Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit

USAID-Zerschlagung ruft Entwicklungspolitik auf den Plan

30.04.2025, Internationale Zusammenarbeit

An einem Medienhintergrundgespräch am Club Suisse de la Presse in Genf haben Geschäftsleiter:innen und Expert:innen von Alliance Sud und ihren Mitgliedern die dramatischen Folgen des Rückzugs der USA und weiterer Staaten aus der Entwicklungszusammenarbeit aufgezeigt. In Zukunft müssen mit weniger Mitteln noch mehr Krisen bewältigt werden: ein Ding der Unmöglichkeit. Was gilt es also zu tun, um die internationale Zusammenarbeit aus der Sackgasse zu befreien?

Marco Fähndrich
Marco Fähndrich

Kommunikations- und Medienverantwortlicher

USAID-Zerschlagung ruft Entwicklungspolitik auf den Plan

Von links nach rechts: Karolina Frischkopf, HEKS-Direktorin, Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Isabelle Falconnier, Direktorin Club suisse de la presse und Barbara Hintermann, Direktorin Terre des hommes. © Amandine Lacroix / Club suisse de la presse

In nur 100 Tagen hat der neue US-Präsident Donald Trump viele Fortschritte zunichte gemacht, die in den letzten Jahren in der globalen Armutsbekämpfung erreicht worden sind. «Was er genau beschlossen hat und inwiefern gewisse Aktivitäten von USAID im State Department weitergeführt werden, sei noch immer schwer einzuschätzen», sagte der Geschäftsleiter von Alliance Sud, Andreas Missbach. Klar sei aber schon jetzt, dass die massiven Kürzungen auch Schweizer Programme und ihre Partner direkt betreffen – mit verheerenden Konsequenzen für die Menschen in den ärmsten Ländern.

«Der abrupte Finanzierungsstopp des weltweit grössten humanitären Geldgebers hat fatale Auswirkungen auf das globale humanitäre System. Millionen von Menschen in Krisengebieten, die dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, verlieren überlebenswichtige Hilfe», sagte die Direktorin von HEKS, Karolina Frischkopf.

 

 

Auch Organisationen wie Caritas Schweiz, die keine direkte Finanzierung von USAID erhalten haben, spüren die Konsequenzen: «Die drastischen Budgetkürzungen, die von USAID und anderen internationalen Gebern auferlegt wurden, haben die humanitären Operationen im Libanon und in Syrien zutiefst gestört, das Leiden verschlimmert und die Institutionen geschwächt. Die Entwicklungsorganisationen sind nun gezwungen, schwierige Entscheidungen zu treffen, um den wachsenden Bedürfnissen gerecht zu werden», sagte Dina Hajjar, Head of Office im Libanon für Caritas Schweiz.

Dina Hajjar, Verantwortliche von Caritas Schweiz im Libanon

Die drastischen Budgetkürzungen haben die humanitären Operationen zutiefst gestört, das Leiden verschlimmert und die Institutionen geschwächt.

Dina Hajjar, Verantwortliche von Caritas Schweiz im Libanon

 

Kürzungen auf Kosten von 3,7 Millionen Menschen

Laut einer Umfrage von Alliance Sud, an der 24 NGOs teilgenommen haben, schulden die USA sieben Organisationen circa 15 Millionen USD für Projekte, die bereits umgesetzt wurden, und fünf Organisationen können geplante Projekte im Umfang von circa 25 Millionen nicht realisieren. Der US-Kahlschlag verschärft die Kürzungen, die die eidgenössischen Räte im Dezember 2024 beschlossen haben, zusätzlich: «Es wird geschätzt, dass rund 3,7 Millionen Menschen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, nicht mehr unterstützt werden können, zum Beispiel mit Gesundheits- und Wasserversorgung oder Ernährungshilfe», sagte Andreas Missbach gestützt auf die NGO-Umfrage.

Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit steht somit vor gewaltigen Herausforderungen und muss immer mehr Krisen mit weniger öffentlichen Mitteln bewältigen. Das gehe aber nicht auf, warnte Missbach eindringlich: Das müsse der Bundesrat endlich einsehen und sich klar für eine starke bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Die Kürzungen, die das Parlament beschlossen hat, müssten mit einem Nachtragskredit wieder rückgängig gemacht werden und für das internationale Genf solle ein Aktionsplan zur Unterstützung des multilateralen Systems vorgelegt werden, forderte Missbach.

Politikkohärenz wichtiger denn je

Am Medienhintergrundgespräch wurde auch die Frage diskutiert, ob die beispiellosen Rückschläge in der Entwicklungsfinanzierung langfristig auch eine Chance für die eigenständige Entwicklung der ärmsten Länder darstellen könnte, weil sie nun stärker auf ihre eigenen Ressourcen setzen müssen. Die Generaldirektorin von Terre des hommes, Barbara Hintermann, hat dies nicht a priori ausgeschlossen, aber vor kurzfristigen gesellschaftlichen Spannungen und Schwierigkeiten gewarnt. Vielmehr setzt sie ihre Hoffnung in die Kreativität, Innovation und Flexibilität der NGOs im Globalen Süden und Norden: «Es ist an der Zeit, die zivilgesellschaftlichen Allianzen zu stärken, Kooperationen zum Beispiel im Logistikbereich zu intensivieren und die vielen Doppelspurigkeit bei der Evaluation von Entwicklungsprojekten zu reduzieren», sagte Hintermann.

Es besteht allerdings Einigkeit, dass dies nicht genügen wird, um den Rückgang der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung zu kompensieren. Dafür brauche es jetzt auch die Solidarität der Bevölkerung, wie sie in Meinungsumfragen immer wieder an den Tag gelegt wird. Und eine umfassende Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung. Denn Entwicklungsfinanzierung bedeutet viel mehr als Geld für internationale Zusammenarbeit und Klimafinanzierung, so Missbach. Dies spiegelt sich im umfassenden UN-Prozess für Entwicklungsfinanzierung mit drei grossen Konferenzen seit der Jahrhundertwende wider. Eine vierte Konferenz wird Ende Juni in Sevilla stattfinden. «Dabei geht es nicht nur um die eng gefasste öffentliche Entwicklungsfinanzierung (ODA/APD)», sagte Missbach, «sondern um grundlegende Reformen, die sich letztlich viel stärker auf die den Ländern des Globalen Südens zur Verfügung stehenden Mittel auswirken werden, als es die öffentliche Entwicklungshilfe je getan hat.»

Auf der Agenda stehen insbesondere die Reform des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, Schulden und Schuldenerlass, Handelsfragen und ein neues Steuersystem im Rahmen der UNO, das es den ärmsten Ländern ermöglichen würde, ihre eigenen Ressourcen zu nutzen, statt dass sie in die Finanzzentren des Nordens abfliessen. Fragen der Politikkohärenz werden angesichts des Rückgangs der öffentlichen Entwicklungsausgaben noch wichtiger und müssen insbesondere von reichen Ländern wie der Schweiz ernsthaft bearbeitet werden.

 

Beitrag der SRF-Tagesschau vom 29. April 2025: