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Medienmitteilung
Schweizer Unternehmen will Millionen für deutschen Kohleausstieg
16.05.2025, Handel und Investitionen
Ein heute von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen veröffentlichtes Briefing beleuchtet die Hintergründe der Klage Azienda Elettrica Ticinese (AET) gegen den deutschen Kohleausstieg vor einem Schiedsgericht. Das öffentlich-rechtliche Schweizer Unternehmen verlangt eine Entschädigung für die Abschaltung eines Kohlekraftwerks im nordrhein-westfälischen Lünen, an dem es eine Beteiligung hält.

Defizitär und klimaschädlich: Das Trianel Kohlekraftwerk in Lünen, Nordrhein-Westfalen, ist seit 2013 am Netz - beteiligt ist die Schweizer AET. © Keystone/DPA/Bernd Thissen
Gemeinsame Medienmitteilung von Alliance Sud, Netzwerk Gerechter Welthandel, PowerShift, Umweltinstitut München, WWF Schweiz, Public Eye, Pro Natura
Eine genauere Untersuchung der Klage zeigt:
- Das Kohlekraftwerk hat seit seinem Bau jedes Jahr Verluste eingefahren. Die AET verlangt also Entschädigung für eine Anlage, die defizitär war und dies voraussichtlich auch weiterhin bleiben wird.
- Die AET wurde in einem Volksentscheid dazu verpflichtet, sich von der Beteiligung am Kohlekraftwerk spätestens 2035 zu trennen. Trotzdem möchte sie für hypothetische Einnahmen des Kraftwerks bis ins Jahr 2053 entschädigt werden. Die verlangte Entschädigungssumme wurde in den Verfahrensdokumenten geschwärzt.
- Ein Erfolg der AET in dem Verfahren würde die Architektur des deutschen Kohleausstiegs in Frage stellen und könnte zu weiteren Klagen vor Schiedsgerichten durch Kohleunternehmen führen. Neun weitere Kohlekraftwerke in Deutschland haben ausländische Anteilseigner, die bei einem Erfolg AET’s möglicherweise vor einem Schiedsgericht klagen könnten.
“Es ist ein Skandal, dass sich ein öffentliches Unternehmen undemokratischer Schiedsgerichte bedient, um gegen notwendige Klimaschutzmaßnahmen vorzugehen. Dass die AET Entschädigungen für ein verlustbringendes Kraftwerk verlangt, treibt das Ganze auf die Spitze,” sagt Fabian Flues, Handelsexperte bei der NGO PowerShift.
“Schon vor dem Bau des Kohlekraftwerks in Lünen war das Fiasko absehbar. Entsprechend deutlich hat der WWF, die AET und den Kanton Tessin vor dieser ökonomisch widersinnigen und klimaschädlichen Kurzschluss-Entscheidung gewarnt. Statt Verantwortung zu übernehmen, schiebt die AET nun Deutschlands Klimapolitik die Schuld für ihr eigenes Versagen zu und fordert Schadenersatz. Dieses Vorgehen ist einer öffentlich-rechtlichen Anstalt unwürdig. Der Kanton Tessin muss diesem Hohn ein Ende machen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.” sagt Francesco Maggi, Geschäftsleiter WWF Svizzera italiana.
“Im Gegensatz zur EU und mehreren europäischen Ländern hat die Schweiz den Energiecharta-Vertrag nicht gekündigt. Dieser verlangsamt jedoch den Ausstieg aus fossilen Energien und erschwert ihn, wie die Klage der AET gegen Deutschland zeigt. Die Schweiz muss sich dem Trend anschließen und diesen anachronistischen Vertrag kündigen”, sagt Isolda Agazzi, Investitionsexpertin bei Alliance Sud.
“Deutschland hat mit dem Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag einen wichtigen Schritt getan, aber nicht daraus gelernt. Während Investitionsschutzverträge weiterhin unsere Energiepolitik sabotieren, treibt die Bundesregierung neue Abkommen mit denselben problematischen Schiedsmechanismen voran.”
Hintergrund
Die Schiedsgerichtsklage der AET findet unter dem Energiecharta-Vertrag, einem Investitionsschutz-Vertrag aus den 1990er Jahren, statt. Der ECT ermöglicht es Investoren, vor Schiedsgerichten gegen Energie- und Klimamaßnahmen zu klagen, wenn diese ihre Gewinne einschränken. Kein Investitionsschutzvertrag hat so viele Schiedsgerichtsklagen ermöglicht, wie der ECT. Deutschland, die EU und 10 weitere Länder sind aus dem ECT ausgetreten, weil dieser ihre Handlungsfähigkeit in der Klimakrise zu stark beschneidet. Die Schweiz ist weiterhin Mitglied des ECT. Der ECT verfügt über eine Verfallsklausel, die Klagen über einen Zeitraum von 20 Jahren nach dem Austritt möglich macht. Aus dem ECT austretende Länder können jedoch ein Abkommen abschließen, um Klagen untereinander auszuschließen.
Darüber hinaus ist Deutschland mit den meisten bilateralen Investitionsschutzverträgen weltweit, die bereits 58 Investorenklagen ermöglicht haben. Das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat diese Verträge als “in vielen Hinsichten veraltet” bezeichnet. Dennoch gibt es keine Vereinbarungen im neuen Koalitionsvertrag, diese Altlasten anzugehen. Die deutsche Zivilgesellschaft fordert, diese Verträge in Absprache mit den Partnerländern zu kündigen.
Schweizerische Umwelt- und Entwicklungsorganisationen verlangen schon seit langem einen Austritt der Schweiz aus dem Energiecharta-Vertrag. Der Bundesrat beabsichtigt jedoch nicht, aus dem Vertrag auszutreten. Stattdessen hat er hat dessen Modernisierung, wie sie von der Energiecharta-Konferenz am 3. Dezember 2024 beschlossen wurde, gutgeheissen.
Link zum Briefing:
https://power-shift.de/aet-briefing/
Für weitere Informationen:
Isolda Agazzi, Expertin für Handels- und Investitionspolitik bei Alliance Sud
isolda.agazzi@alliancesud.ch, +41 22 901 07 82
Fabian Flues, Leitung Investitionspolitik bei PowerShift e.V.,
fabian.flues@power-shift.de, +49 30 308 821 92