Medienmitteilung

Entwicklungsausgaben im freien Fall

16.04.2025, Entwicklungsfinanzierung

Einmal mehr verfehlt die Schweiz bei weitem das international vereinbarte Ziel von 0.7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungszusammenarbeit. Die heute von der OECD publizierten Zahlen zur öffentlichen Entwicklungsfinanzierung (APD) zeigen, dass die Schweiz 2024 nur 0.51% des BNE für die Entwicklungszusammenarbeit ausgab, 14.9% weniger als im Vorjahr. Mit den im Dezember 2024 beschlossenen Kürzungen ist ein weiterer Rückgang absehbar.

Entwicklungsausgaben im freien Fall

Symbolbild © Keystone

Wie schon in den Vorjahren verfehlte die Schweiz auch im letzten Jahr ihre internationalen Verpflichtungen und steht mit 0.51% des BNE auf Platz 8 der OECD-Geberländer. Ohne Anrechnung der Asylausgaben im Inland, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen ebenfalls der APD angerechnet werden dürfen, betragen ihre Entwicklungsausgaben gar lediglich 0.38%. Somit machen Asylausgaben im Inland satte 25% der von der Schweiz angerechneten Entwicklungsausgaben aus.

Die Reduktion der Entwicklungsausgaben um 14.9% verglichen mit dem Vorjahr steht auch den Ansichten der Schweizer Bevölkerung diametral entgegen. Gemäss einer heute publizierten repräsentativen Umfrage der ETH wünschen sich knapp 80% der Schweizer Bevölkerung, dass die Entwicklungsausgaben gleichbleiben oder erhöht werden.

Der Entscheid des Parlaments, die Entwicklungsausgaben im Finanzjahr 2025 um 110 Millionen Franken und in den Jahren 2026-2028 um 321 Millionen Franken zu kürzen, greifen in der OECD-Statistik noch nicht. Es ist also davon auszugehen, dass sich die Position der Schweiz weiter verschlechtern wird – und dies in einem Kontext, in dem nichts mehr ist wie es einmal war. Seit der Amtseinführung von Donald Trump wurden nicht nur der Multilateralismus und damit auch das internationale Genf stark geschwächt, auch die Abschaffung von USAID hat weltweit dramatische Konsequenzen.

«In dieser veränderten Weltlage sollte die Schweiz sich klar positionieren und sich auf die Seite von Multilateralismus, Demokratie und Menschenrechte stellen», sagt Kristina Lanz, Expertin für internationale Zusammenarbeit bei Alliance Sud. Dies bedingt ebenso eine grosszügige Unterstützung der in Genf ansässigen internationalen Organisationen wie auch einen zukunftsgerichteten Ausbau der Entwicklungsfinanzierung und der internationalen Klimafinanzierung. Die vierte Internationale Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (FfD4), die vom 30. Juni bis 3. Juli in Sevilla stattfindet, bietet hierfür eine hervorragende Gelegenheit.

Zusätzliche Investitionen sind möglich

Auch wenn der Bundesrat dies immer wieder bestreitet – die Schweiz kann es sich leisten, mehr in die internationale Zusammenarbeit zu investieren: Zum einen gäbe es für den Bund – zumindest mittel- bis langfristig – vielfältige Möglichkeiten, um Mehreinnahmen zu generieren; zum anderen besteht für die Schweiz kein Grund zum Sparen. «Die extrem tiefe, abnehmende Staatsverschuldung der Schweiz ermöglicht auch kurzfristig zusätzliche Investitionen», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud. Mit einer Lockerung der Schuldenbremse würden gemäss einer Studie von Cédric Tille, Professor für internationale Ökonomie am Geneva Graduate Institute, bis 2030 mindestens 15 Milliarden Franken für Mehrausgaben zur Verfügung stehen, bis 2050 sogar 25 Milliarden. Dies, ohne dass sich die extrem niedrige Schuldenquote der Schweiz erhöht.

 

Für weitere Informationen:
Kristina Lanz, Expertin für internationale Zusammenarbeit, Tel. +41 31 390 93 40, kristina.lanz@alliancesud.ch
Andreas Missbach, Geschäftsleiter, Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

Infografik

Medienmitteilung

Finanzierung der UNRWA sichert Waffenstillstand in Gaza

13.02.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Wenige Tage vor der Sitzung der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats (APK-S) bekräftigen rund ein Dutzend Organisationen die absolute Notwendigkeit, die Finanzierung der UNRWA fortzusetzen. Nur dank humanitärer Hilfe kann das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas dauerhaft gesichert werden. Mit einer Aktion vor dem Bundeshaus und einem offenen Brief fordern die Organisationen die Schweiz dazu auf, ihrer humanitären Tradition gerecht zu werden.

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

+41 31 390 93 32 laura.ebneter@alliancesud.ch
Finanzierung der UNRWA sichert Waffenstillstand in Gaza

Übergabe des Schreibens an der Tür zur Bundeskanzlei. © Luisa Baumgartner / Alliance Sud

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hat Ende Januar seinen Sitz im Stadtteil Sheikh Jarrah in Ost-Jerusalem geräumt und sein internationales Personal vorübergehend nach Jordanien verlegt. Diese Massnahme folgte auf die Verabschiedung eines völkerrechtswidrigen Gesetzes durch das israelische Parlament, das die Präsenz der UNRWA in Israel und dem seit 1967 besetzten Ost-Jerusalem verbietet.

«Das Tätigkeitsverbot für die UNRWA kommt zu einem Zeitpunkt, an dem humanitäre Hilfe dringender denn je benötigt wird. Das Leben, die Gesundheit und das Wohlergehen von Millionen von Palästinenser*innen sind in Gefahr. Die Schweiz muss die israelische Regierung auffordern, der UNRWA zu erlauben, wieder im gesamten besetzten palästinensischen Gebiet zu arbeiten. Gleichzeitig muss sie das UNO-Hilfswerk weiterhin finanziell unterstützen», fordert Michael Ineichen, Advocacy-Verantwortlicher von Amnesty Schweiz.

Seit dem Inkrafttreten des Waffenstillstands in Gaza hat die UNRWA 60% der gesamten humanitären Hilfe geleistet, die in das besetzte palästinensische Gebiet gelangte. Damit ist die UNRWA weiterhin die wichtigste humanitäre Akteurin vor Ort. Nur sie verfügt über das notwendige Netzwerk, um Notunterkünfte, sanitäre Einrichtungen, medizinische Versorgung und Ausrüstung sowie die Verteilung von Nahrungsmitteln und Wasser sicherzustellen. Der Erfolg des Waffenstillstands hängt von dieser grundlegenden Hilfe ab.

Nach dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom Januar 2024 ist die Schweiz nachdrücklich verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern und humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza zu gewährleisten. Als Depositärstaat der Genfer Konventionen organisiert sie zudem eine Konferenz der Vertragsstaaten der Genfer Konventionen mit dem Ziel, den Schutz der palästinensischen Bevölkerung zu verbessern. Ein Grund mehr, sich voll und ganz für die Menschenrechte der Palästinenser*innen einzusetzen – insbesondere durch einen Beitrag zur Sicherstellung von lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen.

«Amnesty International fordert die APK auf, die Unterstützung der UNRWA fortzusetzen. Eine Unterbrechung der Finanzierung würde im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen der Schweiz stehen und die Bemühungen um Frieden und Stabilität in der Region untergraben. Die Unterstützung unseres Landes ist umso notwendiger, nachdem US-Präsident Trump beschlossen hat, die Finanzierung des Uno-Hilfswerks einzustellen», sagte Michael Ineichen.

Folgende Organisationen haben den offenen Brief an die APK mitunterzeichnet: Amnesty International, Alliance Sud, Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina, Frieda – die feministische Friedensorganisation, Gesellschaft Schweiz Palästina, Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSOA), HEKS - Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, Ina autra senda - Swiss Friends of Combatants for Peace, Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina, Médecins du Monde Suisse, Medico International Schweiz, Palestine Solidarity Switzerland, Peace Watch Switzerland.

Im April 2024 überreichten Amnesty Schweiz und Partnerorganisationen mehr als 45'000 Unterschriften für einen Waffenstillstand und die Finanzierung der Uno-Hilfe in Gaza an den Bundesrat und das Parlament. Die Folgen eines Rückzugs der Schweiz von der Unterstützung der UNRWA wurden im Oktober in einem Schreiben an die Kommission dargelegt.

 

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Entwicklungszusammenarbeit: Mit weniger bewirkt niemand gleich viel

29.01.2025, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Deza und SECO haben heute kommuniziert, wie sie die vom Parlament beschlossenen Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit umsetzen wollen. Die dramatischen Auswirkungen auf die Menschen in den betroffenen Ländern und Programmen werden dabei heruntergespielt.

Entwicklungszusammenarbeit: Mit weniger bewirkt niemand gleich viel

Trotz der politisch unsicheren Situation und gefährlichen Fluten wird die Streichung des bilateralen Entwicklungsprogramms in Bangladesch unter anderem mit den «tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort» begründet. © Keystone / EPA / STR

Damit keine Missverständnisse entstehen: Die Verantwortung für die Kürzungen von 110 Millionen Franken im Budget 2025 und 321 Millionen im Finanzplan der kommenden Jahre liegt allein bei der bürgerlichen Mehrheit im Parlament, die diese Entscheide gefällt hat. Die Aussage hingegen, dass «durch eine gezielte Priorisierung (…) die angestrebte Wirkung der internationalen Zusammenarbeit (IZA) trotzdem weitgehend möglich sein» soll, sendet aber ein falsches Signal. Natürlich ist die Entwicklungszusammenarbeit, die trotz Kürzungen geleistet werden kann, weiterhin wirksam. Aber genauso klar ist, dass mit 110 Millionen weniger nicht gleichviel gemacht werden kann. Und es ist klar, dass es Menschen im globalen Süden sind, die die Konsequenzen ganz konkret spüren werden, wenn erfolgreiche Projekte eingestellt werden müssen.

Die «Bedürfnisse vor Ort» sind gerade in Bangladesch und Sambia – in beiden Ländern sollen die Programme der DEZA eingestellt werden – sicher nicht kleiner geworden. Bangladesch ist in einer politisch unsicheren Situation, die Auswirkungen auf die für das Land zentrale Textilindustrie hat. Sambia leidet unter einer Schuldenkrise; nach dem Internationalen Währungsfonds besteht weiterhin «(a) high risk of overall and external debt distress». Dies auch deshalb, weil das Land unter aggressiver Steuervermeidung ausländischer Konzerne litt und leidet. So hat zum Beispiel Glencore auch bei hohen Kupferpreisen in Sambia nie Gewinnsteuern bezahlt. Beide Länder sind zudem besonders von der Klimakrise betroffen, die frühere Entwicklungserfolge bedroht. Bangladesch wegen Stürmen und ansteigendem Meeresspiegel und Sambia, weil die Stromproduktion stark zurückgegangen ist, da die Flüsse viel weniger Wasser führen.

Auch im multilateralen Bereich können die Kürzungen nicht einfach folgenlos weggesteckt werden. Eingestellt werden etwa die Zahlungen an UNAIDS. Aids gehört aber in Afrika immer noch zu den grössten Todesursachen und noch immer erhält fast ein Fünftel der afrikanischen HIV-Patient:innen keine lebensrettenden Medikamente. Auch soll es «zusätzliche Querschnittskürzungen» geben und die Kernbeiträge der NGOs sind betroffen, obwohl Bundesrat Cassis letzten Sommer im Parlament gesagt hat, dass diese Partnerorganisationen preisgünstig zur Umsetzung der IZA-Strategie beitragen. Im Klartext bedeutet dies alles konkret, dass etwa Bauernfamilien keine sichere Wasserversorgung im Kampf gegen die Klimakrise haben, Jugendlichen ein Ausbildungsplatz fehlt und mehr Kinder hungrig zu Bett gehen. Die Verantwortlichen für die Kürzungen sollten nicht beruhigt werden, sondern dieser Realität ins Auge blicken müssen.

 

 

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

Medienkommentar

Das IZA-Budget fällt aus dem Rahmen

19.12.2024, Entwicklungsfinanzierung

Die Wintersession geht mit Millionenkürzungen im Zahlungsrahmen 2025-2028 (-151 Millionen CHF) und im Budget 2025 der Entwicklungszusammenarbeit (-110 Millionen) zu Ende. Die Entscheide des Parlaments werden auf Kosten der ärmsten Länder dramatische Konsequenzen haben und waren geprägt von vielen falschen Argumenten, kritisiert Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud.

Das IZA-Budget fällt aus dem Rahmen

© Parlamentsdienste / Tim Loosli

Das Tauziehen um die Aufrüstung der Armee war geprägt von frei interpretierten Zahlen, falschen Argumenten und einem prozeduralen Trick. Einige Minuten lang hatten sich am 9. Dezember beide Räte gegen Kürzungen in den Zahlungsrahmen der IZA-Strategie 2025-2028 ausgesprochen. Der Nationalrat war mit Unterstützung der Mehrheit der Mitte bei 95 zu 94 Stimmen dem Ständerat gefolgt und lehnte alle Kürzungen ab. Doch dann geschah etwas, was zuvor noch nie geschehen ist. Die Ausga-benbremse wurde nicht gelöst. Denn bei Budgetentscheiden über 20 Millionen muss das Parlament diese immer in einem separaten Beschluss lösen, normalerweise eine Routineangelegenheit. Für diesen Entscheid gilt zudem das absolute Mehr, das heisst es braucht im Nationalrat 101 Ja-Stimmen, Enthaltungen zählen als Nein. Es fehlten nur gerade zwei Stimmen. Das gab der FDP die Möglichkeit, noch einmal Kürzungsanträge zu stellen. Diese wurden auch nur mit dem Stichent-scheid der FDP-Nationalratspräsidentin angenommen, mit 96 zu 95 Stimmen.

Neben 151 Millionen bei der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) sollte ausgerechnet bei der humanitären Hilfe für die Ukraine das Messer angesetzt werden (-200 Millionen). Dies, nachdem Bürgerliche in der Debatte immer wieder betont hatten, man sei ja nicht herzlos und werde sicher nicht bei der humanitären Hilfe sparen. Der Ständerat korrigierte auf die -151 Millionen bei der DEZA und verhinderte eine totale Blamage der Schweiz und kalte Stuben in der Ukraine.

Überhaupt spielten Fakten in der Debatte keine Rolle. Etwa die wissenschaftlich eindeutige Wirk-samkeit der Entwicklungszusammenarbeit oder die Tatsache, dass es keinen Bereich in der Bun-desverwaltung gibt, wo mehr evaluiert wird und mehr Transparenz herrscht, man also deshalb sehr genau weiss, «was mit dem ganzen Geld im Ausland geschieht». Auch mit frei erfundenen Zahlen über die internationale Zusammenarbeit (IZA) wurde jongliert, es durften dann schon einmal zwei Drittel zu viel sein. Ebenso faktenfrei ist die oft gehörte Aussage, die Armee sei «in den letzten Jahren» zu Gunsten der IZA ausgehungert worden. Dabei war das Wachstum seit 2015 bei der IZA immer geringer (durchschnittlich 1,7%) als das Wachstum des Bundeshaushalts (2,6%), während das Wachstum der Armeeausgaben schon bisher deutlich darüber lag (3,9%). Hunger sieht anders aus und findet anderswo statt.

Es half nicht, dass gleichzeitig mit dem Zahlungsrahmen 2025-2028 auch das (verbindliche) IZA-Budget für 2025 verhandelt wurde. Fürs kommende Jahr wird nun die internationale Zusammenarbeit um 110 Millionen Franken gekürzt. Damit zeigt sich anschaulich, dass Zahlungsrahmen eben nur der Rahmen sind, im dem sich Parlamentarierinnen und Parlamentarier im besseren Licht darstellen können (bzw. im weniger schlechten Licht). Im Budget wurde nämlich auch bei der multilateralen IZA und der Entwicklungszusammenarbeit des SECO gekürzt, die im Zahlungsrahmen verschont worden waren. Und bei der DEZA steht weniger Geld zur Verfügung, als der Zahlungsrahmen erwarten liesse.

Die 30 Millionen Franken, die bei der multilateralen Hilfe fehlen, entsprechen etwa dem gesamten bisherigen Engagement der Schweiz im Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria. Das Geld, das bei der bilateralen Zusammenarbeit fehlt, wird ganz konkret bedeuten, dass weniger Schüler:innen in Flüchtlingslagern unterrichtet werden können, Bauernfamilien eine sichere Wasserversorgung im Kampf gegen die Klimakrise fehlt, Jugendlichen ein Ausbildungsplatz und mehr Kinder hungrig zu Bett gehen. Weihnachten sieht anders aus.

Für weitere Informationen:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter, Alliance Sud, Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

 

 

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Budget 2025: Hunger Games im Bundeshaus

04.12.2024, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Der Nationalrat hat heute beschlossen, im Budget 2025 insgesamt 250 Millionen Franken auf Kosten der Ärmsten zu sparen. Dieser gravierende Entscheid wird Millionen von Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Er darf sich morgen im Rahmen der Strategie der internationalen Zusammenarbeit nicht wiederholen.

Budget 2025: Hunger Games im Bundeshaus

Der Spardiskurs überschattet alles: Der Nationalrat beschliesst Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit mit schweren Folgen für die Menschen in den ärmsten Ländern.
© KEYSTONE / Alessandro della Valle

Am Donnerstag wird im Nationalrat die IZA-Strategie 2025-2028 behandelt. Die Finanzkommission beantragt ihrem Rat Kürzungen im Umfang von insgesamt einer Milliarde Franken. Dies obwohl durch die Ukraine-Finanzierung bereits 1.5 Milliarden Franken für den Globalen Süden fehlen.

Eine Kürzung der Verpflichtungskredite im Umfang von 1 Milliarde Franken hätte zusammen mit der bereits beschlossenen Umschichtung für die Ukraine beispielsweise zur Folge1, dass

… über 60’000 Menschen keine Berufsausbildung erhalten und damit die Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben verlieren.

… über 19’000 KMU kein Startkapital erhalten und die lokale Wirtschaft geschwächt wird.

Für die menschliche Entwicklung heisst es, dass

… über 120'000 Kinder in Notsituationen keine Grundbildung mehr erhalten.

… über 670'000 Personen weniger Zugang zu erschwinglichem und sauberem Trinkwasser erhalten.

… fast 160'000 Geburten nicht mehr von qualifiziertem Gesundheitspersonal durchgeführt werden können. Eine Zunahme der Kinder- und Müttersterblichkeit ist die Folge.

… über 910'000 weniger Menschen sich an die Folgen des Klimawandels anpassen können, was zu mehr Armut, Hunger und Migration führt.

Für Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, übertritt der Nationalrat mit dieser Budgetentscheidung eine rote Linie: «Nur wenn in der Wintersession bei den Verpflichtungskrediten der IZA-Strategie 2025 – 2028 und beim Budget 2025 den Anträgen des Bundesrates Folge geleistet wird, erhalten die Menschen in den ärmsten Ländern eine Zukunftsperspektive und Leben von Kindern, Müttern und Kranken können gerettet werden.»

 

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

 

 

1 Diese Berechnungen beruhen auf der Tabelle über die Ergebnisse 2020-2022, die dank der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit erzielt wurden, siehe IZA-Strategie 2025 – 2028, S. 12.

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Budget 2025: Finanzpolitik auf Kosten der Ärmsten

13.11.2024, Entwicklungsfinanzierung

Die Finanzkommission des Nationalrats will beim Budget 2025 insgesamt 250 Millionen Franken bei der internationalen Zusammenarbeit sparen. Dies hätte – zusammen mit der bereits geplanten Umverteilung von Mitteln an die Ukraine – zur Folge, dass ein Viertel der Mittel von bestehenden Programmen und Projekten abgezogen würde.

Budget 2025: Finanzpolitik auf Kosten der Ärmsten

Sarah Wyss, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Finanzkommission des Nationalrats, informiert gemeinsam mit dem Vizepräsidenten der Kommission, SVP-Nationalrat Jacquet Nicolet, die Medien über die Kommissionsentscheide. © Keystone / Anthony Anex

Letzte Woche noch hatte sich die aussenpolitische Kommission des Nationalrats deutlich gegen Kürzungen bei den Verpflichtungskrediten der Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 ausgesprochen. Von dieser Linie ist die Finanzkommission nun wieder abgekommen; sie unterstützt beim Budget 2025 Kürzungen im Umfang von 250 Millionen Franken. Dies, obwohl die Verpflichtungskredite der IZA-Strategie 2025-2028 bereits die Ukraine-Finanzierung im Rahmen von 1.5 Milliarden Franken absorbieren müssen.

Für Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, setzt die Kommission mit ihrem Entscheid ein fatales Zeichen: «Jede zusätzliche Kürzung auf dem Buckel der Ärmsten stellt die bewährte internationale Zusammenarbeit der Schweiz in Frage.» So kommt auch die Expertenkommission Gaillard in ihrem Bericht zum Schluss, «dass die IZA bei der übrigen Entwicklungshilfe bereits deutliche Reduktionen umsetzen musste, um vom Bundesrat zusätzlich geplante Mittel für die Ukraine zu kompensieren».

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

 

AFGHAN FUND

«Die Wirtschaft muss stabilisiert werden»

01.10.2024, Entwicklungsfinanzierung

Während Milliarden afghanischer Währungsreserven in der Schweiz parkiert sind, leidet die Zivilbevölkerung in Afghanistan unter einer dramatischen wirtschaftlichen Lage. Der Co-Leiter des Afghan Fund, Shah Mehrabi, fordert nun gezielte Auszahlungen.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

«Die Wirtschaft muss stabilisiert werden»

Die Menge an Afghani-Banknoten im Land schwankt stark. Banknotenhändler sind in Kabul allgegenwärtig.
© Keystone/EPA/Samiullah Popal

Drei Jahre nach der Machtübernahme durch die Taliban steht Afghanistan am Rand des Abgrunds. Die Rechte der Kinder und Frauen werden mit Füssen getreten: Sie sind im öffentlichen Raum praktisch unsichtbar geworden – Sporteinrichtungen, Hammams, Schönheitssalons und Parks sind für sie tabu. Ihre Schulbildung endet mit der Primarschule und am Arbeitsplatz herrscht rigorose Geschlechtertrennung. Medien und Opposition sind Opfer von Repression. Die Hälfte der Bevölkerung ist mittlerweile von Armut betroffen und 90% können ihren Grundbedarf an Nahrungsmitteln nicht mehr decken.

«Die Wirtschaft befindet sich in einer äusserst prekären Lage, vor allem wegen der dem Bankensektor auferlegten Beschränkungen, der Unterbindung von Handel und Geschäftsverkehr, der Schwächung und Isolation öffentlicher Institutionen und des fast gänzlichen Ausbleibens ausländischer Investitionen und finanzieller Unterstützung der ausländischen Geber in Sektoren wie der Landwirtschaft und der verarbeitenden Industrie», warnten die Vereinten Nationen Anfang Jahr.

Derweil bleiben Milliarden von Dollar, die von Genf aus durch den Fund for the Afghan People (Afghan Fund) verwaltet werden, ungenutzt. Der Fonds wurde vor zwei Jahren zur Verwaltung von ausländischen Währungsreserven der Afghanischen Zentralbank (DAB) eingerichtet; diese waren bei der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 eingefroren worden. Zu jenem Zeitpunkt hielt die Federal Reserve Bank in New York 7 Mrd. USD dieser Währungsreserven. Weitere 2,1 Mrd. USD befinden sich in Europa und anderen Ländern. Um zu verhindern, dass das in den USA deponierte Geld von den Opfern des 11. Septembers eingefordert wird, schlug Präsident Biden vor, die Hälfte davon im Ausland zu parkieren. So flossen 3,5 Milliarden USD auf ein Konto der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit Sitz in Basel, und in Genf wurde eine Stiftung zur Verwaltung des Geldes eingerichtet: der Afghan Fund (siehe global #89). Dessen Zweck ist es, die Gelder zu verwalten und einen Teil davon unter Einhaltung strikter Auflagen an die DAB zurückzugeben. Ende Juni 2024 beliefen sich die Vermögenswerte einschliesslich Zinsen auf 3,84 Mrd. USD.

Schädliche Deflation

Doch heute, zwei Jahre später, ist immer noch kein einziger Cent zurückbezahlt. Weshalb? «Zunächst einmal liegt ein mangelndes Verständnis der Regeln vor: Dieses Geld ist nicht für humanitäre Zwecke bestimmt, sondern zur Stabilisierung des Finanzsystems», antwortet uns Shah Mehrabi, einer der beiden afghanischen Co-Leiter des Fonds, per Telefon aus den USA. Der Professor am Montgomery College in Maryland weist zunächst auf makroökonomische Aspekte hin: Währungsreserven sind Vermögenswerte, die von den Zentralbanken in ausländischer Währung gehalten werden, um die Zahlungsfähigkeit eines Landes zu sichern und die Geldpolitik zu beeinflussen. Ziel ist es, die Zentralbanken vor einer schnellen Abwertung der Landeswährung zu schützen. Diese Reserven spielen eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der Wechselkurse, der Stärkung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger, der Bereitstellung von Liquidität für das Bankensystem und der Deckung von Importkosten.

«Nun hat die DAB gemeldet, dass die Geldmenge, d. h. die im Umlauf befindlichen Zahlungsmittel, gesunken ist», fügt er hinzu. «Woran liegt das? Einer der Faktoren ist das Einfrieren der Reserven. Wenn weniger Geld im Umlauf ist, können die Menschen weniger kaufen, die wirtschaftliche Aktivität sinkt und das wiederum wirkt sich auf die Preise und Wechselkurse aus. Genau dies ist in Afghanistan zu beobachten: Unternehmen kommen nicht an Geld, um zu investieren, was zu einer geringeren Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen führt. Also senken sie die Preise immer weiter, um die Menschen zum Kauf anzuregen. Die Folge ist eine Deflation, die für die Wirtschaft genauso schädlich ist wie die Inflation.»

Solide Struktur aufgebaut

«Wir haben viel erreicht», fährt er fort. Doch was genau? In Bezug auf die Governance des Fonds bestätigt er, dass eine solide Struktur geschaffen wurde: Es wurden Statuten verabschiedet und ein Stiftungsrat ernannt, der transparent über die Verwaltung der Vermögenswerte berichten soll. Das Gremium besteht aus ihm selbst, Anwar-ul-Haq Ahady, dem ehemaligen DAB-Direktor und früheren Finanzminister Afghanistans, Jay Shambaugh, einem Vertreter des US-Finanzministeriums, und Botschafterin Alexandra Baumann, Leiterin der Abteilung Wohlstand und Nachhaltigkeit des EDA. Die Entscheidungen werden einstimmig getroffen, was bedeutet, dass de facto jedes Mitglied ein Vetorecht hat.

Die Mitglieder des Stiftungsrats entwickelten eine proaktive Anlagestrategie und beauftragten eine Beratungsfirma mit der Ausarbeitung von Compliance- und Audit-Massnahmen. Dadurch sollen Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung verhindert werden. Der Posten eines geschäftsführenden Sekretärs wurde geschaffen, eine Kommunikationsstrategie entwickelt und ein internationaler Beirat gegründet.

«Gezielte Auszahlungen möglich»

«Die Massnahmen, die wir ergriffen haben, waren Teil der Anforderungen, die vor jeglicher Auszahlung erfüllt werden müssen», fährt Shah Mehrabi fort. «Meiner Meinung nach sind die Bedingungen für gezielte Auszahlungen zur Stabilisierung des Wechselkurses, zum Drucken von Banknoten und zur Bezahlung von Importen nun gegeben. Allerdings in kleinen Teilbeträgen, denn zu viel Geld einzuschiessen, würde Inflation erzeugen.»

Er fügt hinzu, dass der Afghani trotz erheblicher Herausforderungen stabil geblieben sei, insbesondere gegenüber dem US-Dollar, dank der soliden Geldpolitik der DAB. Dazu gehören Devisenversteigerungen, strengere Kontrollen des Schmuggels, ein Anstieg der Exporte, humanitäre Hilfe und Rücküberweisungen. «Diese Stabilität hat jedoch auch zu einer Deflation geführt, die auf den weltweiten Preiszerfall und die Aufwertung des Afghani zurückzuführen ist. Derzeit liegt die Deflationsrate bei -9,2% und ist damit etwas niedriger als vorher (-9,7%). Um die Deflation weiter zu verringern, muss die Zentralbank möglicherweise die Dollar-Auktionen reduzieren und den Umlauf afghanischer Banknoten erhöhen», so seine Schlussfolgerung.

Taliban von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt

Die politische Lage ist jedoch sehr komplex. Das derzeitige Regime wird von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit wird zwar im Herbst ein humanitäres Büro in Kabul eröffnen (siehe Box), die Kontakte zu Vertretern der Taliban bleiben allerdings rein technischer Natur.

Die rechtlichen und diplomatischen Mittel sind begrenzt, was die Handlungsfähigkeit des Fonds erschwert. Allerdings sind gegen die DAB keine internationalen Sanktionen verhängt. Was die Taliban betrifft, so anerkennen sie den Afghan Fund nicht. Sie wollen ihr Geld zurück. Immerhin, so der Wirtschaftswissenschaftler, würde mit einem Teil der von den USA eingefrorenen Vermögenswerte etwas gemacht – ganz im Gegensatz zu den von der EU eingefrorenen 2,1 Mrd. USD.

«Wir können das afghanische Volk nicht leiden lassen. Es ist im Interesse aller, diese Auszahlungen nun aktiv vorzunehmen. Humanitäre Hilfe allein löst das Problem nicht. Wichtig ist eine langfristige Entwicklung. Es muss gehandelt werden», schliesst Merhabi, dessen Mandat für den Afghan Fund wie auch jenes der anderen Stiftungsratsmitglieder im September für weitere zwei Jahre verlängert wurde.

 

 

DEZA kehrt zurück nach Kabul

Wie die meisten Länder beabsichtigt auch die Schweiz derzeit keinen Neustart der langfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan. Zumindest aber kehrt sie ins Land zurück. «Die DEZA [Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit] wird im Herbst 2024 ein humanitäres Büro in Kabul eröffnen», bestätigt uns Alain Clivaz, ihr Sprecher. «Sie wird ihre Räumlichkeiten im ehemaligen Kooperationsbüro beziehen, das 2021 geschlossen wurde. Das humanitäre Büro wird aus vier Mitgliedern des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) vor Ort bestehen. Das DEZA-Team ist für die Umsetzung, Begleitung und Überwachung der von der DEZA finanzierten Projekte verantwortlich.»

Der EDA-Sprecher weist darauf hin, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor komplex ist und erhebliche Risiken für sämtliche Aktivitäten im Land birgt. Er versichert aber, dass die DEZA die Entwicklung der Lage genau verfolgt und über ein breit abgestütztes Sicherheitsdispositiv für ihr Personal verfügt, das diese Rückkehr nach Kabul ermöglicht.

«Das DEZA-Büro stellt auf technischer Ebene Kontakte zu Vertretern der Taliban her, wenn diese für die Umsetzung der Projekte notwendig sind», schliesst er.

Für Alliance Sud ist die Präsenz vor Ort wichtig, doch kann humanitäre Hilfe allein eine funktionierende Wirtschaft nicht ersetzen. Die Schweiz muss dafür sorgen, dass die vom Afghan Fund verwalteten Gelder mit aller gebotenen Vorsicht an die DAB zurückbezahlt werden. Dies, damit die afghanische Bevölkerung nicht mehrfach abgestraft wird: einerseits durch ein repressives Regime und Sanktionen und andererseits durch die Ächtung der internationalen Gemeinschaft.

 

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Medienmitteilung

IZA-Strategie: Finanzpolitik auf Kosten der Ärmsten

11.10.2024, Entwicklungsfinanzierung

Die Finanzkommission des Nationalrats will das Budget für die internationale Zusammenarbeit (IZA) 2025-2028 um 1 Milliarde Franken kürzen. Dies hätte – zusammen mit der bereits geplanten Umverteilung von Mitteln an die Ukraine – zur Folge, dass ein Viertel der jährlichen Mittel von bestehenden Programmen und Projekten abgezogen würde. Die Umsetzung der Strategie würde damit verhindert, bevor sie startet.

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

+41 31 390 93 32 laura.ebneter@alliancesud.ch
IZA-Strategie: Finanzpolitik auf Kosten der Ärmsten

© Parlamentsdienste 3003 Bern

Im September noch hatte sich der Ständerat im Rahmen der Debatten zur IZA-Strategie 2025-2028 sehr deutlich gegen Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit ausgesprochen. Von dieser Linie sind die bürgerlichen Parteien nun abgekommen; sie unterstützten in der Finanzkommission des Nationalrats den Antrag um jährliche Kürzungen im Umfang von 250 Millionen Franken. Dies, obwohl die Verpflichtungskredite der IZA-Strategie 2025-2028 bereits die Ukraine-Finanzierung im Rahmen von 1.5 Milliarden Franken absorbieren müssen. Für Alliance Sud, das Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, setzt die Kommission mit ihrem Entscheid ein fatales Zeichen auf dem Buckel der Ärmsten. So kommt auch die Expertenkommission Gaillard in ihrem Bericht zum Schluss, «dass die IZA bei der übrigen Entwicklungshilfe bereits deutliche Reduktionen umsetzen musste, um vom Bundesrat zusätzlich geplante Mittel für die Ukraine zu kompensieren».

Das Parlament muss sich in den nächsten Wochen mit einer zentralen Frage auseinandersetzen: Welche Rolle will die Schweiz in der Welt einnehmen? Internationales Ansehen, Gewicht in multilateralen Gremien und eine Sonderrolle in der Diplomatie kosten etwas. Dieses Engagement lohnt sich aber langfristig für die Schweiz.

Für weitere Informationen:

Laura Ebneter, Expertin für internationale Zusammenarbeit
Tel. 031 390 93 32, laura.ebneter@alliancesud.ch

 

Kommentar

IZA im Parlament: Wechselbad im Whirlpool

23.09.2024, Entwicklungsfinanzierung

Seit der Sommersession sind die Parlamentsdebatten um die Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA) und die Armeebotschaft eng verknüpft und sorgen für einen wirren Zahlensalat. Was ist genau passiert?  – Ein Beitrag von Andreas Missbach

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

IZA im Parlament: Wechselbad im Whirlpool

Abbildung der Sitzungordnung im Nationalrat. Herbstession 2024. © Keystone / Peter Schneider

Normalerweise handelt es sich um ein Routinegeschäft, jetzt hingegen herrscht Schwindelgefahr. Der Reihe nach: Alle vier Jahre entscheidet das Parlament über die Strategie der internationalen Zusammenarbeit, die der Bundesrat vorschlägt. Bei der IZA-Strategie 2025 – 2028 ist alles anders. Schuld daran ist, dass gleichzeitig auch die Armeebotschaft 2024 verhandelt wird. Und was nach zwei ganz unterschiedlichen Geschäften aussehen könnte, wurde in der Sommersession vom Ständerat verknüpft. Er nahm einen Einzelantrag an, der das Armeebudget um 4 Milliarden Franken erhöhen will. Für die Finanzierung will sich der Ständerat beim Budget der internationalen Zusammenarbeit bedienen und dort 2 Milliarden abzuzweigen.

Damit sind nun die beiden Geschäfte IZA und Armee aufs engste verhängt. Das bedeutet, dass 2 Räte, 2 Sub-Kommissionen und 6 Kommissionen sich simultan damit beschäftigen. Und als Kirsche auf dem Chaos-Kuchen kommen noch die Verhandlungen über das Budget 2025 obendrauf, wo ebenfalls über die Armee und die internationale Zusammenarbeit gefeilscht wird. Entsprechend sind natürlich auch die Argumente fröhlich verquirlt. So wird etwa behauptet, dass die Armee auf Kosten der Entwicklungszusammenarbeit ausgeblutet worden sei. Faktencheck: Von 2015 – 2023 wuchsen die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit mit 1,7% deutlich geringer als die ordentlichen Bundesausgaben (2,6%), die Ausgaben für die Armee hingegen mit 3,9% deutlich stärker.

Zwischenstand gegen Ende der Herbstsession

Am 11. September korrigierte der Ständerat bei der Behandlung der IZA-Strategie 2025 – 2028 den Entscheid, den er in der Sommersommersession bei der Diskussion der Armeebotschaft gefällt hatte. Ein Antrag, der die 2 Milliarden Kürzung wieder ins Spiel gebracht hätte, wurde sehr deutlich mit 31 zu 13 Stimmen abgelehnt. Dem Antragssteller aus der FDP fehlte sogar die geschlossene Unterstützung aus seinen eigenen Reihen. Ebenso abgelehnt wurde mit 28 Ja-Stimmen eine Kürzung um 800 Millionen Franken. In der Debatte wurde der frühere Entscheid als «Hüftschuss» bezeichnet. Das Aufatmen von der Monbijoustrasse, wo sich das Büro von Alliance Sud befindet, in Richtung Bundeshaus war deutlich zu vernehmen.

Die Erleichterung hielt nicht lange an, am 19. September entschied der Nationalrat in die Gegenrichtung. Er möchte die zusätzlichen 4 Milliarden für die Armee, die in beiden Räten eine Mehrheit fanden, mit «Kompensationsmassnahmen» –sprich Kürzungen – in vier Bereichen umsetzen, darunter auch bei der internationalen Zusammenarbeit. Ohne allerdings ein Preisschild daran zu hängen und zu sagen, wie viel jede Massnahme bringen soll. Nur zwei Tage später setzte der Bundesrat noch eins drauf. Er möchte in Widerspruch zu seiner eigenen IZA-Strategie im Rahmen des «Entlastungspakets für den Bundeshaushalt» 2027 und 2028 insgesamt 274 Millionen Franken bei der IZA abzwacken. Damit wird Sachpolitik ganz der Finanzpolitik unterstellt.

Ausblick auf den grossen Bazar

Wie geht es weiter: Zwischen den Sessionen werden sich verschiedene Kommissionen über die verhängten Geschäfte beugen. Dass der Vorschlag mit den vier Kürzungsmassnahmen zur Armeefinanzierung des Nationalrates bis zum Schluss überlebt, ist wenig wahrscheinlich und es dürften neue Vorschläge kommen, wo die Millionen und Milliarden zu finden sind. In der Wintersession kommt es dann bei der Armeebotschaft 2024 zur Differenzbereinigung zwischen National- und Ständerat. Die IZA-Strategie 2025 –2028 kommt zum ersten Mal in den Nationalrat und dann gibt es höchstwahrscheinlich auch gleich in derselben Session eine Differenzbereinigung, die natürlich mit der anderen kommuniziert: Der grosse Bazar. Ach ja, die Budget-Kirsche kommt auch noch oben drauf.

Medienmitteilung

Armeebotschaft: Frontalangriff auf ganzheitliche Sicherheitspolitik

19.09.2024, Entwicklungsfinanzierung

Der Nationalrat hat heute entschieden, dass er die Erhöhung des Armeebudgets im Umfang von vier Milliarden Franken zu Teilen aus dem Budget für die internationale Zusammenarbeit (IZA) finanzieren will. Das ist ein Frontalangriff auf eine ganzheitliche Sicherheitspolitik.

Armeebotschaft: Frontalangriff auf ganzheitliche Sicherheitspolitik

Vormarsch ohne Weitsicht: Eine Mehrheit des Nationalrats offenbarte heute einen verengten, rein militärischen Blick auf gegenwärtige Krisen und gefährdet damit tragende humanitäre Werte. © Keystone / Anthony Anex

Letzte Woche noch hatte sich der Ständerat im Rahmen der Debatten zur IZA-Strategie 2025-2028 mit 31 zu 13 Stimmen sehr deutlich gegen die Finanzierung der Armee auf Kosten der IZA ausgesprochen. Der Nationalrat hat heute in die Gegenrichtung entschieden und möchte mit einem Kompensationsansatz zur Finanzierung der zusätzlichen Mittel für die Armee auch bei der internationalen Zusammenarbeit Gelder abzweigen.

Damit verkennt der Nationalrat, dass die internationale Zusammenarbeit integraler Bestandteil einer ganzheitlichen Sicherheitspolitik ist. «Die Finanzierung der Armee auf Kosten der internationalen Zusammenarbeit unterminiert die humanitäre Tradition der Schweiz. Es ist auch sicherheitspolitisch kurzsichtig, die Feuerwehr auf Kosten von Brandschutzmassnahmen zu stärken», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.

Im aktuellen Sicherheitspolitischen Bericht steht klipp und klar: «Die Schweiz (…) trägt zur Stärkung internationaler Sicherheit und Stabilität bei, indem sie gute Dienste anbietet, Beiträge zur Friedensförderung leistet, sich für Völkerrecht, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzt, die Ursachen von Instabilität und Konflikten mit der Entwicklungszusammenarbeit bekämpft und mit humanitärer Hilfe zur Linderung der Not der Zivilbevölkerung beiträgt.»

Hinzu kommt, dass die Verpflichtungskredite der IZA-Strategie 2025-2028 bereits die Ukraine-Finanzierung im Rahmen von 1.5 Milliarden Franken absorbieren mussten. So kommt auch die Expertenkommission Gaillard in ihrem Bericht zum Schluss, «dass die IZA bei der übrigen Entwicklungshilfe bereits deutliche Reduktionen umsetzen musste, um vom Bundesrat zusätzlich geplante Mittel für die Ukraine zu kompensieren». Jede zusätzliche Kürzung auf dem Buckel der Ärmsten stellt die bewährte internationale Zusammenarbeit der Schweiz in Frage.


Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch