Artikel

Steuerflucht tötet Mütter

14.06.2019, Finanzen und Steuern

Steuerpolitik ist etwas für wenige abgehobene – in der Regel männliche – Eingeweihte. Dabei zeigt sich gerade aus dem Blickwinkel der Geschlechtergerechtigkeit: In der Steuerpolitik werden die elementarsten Dinge des Lebens verhandelt.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Steuerflucht tötet Mütter

Eine Krankenschwester in Ausbildung im Mzuza General Hospital in Malawi.
© Sven Torfinn/Panos

Steuerpolitik ist – gelinde gesagt – etwas ziemlich abstraktes. Vor lauter „regulären Steuersätzen“, „Bemessungsgrundlagen“, „automatischem Informationsaustausch“, „Profitverschiebungen“, „Registern der wirtschaftlich Berechtigten“, „länderbezogenen Berichten“ oder – PricewaterhouseCoopers, erlöse uns von derart Bösem – der „zinsbereinigten Gewinnsteuer“, geht leicht vergessen, dass sich Steuerpolitik im Grunde genommen um ganz unmittelbare Bedürfnisse des Menschseins dreht. Zum Beispiel darum, dass jedes Kind – ob Bub oder Mädchen – überall auf der Welt einen möglichst offenen Zugang zu jenen elementaren Dienstleistungen bekommen sollte, die ein würdiges Leben ermöglichen: eine gute Gesundheitsversorgung, eine anständige Schulbildung, sichere öffentliche Transportwege und Infrastruktur, Teilhabe an Kultur, Politik und Gesellschaft.

Und manchmal geht es in der Steuerpolitik ganz einfach um Leben und Tod. Etwa dann, wenn irgendwo auf der Welt eine Mutter während einer Geburt stirbt, weil das öffentliche Spital, im dem diese Frau ihr Kind zur Welt bringen wollte, schlecht ausgerüstet ist. Gemäss der Weltgesundheitsstatistik 2018, welche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr zu den gesundheitsrelevanten Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) im Rahmen der UNO-Agenda 2030 herausgibt, starben alleine im Jahr 2015 303‘000 Frauen wegen gesundheitlichen Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit einer Geburt oder einer Schwangerschaft standen. 99% dieser Frauen starben in Ländern, die die WHO zu den Entwicklungs- oder Schwellenländern zählt. Fast zwei Drittel davon, nämlich 62% starben in Subsahara-Afrika. In der Schweiz sterben bei 100‘000 Geburten fünf Frauen, in Ghana sind es 319 und in Nigeria 814. Nicht viel besser sieht es bei der Kindersterblichkeit aus: In der Schweiz sterben nur vier von 1000 Kindern bei der Geburt, in Ghana sind es 35 und in Nigeria 70. Ghana und Nigeria gehören beide nicht zu den allerärmsten Ländern der Welt. Ersteres wird von der internationalen Gemeinschaft wegen seiner stabilen politischen Verhältnisse gerne als afrikanischer Vorzeigestaat gelobt, letzteres gilt trotz eines Bürgerkriegs im Osten des Landes als aufstrebender Wirtschaftsstandort. Trotzdem liegen in diesen Ländern die Mütter- und Säuglingssterblichkeitsraten um ein vielfaches höher als in europäischen Ländern. Gemäss der WHO könnten die allermeisten dieser Todesfälle mit der entsprechenden medizinischen Ausrüstung verhindert werden.

Sichere Geburt ist ein Privileg

Im UNO-Zwischenbericht von 2018 zum Ziel 3 der Agenda 2030 („Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“) ist zwar festgehalten, dass die Müttersterblichkeitsrate seit 1990 weltweit um 37 Prozent und jene bei Säuglingen um 39 Prozent gefallen ist. Trotzdem ist eine einigermassen sichere Geburt für Mutter und Kind immer noch ein Privileg für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung. Unter diesem Eindruck einigten sich die UNO-Mitgliedsländer 2015 mit dem Ziel 3 der Agenda 2030 darauf, die Müttersterblichkeitsrate bis 2030 auf weltweit weniger als 70 Todesfälle pro 100‘000 Geburten und die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen auf 12 pro 1000 Geburten zu reduzieren.

Auch wenn das gemessen an den obigen Zahlen bescheidene und letztlich willkürlich gesetzte Ziele sind – ohne steuerpolitische Reformen in vielen Entwicklungsländern, in den Tiefsteuergebieten und auf globaler Ebene wird auch das nicht zu schaffen sein: Denn für die allermeisten Menschen weltweit hängt der Zugang zu medizinischer Versorgung ausschliesslich von der Qualität der öffentlichen Gesundheitsversorgung an ihrem Lebensmittelpunkt ab – und diese Qualität wiederum von Steuereinnahmen, die es einem Gemeinwesen erlaubt, eine für Mutter und Kind ausreichende Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

In den meisten Entwicklungsländern ist die Mobilisierung steuerlicher Ressourcen für die öffentlichen Dienste eine äusserst prekäre Angelegenheit: In den ärmsten belaufen sich die Steuereinnahmen im Durchschnitt auf nur gerade 15% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Das ist viel weniger als in den reichen Ländern der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), wo die Steuereinnahmen rund 34% des BIP ausmachen, und nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind 15% zu wenig, um ein funktionierendes Staatswesen zu gewährleisten. Einer der Hauptgründe für diese grosse Differenz bei der Mobilisierung von Steuergeldern in Entwicklungs- und OECD-Ländern ist der Abfluss von grossen Privatvermögen und Unternehmensgewinnen in Tiefsteuergebiete, von denen aus Konzerne und Vermögensverwalter global operieren. Mit verheerenden Folgen: Der Washingtoner Think-Tank Global Financial Integrity (GFI) schätzt, dass im Jahr 2014 allein aus Entwicklungs- und Schwellenländern eine Billion US-Dollar in Form von sogenannten unlauteren Finanzflüssen abfloss. Die Zeche dafür zahlen vor allem die Entwicklungsländer. Zwar fliesst auch in den reichen OECD-Ländern viel Steuersubstrat ab. Da viele von ihnen – nicht nur notorische Steueroasen wie die Schweiz – aber selbst über Steuerschlupflöcher verschiedener Art verfügen, fliessen ihnen auch wieder Fluchtgelder zu. Entwicklungsländern fehlen hingegen in der Regel die entsprechenden Mittel, um in den Wettbewerb zwischen den Staaten um Steuervermeidungsgelder überhaupt einzugreifen.

Aber nicht nur im Gesundheitswesen werden die anerkannten Grundrechte vor allem von Mädchen und Frauen aus steuerpolitischen Gründen beschnitten. Überall dort, wo es öffentliches Engagement und finanzielle Ressourcen braucht, um strukturelle Geschlechterdiskriminierungen etwa in der Bildung oder auf dem Arbeitsmarkt zu überwinden und neue Formen des geschlechtergerechten Zusammenlebens zu entwickeln, bleiben die Rechte von Frauen und Mädchen als erste auf der Strecke. Der Kampf für Geschlechtergerechtigkeit ist also immer auch ein Kampf für Steuergerechtigkeit und einen gut finanzierten Service Public – und umgekehrt. Umso mehr, wenn dieser Kampf von der Schweiz aus mit einem globalen Blick für die ökonomischen Strukturen hinter der Diskriminierung von Frauen und Mädchen geführt wird. Denn nach wie vor und trotz allen steuerpolitischen Reformen der letzten Jahre, ist die Schweiz der grösste Offshore-Finanzplatz und einer der prominentesten Handels- und Kapitaldrehscheiben für multinationale Konzerne aus aller Welt. Hierzulande werden also Gewinne versteuert, die anderswo erwirtschaftet wurden und dort als Steuereinnahmen fehlen – mit potentiell verheerenden Folgen schon am Beginn jedes Menschenlebens.

Artikel

Der Green New Deal nach Pettifor

22.03.2020, Finanzen und Steuern

Eine wirksame Klimawende braucht mehr als nachhaltige Investitionspolitik und CO₂-Bepreisung. Die britische Ökonomin Ann Pettifor will das Finanz- und Steuersystem grundlegend reformieren und sagt: «We can afford, what we can do».

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Der Green New Deal nach Pettifor

Die Solaranlage von Noor 3 unweit von Ouarzazate im Süden von Marokko.
© Abdeljalil Bounhar / AP / Keystone

An den Demonstrationen der Klimabewegung ist eine Losung omnipräsent: «System change, not climate change» steht auf Kartonschildern von Kiruna bis Kapstadt, von Toronto bis Tokio. Dass die ökologische Transformation weit über das hinausgehen muss, was wir heute von den UNO-Klimakonferenzen oder aus der Schweizer Diskussion zum CO₂-Gesetz kennen, ist allen klar, die sich ernsthaft mit der Klimakrise auseinandersetzen. Doch wie könnte dieser System change realisiert werden? Wie müsste etwa das globale Finanzsystem ausgestaltet sein, damit es der ökologischen Wende der Weltgesellschaft nicht mehr im Weg stünde, sondern diese im Gegenteil beförderte? Mit «The Case for the Green New Deal» legte die britische Ökonomin Ann Pettifor im Herbst 2019 ein Buch vor, das konkrete Antworten auf genau diese Fragen geben will. In aller Kürze heisst Green New Deal bei Ann Pettifor: Der Aufbau einer Gesellschaft mit garantiertem Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle und einer Wirtschaft, die auf erneuerbare Energien, viel Arbeit und einem ökologisch nachhaltigen und öffentlichen Transportwesen basiert und sich vom Wachstumsparadigma verabschiedet hat.

Aus Pettifors Sicht manifestiert sich in der Auseinandersetzung um das richtige Finanzsystem eine zentrale politische Machtfrage: Wer entscheiden kann, wo und zu welchen Bedingungen Kapital investiert wird, verfügt über wesentliche Hebel der politischen Ökonomie und prägt damit die Architektur eines Gesellschaftssystems. Im Kontext der ökologischen Wende wirft Pettifor die Frage auf, ob das Finanzsystem weiterhin auf die Befriedigung der Partikularinteressen von Kapitaleignern ausgerichtet sein soll. Oder ob es so organisiert werden kann, dass es dem Aufbau und dem Unterhalt von gesellschaftlichen Strukturen dient, die in Zeiten der Klimakrise den Erhalt der Grundlagen der menschlichen Zivilisation gewährleisten können. Die heutige Prämisse des Finanzsystems, wonach grundsätzlich jeder Investition eine Möglichkeit auf Gewinn innewohnen muss, verlangt nach einem Wachstumsimperativ. Aber Wirtschaftswachstum sei letztlich nur möglich, meint Pettifor, wenn fossile Rohstoffe und menschliche Arbeitskraft ausgebeutet werden, mit den bekannten ökologischen und sozialen Verwerfungen. Deshalb verunmöglicht die heutige Architektur der Finanzmärkte aus Pettifors Sicht die ökologische Transformation.

Ein dreistufiger Plan

Pettifors Plan zur Umsetzung des Green New Deal (GND) basiert auf drei Prämissen.

Erstens: Uns rennt die Zeit davon. Bis in zehn Jahren müssen wir die weltweiten fossilen CO₂-Emissionen auf netto null gesenkt haben. Ansonsten erreichen wir das 2-Grad-Ziel des Pariser Klimaübereinkommens nicht. Die Hoffnung auf technologische Innovationen, die den Widerspruch zwischen Wachstum und Ökologie auflösen könnten, komme zu spät. Bleibt nur, schnellstmöglich die Regeln unseres Finanzsystems zu ändern.

Zweitens: Die finanziellen Ressourcen, welche die Unterzeichnerstaaten im Pariser Abkommen zugesagt haben, reichen nicht aus, um bis 2030 «netto null» zu erreichen.

Drittens: Soll die ökologische Wende schnell, umfassend und demokratisch legitimiert gelingen, muss sie sozial gerecht gestaltet sein.

Der GND ist für Pettifor zwingend ein globales Projekt; aus dem simplen Grund, dass die natürlichen Lebensgrundlagen – und diese hängen entscheidend vom Klima ab – keine Grenzen kennen. Trotzdem müsse die Umsetzung des GND hauptsächlich innerhalb der Nationalstaaten vorangebracht werden. Der Grund: Den zuständigen multilateralen Institutionen traut Pettifor aufgrund ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht zu, jene politische Energie zu entwickeln, die für die Umsetzung des äusserst ambitionierten Planes nötig ist. Pettifor setzt dabei vor allem auf die globalen Netzwerke sozialer Bewegungen und der Zivilgesellschaft: Sie können gemeinsam transnationale politische Ziele entwickeln und diese im jeweiligen nationalen Kontext vorantreiben. All dies muss gemäss Pettifor zwingend innerhalb demokratischer Strukturen erreicht werden. Damit der Green New Deal die nötigen politischen Mehrheiten erzielt, muss er für gesellschaftlich Benachteiligte einen sozialen Fortschritt bringen. Er müsse feministische Anliegen genauso aufnehmen wie den Kampf gegen die soziale Ungleichheit und die Armut in den Ländern des Südens.

Die Autorin räumt ein, dass dies enorm hohe Ansprüche sind. Von deren Einlösung hänge jedoch nicht weniger als das Fortbestehen der menschlichen Zivilisation ab. Nur die starke politische Steuerung dieses Prozesses könne innert Kürze jene riesigen finanziellen Mittel mobilisieren, mit denen die ökologische Transformation in den nächsten zehn Jahren in Gang gebracht werden kann. Nur die Politik könne die Geldflüsse in den Finanzmärkten dort kanalisieren, wo sie für die Klimawende dringend gebraucht werden. Dass Nationalstaaten solche kurzfristigen Megaprojekte durchziehen können, hätten die Notsituationen der nationalsozialistischen Bedrohung im zweiten Weltkrieg oder die Stabilisierung des globalen Finanzsystems nach der Krise von 2008 gezeigt: Innert Kürze seien weltweit exorbitante staatliche Mittel für Armeen bzw. die Rettung der Finanzindustrie mobilisiert worden. Dafür bräuchten Nationalstaaten aber einen entsprechend umfassenden wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum, den ihnen das heutige Finanzsystem nicht biete. Vorhang auf also für dessen Reform.

Ein Reformprojekt auf drei Säulen

  1. Die globale Offshore-Industrie muss verschwinden. Sie sorgt heute dafür, dass Billionen Dollar unversteuert um den Globus zirkulieren können, und entzieht so den öffentlichen Diensten weltweit jährlich hunderte Milliarden Dollar. Kapitalflüsse innerhalb von Konzernen und in der Vermögensverwaltung müssen offengelegt und entsprechende Gewinne global gerecht verteilt werden. Pettifor folgt damit den Analysen der Global Alliance for Tax Justice (GATJ), der auch Alliance Sud angehört.
  2. Es braucht neue Regulierungen der Finanzmärkte, die es der Politik erlauben, privates Kapital für öffentliche Investitionen zu mobilisieren, um es für den ökologischen Umbau zu nutzen. Entsprechend werden Steuereinnahmen in einem GND-Finanzsystem, wie es Pettifor entwirft, nicht nur für staatliche Ausgaben gebraucht. Dank einem gut finanzierten Haushalt gilt der Staat bei privaten Gläubigern auch als vertrauenswürdiger Schuldner und kann so deren Kredite zu moderaten Zinssätzen für die GND-Investitionen verwenden. Dafür braucht es aber neue geld- und finanzpolitische Regeln. Pettifor weist darauf hin, dass globale Financiers in hohem Mass vom steuerfinanzierten öffentlichen Sektor und insbesondere von den Dienstleistungen und Ressourcen der Zentralbanken profitieren und sieht darin einen entscheidenden Hebel der Politik. So habe die Finanzkrise von 2008 gezeigt, wie stark Schlüsselindustrien – etwa die Finanzindustrie in der Schweiz oder die Autoindustrie in den USA – auf öffentliche Ressourcen angewiesen sind, wenn sie auf Grund einer systemischen Krise vom Untergang bedroht sind. Die Abhängigkeit der privaten Wirtschaft vom Staat als «Gläubiger der letzten Instanz» müsse die Politik in Zukunft nutzen, um privates Kapital in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.Ein starker Fiskus mit einem grossen wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum ist insbesondere aus der Sicht vieler Länder des Südens zentral: Während in Europa und Nordamerika die Liberalisierungen der letzten vierzig Jahre zu Privatisierungen im Service public und einem entsprechenden Machtverlust demokratischer Politik führten, erschwerte das neoliberale Paradigma in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern überhaupt erst den selbstständigen Aufbau stabiler öffentlicher Dienste. Der Abbau nationaler Grenzen im internationalen Kapitalverkehr zwang viele von ihnen in die Kredit- und Schuldenregime des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Das warf sie zurück in die Zeit kolonialer Abhängigkeitsverhältnisse. Umso dringender ist in Zeiten der Klimakrise der systemische Umbau auch im globalen Süden. Die Unterbindung der exorbitanten Steuerflucht aus den ehemaligen Kolonien, von der auch die Schweiz immer noch stark profitiert, würde es der dortigen Politik endlich ermöglichen, Wirtschaftskonzepte zu entwickeln, die sie aus der finanziellen und politischen Abhängigkeit ausländischer Geldgeber mit ihren Eigeninteressen befreit.
  3. Eine entscheidende Rolle bei der GND-Finanzierung spielen bei Pettifor die Zentralbanken. Mit ihrer anhaltenden Tiefzinspolitik seit der Finanzkrise widerlegen diese die Theorie orthodoxer Geldpolitik, wonach anhaltend tiefe Zinsen ausserhalb von Krisenzeiten zu hoher Inflation und damit zu Wertvernichtung führen. Pettifor will diese Zinspolitik für die Finanzierung des GND nutzen. Damit dies funktioniert, dürfen allerdings nicht mehr vor allem Banken, Grossinvestoren und Superreiche davon profitieren. Das billige Geld muss ganzen Gesellschaften zugutekommen. Das bedingt aber eine Lösung der Schuldenbremsen. Sie schränken die staatliche Neuverschuldung – also die Kreditaufnahme zugunsten öffentlicher Investitionen – stark ein und führen so nicht zu stärkeren öffentlichen Sektoren, sondern befördern stattdessen eine rigorose Sparpolitik. Diese hat seit 2008 zu weiteren Privatisierungen öffentlicher Güter und damit zu einem Machtgewinn privater Investoren auf Kosten der Politik geführt. So beschränken Schuldenbremsen die Gestaltungsmacht der Demokratie und sichern die gesellschaftliche Macht finanzstarker Privater gegenüber den Interessen demokratischer Gemeinwesen ab.

Für ein Primat des Handelns statt des Geldes

Ann Pettifors Green New Deal soll einer ökologischen Wirtschaft ohne Wachstum zum Durchbruch verhelfen. In dieser stationären Wirtschaft (Steady-State-Economy) soll lokale, menschenwürdige Arbeit die Nutzung fossiler Energien und die Ausbeutung von ArbeiterInnen im globalen Süden ersetzen, deren Löhne heute oft nicht zu einem menschenwürdigen Leben reichen. Die Ökonomien der reichen Länder würden neu arbeits- statt kapitalintensiv. Und die Länder des Südens würden vom Lohndruck befreit, der grosse Teile ihrer Bevölkerungen bis heute in Armut hält. Viele Tätigkeiten, die wir von den alten Industrieländern in Billiglohnländer ausgelagert haben, würden wieder zu uns zurückkehren. Statt billige neue Güter zu produzieren, würde auch in Ländern, in denen heute die Dienstleistungsindustrie dominiert, nicht mehr fast ausschliesslich betreut, sondern auch wieder hergestellt, repariert und umgebaut. Finanziert würde diese Arbeit indirekt oder direkt durch öffentliche Investitionen. Flössen diese in eine arbeitsintensive Gesellschaft mit guten Löhnen, würde die Vernichtung ökonomischer Werte durch billiges Geld verhindert, sagt Pettifor. Starke öffentliche Institutionen müssten dafür sorgen, dass sich Nachfrage und Angebot von Investitionsmöglichkeiten die Waage hielten. Die Wirtschaft würde in einen Kreislauf ohne Wachstum, aber mit sicheren Existenzen für alle münden. Verlieren würde nur jene verschwindend kleine globale Minderheit, die heute ausschliesslich davon lebt, dass sie ihr Geld – also eigentlich Milliarden von Menschen – für sich arbeiten lässt.

Letztlich will Pettifor das Grundprinzip unserer Gesellschaft vom Kopf auf die Füsse stellen: Während wir heute nur das tun, was wir uns leisten können, sollen wir uns in Zukunft alles leisten können, wozu wir im Stande sind.

Ann Pettifor, The Case for the Green New Deal, Verlag Verso, 2019, ca. 24 CHF

Artikel

Steuerwettbewerb, keine nachhaltige Strategie

09.12.2020, Finanzen und Steuern

Für die globale Finanzierung der UNO-Nachhaltigkeitsziele sind die Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse und die Ressourcenmobilisierung vor allem in Entwicklungsländern zentral.

Dominik Gross
Dominik Gross

Experte für Steuer- und Finanzpolitik

Steuerwettbewerb, keine nachhaltige Strategie

«Die Schweiz unterstützt das breit abgestützte Finanzierungskonzept der Addis Abeba Aktionsagenda, das sowohl die Mobilisierung nationaler wie internationaler Finanzflüsse vorsieht und worin die Politikkohärenz als wichtiger Pfeiler genannt wird. Unter dem Stichwort «Leave no one behind» legt die Schweiz wie die Agenda 2030 einen Fokus auf die am stärksten benachteiligten Menschen». Das schrieb der Bundesrat 2018 in seinem Länderbericht zur Umsetzung der Agenda 2030 durch die Schweiz. Eine Antwort auf die Frage, wie die Schweiz konkret zur öffentlichen Finanzierung der UNO-Nachhaltigkeitsziele beitragen wird, die gemäss Schätzungen der UNO insgesamt einen Finanzierungsbedarf von 7000 Milliarden jährlich bis 2030 hat, blieb der Bundesrat allerdings schuldig. Man konnte seither hoffen, dass er dies im Rahmen der Erarbeitung der «Strategie nachhaltige Entwicklung» (SNE) nachholen würde. Der Anfang November publizierte Vernehmlassungstext für diese Strategie zeigt nun: Diese Hoffnungen hat der Bundesrat vollends enttäuscht.

Im Entwurf der SNE stehen exakt zwei Sätze zur Frage, was die Schweiz als weltweit wichtigster Offshore-Finanzplatz und bedeutender Sitzstaat multinationaler Konzerne im Kampf gegen entwicklungsschädigende Steuerflucht, Geldwäscherei und Korruption unternehmen könnte. Auf Seite 29 schreibt der Bundesrat: «Die Schweiz setzt sich […] für die Eindämmung illegaler Finanzflüsse ein. Sie setzt sich auf internationaler und nationaler Ebene für die Entwicklung und Umsetzung wirksamer Standards zur Erhöhung der Transparenz sowie zur Vermeidung und Bekämpfung der illegalen Tatbestände ein, die diesen Finanzflüssen zugrunde liegen.» Das ist schon alles und deutlich weniger als das, was der Bundesrat vor zwei Jahren zur Umsetzung der Agenda 2030 schrieb. Das ist aus der Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung, die nicht nur die Umsetzung der Agenda 2030 im Inland im Sinn hat, sondern auch an den globalen Einfluss des Finanz- und Handelszentrums Schweiz denkt, blanker Hohn.

Die Schweiz zieht Fluchtgelder an,…

Die Schweiz verfügt auch nach wie vor über keine Strategie, die den Abfluss von Steuermitteln aus Entwicklungsländern verhindern würde. Weiterhin entgehen diesen durch Steuerhinterziehung und Steueroptimierung Milliarden von Franken. Die Schweiz beherbergt immer noch den grössten Offshore-Finanzplatz der Welt: Ende 2019 verwalteten Schweizer Banken 25% aller weltweiten Vermögen: Gemäss den Zahlen der Schweizer Bankiervereinigung beträgt die Gesamtsumme der ausländischen Vermögen 3742,7 Milliarden Franken. Die Schweiz beherbergt als Tiefsteuergebiet für Unternehmen zudem hunderte Hauptsitze multinationaler Konzerne. Sowohl für den Abfluss von privaten Vermögen aus Entwicklungsländern als auch für Gewinnverschiebungen von Konzernen aus Produktionsländern des Südens in die Steueroasen des Nordens ist die Schweiz also prominent mitverantwortlich, da der automatische Informationsaustausch von Bankkundendaten und auch jener von Konzernbuchhaltungsdaten mit den meisten Entwicklungsländern (noch?) nicht funktioniert. Sie ist mit ihrer aktuellen Finanz- und Steuerpolitik zudem ein starker Treiber des globalen Steuerwettbewerbs, der für immer tiefere Steuersätze vor allem im Bereich der Unternehmensbesteuerung sorgt und viele Staaten zu immer weitergehenden Einschnitten in ihren Budgets zwingt. Dies bekommen wiederum die Bedürftigsten am meisten zu spüren.

… statt sie zu bekämpfen

Will die Schweiz in Zukunft ein Finanzplatz sein, dessen Geschäftsmodell den Zielen der Agenda 2030 nicht mehr zuwiderläuft, kann sie sich nicht einfach nur mit der Umsetzung der neuen Minimalstandards im Bereich der Steuertransparenz der OECD und der G20 begnügen. Sie wäre gut beraten, als prominenter «Global Player» in der Finanzindustrie vielmehr eine Vorreiterrolle für eine gerechte globale Umverteilung von privatem Reichtum und Konzernprofiten zu übernehmen. Das würde bedeuten, dass sie sich für eine wirklich globale Durchsetzung von Steuertransparenz sowohl im Bereich der Finanzkonten (verschiedene Formen des Informationsaustauschs zwischen Steuerbehörden) wie auch im Bereich der Unternehmensberichterstattung (Country-by-Country-Reporting) einsetzt. Auch die Entwicklungsländer könnten davon profitieren. Sie würden so wenigstens über einen Teil der Daten verfügen, die eine Voraussetzung dafür sind, dass Steuerbehörden den Abfluss ihrer Steuergelder in Steuerparadiese überhaupt unterbinden können. Dies wiederum ist nötig, wenn man Ländern des Südens ermöglichen will, zunehmend eigene Steuermittel für ihre nachhaltige Entwicklung zu generieren.

Artikel, Global

Investitionen an den Klimazielen ausrichten

06.12.2022, Finanzen und Steuern

Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens hat sich die Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, die Finanzströme auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft auszurichten. Die Schweiz bewegt sich in diese Richtung – aber in sehr kleinen Schritten.

Laurent Matile
Laurent Matile

Experte für Unternehmen und Entwicklung

Investitionen an den Klimazielen ausrichten

© House of Switzerland

Auch wenn es manchmal vergessen geht: Das Pariser Abkommen verpflichtet die Staaten – neben der Verringerung ihrer CO2-Emissionen und der Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels – auch zur Ausrichtung von Finanzflüssen auf eine treibhausgasarme und klimaresiliente Entwicklung. So sollen die Staaten mit geeigneten Massnahmen sicherstellen, dass die Finanzmarktakteure – durch ihre Finanzierungen und Investitionen – einen Beitrag zur Umlenkung der Kapitalflüsse zugunsten konkreter Lösungen zur Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an das veränderte Klima leisten. Vereinfacht ausgedrückt sollen «Investitionen an den Zielen des Pariser Abkommens ausgerichtet werden».

Angesichts seiner globalen Bedeutung – 24% der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung findet in der Schweiz statt – wäre der Schweizer Finanzsektor durchaus in der Lage, entscheidend als Katalysator zu wirken und so diese Neuausrichtung voranzubringen. Doch während sich alle über das Ziel einig sind, gehen die Meinungen über die Massnahmen zur Zielerreichung weit auseinander.

EU-Taxonomie: «Nachhaltigkeit» endlich definieren

Die EU ihrerseits hat im Juni 2020 die Taxonomie-Verordnung verabschiedet; sie ist das Rückgrat ihres Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Eines ihrer Hauptanliegen ist es, Investitionen in «nachhaltige» Aktivitäten, die mit dem Ziel der EU – Klimaneutralität bis 2050 – einher gehen, zu identifizieren und zu fördern. Zu diesem Zweck schafft die Verordnung eine Klassifizierung (Taxonomie) der wirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen nach ihrem Potenzial, zu den sechs Umweltzielen der EU beizutragen.  Sie umfasst auf verschiedenen Ebenen über 70 Aktivitäten aus den Bereichen Energie, Verkehr, Forstwirtschaft und Bauwesen : diese machen mehr als 90% der Treibhausgasemissionen der EU aus. Grossunternehmen sind angehalten, ihre der Taxonomie entsprechenden Tätigkeiten auszuweisen und deren Anteil an ihrer Gesamtaktivität anzugeben. Diese Informationen sollen es den Finanzmarktakteuren ermöglichen, die Finanzierung jener Projekte und Vermögenswerte zu priorisieren, die nachweislich am meisten zum Senkungspfad in Richtung Klimaneutralität beitragen. Ausserdem müssen Grossunternehmen ab 2023 die Ausrichtung ihrer Aktivitäten an der Taxonomie publik machen. Die gleiche Verpflichtung gilt ab 2024 auch für Finanzinstitute.

Damit eine Tätigkeit im Sinne der Taxonomie als «grün» eingestuft werden kann, muss sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele der EU leisten, ohne den anderen fünf Zielen erheblich entgegenzuwirken, und dabei Garantien in Bezug auf Menschen- und Arbeitsrechte einhalten. Die Kriterien zur Identifizierung umweltfreundlicher Aktivitäten werden von der Europäischen Kommission festgelegt. Ein erster Rechtsakt mit Schwerpunkt Klima – seit Januar 2022 in Kraft – betrifft Aktivitäten, die zu den ersten beiden Zielen der Taxonomie (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) beitragen.  Die Kriterien für die anderen vier Ziele (Umweltverschmutzung, Wasser, Kreislaufwirtschaft und Biodiversität) sollen bis Ende des Jahres festgelegt werden. In Zukunft sollen auch zusätzliche soziale Kriterien und Gouvernanz-Aspekte definiert werden.

Zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit

Der Bundesrat anerkannte 2020 in seinem Bericht über die nachhaltige Entwicklung im Schweizer Finanzsektor die Bedeutung eines einheitlichen Klassifikationssystems für nachhaltige Aktivitäten (Taxonomie), in erster Linie «weil vergleichbare Informationen Transparenz für KundInnen, Versicherte, InvestorInnen und die Öffentlichkeit bedeuten» . Trotzdem zog er es – nach Widerstand aus der Branche und unter Berufung auf das sakrosankte Subsidiaritätsprinzip in Bezug auf staatliches Handeln – vor, einen freiwilligen und damit nicht regulatorischen Ansatz zu verfolgen.  Im Juni 2022 verabschiedete er die Swiss Climate Scores (SCS), die von einer Arbeitsgruppe aus BranchenakteurInnen, VertreterInnen der Bundesverwaltung, der Wissenschaft und von NGOs erstellt wurden.  Ihr Ziel: institutionellen oder privaten Investoren «zuverlässige und vergleichbare» Informationen darüber zu liefern, inwieweit ihre Finanzanlagen mit den internationalen Klimazielen vereinbar sind. Der Bundesrat empfiehlt allen Schweizer FinanzmarktakteurInnen, die Swiss Climate Scores überall dort auf Finanzanlagen und Kundenportfolios anzuwenden, «wo dies sinnvoll ist».

Ist der Ansatz glaubwürdig?

Um ihrer Eigenschaft als «Best Practices» im Bereich der Klimatransparenz gerecht zu werden, sollen die SCS in regelmässigen Abständen überprüft und «falls nötig» an die neuesten Erkenntnisse angepasst werden. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) und das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) wurden beauftragt, bis Ende 2023 den Stand der – wie gesagt freiwilligen – Einführung der «Swiss Climate Scores» durch die Schweizer Finanzmarktakteure zu überprüfen. In diesem Zusammenhang wird es sinnvoll sein, die erzielten Fortschritte mit jenen zu vergleichen, die in der EU durch die Taxonomie und andere Regulierungsmassnahmen erzielt wurden.

Zum jetzigen Zeitpunkt werfen die SCS mehrere Fragen auf: Werden sie innerhalb des Finanzsektors tatsächlich umgesetzt? Wird der (alleinige) Druck der KundInnen auf die Finanzinstitute ausreichen, um ihre Umsetzung zu gewährleisten? Oder können nur weitergehende, regulatorische Massnahmen einen genügend grossen Klimaanreiz schaffen und so sicherstellen, dass Investitionen an den Zielen des Pariser Abkommens ausgerichtet werden, zu denen sich die Schweiz verpflichtet hat? – Fortsetzung folgt 2023.

Die 5 + 1 Indikatoren der Swiss Climate Scores

Die SCS umfassen fünf obligatorische und einen optionalen Indikator. Drei Indikatoren beziehen sich auf den aktuellen Stand der Portfolios (Treibhausgasemissionen; Exposition gegenüber fossilen Brennstoffen; glaubwürdiger Klimadialog mit Unternehmen). Zwei Indikatoren sind «zukunftsorientiert» (verifizierte Bekenntnisse zu Netto-Null; Management auf Richtung Netto-Null). Der Indikator «globales Erwärmungspotenzial», also das Ausmass der globalen Erwärmung, wenn die Weltwirtschaft mit der gleichen Ambition wie die Portfolio-Unternehmen handeln würde, bleibt vorerst optional.

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Nachhaltige Finanzen

Nachhaltige Finanzen

Alliance Sud setzt sich dafür ein, dass der Schweizer Finanzplatz konsequent und effektiv zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der UNO beiträgt und dessen Geschäftstätigkeiten mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang gebracht werden.

Worum es geht >

Worum es geht

Das Pariser Klimaabkommen verpflichtet die Länder, Finanzströme mit einer Entwicklung in Einklang zu bringen, die geringe Treibhausgasemissionen aufweist und resistent gegen den Klimawandel ist. Ähnliche Ziele sind auf internationaler Ebene auch im Bereich der Biodiversität vorgesehen.

Die Schweiz ist weltweit das wichtigste Zentrum für die Verwaltung grenzüberschreitender Vermögenswerte und verfügt über einen Versicherungssektor, der globale Risiken abdeckt. Dementsprechend trägt sie eine Hauptverantwortung dafür, dass die Finanzströme mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung und des Klimaschutzes in Einklang gebracht werden und kein Greenwashing unterstützen.

Medienmitteilung

Finanzgipfel in Paris

19.06.2023, Entwicklungsfinanzierung

Der französische Präsident organisiert diese Woche eine geschlossene Diskus­sionsrunde über eine stärkere Finanzierung nachhaltiger Entwicklung im Globalen Süden. Der Elefant im Raum bleiben wird eine echte Reform des globalen Finanzsystems.

Finanzgipfel in Paris

Vom 22.-23. Juni 2023 organisiert Frankreich einen «Summit on a New Global Financing Pact» in Paris. Hauptsächlich hinter verschlossenen Türen diskutieren Staats- und Regierungschef:innen mit Vertreter:innen der Finanzakteure über eine stärkere Finanzierung nachhaltiger Entwicklung im Globalen Süden. Reformen, die das Finanzsystem tatsächlich gerechter machen würden, werden aber nicht lanciert – auch nicht von der Schweiz, die ebenfalls teilnimmt.

Die Vielfachkrise im Globalen Süden vernichtet Fortschritte in der nachhaltigen Entwicklung und es fehlt vielerorts an finanziellen Mitteln. Der neuste Weltklimabericht stellte ausserdem klar, dass die Kosten der Klimakrise viel schneller zunehmen als die finanziellen Mittel, die dafür zur Verfügung stehen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron organisiert diese Woche eine geschlossene Diskus­sionsrunde unter Staatschef:innen, die weitreichende multilaterale Entscheide an kommenden Gipfeln vorspuren könnte: bei der G20, an der UNO-Halbzeitkonferenz für die Agenda 2030 und der Klimakonferenz COP28. Im Zentrum steht der Ausbau der privaten Finanzierung für eine grüne Wende. Es sollen aber auch Ideen zum besseren Schutz besonders verletzlicher Staaten vor den negativen Folgen der Klimakrise und zu neuen Finanzierungsinstrumenten zur Deckung von Klima­schäden ausgetauscht werden.

Die meisten Vorschläge sind Symptombekämpfung: Es ist nicht so, dass in der Welt zu wenig Geld für mehr nachhaltige Entwicklung vorhanden ist, es wird nur sehr schlecht verteilt. An Macrons Gipfel wird eine echte Reform des globalen Finanzsystems, die dieses gerechter machen könnte, der Elefant im Raum bleiben: «Während die Schuldenkrise im Globalen Süden sich stetig ver­schärft, wird am Gipfel nur ‘Pflästerlipolitik’ betrieben. Die wirklichen Fragen bleiben aussen vor: Transparenz bei den Gläubigern, Umverteilung von finanziellen Ressourcen vom Norden in den Süden und – unumgänglich – Schuldenerlasse», kommentiert Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungs­politik.

Was ist die Rolle der Schweiz?

Alliance Sud verfolgt die aktuellen internationalen Debatten zu diesen Themen und stellt fest: Die offizielle Schweiz geniesst und schweigt. Denn sie profitiert finanziell davon, dass Konzerne weiter­hin ihre Gewinne aus Produktionsländern in Schweizer Tiefsteuerkantone verschieben. Sie wendet nur 0.4% ihres Bruttonationaleinkommens für ihre internationale Zusammenarbeit auf anstatt der versprochenen 0.7%. Trotz ihrer sehr globalisierten Wirtschaft leugnet die Schweiz jegliche Verant­wortung für Emissionen importierter Güter, die ausserhalb ihrer Landesgrenzen anfallen, ebenso wie die im Ausland verursachten Emissionen des Schweizer Finanz- und Rohstoffhandelsplatzes. Entsprechend spielt sie ihre Verantwortung in der Klimafinanzierung herunter und rühmt sich den­noch ihrer Grosszügigkeit. Andreas Missbach: «Die Schweiz ist Trittbrettfahrerin, dabei könnte sie dank ihrem bedeutenden Finanzplatz und dem Sitz vieler multinationaler Konzerne das Steuer in die Hand nehmen und die grüne Wende, mehr Transparenz und ein gerechtes Steuersystem voranbringen.»

Für eine detailliertere Einschätzung und ausführlichere Hintergrundinformationen zu den diskutier­ten Themen des Gipfels finden Sie hier:

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Tel. +4131 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

Laurent Matile, Experte Unternehmen und Entwicklung, Alliance Sud, Tel. +4122 901 14 81, laurent.matile@alliancesud.ch

Delia Berner, Expertin Internationale Klimapolitik, Alliance Sud, Tel. +4177 432 57 46, delia.berner@alliancesud.ch

Dominik Gross, Experte Steuer- und Finanzpolitik, Alliance Sud, Tel. +4178 838 40 79, dominik.gross@alliancesud.ch