöglichen es, Projekte für den Zugang zu Wasser und Energie voranzutreiben und die gute Regierungsführung und Dezentralisierung zu fördern, was sich direkt auf das Leben der Bevölkerung auswirkt. Verbindungen zu nichtstaatlichen Akteuren – Organisationen der Zivilgesellschaft, Jugend- und Frauenorganisationen – sind ebenfalls ein Pluspunkt, auch wenn dies nicht nur für die Schweiz gilt. All dies verleiht ihrer Präsenz in der Region Legitimität.

Wie alle Akteure sieht sich die Schweiz jedoch mit einer grundlegenden Veränderung konfrontiert: Wir haben uns von einer Region mit einem starken internationalen Stabilisierungsdispositiv – Präsenz der UNO, der Afrikanischen Union und anderer Partner, insbesondere Frankreich – zu einem Umfeld gewandelt, in dem die Staaten wieder die Federführung übernommen haben. Zunächst wurde versucht, diese zu umgehen und nur mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, aber das geht nicht mehr. Die Staaten haben das Heft wieder selbst in die Hand genommen.

 

Westliche Geberländer wie die Schweiz haben in diesem Narrativ eine Rolle zu spielen, sie müssen die Entwicklung weiterhin unterstützen.

 

Sollten ausländische Geber mit undemokratischen Regimen zusammenarbeiten?

Das ist ein heikles Dilemma. Auf der einen Seite wird man ohne effiziente Staaten die Situation nicht verbessern können. Auf der anderen Seite wird bereits mit Militärregimen zusammengearbeitet, wenn auch in kleinerem Massstab und bei technischen Fragen. Die Frage ist also eher, wie weit die Zusammenarbeit gehen soll. Westliche Geberländer wie die Schweiz haben in diesem Narrativ eine Rolle zu spielen, sie müssen die Entwicklung weiterhin unterstützen. Es ist besser, engagiert zu bleiben und die Chancen und Spielräume zu nutzen, wo sie sich bieten. Vielleicht erleben wir gerade einen Wandel, weg von einer Aussenpolitik, die von Schwierigkeiten geprägt war, hin zu einer Realpolitik, in der die Regierungen erkennen, dass sie auf Länder wie die Schweiz angewiesen sind; auf Staaten, die eine lange Tradition bei der Bewältigung von nicht sicherheitsrelevanten Herausforderungen haben. Hier kann eine langfristige Perspektive den Rückhalt der Bevölkerung sichern, denn ihr Gedächtnis ist besser als das der Institutionen. Ausserdem hätte ein Rückzug aus der Entwicklungszusammenarbeit auch seinen Preis: von strategischen Konkurrenten verdrängt zu werden.

Wie sehen Sie die Beziehungen zu China, der Türkei und Russland langfristig?

Es wird immer von neuen Verbündeten gesprochen, aber in Wirklichkeit sind sie gar nicht so neu. Diese Länder haben seit langer Zeit Beziehungen zu den Sahelstaaten – Russland beispielsweise seit deren Unabhängigkeit. Bei China ist es aufgrund seines Interesses an seltenen Erden oder seiner Investitionen in Öl (im Niger) und Zucker (in Mali) ähnlich, und das wird so bleiben. Die Türkei hat nun auch Ambitionen und beschränkt sich nicht darauf, Drohnen an Armeen zu verkaufen. In Niamey standen der neue Flughafen und das Radisson-Hotel in den letzten zehn Jahren unter türkischer Bauherrschaft. Diese Projekte sind Teil einer langfristigen Ausrichtung, die sich wahrscheinlich fortsetzen wird. Aber diese Akteure engagieren sich derzeit nicht in denselben Bereichen wie der Westen, angefangen bei der Entwicklungshilfe. Es geht ihnen in erster Linie ums Geschäft: Die militärische Ausrüstung beispielsweise wird den Ländern der Sahelzone gegen Barzahlung geliefert. Der grösste Akteur der Entwicklungszusammenarbeit in Mali sind die USA. Wenn der von Donald Trump verhängte, im Moment auf 90 Tage beschränkte Stopp der US-Hilfe fortgesetzt wird, wird dies die ohnehin schon prekäre Lage weiter verschärfen. Und es ist unwahrscheinlich, dass die Europäer die Lücke, die die Amerikaner in diesem Bereich hinterlassen, zu schliessen vermögen. Ganz zu schweigen von China oder der Türkei.

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Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit

USAID-Zerschlagung ruft Entwicklungspolitik auf den Plan

30.04.2025, Internationale Zusammenarbeit

An einem Medienhintergrundgespräch am Club Suisse de la Presse in Genf haben Geschäftsleiter:innen und Expert:innen von Alliance Sud und ihren Mitgliedern die dramatischen Folgen des Rückzugs der USA und weiterer Staaten aus der Entwicklungszusammenarbeit aufgezeigt. In Zukunft müssen mit weniger Mitteln noch mehr Krisen bewältigt werden: ein Ding der Unmöglichkeit. Was gilt es also zu tun, um die internationale Zusammenarbeit aus der Sackgasse zu befreien?

Marco Fähndrich
Marco Fähndrich

Kommunikations- und Medienverantwortlicher

USAID-Zerschlagung ruft Entwicklungspolitik auf den Plan

Von links nach rechts: Karolina Frischkopf, HEKS-Direktorin, Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Isabelle Falconnier, Direktorin Club suisse de la presse und Barbara Hintermann, Direktorin Terre des hommes. © Amandine Lacroix / Club suisse de la presse

In nur 100 Tagen hat der neue US-Präsident Donald Trump viele Fortschritte zunichte gemacht, die in den letzten Jahren in der globalen Armutsbekämpfung erreicht worden sind. «Was er genau beschlossen hat und inwiefern gewisse Aktivitäten von USAID im State Department weitergeführt werden, sei noch immer schwer einzuschätzen», sagte der Geschäftsleiter von Alliance Sud, Andreas Missbach. Klar sei aber schon jetzt, dass die massiven Kürzungen auch Schweizer Programme und ihre Partner direkt betreffen – mit verheerenden Konsequenzen für die Menschen in den ärmsten Ländern.

«Der abrupte Finanzierungsstopp des weltweit grössten humanitären Geldgebers hat fatale Auswirkungen auf das globale humanitäre System. Millionen von Menschen in Krisengebieten, die dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, verlieren überlebenswichtige Hilfe», sagte die Direktorin von HEKS, Karolina Frischkopf.

 

 

Auch Organisationen wie Caritas Schweiz, die keine direkte Finanzierung von USAID erhalten haben, spüren die Konsequenzen: «Die drastischen Budgetkürzungen, die von USAID und anderen internationalen Gebern auferlegt wurden, haben die humanitären Operationen im Libanon und in Syrien zutiefst gestört, das Leiden verschlimmert und die Institutionen geschwächt. Die Entwicklungsorganisationen sind nun gezwungen, schwierige Entscheidungen zu treffen, um den wachsenden Bedürfnissen gerecht zu werden», sagte Dina Hajjar, Head of Office im Libanon für Caritas Schweiz.

Dina Hajjar, Verantwortliche von Caritas Schweiz im Libanon

Die drastischen Budgetkürzungen haben die humanitären Operationen zutiefst gestört, das Leiden verschlimmert und die Institutionen geschwächt.

Dina Hajjar, Verantwortliche von Caritas Schweiz im Libanon

 

Kürzungen auf Kosten von 3,7 Millionen Menschen

Laut einer Umfrage von Alliance Sud, an der 24 NGOs teilgenommen haben, schulden die USA sieben Organisationen circa 15 Millionen USD für Projekte, die bereits umgesetzt wurden, und fünf Organisationen können geplante Projekte im Umfang von circa 25 Millionen nicht realisieren. Der US-Kahlschlag verschärft die Kürzungen, die die eidgenössischen Räte im Dezember 2024 beschlossen haben, zusätzlich: «Es wird geschätzt, dass rund 3,7 Millionen Menschen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, nicht mehr unterstützt werden können, zum Beispiel mit Gesundheits- und Wasserversorgung oder Ernährungshilfe», sagte Andreas Missbach gestützt auf die NGO-Umfrage.

Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit steht somit vor gewaltigen Herausforderungen und muss immer mehr Krisen mit weniger öffentlichen Mitteln bewältigen. Das gehe aber nicht auf, warnte Missbach eindringlich: Das müsse der Bundesrat endlich einsehen und sich klar für eine starke bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Die Kürzungen, die das Parlament beschlossen hat, müssten mit einem Nachtragskredit wieder rückgängig gemacht werden und für das internationale Genf solle ein Aktionsplan zur Unterstützung des multilateralen Systems vorgelegt werden, forderte Missbach.

Politikkohärenz wichtiger denn je

Am Medienhintergrundgespräch wurde auch die Frage diskutiert, ob die beispiellosen Rückschläge in der Entwicklungsfinanzierung langfristig eine Chance für die eigenständige Entwicklung der ärmsten Länder darstellen könnte, weil sie nun stärker auf ihre eigenen Ressourcen setzen müssen. Die Generaldirektorin von Terre des hommes, Barbara Hintermann, hat dies nicht a priori ausgeschlossen, aber vor kurzfristigen gesellschaftlichen Spannungen und Schwierigkeiten gewarnt. Vielmehr setzt sie ihre Hoffnung in die Kreativität, Innovation und Flexibilität der NGOs im Globalen Süden und Norden: «Es ist an der Zeit, die zivilgesellschaftlichen Allianzen zu stärken, Kooperationen zum Beispiel im Logistikbereich zu intensivieren und die vielen Doppelspurigkeit bei der Evaluation von Entwicklungsprojekten zu reduzieren», sagte Hintermann.

Es besteht allerdings Einigkeit, dass dies nicht genügen wird, um den Rückgang der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung zu kompensieren. Dafür brauche es jetzt auch die Solidarität der Bevölkerung, wie sie in Meinungsumfragen immer wieder an den Tag gelegt wird. Und eine umfassende Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung. Denn Entwicklungsfinanzierung bedeute viel mehr als Geld für internationale Zusammenarbeit und Klimafinanzierung, so Missbach. Dies spiegelt sich im umfassenden UN-Prozess für Entwicklungsfinanzierung mit drei grossen Konferenzen seit der Jahrhundertwende wider. Eine vierte Konferenz wird Ende Juni in Sevilla stattfinden. «Dabei geht es nicht nur um die eng gefasste öffentliche Entwicklungsfinanzierung (ODA/APD)», sagte Missbach, «sondern um grundlegende Reformen, die sich letztlich viel stärker auf die den Ländern des Globalen Südens zur Verfügung stehenden Mittel auswirken werden, als es die öffentliche Entwicklungshilfe je getan hat.»

Auf der Agenda stehen insbesondere die Reform des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, Schulden und Schuldenerlass, Handelsfragen und ein neues Steuersystem im Rahmen der UNO. Dieses würde es den ärmsten Ländern ermöglichen, ihre eigenen Ressourcen zu nutzen, statt dass sie in die Finanzzentren des Nordens abfliessen. Fragen der Politikkohärenz werden angesichts des Rückgangs der öffentlichen Entwicklungsausgaben noch wichtiger und müssen insbesondere von reichen Ländern wie der Schweiz ernsthaft bearbeitet werden.

 

Beitrag der SRF-Tagesschau vom 29. April 2025:

Medienhintergrundgespräch

Die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit nach der Zerschlagung von USAID

15.04.2025, Internationale Zusammenarbeit

Am Dienstag 29. April, von 10:00 bis 11:30 Uhr, organisiert Alliance Sud ein Medienhintergrungespräch am Club Suisse de la Presse in Genf. Geschäftsleiter:innen und Expert:innen von Alliance Sud und ihren Mitgliedern diskutieren über die aktuellen Herausforderungen der internationalen Zusammenarbeit.

 

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Marco Fähndrich
Marco Fähndrich

Kommunikations- und Medienverantwortlicher

Die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit nach der Zerschlagung von USAID

Ein Drittel der gesamten Entwicklungsgelder aller OECD-Länder wurde bisher von USAID bereitgestellt.

© Keystone / AP / Ben Curtis

Mit dem abrupten Entscheid, die grösste Entwicklungsagentur der Welt zu schliessen (siehe unsere Analyse dazu), machen die USA zahlreiche Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit wieder zunichte und schwächen das UNO-System substantiell, insbesondere die UNO-Agenturen in Genf, welche mehrheitlich in Themen der Grundversorgung und der Humanitären Hilfe aktiv sind. Auch Partnerorganisationen und Projekte der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit sind direkt betroffen. Hinzu kommen Kürzungen bei der schweizerischen internationalen Zusammenarbeit, die das Parlament zugunsten der Aufrüstung der Armee im Dezember beschlossen hat und die dazu führen, dass verschiedene Länderprogramme der Schweiz nicht weitergeführt werden können.

Wie gehen Entwicklungsorganisationen mit diesen gewaltigen Herausforderungen um? Welche dramatischen Folgen sind kurzfristig zu verzeichnen? Und gibt es langfristig auch Chancen für die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik? Zwei Monate vor der 4. Internationalen Entwicklungsfinanzierungs-Konferenz, die vom 30. Juni bis zum 3. Juli 2025 in Sevilla stattfinden wird, referieren und diskutieren Geschäftsleiter:innen und Expert:innen von Alliance Sud und ihren Mitgliedern über Wege, um die internationale Zusammenarbeit aus der Sackgasse zu befreien.

Es diskutieren:

Karolina Frischkopf, Direktorin HEKS
Barbara Hintermann, Generaldirektorin Terre des hommes
Dina Hajjar, Head of Office Lebanon, Caritas Switzerland
Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud

Die Veranstaltung findet auf Französisch und Englisch statt. Eine Anmeldung ist erforderlich.

US-Abrissbirne und die Schweiz

Das Schweigen im Orkan

20.03.2025, Internationale Zusammenarbeit

Die Zerschlagung des globalen US-Engagements muss die Schweiz kümmern, schreibt Andreas Missbach. Die Auswirkungen auf den Multilateralismus und die Entwicklungszusammenarbeit, und damit vor allem auf die ärmsten Länder, sind gravierend. Vor diesem Hintergrund dürfe der Bundesrat nicht auf business as usual setzen.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Das Schweigen im Orkan

Die USA ziehen sich zurück, die globalen Verwerfungen sind immens. In Bern liess der Bundesrat schweigend Zeit verstreichen, die Entrüstung der Politik bleibt aus. © Keystone / Anthony Anex

«Abgesehen von der chinesischen Kulturrevolution gibt es in der Geschichte nur wenige Parallelen zum Angriff des sogenannten Department of Government Efficiency auf den Staat», schrieb die Financial Times. Angesichts der Machtergreifung in den USA fehlen nicht nur die passenden Vergleiche, sondern manchmal auch die Worte; versuchen wir es mal mit der Popkultur: «I came in like a wrecking ball» (Miley Cyrus).

Zu versuchen, den Überblick darüber zu behalten, was alles der Abrissbirne zum Opfer gefallen ist, ist zwecklos. Greifen wir deshalb etwas heraus, worüber in der Schweiz wenig berichtet wurde, obwohl es hierzulande grosse Auswirkungen haben könnte: die Aussetzung der Anwendung des «Foreign Corrupt Practices Act», der US-Korruptionsgesetzgebung. Nur dank dessen Anwendung wissen wir, was Bargeld in Baar bedeutet, nämlich, dass es am Hauptsitz von Glencore bis 2016 einen Schalter gab, an dem die Mitarbeitenden die Schmiermittel abholen konnten. Und Glencore musste dank dessen Anwendung nach einem Schuldeingeständnis mehr als 1,1 Milliarden Dollar Busse bezahlen. Ohne diese Drohkulisse des «new sheriff in town» ist die Versuchung gross, im Rohstoffhandel zu altbewährten Praktiken zurückzukehren. Mit verheerenden Folgen für die ärmsten Länder und ihre Bevölkerung.

Aussenpolitik von gestern und «business as usual»

Wenn wir es schon mit der Popkultur versuchen: In der Schweiz herrscht «das Schweigen der Lämmer» (Regie: Jonathan Demme). Der sieben Lämmer genau genommen. Es dauerte fast zwei Monate, bis überhaupt etwas aus Bern zu hören war: «Der Bundesrat nimmt die geopolitische Lage ernst», allerdings wurde gleich «die Schweizer Aussenpolitik hat sich nicht verändert» nachgeschoben. Laut Medienberichten lag dem Bundesrat zwar ein Aussprachepapier vor, in dem es auch um den Austritt der USA aus der WHO, dem UNO-Menschenrechtsrat und dem Pariser Klimaabkommen ging; und die Auswirkungen des Zahlungsstopps von USAID sollen ebenfalls Thema gewesen sein. Doch kein Wort dazu in der offiziellen Verlautbarung, stattdessen macht der Bundesrat auf «business as usual» und versucht die helvetische Variante von «the art of the deal»: «Die Strategie der Schweiz muss es sein, zur EU, zu den USA und zu China offene Türen zu haben.» (SECO-Staatssekretärin Helene Budliger Artieda).

Dabei ist die Zerlegung der grössten Entwicklungsagentur der Welt im Globalen Süden ein Orkan und auch in der Schweiz noch ein Sturm. Wo bleibt die Entrüstung der Politik? Lebenswichtige Projekte von Schweizer Entwicklungsorganisation im Umfang von 100 Millionen Franken können nicht mehr weitergeführt werden. Nichts wird sein wie bisher: «Wenn dies der Anfang vom Ende der Entwicklungshilfe ist, sollten wir uns auf den Strukturwandel konzentrieren», schreibt Heba Aly, die kanadisch-ägyptische frühere Direktorin des Online-Portals The New Humanitarian. «Eine gerechtere Handels-, Schulden- und Steuerpolitik kann die Ursachen der Ungleichheit bekämpfen.» Darum geht es jetzt. Und für die Schweiz bedeutet das alles andere als «business as usual».

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Leitbild Nord-Süd

Visionäres aus der Vergangenheit

25.03.2025, Internationale Zusammenarbeit

Rechtskonservative Regierungen streichen ihre Entwicklungsbudgets zusammen und stellen damit die internationale Zusammenarbeit und den Multilateralismus in Frage. So auch die Schweiz. Ein Blick ins Archiv zeigt, dass es vor drei Jahrzenten noch durchaus progressive Ideen in Bundesbern gab. Ein fiktives Interview.

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Visionäres aus der Vergangenheit

Die Aufbruchsstimmung des «Erdgipfels» von 1992 erfasste Zivilgesellschaft und offizielle Schweiz gleichermassen: Protestierende am Gipfel in Rio, Brasilien. © Dylan Garcia Travel Images / Alamy Stock Photo

«Peak aid» oder «post-aid world» sind die Schlagworte der Stunde, wenn es um den aktuellen Zustand der Entwicklungszusammenarbeit geht. Hunger, Armut und Klimakrise sind auf dem Vormarsch und die Antwort der Länder des Nordens ist Abschottung, Aufrüstung und Handelskriege. Wodurch am Ende alle schlechter dastehen. Doch gäbe es auch andere Konzepte, die die nachhaltige Entwicklung in Ländern des Globalen Südens fördern. In der Schweiz waren diese sogar einmal mehrheitsfähig. Jetzt wäre ein guter Moment, um sich auf vergangene visionäre Konzepte zurückzubesinnen. Wir haben das 31-jährige «Leitbild Nord-Süd» des Bundesrates befragt. Alle Antworten sind Zitate aus dem Leitbild von 1994.

 

Die UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 markierte einen Meilenstein in der internationalen Umweltpolitik. Weshalb war diese Konferenz so wichtig?

Die Konferenz von Rio hat in einer breiten Öffentlichkeit auf die Globalisierung der Probleme unserer natürlichen Umwelt hingewiesen. Die Entwicklungsländer spielen dabei eine bedeutende Rolle. Sie verfügen über den Grossteil der natürlichen Ressourcen und sind von den möglichen Folgen der Wüstenbildung, von der Erhöhung der Meeresspiegel oder einer Klimaveränderung unverhältnismässig stärker betroffen als die Industrieländer. Armut, Industrialisierung und Bevölkerungswachstum belasten die Umwelt zusätzlich. Zudem steht fest, dass eine Globalisierung der gegenwärtigen Lebensweise in den Industrieländern ökologisch kaum verkraftbar ist.

Vor diesem Hintergrund hat die Schweiz ein Leitbild Nord-Süd erarbeitet. Wie lautet die Kernbotschaft dieses Leitbildes?

Das Leitbild zeigt die wichtigsten Probleme der Entwicklungspolitik der Gegenwart. Es weist auf ihre Auswirkungen und möglichen Aktionsfelder hin und legt die Leitlinien für eine zukünftige Schweizer Entwicklungspolitik fest. Diese betrifft nicht mehr nur die Entwicklungszusammenarbeit, sondern die Gesamtheit der Beziehungen der Schweiz mit den Entwicklungsländern.

Worum geht es konkret?

Eine traditionelle Trennung zwischen Umwelt- und Wirtschaftspolitik, zwischen Wirtschafts- und Migrationspolitik, zwischen Handels- und Entwicklungspolitik, zwischen Innen- und Aussenpolitik wird den anstehenden Problemen nicht mehr gerecht. Gefordert ist eine «kohärente Südpolitik». Eine solche Politik zu formulieren bedeutet, mögliche Widersprüche zwischen kurzfristigen nationalen Eigeninteressen und den Zielen der Schweizer Entwicklungspolitik sichtbar zu machen und sie möglichst transparent in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen. Eine solche Politik kann nicht umgesetzt werden, ohne dass die Schweizer Bevölkerung erkennt, dass unser langfristiges Wohlergehen auch vom Schicksal des Südens abhängt.

Manche Leute würden sagen: In der Schweiz gibt es genug Probleme. Da sollten wir zuerst einmal auf das Wohlergehen unserer eigenen Bevölkerung schauen. Was sagen Sie dazu?

Es geht nicht darum, Schweizer Interessen aufzugeben. Aber in einer veränderten Welt der gegenseitigen Abhängigkeiten müssen wir diese Interessen und Aufgaben immer wieder neu, längerfristig und umfassend definieren, um sie umso entschlossener wahrzunehmen beziehungsweise auszuführen.

Wird die Entwicklungszusammenarbeit mit einer kohärenten Entwicklungspolitik obsolet?

Bis sie ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum erreicht haben, werden die ärmsten Entwicklungsländer noch lange auf die Hilfe von aussen angewiesen sein. In sehr vielen Gebieten fehlen ihnen die nötigen menschlichen und finanziellen Ressourcen. Auch Länder der mittleren Einkommensgruppe werden unsere Unterstützung weiterhin benötigen, um ihre wirtschaftliche und soziale Infrastruktur zu verbessern und ihre Umwelt wirksam zu schützen. Unsere öffentliche Entwicklungshilfe muss deshalb qualitativ und quantitativ noch weiter gesteigert werden.
Vielen Dank für das Interview. Wir hoffen sehr, dass unser Bundesrat diese Ideen aus der Vergangenheit zur Kenntnis nimmt und realisiert, dass die dringlichen Probleme der Gegenwart nur mit einer kohärenten und weitsichtigen Entwicklungspolitik wirklich gelöst werden können.

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Analyse zum Untergang von USAID

Entwicklungszusammenarbeit ist systemrelevant

17.02.2025, Internationale Zusammenarbeit

Viel wurde in den letzten Tagen über die drastische Zerschlagung der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID geschrieben. Mittlerweile ist klar, dass nicht nur die Art und Weise, wie die Behörde zerstört wurde, undemokratisch und gesetzeswidrig war, sondern auch, dass die Auswirkungen dieser Entscheidung weltweit dramatisch sind. Trotz ihrer gern gelobten humanitären Tradition und ihrem Einsatz für den Multilateralismus durch das internationale Genf glänzt die offizielle Schweiz nach wie vor mit Schweigen.

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Entwicklungszusammenarbeit ist systemrelevant

Protestierende fordern vom US-Kongress die Rettung von USAID © KEYSTONE / CQ Roll Call / Newscom / Tom Williams 

Die US-Entwicklungsbehörde USAID wurde 1961 von John F. Kennedy gegründet. Seither hat sie sich zur grössten Entwicklungsagentur der Welt entwickelt. Mit einem Budget von 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr (was weniger als 1% der amerikanischen Staatsausgaben ausmacht) verfügt sie über etwa 40% der gesamten staatlichen Entwicklungsgelder aller  Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Nun wurde sie innerhalb weniger Wochen komplett handlungsunfähig gemacht. Elon Musk, der reichste Mann der Welt, welcher ohne offizielles Mandat eine von Trump erschaffene Behörde für Regierungseffizienz (DOGE) leitet, führt den Feldzug gegen USAID an. In einer Reihe hasserfüllter Tweets nannte er die Entwicklungsagentur einen «Apfel voller Würmer», « ein Vipernnest» oder eine « kriminelle Organisation» und verlangte, dass sie stirbt. Kurz darauf soll unter seiner Anweisung ein Mail an alle Mitarbeitenden verschickt worden sein, in dem diese aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben. 

Dann ging es Schlag auf Schlag. Führungskräfte wurden entlassen oder beurlaubt. Die USAID-Website, ihr X-Account und die Email-Accounts der Mitarbeitenden waren plötzlich nicht mehr zugänglich. Zudem hat sich Musk widerrechtlich Zugang zu sensiblen Daten der Behörde verschafft, indem eine Gruppe junger IT-Spezialist:innen (die sogenannten «Doge Kids») - aggressiv und gegen die Anordnungen des Sicherheitspersonals – in die Büros der US-Behörde eingedrungen sind. Auf gleiche Weise beschafften sich die Doge Kids sensible Daten des Gesundheits-, Bildungs- und Finanzministeriums. Senator Chuck Schumer bezeichnete die Gruppe als «eine nicht gewählte Schattenregierung … die eine feindliche Übernahme der Bundesregierung durchführt».

Obwohl der Stopp der Entwicklungsprogramme offiziell nur für 90 Tage gilt und «lebensnotwendige humanitäre Programme» eine Ausnahmebewilligung beantragen dürfen, machen die Handlungen von Trump und Musk allen Anschein, dass USAID nicht mehr ins Leben zurückgerufen wird. So teilen verschiedene Partnerorganisationen mit, dass sie ihre Programme trotz Ausnahmebewilligung nicht weiterführen können, da Musk’s Doge Kids das Zahlungssystem der gesamten Organisation lahmgelegt haben. Zudem hat Trump mittlerweile in einem neuen Regierungsdekret die Behörde aufgefordert, weitere Ausnahmebewilligungen auszusetzen. Zynischerweise werden einzig die militärische Hilfe an Israel und Ägypten unverändert weitergeführt. Mittlerweile wurden alle Angestellten aufgefordert, in die USA zurückzureisen, der Schriftzug «USAID» wurde von den Büros in New York entfernt und die Behörde wird in offizieller Kommunikation als «ehemalige USAID» betitelt. Eine Behörde, welche durch den amerikanischen Kongress geschaffen wurde, deren Budget jährlich vom Kongress genehmigt wird, wurde innerhalb weniger Wochen durch einen nicht gewählten Regierungsvertreter «in den Häcksler geworfen» (um Musk’s Worte zu benutzen). 

Auch wenn mittlerweile in den USA mehrere Klagen gegen das Vorgehen von Trump und Musk eingereicht wurden, ist unklar, ob diese tatsächlich eine Wirkung haben werden, da einerseits ein Grossteil der Judikative von Republikanern dominiert wird und anderseits Aussagen von Präsident Trump und seinem Vize Vance nahelegen, dass allfällige Gerichtsurteile, welche Trumps exekutive Macht beschneiden wollen, ignoriert würden.

Weltweit verheerende Folgen

Die Schliessung von USAID ist nicht nur aus demokratiepolitischer Sicht fatal, sie zieht auch weltweit massive Konsequenzen mit sich. Da USAID viele Projekte gemeinsam mit anderen Organisationen durchführt, wird das internationale Entwicklungssystem als Ganzes massiv geschwächt. Neben fast 10’000 USAID-Angestellten, welche mehr oder weniger über Nacht ihren Job verloren haben, sind auch in Partnerorganisationen, welche für USAID Projekte umsetzen, bereits Tausende von Stellen gestrichen worden. Schätzungen gehen davon aus, dass bereits über 50'000 Stellen verloren gegangen sind und diese Zahl in den nächsten Monaten auf über 100'000 ansteigen wird. Auch verschiedene Schweizer NGOs müssen mehreren Hundert lokalen Mitarbeiter:innen kündigen. Viele kleinere Partnerorganisationen in den Ländern des Südens haben ihre Türen bereits ganz geschlossen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Schliessung von USAID lebensbedrohliche Konsequenzen für Millionen von Menschen hat. Ein Beispiel ist der Gesundheitsbereich, in dem USAID eine Vorreiterrolle einnimmt: Durch ihren Wegfall werden nun Millionen von Menschen nicht weiter mit lebenswichtigen Medikamenten versorgt. Die afrikanische Gesundheitsbehörde CDC Africa rechnet mit zwei bis vier Millionen Toten pro Jahr als Resultat.

Die abrupte Schliessung von USAID führt unter anderem dazu, dass Tonnen von Essen in Lagerhäusern verrotten, während hunderttausende von Kindern auf ihre Schulmahlzeit warten oder 11.7 Millionen Mädchen und Frauen keinen Zugang zu Verhütungsmitteln haben, was das Risiko von ungewollten Schwangerschaften und Geburtskomplikationen massiv erhöht.

Auch die unabhängige mediale Berichterstattung wird in vielen Ländern massiv leiden. So finanzierte USAID im Jahr 2023 die Ausbildung und Unterstützung von 6200 Journalist:innen, unterstützte 707 nichtstaatliche Nachrichtensender und 279 zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die Stärkung unabhängiger Medien in mehr als 30 Ländern einsetzen, darunter in Iran, Afghanistan und Russland.

Sicherheitspolitische Risiken nehmen zu

Es ist klar, dass sich weder Trump noch Musk um die Menschen oder den Untergang vieler NGOs im Globalen Süden kümmern. Auch hierzulande jubeln bereits einige Gegner:innen der Entwicklungszusammenarbeit und wünschen sich eine Abschaffung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. Die abrupte Schliessung von USAID birgt aber mittel- bis langfristig auch massive sicherheitspolitische Risiken – und zwar weltweit. So ist USAID beispielsweise zu einem grossen Teil verantwortlich für die Überwachung und Eindämmung des Ebola-Virus in Westafrika sowie die Überwachung der Vogelgrippe in 48 Ländern. Gemeinsam mit dem Ausstieg der USA aus der Weltgesundheitsorganisation hat dies fatale Konsequenzen und die Risiken einer Pandemie weltweit steigen an.

Der Wegfall überlebenswichtiger Nothilfe in Kriegs- und Krisengebieten kann zudem schnell zu neuen Migrationswellen führen. Verschiedene Expert:innen warnen bereits jetzt, dass das Vakuum, das durch die Zerschlagung von USAID entsteht, Ländern wie China und Russland zu Gute kommen wird, die nun gerne mit gewohnt anti-westlicher Rhetorik in die Bresche springen werden. So kritisiert sogar die NZZ, welche ansonsten der Entwicklungszusammenarbeit eher kritisch gegenübersteht, den Entscheid der US-Regierung mit den Worten:

 

«Die Soft Power der Auslandhilfe und der Schutz der eigenen Souveränität sind unmittelbar miteinander verbunden. Zu einer integralen Sicherheitspolitik gehört humanitäres Engagement ebenso wie militärische Mittel. Die Finanzierung gegeneinander auszuspielen, hilft den Gegnern einer regelbasierten Ordnung.» 

(NZZ, «Trump spielt Putin in die Hände», Georg Häsler und Forrest Rogers, 10.2.2025)

 

Krise als Chance?

Die Zerstörung von USAID kommt zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Klimakrise weltweit zuspitzt und die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) in immer weitere Ferne rückt. So schätzt die OECD die Finanzierungslücke zur Erreichung der SDGs bis 2030 auf mittlerweile 6.4 Billionen US-Dollar. Gleichzeitig haben in den letzten Jahren bereits mehrere europäische Länder, darunter die Schweiz, ihre Entwicklungsgelder gekürzt, und auch die Lücke bei der internationalen Klimafinanzierung wird immer grösser.

Mehr und mehr Staaten verschanzen sich aktuell hinter nationalistischen Eigeninteressen, und rechtsradikale Propaganda scheint vielerorts wieder salonfähig zu werden. Dies trifft neben wichtigen Errungenschaften in den Bereichen Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Rassismusbekämpfung auch die Entwicklungszusammenarbeit stark.

Gewiss gibt es im weltweiten Entwicklungssystem Reformbedarf – zum Beispiel müssen lokale Akteure vermehrt in die Gestaltung und Umsetzung von Projekten involviert werden. Eine offene Debatte über die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit ist zu begrüssen. Was aber mit USAID passiert, ist das genaue Gegenteil. Die radikale Politik von Trump und Musk zeigt nicht nur klar auf, was für fatale Konsequenzen die abrupte Abschaffung einer Entwicklungsagentur weltweit hat, sondern auch, wie schnell eine Demokratie zu Bruch gehen und rechtsradikale Ideologie und Rhetorik sich durchsetzen kann.

Umso wichtiger erscheint es, dass Länder wie die Schweiz, welche sich gerne mit ihrer Demokratie und ihren humanitären Werten brüsten, nun klar Position beziehen und den antidemokratischen Abbau von USAID scharf verurteilen. Zudem ist die Schweiz, welche zudem mit dem internationalen Genf einen Knotenpunkt der internationalen Zusammenarbeit beherbergt, nun gemeinsam mit anderen Geberländern, aufgefordert, den Ausfall von USAID finanziell abzufedern und sich langfristig als Verfechterin des Multilateralismus und der Demokratie zu positionieren. Nur so kann die Krise, in die Trump und seine Gefolgsleute die ganze Welt zu stürzen scheint, vielleicht doch noch eine Chance darstellen.

Medienmitteilung

Finanzierung der UNRWA sichert Waffenstillstand in Gaza

13.02.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Wenige Tage vor der Sitzung der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats (APK-S) bekräftigen rund ein Dutzend Organisationen die absolute Notwendigkeit, die Finanzierung der UNRWA fortzusetzen. Nur dank humanitärer Hilfe kann das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas dauerhaft gesichert werden. Mit einer Aktion vor dem Bundeshaus und einem offenen Brief fordern die Organisationen die Schweiz dazu auf, ihrer humanitären Tradition gerecht zu werden.

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

+41 31 390 93 32 laura.ebneter@alliancesud.ch
Finanzierung der UNRWA sichert Waffenstillstand in Gaza

Übergabe des Schreibens an der Tür zur Bundeskanzlei. © Luisa Baumgartner / Alliance Sud

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hat Ende Januar seinen Sitz im Stadtteil Sheikh Jarrah in Ost-Jerusalem geräumt und sein internationales Personal vorübergehend nach Jordanien verlegt. Diese Massnahme folgte auf die Verabschiedung eines völkerrechtswidrigen Gesetzes durch das israelische Parlament, das die Präsenz der UNRWA in Israel und dem seit 1967 besetzten Ost-Jerusalem verbietet.

«Das Tätigkeitsverbot für die UNRWA kommt zu einem Zeitpunkt, an dem humanitäre Hilfe dringender denn je benötigt wird. Das Leben, die Gesundheit und das Wohlergehen von Millionen von Palästinenser*innen sind in Gefahr. Die Schweiz muss die israelische Regierung auffordern, der UNRWA zu erlauben, wieder im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet zu arbeiten. Gleichzeitig muss sie das UNO-Hilfswerk weiterhin finanziell unterstützen», fordert Michael Ineichen, Advocacy-Verantwortlicher von Amnesty Schweiz.

Seit dem Inkrafttreten des Waffenstillstands in Gaza hat die UNRWA 60% der gesamten humanitären Hilfe geleistet, die in das besetzte palästinensische Gebiet gelangte. Damit ist die UNRWA weiterhin die wichtigste humanitäre Akteurin vor Ort. Nur sie verfügt über das notwendige Netzwerk, um Notunterkünfte, sanitäre Einrichtungen, medizinische Versorgung und Ausrüstung sowie die Verteilung von Nahrungsmitteln und Wasser sicherzustellen. Der Erfolg des Waffenstillstands hängt von dieser grundlegenden Hilfe ab.

Nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom Januar 2024 ist die Schweiz nachdrücklich verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern und humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza zu gewährleisten. Als Depositärstaat der Genfer Konventionen organisiert sie zudem eine Konferenz der Vertragsstaaten der Genfer Konventionen mit dem Ziel, den Schutz der palästinensischen Bevölkerung zu verbessern. Ein Grund mehr, sich voll und ganz für die Menschenrechte der Palästinenser*innen einzusetzen – insbesondere durch einen Beitrag zur Sicherstellung von lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen.

«Amnesty International fordert die APK auf, die Unterstützung der UNRWA fortzusetzen. Eine Unterbrechung der Finanzierung würde im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen der Schweiz stehen und die Bemühungen um Frieden und Stabilität in der Region untergraben. Die Unterstützung unseres Landes ist umso notwendiger, nachdem US-Präsident Trump beschlossen hat, die Finanzierung des Uno-Hilfswerks einzustellen», sagte Michael Ineichen.

Folgende Organisationen haben den offenen Brief an die APK mitunterzeichnet: Amnesty International, Alliance Sud, Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina, Frieda – die feministische Friedensorganisation, Gesellschaft Schweiz Palästina, Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSOA), HEKS - Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, Ina autra senda - Swiss Friends of Combatants for Peace, Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina, Médecins du Monde Suisse, Medico International Schweiz, Palestine Solidarity Switzerland, Peace Watch Switzerland.

Im April 2024 überreichten Amnesty Schweiz und Partnerorganisationen mehr als 45'000 Unterschriften für einen Waffenstillstand und die Finanzierung der Uno-Hilfe in Gaza an den Bundesrat und das Parlament. Die Folgen eines Rückzugs der Schweiz von der Unterstützung der UNRWA wurden im Oktober in einem Schreiben an die Kommission dargelegt.

 

Medienmitteilung

Entwicklungszusammenarbeit: Mit weniger bewirkt niemand gleich viel

29.01.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Deza und SECO haben heute kommuniziert, wie sie die vom Parlament beschlossenen Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit umsetzen wollen. Die dramatischen Auswirkungen auf die Menschen in den betroffenen Ländern und Programmen werden dabei heruntergespielt.

Entwicklungszusammenarbeit: Mit weniger bewirkt niemand gleich viel

Trotz der politisch unsicheren Situation und gefährlichen Fluten wird die Streichung des bilateralen Entwicklungsprogramms in Bangladesch unter anderem mit den «tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort» begründet. © Keystone / EPA / STR

Damit keine Missverständnisse entstehen: Die Verantwortung für die Kürzungen von 110 Millionen Franken im Budget 2025 und 321 Millionen im Finanzplan der kommenden Jahre liegt allein bei der bürgerlichen Mehrheit im Parlament, die diese Entscheide gefällt hat. Die Aussage hingegen, dass «durch eine gezielte Priorisierung (…) die angestrebte Wirkung der internationalen Zusammenarbeit (IZA) trotzdem weitgehend möglich sein» soll, sendet aber ein falsches Signal. Natürlich ist die Entwicklungszusammenarbeit, die trotz Kürzungen geleistet werden kann, weiterhin wirksam. Aber genauso klar ist, dass mit 110 Millionen weniger nicht gleichviel gemacht werden kann. Und es ist klar, dass es Menschen im globalen Süden sind, die die Konsequenzen ganz konkret spüren werden, wenn erfolgreiche Projekte eingestellt werden müssen.

Die «Bedürfnisse vor Ort» sind gerade in Bangladesch und Sambia – in beiden Ländern sollen die Programme der DEZA eingestellt werden – sicher nicht kleiner geworden. Bangladesch ist in einer politisch unsicheren Situation, die Auswirkungen auf die für das Land zentrale Textilindustrie hat. Sambia leidet unter einer Schuldenkrise; nach dem Internationalen Währungsfonds besteht weiterhin «(a) high risk of overall and external debt distress». Dies auch deshalb, weil das Land unter aggressiver Steuervermeidung ausländischer Konzerne litt und leidet. So hat zum Beispiel Glencore auch bei hohen Kupferpreisen in Sambia nie Gewinnsteuern bezahlt. Beide Länder sind zudem besonders von der Klimakrise betroffen, die frühere Entwicklungserfolge bedroht. Bangladesch wegen Stürmen und ansteigendem Meeresspiegel und Sambia, weil die Stromproduktion stark zurückgegangen ist, da die Flüsse viel weniger Wasser führen.

Auch im multilateralen Bereich können die Kürzungen nicht einfach folgenlos weggesteckt werden. Eingestellt werden etwa die Zahlungen an UNAIDS. Aids gehört aber in Afrika immer noch zu den grössten Todesursachen und noch immer erhält fast ein Fünftel der afrikanischen HIV-Patient:innen keine lebensrettenden Medikamente. Auch soll es «zusätzliche Querschnittskürzungen» geben und die Kernbeiträge der NGOs sind betroffen, obwohl Bundesrat Cassis letzten Sommer im Parlament gesagt hat, dass diese Partnerorganisationen preisgünstig zur Umsetzung der IZA-Strategie beitragen. Im Klartext bedeutet dies alles konkret, dass etwa Bauernfamilien keine sichere Wasserversorgung im Kampf gegen die Klimakrise haben, Jugendlichen ein Ausbildungsplatz fehlt und mehr Kinder hungrig zu Bett gehen. Die Verantwortlichen für die Kürzungen sollten nicht beruhigt werden, sondern dieser Realität ins Auge blicken müssen.

 

 

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

Tied Aid in der IZA

Wer profitiert von Schweizer Entwicklungsgeldern?

29.11.2024, Internationale Zusammenarbeit

Die an Gegengeschäfte gebundene Hilfe ist in der internationalen Zusammenarbeit seit Jahrzehnten verpönt. Die Geberländer scheint das aber kaum zu stören. Im Gegenteil: Auch in der Schweiz wird die gebundene Hilfe wieder salonfähig. Einordnung von Laura Ebneter

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Wer profitiert von Schweizer Entwicklungsgeldern?

Noch keine Wirtschaftshilfe für Schweizer Firmen: Im März 2022, nach Beginn der russischen Grossoffensive gegen die Ukraine, liefert die Schweiz humanitäre Hilfsgüter. © Keystone / Michael Buholzer

 

«Wenn wir Entwicklungszusammenarbeit machen, dann wollen wir vor allem der lokalen Wirtschaft Aufträge zukommen lassen. Hier geht es aber um den Wiederaufbau [der Ukraine]. Hier sind wir in einer anderen Logik», sagte Helene Budliger-Artieda, Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, im Sommer 2024 in einem Radiointerview bei SRF. Im Gespräch geht es um die Pläne des Bundesrats für die Unterstützung der Ukraine. Der Bundesrat sieht in den nächsten vier Jahren 1.5 Milliarden Franken für die Unterstützung der Ukraine vor. 500 Millionen davon sollen Schweizer Unternehmen zugutekommen, die in der Ukraine tätig sind. Ist das noch Entwicklungszusammenarbeit oder ist es Exportförderung?

Es handelt sich dabei um die verpönte gebundene Hilfe (tied aid). Das sind Entwicklungsgelder, die an die Bedingung der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen aus den Geberländern geknüpft werden. Deshalb wird oft auch von Einkaufsgutscheinen gesprochen. Den Partnerländern bleibt dabei nichts anderes übrig: In einer Notlage nimmt man auch die Einkaufsgutscheine der Migros, auch wenn dies dem eigenen Dorfladen schadet, der für die lokale Bevölkerung mittelfristig viel wichtiger wäre.

Schlechter Deal für den Globalen Süden

Alle verfügbaren Schätzungen kommen zum selben Schluss: Wenn Güter und Dienstleistungen in den Geberländern beschafft werden müssen, kosten die Projekte 15-30% mehr, als wenn die Länder einen Anbieter wählen könnten. Zusammenarbeit ohne Gegengeschäfte stärkt aber nicht nur die Effizienz des Mitteleinsatzes und die Selbstbestimmung der Partnerländer. Durch die Förderung lokaler Märkte und Unternehmen schafft sie zusätzliche positive Impulse, die über die Projektresultate hinaus gehen. Werden lokale Anbieter berücksichtigt, gibt es zudem weniger Probleme bei der Beschaffung von Ersatzteilen, da die Lieferketten deutlich kürzer sind. Andernfalls sind die Instandhaltungskosten höher und können den langfristigen Erfolg verunmöglichen, wenn nach Abschluss des Projekts die Mittel fehlen.

Haben wir nichts aus der Geschichte gelernt?

Die gebundene Hilfe ist Teil einer Jahrzehnte alten Diskussion zur Wirksamkeit der Entwicklungsfinanzierung. Im Kern geht es um zwei eng verknüpfte Anliegen: einerseits um eine zukunftsgerichtete internationale Zusammenarbeit, die auf Wirksamkeitsprinzipien und Effizienz beruht. Damit tangiert die Debatte zur ungebundenen Hilfe auch die Dekolonisierungsagenda: Die Partnerländer sollen über ihren Entwicklungspfad selber bestimmen können. Zum anderen geht es um die potenziell verzerrenden Auswirkungen bei der Vergabe von Mitteln, die an die Ausfuhr von Gütern und Dienstleistungen aus den Geberländern gebunden sind.

Und es geht auch um gleich lange Spiesse. Denn zu Recht kritisieren diejenigen Länder, die von der Praxis der gebundenen Hilfe absehen – das heisst ihre Aufträge international ausschreiben –, sie würden benachteiligt, wenn es andere Länder ihnen nicht gleichtun. So haben beispielsweise Schweizer Anbieter nur limitierten Zugang zu anderen Märkten, internationale Anbieter aber guten Zugang zum Schweizer Beschaffungswesen.

Um international koordiniert vorzugehen, haben die Geberländer sich im Rahmen der OECD 2001 auf die «Recommendation on Untying Official Development Assistance (ODA)» geeinigt. Ziel der gemeinsamen Übereinkunft war und ist es, möglichst viele Entwicklungsgelder ungebunden zu vergeben und damit die Effizienz und Wirksamkeit der internationalen Zusammenarbeit zu stärken. Denn die Staatengemeinschaft ist sich einig, dass diese Form der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung paternalistisch, teuer und ineffizient ist.

Undurchsichtige Wege führen ins Inland

Im internationalen Vergleich steht die Schweiz bei den offiziellen Zahlen der ungebundenen Hilfe bislang gut da. Gemäss einer Analyse der OECD hat die Schweiz 2021 und 2022 3% der Mittel gebunden vergeben. Jedoch vermittelt die Analyse nur ein unvollständiges Bild, denn die Zahl umfasst nur die Vergabe von eindeutig gebundenen Mitteln. Es gibt aber auch informelle Wege, um inländische Anbieter zu bevorzugen. So kann der Bewerberkreis zum Beispiel über die Sprache der Ausschreibung, den finanziellen Umfang der Projekte oder die Wahl des Kommunikationskanals gesteuert werden.

Einen genauen Überblick über den Umfang der informell gebundenen Hilfe gibt es nicht. Anhand der Vergabestatistik lässt sich jedoch abschätzen, wie viele der ausgeschriebenen Mittel an inländische Anbieter gehen. Gemäss Auswertungen von Eurodad, dem Europäischen Netzwerk zu Schulden und Entwicklung, wurden 2018 – neuere Daten gibt es nicht – 52% aller ungebundenen Mittel an Lieferanten im eigenen Land vergeben. Die Schweiz liegt mit 51% im Durchschnitt. Insgesamt gingen nur 11% direkt an Anbieter in Partnerländern.

In der Schweiz war die ungebundene Hilfe lange Zeit unumstritten. In der aktuellen Vorlage der Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA-Strategie) 2025-2028 steht denn auch: «Sie [die IZA] erfolgt in Übereinstimmung mit dem internationalen Handelsrecht, das darauf abzielt, handelsverzerrende Subventionen zugunsten von Schweizer Unternehmen zu verhindern. […] Die Schweiz berücksichtigt die Empfehlungen der OECD DAC Recommendation on Untying Official Development Assistance.» Dieses Bekenntnis scheint bei den Entscheiden zu den Ukrainegeldern für Schweizer Firmen nur noch für die Galerie, denn wenige Wochen nach Publikation der IZA-Strategie schrieb der Bundesrat in einer Medienmitteilung: «Dem Schweizer Privatsektor soll beim Wiederaufbau in der Ukraine eine zentrale Rolle zukommen.» Mit diesem Vorhaben will die Schweiz die gebundene Hilfe auch formell wieder einführen (siehe Artikel von Laurent Matile, global #95).

(Un-)umstrittene Kernbeiträge

Gemäss Vorgaben der OECD gelten Kernbeiträge an Nichtregierungsorganisationen aus Geberländern nicht als gebundene Hilfe, weil diese im öffentlichen Interesse tätig sind und nicht profitorientiert handeln. Diese Bevorzugung ist international aber umstritten. In den letzten Monaten forderte die internationale Bewegung #ShiftThePower, dass mehr Entwicklungsgelder direkt an Organisationen im Globalen Süden fliessen sollen. So berechtigt diese Forderung ist, lohnt sich eine genauere Analyse, wie die Mittel bei Partnerorganisationen im Globalen Süden ankommen können. Denn mehr Projekte und Programme international auszuschreiben, bedeutet nicht automatisch, dass Organisationen im Globalen Süden den Zuschlag erhalten. Deshalb gilt es sicherzustellen, dass Vergabeprozesse geschaffen werden, die es ermöglichen, dass auch kleinere Organisationen im Globalen Süden Kernfinanzierung erhalten können und nicht in der Rolle von Projektumsetzungspartnern verharren. Insbesondere Schweizer NGOs, die alle langjährige, solide und vertrauensvolle Partnerschaften mit unzähligen Organisationen im Globalen Süden haben, nehmen hier eine wichtige Brückenfunktion ein.

Auf Augenhöhe in die Zukunft

Viele Länder machen keinen Hehl daraus, dass sie ihre Entwicklungsfinanzierung mit aussenpolitischen Interessen verknüpfen. Carsten Staur, der dänische Vorsitzende des Entwicklungshilfeausschusses der OECD, sagte 2022 in einem Interview, dass es in der Geschichte noch nie eine öffentliche Entwicklungshilfe gegeben habe, die nicht in irgendeiner Form aussen- und sicherheitspolitische Ziele verfolgt habe.

Interessanterweise wird die gebundene Hilfe in der Schweiz genau von denjenigen politischen Parteien gefordert, die sich ansonsten für liberale Handelsregeln einsetzen. Bei der IZA sollen diese dann plötzlich nicht mehr gelten. Und diejenigen Stimmen, die sagen, die internationale Zusammenarbeit sei nicht wirksam, sind mit solchen politischen Entscheiden mitverantwortlich dafür, dass die Mittel für die internationale Zusammenarbeit weniger effizient eingesetzt werden können.

Um nachhaltig, wirksam und auf Augenhöhe zusammenarbeiten zu können, müssen Partnerländer ihre Entwicklungspfade selbstbestimmt gestalten können. Dass wir in der Schweiz definieren sollen, was Partnerländer «brauchen», wird den internationalen Debatten zu einer zukunftsgerichteten internationalen Zusammenarbeit nicht gerecht. Es sollte auch klar sein, dass die gebundene Hilfe ineffizient und teuer ist. Höchste Zeit also, diesen Pfad wieder zu verlassen und in langanhaltende Partnerschaften auf Augenhöhe zu investieren.

 

Von der gebundenen Hilfe (tied aid) wird gesprochen, wenn die Vergabe von Geldern an die Bedingung geknüpft wird, dass Güter und Dienstleistungen von Anbietern aus dem Geberland beschafft werden müssen. Es gibt aber auch andere Formen der Konditionalität, nämlich wenn Geberländer Vorgaben zu Anti-Korruptionsmassnahmen, Freihandels- und Liberalisierungspolitik oder zur Einhaltung von demokratischen Grundsätzen machen. Die Konditionalisierung der Entwicklungsgelder ist auch ein strategisches Instrument, um aussenpolitische Ziele in den Ländern des Globalen Südens zu erreichen. Dies kommt bei Partnerländern aber selten gut an, da es in das Selbstbestimmungsrecht der Länder eingreift. Unter anderem deshalb sind neuere Geberländer, wie zum Beispiel China, die wenige bis keine Vorgaben machen, sehr beliebt.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Medienmitteilung

Planlose Sparpolitik: nun auch auf Kosten der Ukraine-Hilfe

12.12.2024, Internationale Zusammenarbeit

Ständerat und Nationalrat haben heute drastische Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit vorgenommen. Geht es nach dem Nationalrat, soll nun auch die kriegsversehrte Bevölkerung in der Ukraine unter den Sparübungen leiden. Das Parlament hat seinen humanitären Kompass verloren.

Planlose Sparpolitik: nun auch auf Kosten der Ukraine-Hilfe

Bei einem offiziellen Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Januar 2024 in Bern hatten Parlamentarier:innen die Solidarität der Schweiz noch bekräftigt.

© Parlamentsdienste / Monika Flückiger

 

Am Donnerstag sind gleich zwei schwerwiegende Entscheide gefallen: Der Ständerat will beim Budget für das nächste Jahr 71 Millionen Franken bei der internationalen Zusammenarbeit (IZA) sparen. Zeitgleich hat der Nationalrat im Rahmen der Differenzbereinigung zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 entschieden, dass er insgesamt 351 Millionen Franken bei der IZA sparen will. Davon sollen 151 Millionen bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und 200 Millionen bei der Ukraine-Hilfe gekürzt werden. Das trifft konkret auch die humanitäre Hilfe in der Ukraine. Umso stossender ist dieser Entscheid, als dass der Nationalrat die Unterstützung von Schweizer Unternehmen für die Ukraine-Hilfe von der Sparübung ausnehmen will.

Für Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, hat das Parlament jegliche Perspektive verloren: «Der Nationalrat will das Geld für die Ukraine lieber Schweizer Unternehmen zuschanzen, als der frierenden Bevölkerung in der Ukraine Schutz und Hilfe zu gewähren.»

Alliance Sud fordert das Parlament auf, diese Kürzungen in der weiteren Differenzbereinigung zurückzunehmen.

 

Für weitere Informationen:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter, Alliance Sud, Tel. +41 31 390 93 30 andreas.missbach@alliancesud.ch