Investitionsschutz

Adieu Schiedsverfahren: einseitiger Mechanismus unter Druck

30.09.2025, Handel und Investitionen

Wollen Staaten im öffentlichen Interesse regulieren, sehen sie sich oft mit Klagen ausländischer Investor:innen konfrontiert, die auf Abkommen aus einer anderen Zeit beruhen. Doch der Widerstand dagegen wächst.

Isolda Agazzi
Isolda Agazzi

Expertin für Handels- und Investitionspolitik sowie Medienverantwortliche Westschweiz

Adieu Schiedsverfahren: einseitiger Mechanismus unter Druck

Wenn Unternehmen in der Klimakrise ihre fossilen Investitionen einklagen: Rauch steigt aus dem Kohlekraftwerk Trianel im Ruhrgebiet. © Keystone / Westend61 / Wilfried Wirth

«Zahlreiche Investitionsschutzabkommen stammen aus einer längst vergangenen Zeit und enthalten keine Bestimmungen zu Klimawandel und Umwelt. Wollen Länder Massnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit ergreifen, werden sie vor Gericht gezerrt, weil sie gegen Abkommensregeln verstossen», erklärte Rebeca Grynspan, Generalsekretärin der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Mitte Juni in Genf anlässlich der Vorstellung des Weltinvestitionsberichts 2025.

Sie fügte hinzu: «Wir unterstützen die Länder bei der Neuverhandlung dieser Abkommen. Oberstes Ziel ist es, mit dem Privatsektor Win-win-Lösungen auszuhandeln. Allerdings stehen die heutigen Interessen und das, was vor 30 Jahren unterzeichnet wurde, oft im Widerspruch. Eine Neuauflage der Abkommen muss unbedingt private und öffentliche Interessen vereinen.»

Die UN-Beauftragte bezog sich auf Klagen, die im Rahmen des Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor:innen und Staaten (ISDS) vor Schiedsgerichten eingereicht werden. Diese haben oft einen Bezug zu fossilen Energien, wie beispielsweise der Fall der Azienda Elettrica Ticinese (AET), einem öffentlichen Tessiner Unternehmen, das gegen die Entscheidung Deutschlands, das Kohlekraftwerk Lünen zu schliessen, geklagt hat. Es fordert eine Entschädigung in der Höhe von 85,5 Millionen Euro zuzüglich Zinsen. AET beruft sich auf den Energiecharta-Vertrag aus den 1990er Jahren, der ausländische Investitionen in Energien, darunter auch fossile, schützt und damit die Energiewende verzögert.

 

Ein umstrittener Vertrag, den die Schweiz nicht kündigen will

Der Energiecharta-Vertrag (Energy Charter Treaty, ECT) ist ein multilaterales Abkommen aus den 1990er-Jahren, das Investor:innen vor staatlichen Eingriffen im Energiesektor schützt und ihnen Zugang zu privaten Schiedsgerichten garantiert. Nach einem unzureichenden Reformprozess des ECT haben viele Länder beschlossen, aus dem Vertrag auszutreten, darunter Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die EU als Ganzes. Im Gegensatz zu ihren europäischen Nachbarn ist die Schweiz nicht ausgetreten und hat auch nicht die Absicht, dies zu tun.

 

52 Klagen von Schweizer Investor:innen

Bis heute wurden 52 Klagen von Schweizer Konzernen gegen Drittländer, fast immer aus dem Globalen Süden, publik. Vier davon hat Glencore gegen den Staat Kolumbien eingereicht. Gegenstand sind die Kohleminen Cerrejón und Prodeco sowie ein Hafen. Zwei dieser Klagen wurden zugunsten des Investors entschieden – der 19 Millionen USD beziehungsweise 9 Millionen USD an Entschädigungszahlungen erhielt. Zwei Verfahren sind noch hängig.

Diese Klagen berufen sich auf das Investitionsschutzabkommen (ISA) zwischen der Schweiz und Kolumbien aus dem Jahr 2006, das derzeit auf Antrag Kolumbiens aktualisiert wird. Ziel ist es, ein ausgewogeneres Abkommen zugunsten des Gaststaates (Kolumbien) auszuhandeln. Tatsächlich hat die UNCTAD bei den nach 2020 ausgehandelten ISA einige interessante Entwicklungen festgestellt. Aus der Sicht von Alliance Sud die nennenswerteste ist, dass fast die Hälfte der neueren Abkommen den Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor:innen und Staaten (ISDS) ausschliesst. Beispielsweise ist dies beim ISA zwischen Brasilien und Indien sowie zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Australien der Fall. Oft wird dieser umstrittene Mechanismus durch einen zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismus und/oder durch einvernehmliche Konfliktlösungsmassnahmen wie Schlichtung und Mediation ersetzt.

Besserer Schutz im öffentlichen Interesse

Unter der Maxime, Konfliktlösungen mit der Brechstange zu vermeiden, schützen die jüngsten Abkommen das Recht der Staaten, im öffentlichen Interesse zu regulieren, besser. So schränken sie die vor Gericht am häufigsten angerufenen Klauseln stark ein beziehungsweise definieren sie präziser.

Dies gilt insbesondere für die «faire und gleichberechtigte Behandlung» (fair and equitable treatment, FET), die es ausländischen Unternehmen ermöglicht, sich auf den Standpunkt der willkürlich Diskriminierten zu stellen. Ein weiterer Punkt betrifft die «indirekte Enteignung», die häufig geltend gemacht wird, wenn der Gaststaat neue Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit oder der Umwelt erlässt, die den Investoren finanzielle Verluste verursachen könnten. Ebenfalls konkretisiert wurde eine Klausel (clause parapluie), die es ermöglicht, Verpflichtungen, die nichts mit dem Abkommen zu tun haben, als durch dieses geschützt zu betrachten.

Dies waren die wichtigsten Klauseln, auf die sich Philip Morris 2010 in seiner Klage gegen Uruguay berief, als das lateinamerikanische Land eine Anti-Tabak-Gesetzgebung einführte, die den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprach, vom Investor jedoch als übertrieben taxiert wurde. Das Schiedsgericht wies dessen Argumente zurück und gab Uruguay recht. Nach einer intensiv geführten internationalen Kampagne, die in der Schweiz von Alliance Sud und ihren südamerikanischen Partnern unterstützt wurde, konnte sich Uruguay durchsetzen.

Nach wie vor kaum Pflichten

Mit den neuen Abkommen würde eine solche Klage wahrscheinlich schneller abgewiesen werden, bliebe jedoch weiterhin möglich. Solange die Investitionsschutzabkommen bestehen bleiben und den Investoren fast ausschliesslich Rechte und keine Pflichten einräumen, dürfte sich dies auch nicht ändern.

Denn obwohl sie etwas ausgewogener ausfallen, enthalten nur 10% der neuen Abkommen Verpflichtungen in diesem Sinne, insbesondere Klauseln gegen Korruption, für eine transparente Regierungsführung, zum Schutz der Umwelt, für Gewerkschaftsrechte und die Unterstützung der lokalen Gemeinschaften sowie zur angemessenen Besteuerung. Unter diesen Abkommen hebt die UNCTAD insbesondere das Abkommen zwischen der Schweiz und Indonesien aus dem Jahr 2022 hervor.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass fast alle seit 2020 abgeschlossenen Abkommen weiterhin sämtliche Investitionen umfassen, ohne Bedingungen hinsichtlich Nachhaltigkeit oder positive Auswirkungen für das Gastland und seine Bevölkerung zu nennen.

Trotz einiger Verbesserungen in den letzten paar Jahren liegt noch ein langer Weg vor uns. Nach den neuesten verfügbaren Daten verhandelt oder revidiert die Schweiz derzeit ISA mit zehn Ländern, darunter Kolumbien, Indien, Mexiko und Vietnam. Es wäre die Gelegenheit, um die Abkommen in ein Gleichgewicht zu bringen und auf den problematischen ISDS-Mechanismus zu verzichten. Doch diesen Weg scheint die Schweiz nicht einzuschlagen. Im jüngst neuverhandelten ISA mit Chile ist der ISDS nach wie vor fest verankert. Ein ausländischer Investor kann also Klage gegen den Gaststaat erheben, das Gegenteil jedoch ist nicht möglich, z. B. wenn das Unternehmen Böden und Flüsse verschmutzt oder Bevölkerungsgruppen umsiedelt.

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