Nachhaltige Finanzen

Für Finanzflüsse ohne Umweltzerstörung im Ausland

20.03.2025, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern

Der Schweizer Finanzplatz hat gezeigt, dass er nicht freiwillig aus dem Geschäft mit der Umweltzerstörung im Ausland aussteigt. Die Finanzplatz-Initiative will in der Verfassung festschreiben, dass neue Investitionen in Kohle, Öl und Gas durch Schweizer Finanzmarktakteure künftig untersagt sind.

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Für Finanzflüsse ohne Umweltzerstörung im Ausland

Der Regenwald in Pará, Brasilien, ist klimatisch bedeutend und indigenes Land. Rodungen, Minen und Infrastrukturprojekte dezimieren ihn – meist mitschuldig: Schweizer Finanzakteure.
© Lalo de Almeida / Panos Pictures

Wer Regenwald abholzt, trägt zur Umweltzerstörung und Klimaerwärmung bei. Das ist hinlänglich bekannt. Mit illegaler Brandrodung werden zudem oft Landrechte von indigenen Gemeinschaften beschnitten und deren Menschenrechte verletzt. Das weiss auch die Schweizer Grossbank UBS. Dennoch investiert sie in brasilianische Agrarkonzerne, die in illegale Rodungen im Amazonas verwickelt sind, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) vor einiger Zeit enthüllte.

Schweizer Banken und Versicherungen finanzieren beziehungsweise versichern jedes Jahr Geschäfte in Milliardenhöhe, welche die Umwelt zerstören und das Klima erhitzen. Der Schweizer Finanzplatz ist gemäss einer Studie von McKinsey für bis zu 18-mal mehr CO2-Emissionen verantwortlich als in der Schweiz CO2 ausgestossen wird. Schon vor 10 Jahren hat die Staatengemeinschaft die zentrale Rolle des Finanzsystems bei der Bekämpfung der Klimakrise in Artikel 2.1c des Pariser Klimaabkommens festgehalten. Darin wurde als Ziel formuliert, die weltweiten Finanzflüsse «mit einem Weg zu niedrigen Treibhausgasemissionen und einer klimaresistenten Entwicklung in Einklang» zu bringen. Die Schweiz hat das Abkommen ratifiziert und ist völkerrechtlich daran gebunden, zum Ziel beizutragen. Das Klimaschutzgesetz, das von der Schweizer Stimmbevölkerung mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, verpflichtet den Bund zudem, für die klimaverträgliche Ausrichtung der Finanzflüsse zu sorgen. Doch bei der Umsetzung hapert es.

«Freiwillig» setzt einen Willen voraus

Der Bundesrat setzt für die Umsetzung auf freiwillige Massnahmen und Selbstregulierung der Finanzbranche, mehr staatliche Regulierung lehnt er ab. Er befürwortete aber eine Motion von Nationalrat Gerhard Andrey (Grüne), die für den Fall, dass die bisherigen Massnahmen bis 2028 nicht greifen, verbindlichere Massnahmen vorsah. Doch das Parlament lehnte die Motion im Frühling 2024 ab und sah keinen weiteren Handlungsbedarf.

 

Die Banken wollen weiterhin Umweltzerstörung finanzieren, wenn das ihren Gewinn steigert.

 

Spätestens im Januar 2025 wurde offensichtlich, warum die freiwilligen Massnahmen und Versprechen der Finanzbranche nicht viel wert sind. Die sechs grössten amerikanischen Banken und der weltgrösste Vermögensverwalter Blackrock kündigten ihre Klimaversprechen, die sie nur vier Jahre zuvor gegeben hatten. In einem Beitrag des Westschweizer Fernsehens RTS stellte Florian Egli, Professor an der Technischen Universität München, fest: «Wir sehen aktuell, dass freiwillige Versprechen dieser Banken nicht genügen. Sie haben ihre Versprechen wieder zurückgezogen.» Auch die UBS prüft den Ausstieg aus der «Net Zero Banking Alliance», in der sich seit 2021 zahlreiche Banken zu einem Netto-Null-Ziel für 2050 bekannt hatten. Die Banken wollen also weiterhin Umweltzerstörung finanzieren, wenn das ihren Gewinn steigert.

Es braucht die Finanzplatz-Initiative

Wer auf freiwillige Massnahmen setzt, setzt sich dem Willen der Finanzbranche aus, der sich offensichtlich nicht an der Klimawissenschaft, sondern am schnellen Geld und dem politischen Wind orientiert. Damit ist die Klimakrise nicht zu bekämpfen. Die Internationale Energieagentur hat in ihrer «Net Zero Roadmap» längst klar gemacht, dass es zur Einhaltung der Pariser Klimaziele keine neue Förderung fossiler Energieträger mehr verträgt.

Deshalb hat die Klima-Allianz Schweiz Ende 2024 zusammen mit dem WWF, Greenpeace und Politiker:innen aus allen Bundesparteien ausser der SVP die «Finanzplatz-Initiative» lanciert. Diese soll sicherstellen, dass niemand mehr von der Schweiz aus die Zerstörung der Umwelt und die Klimaerwärmung finanziert. Wenn Bundesrat und Parlament untätig bleiben, hat es die Stimmbevölkerung in der Hand, in der Verfassung festzuschreiben, dass die Schweizer Finanzbranche keine zusätzliche Förderung von Kohle, Öl oder Gas finanziert oder versichert. Damit würden für alle Akteur:innen dieselben Regeln gelten.

Alliance Sud unterstützt die Volksinitiative, damit die Schweiz endlich ihren grössten Hebel für den weltweiten Klimaschutz nutzt und das Pariser Abkommen vollständig umsetzt.

 

Eidgenössische Volksinitiative
«Für einen nachhaltigen und zukunftsgerichteten Finanzplatz Schweiz (Finanzplatz-Initiative)»

Das will die Initiative:

  • eine ökologisch nachhaltige Ausrichtung des Finanzplatzes, indem die Finanzmarktakteure ihre Geschäftstätigkeit im Ausland auf die internationalen Klima- und Umweltziele ausrichten. Zur Umsetzung sind verbindliche Transitionspläne der betroffenen Unternehmen angedacht.
  • ein Verbot, die Förderung neuer oder den Ausbau der Förderung bestehender fossiler Energievorkommen zu finanzieren oder zu versichern.

Darum unterstützt Alliance Sud die Initiative:

  • Weil die Schweiz mit der Selbstregulierung der Finanzbranche das Pariser Klimaabkommen nicht genügend umsetzt.
  • Der Finanzplatz hat die grösste Klimaverantwortung aller Akteur:innen unter Schweizer Einfluss. Damit hat die Schweiz ihren wichtigsten Hebel in der Hand, um ihren Beitrag zum weltweiten Klimaschutz zu leisten.

 

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Artikel, Global

Klimaschutzinitiativen der Banken: die grosse Ernüchterung

21.06.2024, Finanzen und Steuern

Um mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens übereinzustimmen, haben Banken freiwillige Klimaallianzen ins Leben gerufen und preisen deren Vorzüge an. Eine aktuelle Studie der Europäischen Zentralbank attestiert ihnen aber Wirkungslosigkeit.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Klimaschutzinitiativen der Banken: die grosse Ernüchterung

Unmengen an Kohle treiben in Ostkalimantan, Indonesien, riesige Aluminiumwerke an. Schweizer Banken sind an diesen vermeintlich «grünen» Anlagen beteiligt. © Dita Alangkara / Keystone / AP Photo

Die US-Finanzministerin Janet L. Yellen erklärte im November 2021 auf der COP26 in Glasgow, dass «der Privatsektor bereit ist, die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen, damit wir die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern können». Angesichts des Drucks, den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu vollziehen oder, anders ausgedrückt, sich «an den Klimazielen des Pariser Abkommens auszurichten», haben sich Finanzakteure auf der ganzen Welt einer Reihe freiwilliger Klimaschutzinitiativen angeschlossen, darunter der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) unter der Federführung von Mark Carney, dem ehemaligen Gouverneur der Bank of England, und dem milliardenschweren Financier Mike Bloomberg.

Bei der Gründung der GFANZ auf der COP26 hatten sich 100 Banken, Versicherer und Vermögensverwalter dazu verpflichtet, 130 Billionen USD Kapital zur Senkung der CO2-Emissionen und zur Finanzierung der Energiewende bereitzustellen. Sie haben sich ebenfalls verpflichtet, bis 2050 das «Netto-Null-Ziel» zu erreichen, d. h. sie sollen in ihrer gesamten Geschäftstätigkeit nicht mehr CO2-Emissionen verursachen, als sie mit technischen Massnahmen der Atmosphäre wieder entziehen. Damit die Klimaneutralität weltweit bis 2050 realisiert wird, müssten laut der Internationalen Energieagentur (IEA) allein in den Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich 2’000-2'800 Milliarden USD in saubere Energien investiert werden. Die Ankündigungen des Finanzsektors in Glasgow weckten bei einigen Akteuren grosse Erwartungen – bei anderen stiessen sie auf Skepsis.

In einer aktuellen Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) haben Forschende nun untersucht, wie sich die freiwilligen Klimaschutzverpflichtungen der Banken – vor allem der Net Zero Banking Alliance, eine der acht zur GFANZ gehörenden Brancheninitiativen – auf ihr Kreditvergabeverhalten und die kreditnehmenden Unternehmen auswirken. Die Ergebnisse sind für die betroffenen Finanzakteure beschämend.

Profil der Unterzeichnerbanken

Unter den NZBA-Unterzeichnerbanken (im Folgenden NZBA-Banken) sind auch Megabanken, die hauptsächlich «braune» Sektoren finanzieren, wobei der Grossteil ihrer Kredite auf den Bergbausektor (Kohle, Öl, Gas) und ein geringerer Anteil auf die gemäss EU-Taxonomie «grün» genannten Sektoren entfällt. Die NZBA-Banken haben sich Ziele gesetzt, die vorrangig die Bereiche Stromerzeugung, Öl und Gas sowie Verkehr betreffen.1 Die Studie der EZB kommt nun zum Schluss, dass die Banken freiwillige Klimaschutzverpflichtungen eingehen, um ihr ESG-Rating (Environmental, Social, Governance) zu verbessern und daraus Reputations- und finanzielle Vorteile zu ziehen, insbesondere bei institutionellen Anlegern.

Wie wirkt sich all das auf Desinvestitionen aus?

Die Sektorziele stellen eine freiwillige Verpflichtung der Banken dar, die finanzierten Emissionen bis 2030 respektive 2050 im Vergleich zu einem vorab festgelegten Referenzwert zu reduzieren. Wenn sich die Banken dafür entscheiden, ihre Ziele durch Desinvestitionen zu erreichen, muss sich dies in einer Verringerung der Finanzierung der Zielsektoren niederschlagen.

Die Studie hat ergeben, dass die NZBA-Banken ihre Kreditvergabe an Schwerpunktsektoren um etwa 20 % reduziert haben, was auf den ersten Blick die Hypothese zu bestätigen scheint, dass sich die Banken aus den «braunen» Sektoren zurückziehen. Dem ist jedoch nicht so. In einem Vergleich zur nicht unterzeichnenden Konkurrenz wurden keine Hinweise dafür gefunden, dass die NZBA-Banken in prioritären Sektoren oder sonstigen kohlenstoffintensiven Unternehmen (z. B. Bergbauunternehmen oder Unternehmen, die nach der EU-Taxonomie nicht als «grün» gelten) stärker desinvestiert hätten. Auch erhöhten die NZBA-Banken ihre Kreditvergabe an «grüne» Unternehmen nicht, nachdem sie der Allianz beigetreten waren. Das lässt gemäss der Studie den Schluss zu, dass fraglich ist, ob NZBA-Banken sich aktiv aus «braunen» Sektoren zurückziehen, um in «grüne» Sektoren zu investieren.

Kein Malus für Umweltsünder...

Weiter zeigt die Studie auf, dass die Klimaschutzverpflichtungen der Banken kaum zu Zinserhöhungen für die Finanzierung von «braunen» Unternehmen geführt haben. In prioritären Sektoren betrug der Anstieg lediglich 0,25% und im Bergbausektor 0,55%. Ausserdem wenden die NZBA-Banken keine niedrigeren Zinssätze für «grüne» Unternehmen an. Mit anderen Worten: Die Banken bestrafen weder die schlechten Schüler mit einem Malus, noch belohnen sie die guten mit einem Bonus!

...und keine Hebelwirkung auf die Unternehmen

Die Studie der EZB belegt ausserdem, dass die NZBA keine Hebelwirkung auf Unternehmen hat. Denn anstatt zu desinvestieren, könnten die «klimafreundlichen» Banken eine sogenannte Engagement-Strategie verfolgen, indem sie von Unternehmen, denen sie Kredite gewähren, verlangen, eigene Klimaziele festzulegen. Denn wenn sich ein Unternehmen dazu verpflichtet, seine Kohlenstoffdioxidemissionen zu reduzieren, besteht der erste Schritt darin, sich ein eigenes Dekarbonisierungsziel zu setzen, das besagt, um wie viel das Unternehmen seine Emissionen reduzieren will und bis wann es diese Reduktion erreichen will. Anders ausgedrückt muss ein Transitionsplan festgelegt werden.

Nun ist die Zahl der Unternehmen, die sich solche Ziele gesetzt haben, seit 2018 zwar gestiegen, aber die Unternehmen, die bei NZBA-Banken Kredite aufnehmen, setzen sich nicht eher Klimaziele als andere. Das heisst, die NZBA-Banken haben durch ihr Engagement keinen spezifischen klimapolitischen Hebel auf die Unternehmen.

Freiwillige Initiativen wirkungslos

Seit der Unterzeichnung des Pariser Abkommens haben die Finanzinstitute mit grossem Kommunikationsaufwand ihre Absicht bekundet, Klimaschutzaspekte in ihre Kredit- und Investitionsentscheidungen einzubeziehen. Nun decken die Ergebnisse der EZB-Studie – der ersten ihrer Art – schonungslos auf, wie wirkungslos die Net Zero Banking Initiative ist. Auch wenn die NZBA-Banken, gemessen am Volumen, ihre Kreditvergabe an emissionsintensive Sektoren reduziert haben, sind die «Desinvestitionen» nicht höher als bei den nicht unterzeichnenden Banken. Darüber hinaus spricht die Studie in Bezug auf die durch Engagement-Strategien erzielten Ergebnisse eine klare Sprache: Unternehmenskunden der NZBA legen nicht ehrgeizigere Dekarbonisierungsziele fest als andere Akteure. Die EZB-Forschenden kommen zum Schluss, dass die Ergebnisse ihrer Studie die aktuelle Debatte über «Greenwashing» und die Frage, ob die Kreditrationierung durch die Banken der Weltwirtschaft dabei helfen kann, ihre Netto-Null-Emissionsziele zu erreichen, erheblich beeinflussen dürfte. Frustration und Zweifel sind also durchaus gerechtfertigt.

Von freiwillig zu verbindlich

Die Diskussion befindet sich an einem Wendepunkt. Das Jahr 2024 wird in der EU wegweisend dafür sein, wie die Transitionspläne der Finanzinstitute (und anderer Marktteilnehmenden) aussehen werden: Tatsächlich sind solche Transitionspläne das Herzstück einer neuen europäischen Regulierungsarchitektur, deren genaue Konturen noch geklärt bzw. harmonisiert werden müssen.2 Um maximale Wirkung zu erzielen, sollten sie nicht einem engen Ansatz des kurz- und mittelfristigen Klimarisikomanagements folgen, sondern die Banken dazu ermutigen, ihre Aktivitäten zugunsten des Übergangs neu auszurichten. Den Aufsichtsbehörden müssen Befugnisse zugestanden werden, und für den Fall der Nichteinhaltung sind Sanktionen vorzusehen.

In der Schweiz sind als erster Schritt grosse Unternehmen – auch die Banken – verpflichtet, ab 2025 «Berichte über Klimabelange» zu veröffentlichen, die Transitionspläne enthalten sollten, welche «mit den Klimazielen der Schweiz vergleichbar» sind. Leider sind die Vorgaben sehr unklar; sie lassen viel Interpretationsspielraum zu, insbesondere in Bezug auf die Transitionspläne. Die ersten Berichte müssen also genau unter die Lupe genommen werden, damit beurteilt werden kann, ob dieser neue Ansatz etwas taugt.

 

 

Die Net Zero Banking Alliance

Die bislang wichtigste freiwillige Klimainitiative der Banken ist die – von den Vereinten Nationen unterstützte – Net Zero Banking Alliance (NZBA), die 144 Mitglieder aus 44 Ländern umfasst und rund 40 % des gesamten verwalteten Vermögens repräsentiert. Mehrere Schweizer Banken sind mit von der Partie, darunter die UBS (Mitbegründerin), die Raiffeisenbank, aber auch die Kantonalbanken (Zürich, Bern und Basel). Mit ihrer Unterschrift verpflichten sich die Banken, ihre Kredit- und Anlageportfolios bis (spätestens) 2050 auf Netto-Null-Emissionen auszurichten, mit Zwischenzielen bis 2030 oder früher. Diese Ziele müssen sich auf die prioritären Sektoren beziehen, welche die Banken definiert haben, also jene Elemente ihrer Portfolios mit den intensivsten Treibhausgasemissionen (THG), auf die die Banken einen grossen Einfluss ausüben können. Darüber hinaus müssen die Banken einen Übergangsplan veröffentlichen, in dem sie darlegen, wie sie ihre sektorspezifischen Ziele erreichen wollen. Obwohl sich die Initiative noch in einem frühen Stadium befindet, macht die Kombination aus detaillierten Zielen, der Überwachung durch die UNO und der externen Validierung die NZBA zu einer strengen, wenn nicht sogar der strengsten Klimainitiative für Banken.

 

 

1 Drei Jahre nach ihrer Unterzeichnung müssen die Banken Ziele für die neun von der NZBA definierten Sektoren Landwirtschaft, Aluminium, Zement, Kohle, Immobilien, Stahl, Öl und Gas, Stromerzeugung und Transport festgelegt haben.

2 In erster Linie geht es darum, die Konsistenz der Ansätze zwischen der Kapitaladäquanzrichtlinie (RCD), der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) sowie der kürzlich verabschiedeten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) zu gewährleisten.

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Medienmitteilung

Nationalrat verweigert Umsetzung des Klimaschutzgesetzes für den Finanzplatz

14.03.2024, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern

Der Bundesrat empfahl heute dem Nationalrat eine Motion von Gerhard Andrey zur Annahme, welche die Klimaverträglichkeit der Schweizer Finanzflüsse stärken sollte. Doch der Nationalrat wollte nichts von der Motion wissen, obwohl diese gemäss Bundesrat der Umsetzung von Art. 9 des Klimaschutzgesetzes gedient und damit dem Volkswillen entsprochen hätte.

 

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

+41 31 390 93 42 delia.berner@alliancesud.ch
Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

+41 22 901 14 81 laurent.matile@alliancesud.ch
Nationalrat verweigert Umsetzung des Klimaschutzgesetzes für den Finanzplatz

Gerhard Andrey (links) im Nationalrat

© Parlamentsdienste, 3003 Bern

Mit 59,1% nahm im Juni 2023 die Stimmbevölkerung das Klimaschutzgesetz an. In Artikel 9 wurde ein Ziel zur klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzmittelflüsse festgelegt. Auch das Pariser Klimaabkommen verpflichtet die Schweiz dazu, dieses Ziel zu verfolgen. Mit dieser klaren rechtlichen Ausgangslage als Begründung hatte sich der Bundesrat dazu entschieden, die Motion von Nationalrat Gerhard Andrey anzunehmen.

Die Motion respektierte die bisherigen Bemühungen, mit freiwilligen Massnahmen der Branche die Finanzmittelflüsse auf den Pfad der Treibhausgasreduktion im Einklang mit dem Pariser Abkommen zu bringen, forderte jedoch subsidiär vom Bund, verbindlichere Massnamen einzuführen, wenn bis 2028 weniger als 80% der Finanzflüsse auf dem richtigen Pfad zur Treibhausgasreduktion wären. Der Bundesrat wies in seiner Antwort darauf hin, dass er bei der Umsetzung der Motion als subsidiäre Regelungen vor allem die Einführung von Best-Practices zu Transparenz und Kostenwahrheit vorsah – eine sehr wirtschaftsfreundliche Umsetzung mit einem grossen Handlungsspielraum für alle Beteiligten.

Absolut unverständliche Verweigerung

Die Ablehnung des Nationalrats ist umso unverständlicher: «Der Nationalrat missachtet den klaren Willen der Bevölkerung für klimaverträgliche Finanzflüsse, er ignoriert die rechtlichen Grundlagen und internationale Verpflichtungen und akzeptiert nicht einmal den moderaten Weg des Bundesrates», betont Laurent Matile, Experte für Unternehmen und Entwicklung bei Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. «Jede Verzögerung beim Klimaschutz bekommen die Menschen in den ärmsten Ländern am stärksten zu spüren.»

Die klimaverträgliche Ausrichtung der Schweizer Finanzflüsse ist der grösste Klimaschutz-Hebel, den die Schweiz hat und als Vertragspartei des Pariser Abkommens verpflichtet ist zu nutzen. Laut einer Studie von McKinsey sind die Emissionen im Zusammenhang mit dem Schweizer Finanzplatz 14 bis 16 Mal höher als die Schweizer Inlandemissionen.

Fehlender Wille auch beim CO2-Gesetz

Auch bei den Beratungen zum CO2-Gesetz, das morgen in die Schlussabstimmung gelangt, hat sich ein eklatant fehlender politischer Wille in beiden Parlamentskammern gezeigt, was ebenfalls die breite Zustimmung zum Klimaschutzgesetz ignoriert. Die Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen im Inland wurden nach einem schwachen Entwurf des Bundesrats in den Beratungen laufend weiter geschwächt. Als Folge wird die Schweiz immer mehr Auslandzertifikate einkaufen müssen, die kein gleichwertiger Ersatz für Reduktionen im Inland bedeuten.

Für weitere Informationen:
Laurent Matile, Experte für Unternehmen und Entwicklung, 022 901 14 81, laurent.matile@alliancesud.ch
Delia Berner, Klimaexpertin, 077 432 57 46, delia.berner@alliancesud.ch

 

Artikel

Nachhaltige Finanzen: eine Generationenaufgabe

06.12.2023, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern

2015 hat sich die Staatengemeinschaft verpflichtet, die Finanzflüsse mit den Klimazielen des Pariser Abkommens in Einklang zu bringen: Wie steht es mit der Umsetzung? Was macht die Schweiz? Eine Bestandesaufnahme.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Nachhaltige Finanzen: eine Generationenaufgabe

Das Engagement der Finanzbranche für den Klimaschutz ist sehr widersprüchlich.

© Adeel Halim / Land Rover Our Panet

Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 hat sich die Staatengemeinschaft nicht nur dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen massiv zu senken und die armen Länder bei ihren Anstrengungen zur Reduktion und Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels zu unterstützen, sondern auch dazu, die öffentlichen und privaten Finanzflüsse auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft und eine klimaresistente Entwicklung auszurichten. Darum geht es in Artikel 2.1.c des Pariser Abkommens. Im Fachjargon wird deshalb vom «Paris Alignment», der Ausrichtung auf Paris gesprochen.

Am 3. und 4. Oktober nahmen Regierungs-, Privatsektor- und NGO-Vertreter:innen in Genf anlässlich der dritten Ausgabe des Building Bridges Summit an einem zweitägigen Workshop teil, an dem es um diese Ausrichtung und die Komplementarität mit Artikel 9 des Pariser Abkommens ging. Dies im Hinblick auf eine erste «globale Bestandesaufnahme», die an der COP28 auf der Tagesordnung steht. Artikel 9 regelt die Verpflichtung der Industrieländer zur finanziellen Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Minderung (mitigation) und Anpassung (adaptation) an den Klimawandel. Mehrere Delegierte und NGOs äusserten in Genf ihre Besorgnis darüber, dass die Industrieländer das «Alignment» der (privaten) Finanzierung in den Vordergrund stellen und ihre Verpflichtungen zur finanziellen Unterstützung der Entwicklungsländer vernachlässigen.

Nach wie vor sind die Finanzflüsse für wirtschaftliche Aktivitäten, die auf fossilen Brennstoffen basieren, weit umfangreicher als diejenigen für Mitigations- und Adaptationsmassnahmen. Laut dem letzten IPCC-Synthesebericht wäre weltweit genügend Kapital zur Schliessung der Lücken bei den weltweiten Klimainvestitionen vorhanden; das Problem ist also nicht der Mangel an Kapital, sondern die anhaltende Fehlallokation von Geldern. Dies trifft sowohl auf die öffentlichen als auch auf die privaten Kapitalströme zu. Die Neuausrichtung der Finanzierungen und Investitionen auf Klimaschutzmassnahmen – insbesondere in den ärmsten und vulnerabelsten Ländern – ist jedoch nicht die Patentlösung. Die Herausforderungen mit Blick auf eine «gerechte Transition» gehen darüber hinaus und die Entwicklungsländer erwarten auch dafür finanzielle Unterstützung von den Ländern des Nordens.

Staaten in der Verantwortung

Unternehmen, also auch diejenigen des Finanzsektors, sind nicht an das Pariser Abkommen gebunden. Folglich stehen die Staaten in der Pflicht, die eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen in innerstaatlichen Gesetzen zu regeln. Vereinfacht gesagt, verpflichtet das «Paris Alignment» die Staaten dazu sicherzustellen, dass alle Finanzflüsse zu den Klimazielen des Pariser Abkommens beitragen. Die zur Umsetzung von Artikel 2.1.c erforderlichen Instrumente sind vielfältig und es ist in erster Linie Sache der einzelnen Staaten zu bestimmen, welche regulatorischen Rahmenbedingungen, Massnahmen, Hebel und Anreize für die Neuausrichtung der Finanzströme nötig sind. Was es braucht sind dabei konkrete Massnahmen, welche bei den einzelnen Unternehmen und Finanzinstituten zu greif- und messbaren Ergebnissen führen.

Was macht die Schweiz?

Auch die Schweiz hat sich durch die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens dazu verpflichtet, ihre Finanzflüsse mit den Klimazielen in Einklang zu bringen. Zudem strebt der Bundesrat im Einverständnis mit der Branche eine führende Rolle für den Finanzplatz an. Dabei setzt er bislang jedoch in erster Linie auf freiwillige Massnahmen und Selbstregulierung.

Im Juni 2023 hat das Volk mit dem Klimagesetz beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird. Zu diesem Zweck wurden Zwischenziele für die Reduktion der Treibhausgasemissionen sowie genaue Richtwerte für bestimmte Sektoren (Gebäude, Verkehr und Industrie) festgelegt. Generell müssen alle Unternehmen ihre Emissionen bis spätestens 2050 auf Netto-Null gesenkt haben. Zum spezifischen Ziel, die Finanzflüsse mit den Klimazielen vereinbar zu machen, besagt das Klimagesetz (Artikel 9): «Der Bund sorgt dafür, dass der Schweizer Finanzplatz einen effektiven Beitrag zur emissionsarmen und gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähigen Entwicklung leistet. Es sollen insbesondere Massnahmen zur Verminderung der Klimawirkung von nationalen und internationalen Finanzmittelflüssen getroffen werden. Der Bundesrat kann mit den Finanzbranchen Vereinbarungen zur klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzflüsse abschliessen.»

Rolle und Verantwortung des Schweizer Finanzplatzes

Die Faktenlage ist klar: Der Schweizer Finanzplatz ist der wichtigste «Klimahebel» der Schweiz. Die CO2-Emissionen in Zusammenhang mit den Finanzflüssen aus der Schweiz (Investitionen in Form von Aktien, Obligationen und Darlehen) sind 14- bis 18-mal höher als die in der Schweiz verursachten Emissionen!  Es wäre also nur folgerichtig, wenn der Bundesrat diesen Finanzflüssen Priorität einräumen würde. Angesichts seiner Bedeutung – mit rund 7'800 Milliarden an verwalteten Vermögenswerten –  könnte er einen zentralen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Dazu braucht es aber auch hierzulande wirksame Massnahmen, die eine Neuausrichtung der Finanzflüsse auf die Klimaziele bewirken. Dazu gehört auch eine glaubwürdige und längst fällige CO2-Bepreisung auf nationaler und internationaler Ebene.

Massnahmenkatalog für Schweizer Unternehmen und Finanzmarktakteure

Ab Januar 2024 müssen grosse Unternehmen – einschliesslich Banken und Versicherungen – einen Bericht über Klimabelange veröffentlichen. Dieser umfasst nicht nur das finanzielle Risiko für ein Unternehmen aufgrund seiner klimarelevanten Tätigkeiten, sondern auch die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf das Klima («doppelte Wesentlichkeit»). Darüber hinaus muss der Bericht Übergangspläne der Unternehmen und «wenn möglich und angebracht» CO2-Reduktionsziele enthalten, die mit den Klimazielen der Schweiz vergleichbar sind. Die Europäische Union hat ähnliche Verpflichtungen eingeführt, ebenso wie das Vereinigte Königreich und einige andere Länder. Für einmal hinkt die Schweiz also nicht hinterher.

PACTA-Klimatest

Seit 2017 empfiehlt der Bundesrat allen Finanzmarktakteuren (Banken, Versicherungen, Vorsorgeeinrichtungen und Vermögensverwaltern), freiwillig und kostenlos alle zwei Jahre am «PACTA-Klimatest» teilzunehmen.  Dieser hat zum Ziel zu überprüfen, wie weit sich deren Anlagen an dem im Pariser Abkommen festgelegten Temperaturziel ausrichten. Dem Test unterzogen werden die von Finanzakteuren gehaltenen Aktien- und Anleihenportfolios börsenkotierter Unternehmen sowie Hypothekenportfolios. Der PACTA sollte aufzeigen, welches Gewicht die in den acht kohlenstoffintensivsten Sektoren tätigen Unternehmen im Portfolio haben, die zusammen für mehr als 75% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sind (Öl, Gas, Strom, Autos, Zement, Luftfahrt und Stahl).

Die Teilnahme am PACTA-Test bleibt jedoch freiwillig und die Teilnehmer entscheiden selbst, welche Portfolios sie zur Überprüfung einreichen wollen. Darüber hinaus ist die Veröffentlichung der einzelnen Testergebnisse auch für Finanzinstitute, die sich ein Netto-Null-Ziel für 2050 gesetzt haben, nicht verpflichtend. Der Bundesrat sperrt sich und empfiehlt die Ablehnung einer Motion, die Verbesserungen in diesen Punkten fordert, mit der Begründung, dass die bestehenden Beschlüsse ausreichend seien.

Selbstgesetzte Netto-Null-Ziele

Unter der Ägide der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) haben sich zahlreiche Schweizer Finanzinstitute freiwillig Klimaneutralitätsziele gesetzt. Diesen Ansatz trägt der Bundesrat mit. In Bezug auf Transparenz und Glaubwürdigkeit wirft ein solches Vorgehen aber zentrale Fragen auf: Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Finanzinstitute, die Net Zero-Ziele eingegangen sind? Wie hoch ist der Anteil der Geschäftsaktivitäten und Vermögenswerte, die bis 2050 tatsächlich das Ziel der Klimaneutralität erreichen sollen? Wie steht es um die Vergleichbarkeit der Informationen (Gesamt- und Zwischenziele, Massnahmen und Fortschritte der Finanzinstitute)? Zur Erhöhung der Transparenz und Rechenschaftspflicht der Finanzmarktakteure hatte der Bundesrat ursprünglich vorgeschlagen, Branchenvereinbarungen abzuschliessen, was von den Finanzlobbies abgelehnt wurde. Das Klimagesetz sieht nun aber den Abschluss solcher Vereinbarungen vor und das Eidgenössische Finanzdepartement sollte bis Ende Jahr diesbezüglich einen Bericht vorlegen.

Swiss Climate Scores

In Anlehnung an die GFANZ lancierte der Bundesrat im Juni 2022 die von Behörden und Industrie entwickelten «Swiss Climate Scores» (SCS). Die Grundidee besteht darin, Transparenz bei der klimaverträglichen Ausrichtung von Finanzanlagen zu schaffen, um Anlageentscheidungen zu fördern, die zur Erreichung der globalen Klimaziele beitragen. Auch hier bleibt der Ansatz für die Finanzdienstleister freiwillig.

Die Direktorin des Vermögensverwalters BlackRock Schweiz bedauerte an der Building-Bridges-Konferenz die geringe Akzeptanz der SCS in ihrer Branche. Damit bestätigte sie die von Alliance Sud nach deren Einführung geäusserten Zweifel. Auch die NZZ stellte unlängst deren geringe Akzeptanz und Unstimmigkeiten bei der Umsetzung durch die Finanzinstitute fest und bezeichnete die SCS im Vergleich zum hochkomplexen EU-Regulierungsrahmen als «Kühlschrank-Label für Finanzprodukte».

Ein Paradigmenwechsel

Die Umsetzung von Artikel 2.1 c) des Pariser Klimaabkommens wird auch für die Schweiz eine Herkulesaufgabe darstellen. Das Spektrum der bisherigen, vorwiegend freiwilligen Massnahmen wird den in Paris eingegangenen Verpflichtungen in keiner Weise gerecht. Ein Paradigmenwechsel ist daher dringend angezeigt.

Der Bundesrat hat sich kürzlich für die Annahme einer Motion ausgesprochen, welche einen «Ko-Regulierungsmechanismus» und eine Verpflichtung zur Verbindlichkeit fordert, «falls bis 2028 weniger als 80 Prozent der Finanzflüsse von Schweizer Finanzmarktinstituten auf einem Pfad hin zu einer Treibhausgasreduktion gemäss Übereinkommen von Paris sind». Es ist nun also am Parlament, endlich die ersten Massnahmen zur Bewältigung dieser Generationenaufgabe zu ergreifen.

 

Artikel

Lichtet sich bald der Nebel um das Greenwashing?

30.09.2022, Finanzen und Steuern

Ende Mai durchsuchten Frankfurter Staatsanwälte die Büros der Deutschen Bank und ihrer Fondstochter DWS. Es ging dabei um mutmassliche Greenwashing-Aktivitäten. Zeit, dass auch in der Schweiz mit mehr Klarheit gerechnet werden kann.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Lichtet sich bald der Nebel um das Greenwashing?

Windräder in der Nähe des stillgelegten AKW Grohnde, Niedersachsen. Die EU möchte Investitionen in Atomenergie als «grün» labeln, Umweltorganisationen kritisieren das scharf.
© Foto: KEYSTONE / DPA / Julian Stratenschulte

Die Greenwashing-Vorwürfe gegen die DWS kursieren schon seit Monaten. Konkret geht es um den Vorwurf, Vermögensverwalter hätten bezüglich der Nachhaltigkeit der DWS-Produkte in Sachen Umweltschutz und Klimawandel übertrieben. Laut Staatsanwaltschaft seien «ausreichend Anhaltspunkte» dafür gefunden worden, dass die ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, Governance) nur bei einem «Bruchteil der Investments» eingehalten würden.

Im vergangenen Jahr hatten die US-amerikanische Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde (SEC) und die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) getrennte Untersuchungen zu den Aussagen eines Whistleblowers eingeleitet, wonach die DWS ihre Fonds als ökologischer verkaufe, als sie es tatsächlich seien. Die Greenwashing-Vorwürfe, die im August ans Licht kamen, führten zu einem Kurssturz der DWS-Aktien um mehr als 20% und zum Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden Asoka Wöhrmann.

Und wie sieht es in der Schweiz aus?

Dieser Vorfall wurde als Schuss vor den Bug des gesamten Finanzmarktsektors gewertet, der regelmässig im Verdacht steht, Greenwashing zu betreiben. Auch hierzulande ist das Interesse der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) für die Kommunikation rund um Finanzprodukte geweckt: Sie führt nun vermehrt Inspektionen durch, mit dem Ziel, irreführende Werbung mit «grünen» Versprechen zu bekämpfen.

Die Nachfrage von Kunden und Anlegern nach nachhaltigen Finanzprodukten und -dienstleistungen ist in den letzten Jahren markant gestiegen − und mit ihr die Gefahr, dass KundInnen und InvestorInnen über deren angeblich nachhaltigen Eigenschaften getäuscht werden (Finanzprodukte mit dem Etikett «sustainable», «green» oder «ESG»). Von Grünfärberei oder Greenwashing ist die Rede, wenn KundInnen von Finanzinstituten bewusst oder unbewusst getäuscht oder über die nachhaltigen Eigenschaften von Finanzprodukten irreführend informiert werden.

Zu den Aufgaben der FINMA gehört es, FinanzmarktkundInnen sowie auch InvestorInnen vor unlauterem Geschäftsgebaren, insbesondere Betrug, zu schützen. Nun sind die Untersuchungen der FINMA zum deutlichen Ergebnis gekommen, dass beim Verkauf von Finanzprodukten und -dienstleistungen Greenwashing-Praktiken zu beobachten sind und dass die Anbieter oftmals «vage bis irreführende Versprechungen» zu ihren Produkten machen.

Um dem Risiko zu begegnen, müsste die Transparenz im Bereich der Nachhaltigkeit dringend erhöht werden, indem einheitliche Anforderungen und Indikatoren, Klassifizierungen (Taxonomie) und Methoden zur Messung der positiven und negativen Auswirkungen von Investitionen auf das Klima und die nachhaltige Entwicklung eingeführt würden. Die Schweiz ist im Rahmen des Pariser Klimaabkommens Verpflichtungen eingegangen, die auch für ihren Finanzplatz gelten.

Keine spezifischen gesetzlichen Grundlagen

Derzeit gibt es keine spezifischen Vorschriften bezüglich der Transparenz von Produkten und Dienstleistungen, die als «nachhaltig» bezeichnet werden. Es gelten lediglich allgemeine Regeln, unter anderem das Verbot der Täuschung im Zusammenhang mit kollektiven Kapitalanlagen (Investmentfonds). Anleger sollten in der Lage sein, auch im Fall von als «nachhaltig» deklarierten Produkten fundierte Anlageentscheidungen zu treffen. In einer im November 2021 veröffentlichten Richtlinie hat die FINMA in Bezug auf Schweizer Fonds konkretisiert, welche Informationen in den Dokumenten enthalten sein müssen, falls die Fonds als nachhaltig deklariert werden. Im Fall von Genehmigungsgesuchen werden solche Fonds verpflichtet, zusätzliche Informationen zu den verfolgten Nachhaltigkeitszielen, deren Umsetzung und die erwartete Wirkung zu liefern. So kann die FINMA besser beurteilen, ob eine Täuschung vorliegt, und entsprechend eingreifen.

Als Praktiken, die unter den Begriff Greenwashing fallen, nennt die FINMA insbesondere kollektive Anlagen, die sich auf Nachhaltigkeit beziehen, ohne dass tatsächlich eine nachhaltige Anlagepolitik/Strategie verfolgt wird, oder kollektive Kapitalanlagen, die mit Begriffen wie «impact» oder «kohlenstoffneutral» Nachhaltigkeit suggerieren, ohne dass die erzielten Auswirkungen oder Einsparungen messbar oder nachweisbar sind.

Allerdings ist der Handlungsspielraum der FINMA für eine wirksame Prävention und Bekämpfung von Greenwashing begrenzt. Es fehlen spezifische nachhaltigkeitsbezogene Transparenzpflichten und wirksame Kontrollgrundlagen, um Massnahmen zu ergreifen. Nur zusätzliche Regulierungsmassnahmen würden der FINMA die notwendigen Instrumente an die Hand geben, um die Bekämpfung des Greenwashing umfassender und wirksamer zu gewährleisten.

Es sei daran erinnert, dass der Bundesrat Ende 2021 seine Absicht bekannt gab, die Schweiz zu einer Marktführerin im Bereich der nachhaltigen Finanzen zu machen. Damals forderte er die Finanzmarktakteure auf, sich mit der Einführung vergleichbarer und aussagekräftiger Klimaverträglichkeitsindikatoren um mehr Transparenz zu bemühen, wodurch die AnlegerInnen Investitionen nach ihren Klimaauswirkungen einteilen und auswählen könnten. Ende Juni lancierte er die diesbezüglichen «Swiss Climate Scores», deren Anwendung den Finanzmarktakteuren jedoch auf rein freiwilliger Basis empfohlen wird.

Bis Ende 2022 sollen das eidgenössische Finanz- und das Umweltdepartement (EFD und UVEK) einen Bericht über die Umsetzung dieser Empfehlungen durch den Finanzsektor vorlegen und − in Zusammenarbeit mit der FINMA − konkrete Vorschläge dazu unterbreiten, was an der Finanzmarktregulierung geändert werden muss, damit Greenwashing verhindert werden kann.

Angesichts der Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes wäre der Bundesrat gut beraten, einen anspruchsvollen und zukunftsweisenden Regulierungsrahmen vorzuschlagen, der mindestens die einschlägigen EU-Regelungen einbezieht. So könnten Greenwashing-Praktiken unterbunden werden mit dem Ziel, die Finanzströme aus der Schweiz glaubwürdig und messbar umzulenken − zugunsten des Klimas und der nachhaltigen Entwicklung.

Medienmitteilung

Auf der Seite der Kriegstreiber

17.05.2022, Finanzen und Steuern

Die Schweiz ist hinter den USA der undurchsichtigste Finanzplatz der Welt: Das zeigt der neue Schattenfinanzindex des Tax Justice Network (TJN). Im Kampf gegen internationale Steuerflucht, Geldwäscherei und Korruption stagniert unser Land – aktuell wird ihm das bei der Suche nach sanktionierten Geldern russischer Oligarchen zum Verhängnis. Es braucht dringend mehr Transparenz.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

+41 31 390 93 35 dominik.gross@alliancesud.ch
Auf der Seite der Kriegstreiber

© Tax Justice Network

Gemäss den heute publizierten Berechnungen des TJN beherbergt die Schweiz einen der attraktivsten Finanzplätze für Steuerhinterzieherinnen, Geldwäscher, Terrorismusfinanziererinnen oder korrupte Politiker. Denn die Banken in der Schweiz verwalten nicht nur so viele ausländische Vermögen wie nirgends sonst in der Welt – gemäss der Schweizer Bankiervereinigung sind das aktuell über 3'600 Milliarden Franken  –; der Schweizer Finanzplatz gehört trotz aller Reformen der letzten zehn Jahre immer noch zu den undurchsichtigsten weltweit.

Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist dies aus zwei Gründen problematisch, sagt Dominik Gross, Finanzexperte bei Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik: «Erstens fehlen in der Schweiz die Gesetze, die den Behörden eine aktive Suche nach einem grossen Teil der sanktionierten Vermögen russischer Oligarchen ermöglichen würden. Das zeigen die Analysen des TJN deutlich.» Gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) sind aktuell nur 6,3 Milliarden Franken russischer Vermögen in der Schweiz gesperrt, seit April haben die Banken über eine Milliarde schon wieder freigegeben. Obwohl gemäss Bankiervereinigung insgesamt 150-200 Milliarden russischer Vermögen in der Schweiz liegen.

Dazu kommt: Da die Schweiz mit vielen Entwicklungsländern immer noch keinen automatischen Informationsaustausch (AIA) über Bankkundendaten unterhält, haben Steuerhinterzieher aus Nicht-AIA-Ländern auf Schweizer Banken nach wie vor kaum etwas zu befürchten. Gross: «Sie verstecken hier Geld vor dem Fiskus ihrer Heimatstaaten, die dieses dringend im Kampf gegen die Nahrungsmittelkrise bräuchten, die der Ukraine-Krieg ausgelöst hat.»

Parlament muss handeln

Trotz grossem Handlungsbedarf bleibt der Bundesrat untätig. National- und Ständerat könnten aber bald korrigieren:
•    Eine überparteiliche Motion im Nationalrat verlangt vom Bundesrat eine Gesetzesvorlage für mehr Transparenz, damit die wahren Besitzer von Briefkastenfirmen und Profiteure von Offshore-Konstrukten zumindest den Behörden bekannt werden.
•    Mit weiteren Vorstössen wollen Nationalrät- und StänderätInnen vom Bundesrat wissen, wie er sanktionierte Vermögen in Zukunft aufspüren und konfiszieren will, und verlangen die Schaffung einer Schweizer Task-Force bzw. den Beitritt der Schweiz zur internationalen Task-Force, die aktiv nach russischen Vermögen sucht.
•    Ein Postulat der aussenpolitischen Kommission des Nationalrates verlangt vom Bundesrat einen Bericht, worin er darlegt, wie er in Zukunft die Transparenz von Finanzflüssen erhöhen will, die in und durch die Schweiz fliessen.

Für weitere Informationen:
Dominik Gross, Experte für Finanzpolitik Alliance Sud: +4178 838 40 79; dominik.gross@alliancesud.ch

Artikel, Global

Der «Gasfluch» von Mosambik

20.06.2023, Finanzen und Steuern

Mitten in der Klimakrise verwirklichen in Mosambik grosse Ölkonzerne wie TotalEnergies, einem Unternehmen mit SNB-Beteiligung, Gas-Megaprojekte. Diese Projekte schüren Konflikte und haben für die Bevölkerung keinerlei Mehrwert.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Der «Gasfluch» von Mosambik

Umgestürzte Stromleitungen in Macomia, im Norden Mosambiks, nach dem Wirbelsturm Kenneth im Jahr 2019.
© Tommy Trenchard/Panos Pictures

Nachdem 2010 vor der Küste der Provinz Cabo Delgado im Norden Mosambiks riesige Erdgasreserven entdeckt worden waren, begannen multinationale Öl- und Gaskonzerne gigantische Projekte für die Förderung von verflüssigtem Erdgas (LNG) zu planen. Dies ist auch dem OECD-Bericht über mobilisierte private Mittel für Entwicklungsfinanzierungsmassnahmen (Private finance mobilised by official development finance interventions, siehe auch global #89, Frühling 2023) zu entnehmen. Die Projekte umfassen insbesondere die Hochseeförderung (mit einer Rekord-Fördertiefe von 2000 m), eine Unterwasserpipeline und Verarbeitungsanlagen an Land sowie ein LNG-Exportterminal. Zwei der Mega-Projekte (Rovuma LNG und Coral South FLNG Project) sind das Ergebnis eines Joint Ventures zwischen der amerikanischen ExxonMobil, der italienischen Eni und dem chinesischen Staatsunternehmen CNPC. Hauptanteilseigner und Betreiber des Mozambique LNG Project ist das französische Unternehmen TotalEnergies; weiter beteiligt sind das japanische Unternehmen Mitsui und mosambikanische, indische und thailändische Investoren. Wohlgemerkt, die Schweizerische Nationalbank (SNB) hält derzeit Aktien von TotalEnergies im Wert von ca. 620 Mio. USD».

Gigantische öffentlich-private Finanzierungen

Die Gesamtinvestitionen in LNG-Projekte in Mosambik werden auf rund 60 Mrd. USD geschätzt, fast das Vierfache des Bruttoinlandprodukts Mosambiks. Laut der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB), welche neben den hauptsächlich britischen und US-amerikanischen Exportkreditagenturen (ECA) öffentliche Finanzierung bereitstellt, handelt es sich um die bislang höchsten ausländischen Direktinvestitionen (FDI) und die grösste Projektfinanzierung in Afrika. Sie sollen Mosambik zum drittgrössten LNG-Versorger der Welt machen und mehr als 67 Mrd. USD zum mosambikanischen BIP beitragen. Die Projekte sollen einerseits Gas für den Export nach Europa und Asien (insbesondere Indien und China) bereitstellen, andererseits aber auch LNG für die industrielle Entwicklung des Landes und des südlichen Afrikas liefern.

Neben Mosambik streben auch Nigeria, Ägypten, Algerien sowie der Senegal und Mauretanien eine Steigerung ihrer LNG-Exporte, insbesondere nach Europa, an. Die Verfechter von verflüssigtem Erdgas halten diese Energie für einen entscheidenden Faktor in der Energiewende, da sie 50% weniger CO2-Emissionen verursacht als die Energieerzeugung auf Kohlebasis. Im Gegensatz dazu rief die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem im Mai 2021 veröffentlichten Bericht Net Zero by 2050 dazu auf, Investitionen in die fossile Energieerzeugung sofort einzustellen, damit die weltweiten energiebedingten Kohlendioxidemissionen bis 2050 auf ein Nettonullniveau gesenkt werden können und die globale Erwärmung auf 1,5°C begrenzt werden kann.

Islamistische Aufstände und der Fluch der natürlichen Ressourcen

Die Provinz Cabo Delgado, eine der ärmsten Regionen des Landes, ist jüngst von Wirbelstürmen und Überschwemmungen heimgesucht worden, welche die Armut und Ernährungsunsicherheit weiter verschärft haben. Zudem ist sie Schauplatz eines Aufstands gegen die mosambikanische Regierung, dessen Ursachen vielfältig sind, möglicherweise aber mit dem Abbau der natürlichen Ressourcen in der Region zusammenhängen. Bewaffnete Gruppen, von denen einige Verbindungen zu Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat haben, haben unlängst gewalttätige Angriffe auf lokale Gemeinschaften, Sicherheitskräfte und die Gasinfrastruktur verübt. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden seit Beginn des Aufstands mehr als 700’000 Menschen in der Region vertrieben.

Um den vom Konflikt betroffenen Menschen zu helfen, hat die internationale Gemeinschaft humanitäre Hilfe angeboten. Im vergangenen Februar besuchte Bundespräsident Alain Berset zusammen mit seinem mosambikanischen Amtskollegen Filipe Jacinto Nyusi ein Flüchtlingslager und Projekte der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in der Provinz. Mosambik ist seit 1979 ein Schwerpunktland der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit.

Die EU ihrerseits hat unter anderem ihre finanzielle Unterstützung für die in Mosambik stationierte ruandische Interventionstruppe erhöht. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gasvorhaben so schnell wie möglich realisiert werden und die Abhängigkeit der EU von russischem Gas verringert wird.

Die Schweizerische Nationalbank: Aktionärin von TotalEnergie

Abgesehen von ihren Aktivitäten in Mosambik plant TotalEnergies den Bau einer über 1400 km langen Ölpipeline namens EACOP durch Tansania und Uganda, die die Lebensgrundlage Tausender Menschen sowie die Umwelt bedroht. An ihrer letzten Jahresversammlung forderte die Klima-Allianz, bei der Alliance Sud Mitglied ist, gemeinsam mit anderen NGOs der «SNB-Koalition» unter anderem eine Desinvestition aller fossilen Vermögenswerte und eine Anpassung der Anlage-, Geld- und Wechselkurspolitik der SNB an die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens. Vertreter:innen tansanischer NGOs forderten die SNB-Leitung auf, ihre Beteiligung an TotalEnergies sofort abzustossen. Unter den 20 grössten Schweizer Investoren von TotalEnergies stellen die UBS, die SNB und die Credit Suisse die Mehrheit. Pictet, aber auch die Zürcher Kantonalbank gehören ebenfalls zu den Aktionären.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Medienmitteilung

Den Welthunger effektiv bekämpfen

29.01.2016, Finanzen und Steuern

Trotz genügend Nahrung leiden immer noch 800 Millionen Menschen Hunger. Um gegen diesen Skandal anzukämpfen, braucht es auch Massnahmen gegen die exzessive Finanzspekulation.

Den Welthunger effektiv bekämpfen

© Erich Westendarp / pixelio.de

von Mark Herkenrath, ehemaliger Geschäftsleiter Alliance Sud

Trotz ausreichender Nahrungsmittelproduktion leiden immer noch 800 Millionen Menschen Hunger. Um gegen diesen Skandal anzukämpfen, braucht es auch Massnahmen gegen die exzessive Finanzspekulation wie die Spekulationsstopp-Initiative, die am 28. Februar zur Abstimmung kommt. Zu diesem Schluss gelangten am Donnerstag die Hilfswerke Brot für Alle und SWISSAID sowie der Hilfswerkdachverband Alliance Sud an einer Pressekonferenz, an der sie über den Stand im Kampf gegen den Welthunger informierten.

Weltweit leiden heute rund 800 Millionen Menschen Hunger, davon 780 Millionen in Entwicklungsländern. Dies obwohl weit mehr als genug produziert wird, um alle Menschen ernähren zu können. So wurden laut FAO-Zahlen im Jahr 1961 261 Kilo Nahrungsmittel pro Person produziert, im Jahr 2011 waren es 336 Kilo. Doch die Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel haben seit dem Jahr 2000 tendenziell stark zugenommen und waren zudem starken kurz- und mittelfristigen Schwankungen unterworfen. In den Jahren 2008 und 2011/12 führte die Kombination dieser Tendenzen zu einer Preisexplosion. In zahlreichen Entwicklungsländern kam es zu Notständen bei der Nahrungsmittelversorgung und vielerorts zu politischen Unruhen.

Die Spekulation mit Nahrungsmitteln hat diese Instabilität mit verschärft und so für die Entwicklungsländer enorme Probleme geschaffen. Die EU und die USA haben das erkannt und beschlossen, die exzessive Finanzspekulation auf Nahrungsmittel vorsorglich einzudämmen. Nicht so die Schweiz: «Der Bundesrat hat es verpasst, von sich aus ähnliche Massnahmen zu ergreifen. Darum steht die Spekulationsstopp-Initiative aktuell ohne politische Alternative da», sagte Mark Herkenrath, Geschäftsleiter von Alliance Sud, an der Pressekonferenz in Bern.

Der Kampf gegen den Hunger ist der internationalen Gemeinschaft weiterhin ein wichtiges Anliegen. Er ist insbesondere ein wesentliches Ziel der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für die nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals - SDG), die Anfang 2016 in Kraft getreten ist. Das Ziel Nummer 2: bis 2030 soll der Hunger aus der Welt geschafft werden. Neben Forderungen wie vermehrte Investitionen in die ländliche Entwicklung - u.a. in Form von Entwicklungszusammenarbeit - verlangt die Uno auch Massnahmen zur Eindämmung der extremen Preisvolatilität auf den Nahrungsmittelmärkten.

«Genau diese Preisschwankungen können Menschen in Entwicklungsländern, die bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben müssen, schnell in Hunger stürzen», erklärte Catherine Morand von SWISSAID. Und Tina Goethe von Brot für Alle stellte klar: «Selbst wenn die Schweiz allein die Nahrungsmittelspekulation nicht regeln kann, trägt sie doch eine besondere Verantwortung. Denn im Rohstoffhandel ist das kleine Land eine Grossmacht – auch im Agrarbereich. Die Spekulationsstopp-Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, um eine fehlgeleitete Politik zu korrigieren».

Downloads:
Hunger und die Agenda 2030 für die nachhaltige Entwicklung, von Mark Herkenrath
Die Schweiz trägt Verantwortung, von Tina Goethe
Le scandale de la faim dans le monde – que faire ?, von Catherine Morand

Meinung

Nahrungsmittelspekulation: Regulierungsbedarf

05.03.2016, Finanzen und Steuern

Die Spekulation mit Nahrungsmitteln führt zu grossen Preisschwankungen, die vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten im globalen Süden dramatische Auswirkungen haben können.

Nahrungsmittelspekulation: Regulierungsbedarf

Einreichung der Volksinitiative im März 2014
© Daniel Hitzig/Alliance Sud

Markus Mugglin, Ökonom und freier Publizist

Die Spekulation mit Nahrungsmitteln führt zu grossen Preisschwankungen, die vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten im globalen Süden dramatische Auswirkungen haben können. Eine von den Jungsozialisten (Juso) lancierte Volksinitiative forderte den Stopp der Nahrungsmittelspekulation. Auch Alliance Sud verlangte vom Bundesrat neue Regulierungen, welche verheerende Preisschwankungen bei Grundnahrungsmitteln eingedämmt hätten. 2014 hat der Ökonom und freie Publizist Markus Mugglin im Auftrag von Alliance Sud eine Studie über die Folgen der Nahrungsmittelspekulation erarbeitet. Seit dem Beginn der 2000er Jahre  haben sich die Preise für Nahrungsmittelrohstoffe verdoppelt, Preisspitzen wurden 2006/2007 und 2011 erreicht.

Unheilvolle Spekulation

Unter diesem Preisanstieg litt die Ernährungssicherheit vor allem von armen Bevölkerungsschichten im globalen Süden. Volatile Preise gefährden die Existenzgrundlage der Produzentinnen (bei schnell und stark fallenden Preisen) genauso wie der KonsumentInnen (bei schnell und stark steigenden Preisen). Die Länder des Nordens, darunter vor allem die Schweiz, verkennen diese Tatsache. Sie bleiben überzeugt von der Notwendigkeit der «nützlichen» Spekulation, die in den 1990er Jahren zuweilen eine preisstabilisierende Wirkung hatte. Gleichzeitig weigern sie sich zuzugeben, dass sich seither gewisse Praktiken der Nahrungsmittelspekulation grundlegend verändert haben. Erwähnt seien namentlich der Derivatehandel durch Banken und Handelsplattformen, die mit ausgeklügelter Informatik in Sekunden Tausende von Geschäften abwickeln können.

Fünf Vorschläge zur Re-Regulierung:

  1. Für Alliance Sud ist die Re-Regulierung der Nahrungsmittelspekulation eine zentrale Massnahme, um die Ernährungssicherheit auf dem ganzen Planeten zu gewährleisten. Dabei führt sie folgende fünf Vorschläge ins Feld:
  2. Der ausserbörsliche Handel mit Derivaten darf nur unter Aufsicht stattfinden, so dass vollständige Transparenz für alle Beteiligten und die Behörden garantiert ist.
  3. Spekulanten müssen sich an Positionslimiten halten. Das heisst, ihr Anteil am Handelsvolumen darf einen gewissen Prozentsatz (zum Beispiel 15%) nicht übersteigen. Positionslimiten waren das wichtigste Regulierungsinstrument bis Ende der 1990er Jahre.
  4. Der Hochfrequenzhandel soll zumindest eingeschränkt, wenn nicht verboten werden.
  5. Beginnen die Preise innert kurzer Zeit zu stark zu schwanken sollte der Handel durch die Handelsplattformen unterbrochen werden. Zu prüfen ist die Einführung einer abgestuften Transaktionssteuer, die ab einem gewissen Preisniveau erhöht würde.

Und schliesslich wäre es sinnvoll, wenn Nahrungsmittelhändler und Spekulanten institutionell voneinander getrennt würden.

Das Anliegen der Initiative bleibt aktuell

In der Schweiz setzt der Bundesrat auf Selbstregulierung. Die USA und die EU haben dagegen bereits entschieden, die Nahrungsmittelspekulation einzuschränken und den Derivatehandel zu re-regulieren. Die Schweiz hat sich also für den Alleingang entschieden.
Aus all diesen Gründen hat Alliance Sud das Anliegen der Volksinitiative der Juso gegen die Nahrungsmittelspekulation unterstützt, die am 24. März 2014 eingereicht wurde. Die Initiative, mitgetragen von der SP, den Grünen und verschiedenen Entwicklungsorganisationen (darunter Swissaid und Solidar Suisse) wollte Finanzinstituten und Vermögensverwaltern verbieten, in Finanzinstrumente zu investieren, die auf landwirtschaftlichen Rohstoffen oder Nahrungsmitteln basieren.

Lebhafte Kampagne

Während der Abstimmungskampagne unterstrich Alliance Sud, wie wenig die Schweiz bislang gegen die Finanzspekulation unternommen habe. «Der Bundesrat hat es verpasst, selber notwendige Massnahmen zu treffen. Darum ist die Initiative gegen die Nahrungsmittelspekulation die einzig mögliche politische Alternative», so die Einschätzung von Mark Herkenrath von Alliance Sud.

Die Initianten riefen auch in Erinnerung, dass die Uno Massnahmen fordert, um die Volatilität der Nahrungsmittelpreise einzudämmen, die zeitweise unkontrollierbar ist und eine Ursache für die Hungerkrisen von 2007 und 2011 war. «Wenn Sie 80% ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen, dann kann bereits die kleinste Preiserhöhung Hunger bedeuten», erklärte Caroline Morel von Swissaid, eine der Mitinitantinnen.

Ein ernstzunehmendes Signal

Die Gegner sagten der Initiative eine krachende Niederlage voraus. Stattdessen wurde sie am 28. Februar 2016 von mehr als 40% der Abstimmenden unterstützt. Das zeigt, dass die Spekulation mit Nahrungsmitteln die Schweizer StimmbürgerInnen stark beschäftigt und dass der Bundesrat früher oder später Massnahmen treffen muss, die über den blossen Appell an die Selbstregulierung hinausgehen. Es bräuchte nicht viel: Der Bundesrat könnte über eine Verordnung Positionslimiten für Händler aktivieren, die in der Schweiz einen Sitz haben. Die Grundlage dafür haben Bundesrat und Parlament mit der Aufnahme der Positionslimiten in den Artikel 118 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes geschaffen.

Artikel

Informationsaustausch: Automatisch selektiv

28.03.2017, Finanzen und Steuern

Der Bundesrat will den automatischen Austausch der Bankdaten möglicher Steuerhinterzieher auf wenige Entwicklungsländer ausweiten. Aber auch auf die G20-Mitglieder China und Russland. Dem Parlament stehen heftige Debatten bevor.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Informationsaustausch: Automatisch selektiv

Schweizer Bankkonten der nigerianischen Geldelite bleiben vom AIA ausgeschlossen. In Lagos, der grössten und am schnellsten wachsenden Stadt Afrikas, leben die reichsten AfrikanerInnen, die Stadt zählt aber auch zur Weltspitze in Sachen Ungleichheit. Bild: Ikeja City Mall, Lagos.
© Keystone/Noor/Robin Hammond

Im Januar hat die Schweiz offiziell den AIA, den automatischen Informationsaustausch zu Steuerzwecken, eingeführt. Nächstes Jahr wird sie ihn erstmals in die Praxis umsetzen und den Steuerbehörden verschiedener Staaten Daten zu den Bankkonten ihrer Bürgerinnen und Bürger übermitteln. Das ist ein grosser Schritt für ein Land, das in der Weltöffentlichkeit noch vor kurzer Zeit als der Inbegriff einer Steueroase galt.

Selbstverständlich steht die Schweiz mit der Einführung des AIA aber nicht alleine da. Das neue System der steuerlichen Transparenz ist inzwischen zum internationalen Standard geworden. Über 100 Länder haben bereits das entsprechende multilaterale Rahmenabkommen (das Multilateral Competent Authority Agreement, MCAA) unterschrieben. Sie alle sind nun daran, den AIA über bilaterale Vereinbarungen wechselseitig in die Tat umzusetzen. Mehr als die Hälfte von ihnen wird erste Informationen schon dieses Jahr austauschen, und zwar in vielen Fällen mit vierzig und mehr Partnerstaaten. Die Schweiz hinkt diesen Vorreitern gleich doppelt nach: Sie setzt den AIA nicht nur ein Jahr später um, sondern beschränkt ihn vorderhand auf 38 Partner. Konkret sind das die 28 Mitgliedstaaten der EU und einige ausgewählte Industrieländer ausserhalb der EU.

Per 2019: Ausweitung auf ausgewählte Schwellenländer...

Entwicklungs- und Schwellenländer findet man bisher keine auf der Liste der Staaten, mit denen die Schweiz den AIA ganz sicher eingehen wird. Das soll sich nun aber ändern: In zwei fast gleichzeitigen Vernehmlassungsverfahren hat der Bundesrat auf das Jahr 2019 hin die Ausweitung des AIA auf eine Reihe zusätzlicher Länder vorgeschlagen. Zu den neuen Kandidaten gehören Schwellen- und fortgeschrittene Entwicklungsländer in Lateinamerika (Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Kolumbien, Mexiko und Uruguay) und Asien (Indien, Indonesien und Malaysia), Mauritius, die Seychellen und Südafrika.

Aus entwicklungspolitischer Sicht ist der Einschluss dieser neuen Partner ins AIA-System sehr zu begrüssen, wenngleich es sich dabei ausschliesslich um Länder mit vergleichsweise hohem Einkommen handelt. Den betreffenden Staaten würden sonst durch die Steuerflucht ins Ausland weiterhin Einahmen verloren gehen, die ihnen nicht nur zustehen, sondern auch weitere Entwicklungsfortschritte ermöglichen. Alliance Sud wird sich dafür einsetzen, dass der Erweiterungsvorschlag des Bundesrates eine parlamentarische Mehrheit findet.

…und ein paar Unrechtsstaaten

Für heisse Köpfe in der Parlamentsdebatte ist allerdings bereits gesorgt. Der Bundesrat will den AIA nämlich im selben Paket auch auf die einflussreichen G20-Staaten China, Russland und Saudi Arabien ausweiten. Das sind Länder mit grossen Mängeln in Sachen Rechtsstaatlichkeit. Alle drei werden von der Menschenrechtsorganisation Freedom House mit Blick auf politische und zivile Rechte als absolut ungenügend («not free») eingestuft. Auch mit dem Datenschutz nehmen sie es nicht sehr genau. Nationalkonservative Ratsmitglieder in Bundesbern haben deshalb bereits angekündigt, in der parlamentarischen Beratung zum Informationsaustausch mit solchen Unrechtsstaaten Zeter und Mordio zu schreien.

Notabene ist der Widerstand vieler Parlamentarierinnen und Parlamentarier aber oft sehr leise, wenn es bei rechtsstaatlich mangelhaften Partnerländern um Freihandelsakommen oder den Waffenhandel geht: Dort spielen moralische Überlegungen nur eine marginale Rolle. Die Argumente nationalkonservativer Kreise gegen die Ausweitung des AIA erinnern denn auch unangenehm an eine längst überholte Rechtfertigungsideologie: Das Schweizer Bankgeheimnis diene bloss dem Schutz rechtschaffener Menschen im Ausland vor Übergriffen durch erpresserische Staatsapparate.

Tatsache ist, dass sich über den fehlenden Informationsaustausch vor allem Steuerhinterzieher freuen, die ihrem Heimatland wichtige Finanzmittel für die Bildung, die Gesundheitsversorgung oder Verkehrsinfrastruktur entziehen – und dann trotzdem von diesen Gemeingütern profitieren. In der Regel handelt es sich dabei um Angehörige der wirtschaftlichen Elite, deren Reichtum auch ohne das Wissen um ein Konto in der Schweiz offensichtlich ist. Für staatliche Übergriffe ist der AIA hier kaum relevant.

Wer ist vom AIA betroffen?

Linke Parlamentarierinnen und Parlamentarier sorgen sich beim AIA mit Ländern wie China oder Russland denn auch weniger um die Rechte möglicher Steuerhinterzieher. Ihre Sorge gilt vielmehr Auslandbürgerinnen und -bürgern, die nicht einfach unversteuertes Vermögen in die Schweiz verfrachten, sondern hierzulande leben. Sie befürchten, bei diesen Personen könnte der Austausch sensibler Bankdaten nicht zuletzt die im Heimatland verbliebenen Familienmitglieder in Bedrängnis bringen.

Diese Befürchtung ist aber unbegründet. Der AIA betrifft nur Informationen zu Kontoinhabern, die gemäss den Gesetzen des Partnerstaates dort ihren steuerlichen Wohnsitz haben. In der Regel (und insbesondere in den Fällen Russland und China) setzt das voraus, dass man mindestens die Hälfte des Jahres wirklich im betreffenden Land verbringt. Personen mit dauerhaftem Wohnsitz in der Schweiz bleiben also fast immer vom AIA unberührt.

Hinzu kommt, dass das Global Forum on Tax Transparency der OECD die Datenschutzbestimmungen aller Länder, die das multilaterale Rahmenabkommen zum AIA unterschrieben haben, regelmässig überprüft. Es soll sicher gestellt sein, dass die übermittelten Informationen bei den Steuerbehörden verleiben und ausschliesslich für die Steuererhebung genutzt werden. Der Bundesrat behält sich vor, bei der praktischen Umsetzung des AIA erst dann Daten zu übermitteln, wenn das betreffende Partnerland in dieser Prüfung eine genügende Note erhält. Kommt es trotzdem zu nachweisbaren Missbräuchen, kann der AIA aufgehoben werden. Das sieht auch das multilaterale Rahmenabkommen so vor.

Rosinenpickerei

Das eigentliche Problem bei der Ausweitung des AIA, die der Bundesrat im Sinn hat, ist darum ein anderes: die selektive Auswahl der Partnerländer. Auf der bundesrätlichen Kandidatenliste kommen nämlich keineswegs alle Länder vor, die das multilaterale Rahmenabkommen zum AIA unterzeichnet haben. Ghana zum Beispiel, das vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mit Geldern aus dem Entwicklungsbudget bei der Erhöhung seiner Steuereinnahmen unterstützt wird, fehlt auf dieser Liste. Warum das so ist, geht aus den Vernehmlassungsunterlagen nicht hervor.

Last but not least fehlen auf der Schweizer AIA-Liste weiterhin alle ärmeren Entwicklungsländer. Ihre Eliten können also weiterhin unbehelligt unversteuerte Gelder auf Schweizer Bankkonten horten. Allerdings hat bisher auch keines dieser Länder das multilaterale Rahmenabkommen unterschrieben. In vielen Fällen dürfte der Grund dafür sein, dass die nötige Infrastruktur fehlt, um Daten über mögliche ausländische Kontoinhaber zu sammeln und automatisch an deren Steuerbehörden zu versenden. Die kostspielige technische Bereitschaft zum reziproken Informationsaustausch ist aber Voraussetzung, um dem multilateralen System beizutreten. Einige fortschrittliche Industrieländer sind deshalb freiwillig bilaterale AIA-Pilotprojekte mit ärmeren Entwicklungsländern eingegangen, bei denen sie vorderhand auf die Forderung nach Reziprozität verzichten. Aus entwicklungspolitischer Sicht stünde es der Schweiz gut an, es diesen Ländern gleichzutun.