Medienmitteilung

Planlose Sparpolitik: nun auch auf Kosten der Ukraine-Hilfe

12.12.2024, Internationale Zusammenarbeit

Ständerat und Nationalrat haben heute drastische Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit vorgenommen. Geht es nach dem Nationalrat, soll nun auch die kriegsversehrte Bevölkerung in der Ukraine unter den Sparübungen leiden. Das Parlament hat seinen humanitären Kompass verloren.

Planlose Sparpolitik: nun auch auf Kosten der Ukraine-Hilfe

Bei einem offiziellen Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Januar 2024 in Bern hatten Parlamentarier:innen die Solidarität der Schweiz noch bekräftigt.

© Parlamentsdienste / Monika Flückiger

 

Am Donnerstag sind gleich zwei schwerwiegende Entscheide gefallen: Der Ständerat will beim Budget für das nächste Jahr 71 Millionen Franken bei der internationalen Zusammenarbeit (IZA) sparen. Zeitgleich hat der Nationalrat im Rahmen der Differenzbereinigung zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 entschieden, dass er insgesamt 351 Millionen Franken bei der IZA sparen will. Davon sollen 151 Millionen bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und 200 Millionen bei der Ukraine-Hilfe gekürzt werden. Das trifft konkret auch die humanitäre Hilfe in der Ukraine. Umso stossender ist dieser Entscheid, als dass der Nationalrat die Unterstützung von Schweizer Unternehmen für die Ukraine-Hilfe von der Sparübung ausnehmen will.

Für Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, hat das Parlament jegliche Perspektive verloren: «Der Nationalrat will das Geld für die Ukraine lieber Schweizer Unternehmen zuschanzen, als der frierenden Bevölkerung in der Ukraine Schutz und Hilfe zu gewähren.»

Alliance Sud fordert das Parlament auf, diese Kürzungen in der weiteren Differenzbereinigung zurückzunehmen.

 

Für weitere Informationen:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter, Alliance Sud, Tel. +41 31 390 93 30 andreas.missbach@alliancesud.ch

 

Medienmitteilung

Budget 2025: Hunger Games im Bundeshaus

04.12.2024, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Der Nationalrat hat heute beschlossen, im Budget 2025 insgesamt 250 Millionen Franken auf Kosten der Ärmsten zu sparen. Dieser gravierende Entscheid wird Millionen von Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Er darf sich morgen im Rahmen der Strategie der internationalen Zusammenarbeit nicht wiederholen.

Budget 2025: Hunger Games im Bundeshaus

Der Spardiskurs überschattet alles: Der Nationalrat beschliesst Kürzungen bei der internationalen Zusammenarbeit mit schweren Folgen für die Menschen in den ärmsten Ländern.
© KEYSTONE / Alessandro della Valle

Am Donnerstag wird im Nationalrat die IZA-Strategie 2025-2028 behandelt. Die Finanzkommission beantragt ihrem Rat Kürzungen im Umfang von insgesamt einer Milliarde Franken. Dies obwohl durch die Ukraine-Finanzierung bereits 1.5 Milliarden Franken für den Globalen Süden fehlen.

Eine Kürzung der Verpflichtungskredite im Umfang von 1 Milliarde Franken hätte zusammen mit der bereits beschlossenen Umschichtung für die Ukraine beispielsweise zur Folge1, dass

… über 60’000 Menschen keine Berufsausbildung erhalten und damit die Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben verlieren.

… über 19’000 KMU kein Startkapital erhalten und die lokale Wirtschaft geschwächt wird.

Für die menschliche Entwicklung heisst es, dass

… über 120'000 Kinder in Notsituationen keine Grundbildung mehr erhalten.

… über 670'000 Personen weniger Zugang zu erschwinglichem und sauberem Trinkwasser erhalten.

… fast 160'000 Geburten nicht mehr von qualifiziertem Gesundheitspersonal durchgeführt werden können. Eine Zunahme der Kinder- und Müttersterblichkeit ist die Folge.

… über 910'000 weniger Menschen sich an die Folgen des Klimawandels anpassen können, was zu mehr Armut, Hunger und Migration führt.

Für Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, übertritt der Nationalrat mit dieser Budgetentscheidung eine rote Linie: «Nur wenn in der Wintersession bei den Verpflichtungskrediten der IZA-Strategie 2025 – 2028 und beim Budget 2025 den Anträgen des Bundesrates Folge geleistet wird, erhalten die Menschen in den ärmsten Ländern eine Zukunftsperspektive und Leben von Kindern, Müttern und Kranken können gerettet werden.»

 

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
Tel. +41 31 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch

 

 

1 Diese Berechnungen beruhen auf der Tabelle über die Ergebnisse 2020-2022, die dank der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit erzielt wurden, siehe IZA-Strategie 2025 – 2028, S. 12.

Interview mit UNDP-Leiter Achim Steiner

«Zieht sich die Schweiz zurück, schwindet auch ihr Einfluss»

27.09.2024, Internationale Zusammenarbeit

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) sei weltweit ein wirksamer und willkommener Kooperationspartner, sagt dessen Leiter Achim Steiner. Er ist aber besorgt über die abnehmende Unterstützung von Ländern wie der Schweiz. Interview von Laura Ebneter, Marco Fähndrich und Andreas Missbach

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Marco Fähndrich
Marco Fähndrich

Kommunikations- und Medienverantwortlicher

«Zieht sich die Schweiz zurück, schwindet auch ihr Einfluss»

Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), während einer Besprechung am UN-Hauptsitz in New York, 2023. © UNDP / Fouad Juez

«global»: Herr Steiner, Sie sind in Brasilien als Sohn von deutschen Eltern aufgewachsen: Wie hat Sie diese Bi-Nationalität geprägt?

Achim Steiner: Die Erfahrung, in verschiedenen Ländern und Kulturen aufzuwachsen, ist etwas sehr Befreiendes. Ich habe dadurch einen Weg gefunden, mich überall auf der Welt zuhause zu fühlen und arbeiten zu können. Zudem habe ich gelernt, die Welt aus anderen Perspektiven zu sehen. Vieles, was heute auf der Welt schiefläuft, hat damit zu tun, dass wir einander nicht wirklich verstehen. Wenn ich aber einen Inselstaat im Pazifik oder einen Karibikstaat besuche, ist sofort klar, wie sehr das Leben dort von der Klimapolitik im Rest der Welt abhängig ist.

Vor Ihrer Arbeit für das UNDP waren Sie Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP. Wie ergänzen sich diese Institutionen?

Das UNEP ist eine Brücke zwischen Wissenschaft und Politik; es prägt die internationalen Normen. Mit dem Montreal-Protokoll hat das UNEP einen der wichtigsten Erfolge der internationalen Umweltpolitik ermöglicht, um die Ozonschicht zu reparieren. Das UNDP hat einen anderen Fokus und steht über 170 Ländern zur Seite, um ihren eigenen Entwicklungsweg zu unterstützen, sowohl sozial, wirtschaftlich als auch umweltpolitisch. Ich habe mich sehr lange mit Umweltthemen befasst, und durch die Ernennung zum Leiter des UNDP hat sich ein Kreis geschlossen: Umwelt und Entwicklung zusammenzuführen, denn die grösste Herausforderung unserer Zeit ist es, wie acht Milliarden Menschen nachhaltig und in Frieden zusammenleben können.

 

Die grösste Herausforderung unserer Zeit ist es, wie acht Milliarden Menschen nachhaltig und in Frieden zusammenleben können.

UNDP-Leiter Achim Steiner steht umringt von einer Dolmetscherin, UNDP-Mitarbeitenden vor zwei ukrainischen Personen. Im Hintergrund ihr wiederaufgebautes Haus und davor eine Erklärtafel auf der das vom Ukrainekrieg zerstörte Haus abgebildet ist.

Zuhören als humanitäre Mission: Achim Steiner (zweiter von links) zu Besuch in der kriegsversehrten Ukraine.
© UNDP

Ein Mann sitzt in Somalia oberhalb einer Leiter auf einem grossen steinigen Wasserbehälter, der auf Stelzen steht. Auf dem Behälter ist unteranderem ein UNDP-Logo

UNDP-Wasserinfrastruktur im kriegs- und dürregeplagten Somalia versorgt Mensch, Vieh und Felder. Parallel wird Wissen zu umweltschonenden Praktiken vermittelt. © UNDP Somalia

 

Das UNDP stellt in seinem «Human Development Report 2024» fest, dass ungleiche Entwicklungsfortschritte die Ärmsten dieser Welt zurücklassen – das Gegenteil des Ziels der Agenda 2030, «leaving no one behind». Wo sehen Sie die grössten Hebel, damit sich die Schere nicht weiter öffnet?

Vor dem Hintergrund der Pandemie und der vielen Krisen und Konflikte ist die Bilanz auf den ersten Blick ernüchternd. Wir hatten uns mit der Agenda 2030 grosse Ziele gesetzt. Aber wie so oft macht man Pläne und es gibt Rückschläge. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass es in den letzten Jahrzehnten auch enorme Fortschritte gab, die leider in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen werden. 1995 hatten sechzehn Millionen Menschen Zugang zum Internet, nun sind es fast sechs Milliarden. Auch der Zugang zur Stromversorgung hat sich massiv verbessert. Die internationale Zusammenarbeit hat dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet…

… und doch ist es ein schwacher Trost angesichts der multiplen Krisen weltweit.

Auch das stimmt. Wir stehen vor der Situation, dass die ärmsten Länder ihre Schulden nicht mehr tilgen können, so zum Beispiel Sri Lanka. Es gibt fast 50 Staaten, die mehr als 10% des Staatsbudgets nur für den Schuldendienst ausgeben. Deshalb erleben wir, dass in der Bildung und Gesundheit gekürzt wird, um die Zinsen zu zahlen; das kann der Entwicklung nicht förderlich sein. Und wenn ein Land seine Bevölkerung nicht mehr mit Nahrungsmitteln und Treibstoff versorgen kann, gehen die Menschen auf die Strasse.

 

Wir dürfen nicht vergessen, dass es in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gab. Die internationale Zusammenarbeit hat dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet…

 

Gerade jetzt wären mehr Investitionen nötig. Und doch kürzen die Geberländer ihre Mittel…

Die reichen Länder der OECD geben nur gerade 0,37% ihres Bruttonationaleinkommens für die internationale Zusammenarbeit aus. Vor dem Hintergrund der enormen Aufgaben und Möglichkeiten unserer Zeit bereitet mir grosse Sorge, dass wir vor allem auch in den traditionellen Geberländern nicht die nötigen Mittel finden, um arbeiten zu können. Dies obwohl wir gezeigt haben, wie viel mehr wir miteinander erreichen können.

Was ist ihr Appell an die Politik?

Parlamentarier:innen müssen eine ehrliche Diskussion über die internationale Zusammenarbeit führen und erkennen, dass nationale Interessen zunehmend im globalen Kontext vertreten werden. Regierungen handeln mit politischem Opportunismus und das Sich-Abwenden von gemeinsamen Lösungen ist sehr kurzgedacht und letztlich verantwortungslos. Nehmen wir den Klimawandel: Da geht es nicht mehr darum, ob es ihn gibt, sondern wie wir in allen Ländern etwas dagegen tun können. Es ist ein Versagen, dass wir diese Zusammenhänge nicht klarer darstellen können, dass wir in vielen Ländern weiterhin auf fossile Energien setzen, statt die erneuerbaren zu fördern. Wobei wir wissen, dass inzwischen jedes Jahr Tausende Menschen in der Schweiz, in Deutschland und weiteren europäischen Ländern wegen der Hitze frühzeitig sterben.

 

Die Imkerin Doina Pantaz steht in gelber Schutzkleidung mit Insektennetz vor dem Gesicht und einem Rauchbehälter in der Hand vor ihren Bienenboxen in Rezina, Moldau.

In Rezina, einer strukturschwachen Region Moldaus, hat sich Doina Pantaz in einem UNDP-Programm zur Imkerin fortgebildet und viel über Klimaanpassung gelernt. © UNDP Moldova

UNDP_MRU_CRRP_SOUTH_EAST_UNDERWATER_INTERVENTIONS_8_DEC_2023_SDG_13_14-17-24.jpg

Taucher platzieren bei Pointe Jérôme, Mauritius, aufbereitete Korallen auf dem Meeresboden. Das UNDP will so die stark geschädigten Korallenriffe auf Mauritius und den Seychellen wiederherstellen.
© UNDP Mauritius / Gérald Rambert

 

Wird international wahrgenommen, dass auch die Schweiz ihr Engagement reduziert?

Bis vor fünf Jahren war die Schweiz ein Vorbild in der internationalen Zusammenarbeit: Sie erkannte die Wichtigkeit des Multilateralismus gerade für ein kleines Land. Leider hat die Schweiz ihre Beiträge an das UNDP sukzessive reduziert, auch wenn sie immer noch ein wichtiges Geberland ist. Die Handlungsspielräume der kleinen Länder tendieren ohne die Vereinten Nationen in Krisengebieten gegen Null. Die Schweiz hat seit ihrem Beitritt zur UNO eine strategische Rolle gespielt. Wenn sie sich zurückzieht, schwinden auch ihre Reputation und ihr Einfluss.

 

Bis vor fünf Jahren war die Schweiz ein Vorbild in der internationalen Zusammenarbeit. Leider hat sie ihre UNDP-Beiträge sukzessive reduziert.

 

Welche Rolle spielt die zunehmende Polarisierung in der Welt?

Die Polarisierung verhindert die internationale Zusammenarbeit und führt in eine Sackgasse. Meine grösste Sorge ist, dass die Welt zunehmend auseinanderdriftet, anstatt zu kooperieren. Im letzten Jahr wurden 2‘443 Milliarden Dollar für die Verteidigung und das Militär ausgegeben. Das ist nicht nur ein historischer Rekord, sondern auch ein Zeichen, dass die Konfrontation zunimmt. Dafür gibt es konkrete Anlässe wie der Krieg in der Ukraine und Konflikte in Myanmar oder Sudan. Die Probleme der Welt sind aber nur lösbar, wenn die verschiedenen Länder trotz unterschiedlicher Interessen ein gemeinsames Handeln finden, sei es bei der Prävention der nächsten Pandemie, bei der Cybersecurity oder beim Klimawandel.

 

UNDP-Bangladesh-2020-distribution-COVID19-2691_2.jpg

Während der COVID-19-Pandemie verteilten Teams des UNDP unter anderem in Bangladesh lebensnotwendige Güter. © UNDP Bangladesh

 

Was für Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf die Arbeit des UNDP?

Im Unterschied zu den politischen Instanzen der UNO, wie zum Beispiel dem Sicherheitsrat, haben wir den Vorteil, dass wir in allen Ländern der Welt als Partner willkommen sind. Es ist erstaunlich, mit welchem Vertrauen wir in den Partnerländern empfangen werden, vor allem weil wir keine Eintagsorganisation sind. Wir begleiten gewisse Länder seit Jahrzehnten und diese Kooperationen zeigen, dass internationale Zusammenarbeit nicht unbedingt politisiert werden muss, sondern ein Angebot darstellt, um den eigenen Entwicklungsweg zu begleiten. Ich erlebe es gerade mit Bangladesch, wo wir über Jahre mit verschiedenen Regierungen zusammengearbeitet haben. Auch in der aktuellen Krisensituation mit der Übergangsregierung von Muhammad Yunus ist die Zusammenarbeit mit dem UNDP nicht in Frage gestellt worden. Das Versprechen der UNO, dass die Länder auf das UNDP zählen können, um den Gedanken der internationalen Zusammenarbeit sehr konkret umzusetzen, bleibt ein positives Element.

 

Achim Steiner steht umringt von Leuten vor einem Tisch auf dem allerlei Gerätschaften zur Minenräumung ausgelegt sind, diese werden von einem Mann erklärt.

Vermintes Land: Achim Steiner bei einer Präsentation von Entminungsgerätschaften in der Ukraine. © UNDP

 

Und trotzdem kämpft auch das UNDP mit finanziellen Sorgen.

Die Suche nach Finanzierungsquellen wird immer scheitern, wenn wir nicht ein grundlegendes Vertrauen in internationale Institutionen haben. Leider gerät die UNO immer wieder ins Kreuzfeuer nationaler Kritik, zum Beispiel bezüglich Gaza. Es bereitet uns Sorgen, dass sich viele Länder mit zweifelhaften Argumenten bilateralisieren und aus dem Multilateralismus zurückziehen. So hat zum Beispiel Grossbritannien seine bereitgestellten Gelder drastisch gekürzt, um die Asylkosten im Inland zu finanzieren. Das hat uns in Schwierigkeiten gebracht, weil eine Organisation wie das UNDP eine solide Kernfinanzierung braucht, um transparent, wirksam und rechenschaftspflichtig zu handeln. Noch 1990 waren 50% der Mittel ungebundene, frei verfügbare Mittel, heute sind es nur 11% des Umsatzes. So etwas kann eine Organisation auf Dauer nicht halten. Wir verlieren so eine der wichtigsten Plattformen überhaupt, die in einer spannungsgeladenen Welt trotzdem noch Kooperationen ermöglicht.

 

 

UNDP: Im Einsatz für nachhaltige Entwicklung

Das UNDP wurde 1965 gegründet und ist in über 170 Ländern und Territorien tätig. Das Hauptmandat besteht darin, zur Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) beizutragen. Das UNDP unterstützt Partnerländer in drei wesentlichen Bereichen des Wandels: strukturelle Transformation, niemanden zurücklassen und Resilienzaufbau. Mit Ausgaben von rund 5 Mrd. US-Dollar jährlich ist das UNDP das grösste Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Die Schweiz stellte dem UNDP im letzten Jahr 89 Millionen USD zur Verfügung.

 

 

Warum hat die IZA in den letzten Jahren an Glaubwürdigkeit verloren?

IZA ist kein Labor, sondern der Versuch, Lösungen oft unter schwierigsten Umständen zu finden. 50% der Arbeit findet in Krisengebieten statt: Yemen, Afghanistan, Myanmar sind alles hochriskante Regionen, wo wir versuchen, Leben zu retten. Dass nicht immer alles wie geplant läuft oder sogar etwas schiefläuft, ist einfach Realität. Leider ist die Bereitschaft der Geber, auch Rückschläge mitzutragen, sehr gering.

Haben Sie eine Vermutung, weshalb die Entwicklungszusammenarbeit immer wieder mit Falschaussagen und zu hohen Ansprüchen konfrontiert ist?

Es gibt leider eine konzertierte Offensive gegen die IZA, von den USA über Skandinavien bis in die deutschsprachigen Länder. Es ist eine politische Kampagne, die versucht, die internationale Zusammenarbeit in nationalen Kontexten zu delegitimieren, zum Beispiel die von Deutschland unterstützten Fahrradwege in Peru, die in vielen Medien breitgeschlagen wurden. Diese Beispiele verzerren den Blick, aber es ist auch unsere Bringschuld, unsere Arbeit besser und verständlicher zu vermitteln.

Haben Sie eine positive Botschaft zum Schluss?

Die Vereinten Nationen stellen über ihr Welternährungsprogramm (WFP) jedes Jahr Nahrungsmittelhilfe für rund 115 Millionen Menschen bereit. Das ist nur möglich dank Mut, internationaler Solidarität und dem Einsatz unserer Mitarbeitenden und Partner vor Ort.

 

UNDP_Afghanistan_Afghanistan%20earthquake_102023_crisis_natural_disaster_-27.jpg

Das Erdbeben von 2023 hat in Afghanistan enorme Schäden hinterlassen. Das UNDP bringt für solch fragile Kontexte viel Erfahrung mit. © UNDP Afghanistan

 

Global_Herbst-24_Cover_Achim-Steiner_zugeschnitten.jpeg

Achim Steiner

Achim Steiner, geboren 1961, wuchs in Brasilien und Deutschland auf und studierte Philosophie, Politik und Ökonomie an der University of Oxford. An der University of London erwarb er einen Master-Abschluss in Ökonomie und Regionalplanung. Zudem absolvierte er Studienaufenthalte am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Berlin und an der Harvard Business School.
Achim Steiner war Direktor der Weltnaturschutzunion (IUCN) und arbeitete bei der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Zwischen 2006 und 2016 leitete er das UNO-Umweltprogramm (UNEP) in Nairobi und den dortigen UN-Sitz (UNON). Seit Mai 2017 ist Achim Steiner Untergeneralsekretär des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in New York. Im Jahr 2021 wurde er von der UN-Generalversammlung für eine zweite vierjährige Amtszeit als UNDP-Leiter bestätigt.

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Machtwechsel in Bangladesch

Stell Dir vor, es ist Revolution und keiner schaut hin

03.10.2024, Internationale Zusammenarbeit

Genau dies geschieht seit Juli und es betrifft nicht irgendein Land, sondern das Land mit der achtgrössten Bevölkerung der Welt. Der erfolgreiche Aufstand der Jugendlichen in Bangladesch und die Vertreibung der Autokratin Sheikh Hasina nach Indien fand – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in den hiesigen Medien nicht statt.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Stell Dir vor, es ist Revolution und keiner schaut hin

Siegesfeier aber auch den Toten gedenken und erkämpften Wandel verteidigen: Zum Einmonatigen des Machtwechsels versammeln sich im September wieder Tausende in Dhaka.
© AP Photo/Rajib Dhar

Dabei lohnt es sich gerade in den aktuellen Debatten über die Entwicklungszusammenarbeit, das Schwerpunktland der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) genauer anzuschauen. Bangladesch hat vor allem seit der Jahrtausendwende ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum erlebt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf hat sich mehr als versechsfacht und das Land hat sowohl Indien als auch Pakistan überholt. Die Anzahl Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze (2.15$ pro Tag) lebt, ist von einem Drittel im Jahr 2000 auf 5,8% (2023) gesunken.

Dabei hatte Bangladesch einen denkbar schlechten Start. Geboren aus den Trümmern des britischen Empires, bildete «Ostpakistan» zusammen mit dem heutigen Pakistan ein von Indien getrenntes Land. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit 1971 litt das Land unter den Folgen des Bürgerkriegs und einer dramatischen Hungersnot. Der Aufstieg vom «hoffnungslosen Fall» (Henry Kissinger) und fragilen Staat zum «Bengal Tiger» wird gerne als Paradebeispiel für die Chancen der Weltmarktintegration präsentiert. Oder für das auch im Bundeshaus beliebte Mantra «Nur-ausländische-Investitionen-bringen-Wachstum-und-Entwicklung». Tatsächlich machen Textilien 85% der Exporte Bangladeschs aus und die Textilindustrie beschäftigt vier Millionen Menschen, vor allem Frauen. Dies allerdings zu Löhnen, die – erst recht bei der gegenwärtigen Inflation – nicht zum Leben ausreichen. Und die ausländischen Investitionen bringen nur ein Zehntel der Devisen, die die Migrantinnen und Migranten in ihr Heimatland überweisen.

Textilexporte und Weltmarkt sind wichtig, doch bestenfalls die halbe Miete. Denn Bangladesch ist auch eine Erfolgsgeschichte von lokalen NGOs. Mehr als drei Viertel des Gesundheitspersonals auf Gemeindeebene werden nicht von der Regierung, sondern von NGOs gestellt. Die grösste davon erreicht 110 Millionen Menschen mit Informationen und Basisdiensten. Der überwiegende Teil der neuen Malaria- und Tuberkulosefälle wird von ihr im Frühstadium diagnostiziert. «In keinem anderen Entwicklungsland haben einheimische Entwicklungsorganisationen, die zur Unterstützung der Armen gegründet wurden, eine derartige Wirkung», so der Entwicklungsökonom Stefan Dercon in seiner umfassenden Analyse «Gambling on development: Why some countries win and others lose». Und Bangladesch ist auch eine Erfolgsgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit, etwa des UNO-Entwicklungsprogramms UNDP, das «ein Angebot darstellt, um den eigenen Entwicklungsweg zu begleiten», so dessen Leiter Achim Steiner im grossen Interview in diesem «global».

Die Zeit drängt, denn die Lieferketten in der Textilindustrie brechen leicht; gleich zu Beginn der Studentenunruhen wurden schon Aufträge nach Kambodscha und in andere Länder verlegt. Doch die starke Zivilgesellschaft und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft lassen hoffen, dass das Land die Krise übersteht.

 

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Medienmitteilung

Entwicklungsorganisationen schlagen in Schweizer Städten Alarm

09.09.2024, Internationale Zusammenarbeit

Die Politik will die Beiträge für die Entwicklungszusammenarbeit massiv kürzen. Dagegen regt sich breiter Widerstand. Schweizer Entwicklungsorganisationen gehen gemeinsam mit dem «Solidaritäts-Alarm» auf eine landesweite Tour.

Entwicklungsorganisationen schlagen in Schweizer Städten Alarm

In der bevorstehenden Herbst- und der Wintersession wird das Parlament die Strategie der internationalen Zusammenarbeit für die nächsten vier Jahre und das Budget 2025 beraten. Da massive Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit drohen, schlagen Schweizer Entwicklungsorganisationen Alarm und schicken ein deutliches Zeichen nach Bern: Nein zum Kahlschlag auf Kosten unserer humanitären Tradition! Stattdessen sollen zusätzliche Mittel für die wichtige Ukraine-Hilfe bereitgestellt werden, ohne bei bestehenden Programmen in den ärmsten Ländern zu kürzen.

Auf der Kampagnenwebsite https://www.solidaritaets-alarm.ch/ kann der virtuelle Alarmknopf gedrückt werden. Mit einer Reihe von Vor-Ort-Anlässen geht der «Solidaritäts-Alarm» nun zusätzlich auf Tour durch Schweizer Städte. Passantinnen und Passanten erhalten vor Ort weitere Informationen zur Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und können als Signal Richtung Bern einen analogen Alarm auslösen.

Humanitäre Krisen erfordern Schweizer Engagement

Der Bundesrat hat in seiner «Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025-2028» 1,5 Milliarden Franken für die Ukraine-Hilfe vorgesehen. Das ist mehr Geld, als für die Entwicklungszusammenarbeit in ganz Subsahara-Afrika aufgewendet wird. Nun drohen im Parlament aufgrund von Sparmassnahmen und der Aufrüstung der Armee sogar noch weitere Kürzungen. Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik, ist empört: «Dieser Angriff auf die Entwicklungszusammenarbeit zerstört langfristig aufgebaute und äusserst wirkungsvolle Projekte und schadet dem Ruf der Schweiz.»

Unzählige Stimmen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft pflichten dem bei, da weltweit Hunger und Armut wieder zunehmen und sich humanitäre Krisen verschärfen. Sie betonen unter anderem, dass ein rein militärisches Sicherheitsdenken eine ungenügende Antwort auf diese globalen Herausforderungen ist. Vielmehr muss die Schweiz jetzt ihre internationale Zusammenarbeit stärken, will sie wirksam Frieden und Stabilität fördern.

 

Solidaritäts-Alarm auf Tour:

  • 5.9. – 7.9.: Luzern
  • 12.9. / 14.9.: Zürich
  • 16.9. – 17.9.: Bern
  • 19.9. / 21.9.: Zürich
  • 25.9.: Lausanne
  • 2.10. – 3.10.: Genf
  • 4.10. – 6.10.: Lugano
  • KW 41: offen
  • KW 42: St. Gallen
  • KW 43: Winterthur
  • KW 44: Basel
  • KW 45: offen
  • KW 46: offen
  • KW 47: offen
  • 27.11. / 29.11.: Bern

Eine aktualisierte Liste der Solidaritäts-Alarm-Tour finden Sie unter
https://www.solidaritaets-alarm.ch/kampagne

 

Für weitere Informationen:

Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud
andreas.missbach@alliancesud.ch, 079 847 86 48

 

 

Der Solidaritäts-Alarm ist eine Kampagne von Alliance Sud, Swissaid, Fastenaktion, Helvetas, Caritas, HEKS, Solidar Suisse, terre des hommes Schweiz, Brücke Le Pont, Biovision, Comundo, Unité und Vivamos Mejor

Unterstützende Organisationen sind: Heilsarmee, Frieda, IAMANEH Schweiz, Interaction, Vétérinaires sans frontières, Women’s Hope International, Médecins du Monde, Médecins sans Frontières, CBM Christoffel Blindenmission, Solidarmed, Verein Bethlehem Mission Immensee, OEME-Kommission Bern, Fédération genevoise de coopération, Enfants du monde, Fedevaco, Stiftung Kinderdorf Pestalozzi

Medienmitteilung

Ukraine-Hilfe: Der Globale Süden wird Schweizer Unternehmen finanzieren

22.08.2024, Internationale Zusammenarbeit

Der Bundesrat hat heute das Budget 2025 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2026-2028 publiziert. Dieser zeigt deutlich, was schon lange zu erahnen war: Die Arbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) wird zugunsten des Schweizer Privatsektors massiv geschwächt.

 

Ukraine-Hilfe: Der Globale Süden wird Schweizer Unternehmen finanzieren

Ukrainische Arbeiter bauen nahe Kiew von Kampfhandlungen zerstörte Häuser auf. Die Schweiz will mithelfen, dafür aber Entwicklungsgelder zweckentfremden und Schweizer Firmen bevorzugen.
© Oleg Petrasyuk / EPA / Keystone

Im Mai 2024 hat der Bundesrat die Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA) 2025-2028 dem Parlament vorgelegt. Der wenige Wochen später publizierte Finanzplan weicht bereits stark von dieser Version ab und sieht massive Budgetverschiebungen vor. Im Vergleich zur Vorlage vom Mai wird die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der DEZA für die Strategieperiode 2025-2028 470 Millionen Franken weniger zur Verfügung haben. Dies bedeutet weniger Gelder für die Arbeit der DEZA in ihren Schwerpunktländern, zum Beispiel in den Bereichen Bildung, Gesundheit oder Landwirtschaft.

Dies kann nur so erklärt werden, dass diese Mittel direkt in die Finanzierung des Schweizer Privat-sektors im Rahmen der Ukraine-Hilfe fliessen werden. Dieses Vorhaben ist in der publizierten IZA-Strategie 2025-2028 noch nicht vorgesehen, der Bundesrat beschloss dies erst nachträglich Ende Juni.

Es ist unbestritten, dass Schweizer Unternehmen in der Ukraine eine wichtige Rolle spielen und weiterhin spielen sollen. Sie können dies im Rahmen normaler Beschaffungsprozesse und internationalen Ausschreibungen tun. Wenn durch die gezielte Bevorzugung von Schweizer Unternehmen aber Exporte aus der Schweiz bevorzugt werden, dann verzerrt das die Konkurrenz zuungunsten ukrainischer Unternehmen, die diese Produkte auch liefern könnten. Eine längerfristig stabile ukrainische Wirtschaft braucht aber starke Unternehmen, die auch in der Lage sind zu exportieren und so dringend benötigte Devisen zu erwirtschaften. Nur die Stärkung des ukrainischen Privatsektors, nicht dessen Schwächung hilft der Ukraine nachhaltig.

«Mit dem geplanten Vorhaben schwächt der Bundesrat sowohl den Globalen Süden als auch die Ukraine. Das kann nicht im Sinne einer soliden internationalen Zusammenarbeit der Schweiz sein», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.


Für weitere Informationen:


Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Tel. 079 847 86 48, andreas.missbach@alliancesud.ch

 

Strategie 2025 – 2028

Internationale Zusammenarbeit schwebt über dem Abgrund

21.06.2024, Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungsfinanzierung

Der Bundesrat hat Mitte Mai die Botschaft zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 verabschiedet. Er hält darin an der Finanzierung der Ukraine-Hilfe auf Kosten des Globalen Südens fest und ignoriert damit die Resultate der öffentlichen Vernehmlassung.

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Internationale Zusammenarbeit schwebt über dem Abgrund

© Ruedi Widmer

Inhaltlich macht der Bundesrat keine grossen Sprünge und setzt in der Strategie 2025-2028 auf bewährte Themen und Umsetzungsstrategien. Dies in einer Welt, die − gemäss Strategie − fragmentierter, instabiler und unberechenbarer ist. In diesem Kontext entscheidet sich der Bundesrat für mehr Flexibilität, sein Wort der Stunde. Flexibilität sei notwendig, um den gegenwärtigen Krisen gerecht zu werden, sagte Bundesrat Ignazio Cassis an der Medienkonferenz. Wer die Strategie liest, merkt aber schnell, dass Flexibilität eigentlich nur bedeutet, dass die gesamte Ukraine-Hilfe im Umfang von 1.5 Milliarden Franken aus dem Budget für die internationale Zusammenarbeit (IZA) bezahlt wird und deshalb die Beträge für andere Länder und Programme «flexibel» zusammengestrichen werden.

Heute hier, morgen dort

Bereits an der Medienkonferenz vom 10. April zur Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock und zur Ukraine-Hilfe sprach Bundesrat Ignazio Cassis von einem kontinuierlichen Re-Allozieren von Ressourcen in der IZA. Die Mittelzuweisung sei ein strategisches, dynamisches Geschehen und keine statische Haltung. Ein solch dynamischer Ansatz kann zwar durchaus zweckmässig sein, etwa bei der flexiblen Verknüpfung der drei Pfeiler der IZA, also humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung (auch Nexus genannt). Oftmals sind die Grenzen zwischen diesen Ansätzen ohnehin fliessend.

Eine internationale Zusammenarbeit, die permanent ihre Ressourcen zwischen verschiedenen Regionen und Ländern verschiebt, kann keine ernsthaften, langfristigen Partnerschaften aufbauen. Um effektiv und effizient tätig zu sein, braucht es aber genau diese. Es braucht Vertrauen und langfristiges Engagement, Beziehungen also, die durch Programme der Entwicklungszusammenarbeit geschaffen werden und erhalten bleiben. Oder um es mit den Worten von Bundesrat Cassis anlässlich eines Austauschs mit NGOs von 2022 zu sagen: «Verlässlichkeit, Vertrauen und Voraussehbarkeit». Wird die Schweizer IZA zum Spielball geopolitischer Erwägungen, fehlen ihr die notwendigen Netzwerke und Mitarbeitenden vor Ort. Der Krieg in der Ukraine hat eine Zeitenwende eingeleitet; dies darf aber nicht dazu führen, dass die Schweizer IZA das aufgibt, was sie über viele Jahre aufgebaut und mit ihren Partnerländern erreicht hat.

Seiltanz für die Ukraine

Mit dem Entscheid, die Ukraine-Hilfe aus dem Budget für internationale Zusammenarbeit zu finanzieren, teilt der Bundesrat gleich mehrfach aus. Zum einen ist es eine Absage an den Globalen Süden, der seit Jahren die wohlhabenden Länder dazu auffordert, dem international anerkannten Ziel von 0.7% des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungsfinanzierung – Aide publique au développement (APD) – nachzukommen. Mit der Vorlage des Bundesrats erreicht die Schweiz 2028 eine APD (ohne Asylkosten) von 0.36%. Wo bleibt also die so oft betonte humanitäre Tradition, wenn sie gebraucht wird?

Eine weitere Absage geht an diejenigen, die sich an der Vernehmlassung beteiligt haben. Denn eine überragende Mehrheit von 75% der Organisationen, Parteien und Kantone, die eine entsprechende Frage beantwortet haben, sagten ausdrücklich, dass die Ukraine-Hilfe nicht zulasten anderer IZA-Regionen und -Schwerpunkte wie etwa Subsahara-Afrika oder dem Mittleren Osten gehen darf. Keine der politischen Parteien ausser der SVP – die notabene gemäss ihrem Parteiprogramm die Entwicklungszusammenarbeit abschaffen möchte – unterstützt die Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine aus der IZA. Mehrheitsfähige Lösungen, wie dies umgesetzt werden soll, fand das Parlament im Gerangel um die Bundesfinanzen leider noch keine.

Mit angezogener Schuldenbremse in die Irrelevanz

Im Ausland bleibt nicht unbemerkt, dass sich die Schweiz auf ihrem bequemen wie lukrativen Sonderstatus als neutrales Land ausruht und sich unzureichend am Abwehrkampf der Ukraine beteiligt, unabhängig davon, ob die Unterstützung militärischer oder humanitärer Natur ist. Die Schweiz kann mit einer Schuldenquote von 17,8% des Bruttoinlandprodukts international nicht glaubwürdig erklären, weshalb sie keine zusätzlichen Mittel für die Ukraine aufbringen kann. Gleichzeitig schüren die SVP und die FDP mit ihren Finanzierungsvorschlägen für die Aufrüstung der Armee und für die 13. AHV-Rente die Idee, dass sich die Schweiz gänzlich von ihren internationalen Verpflichtungen verabschieden könne.

Damit schottet sich die Schweiz immer mehr ab und wird international irrelevant. Adieu Vermittlerrolle, adieu humanitäre Tradition und verlässliche Partnerin. Der Bundesrat hat die Zeichen der Zeit richtig gelesen, hat aber den Pfad in die Isolation gewählt. Deshalb kann jetzt nur noch das Parlament korrektiv eingreifen und einen Richtungswechsel für die Ukraine und den Globalen Süden einleiten.

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Friedenspolitik in Kolumbien

Der lange Weg zum «Paz Total»

21.06.2024, Internationale Zusammenarbeit

Vor zwei Jahren wurde in Kolumbien mit Gustavo Petro zum ersten Mal ein Präsident gewählt, der nicht den alten Eliten angehört. In einem Land, das immer noch in weiten Teilen von bewaffneten Gruppen dominiert ist, hat sich seine Regierung ein ambitioniertes Ziel gesetzt: «Paz total» — umfassender Frieden.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Der lange Weg zum «Paz Total»

Ein Kind läuft zwischen patrouillierenden kolumbianischen Soldaten an einem Kontrollpunkt an der kolumbianisch-venezolanischen Grenze in Cucuta vorbei. © Schneyder Mendoza / KEYSTONE / AFP

Ende März organisierte die Alliance-Sud-Mitgliedsorganisation Swissaid eine Reise für eine Parlamentarier:innen-Delegation aus vier Parteien, an der Alliance Sud teilnehmen konnte. Bei den vielen Treffen mit Schweizer NGOs, der kolumbianischen Zivilgesellschaft, Regierungsstellen und Angehörigen der Schweizer Botschaft war der Friedensprozess ein zentrales Thema.

Die Wahl von Gustavo Petro 2022 war ein historisches Ereignis. Zum ersten Mal kam in der längsten Demokratie Lateinamerikas ein Mann an die Spitze, der nicht wie alle seine Vorgänger aus den dominierenden Parteien der Elite und aus dem Kreis der 30 Familien kam, die Kolumbien kontrollierten. Der Ex-Guerillero, der in den 80er Jahren im Gefängnis sass und der von einem breiten Bündnis der Zivilgesellschaft gestützt wird, verfügt aber im Parlament über keine Mehrheit. Dass über drei Millionen Menschen aus Venezuela nach Kolumbien geflüchtet sind, macht die Aufgaben seiner Regierung auch nicht einfacher.

Die Niederlegung der Waffen reicht nicht

2016 erlebte Kolumbien ein anderes historisches Ereignis, als nach jahrelangen Verhandlungen mit der Guerilla der FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejécito del Pueblo) ein Friedensvertrag geschlossen wurde und 14'000 Kämpfer und Kämpferinnen (40% waren Frauen) ihre Waffen abgaben. Damit kam das Land aber nicht zur Ruhe; nicht nur hapert es mit der Umsetzung des Friedens mit der FARC-EP, weiterhin kontrollieren bewaffnete Gruppen weite Teile des Landes. Die von Petro ausgegebene und von Regierungsvertreter:innen und der Zivilgesellschaft mit Verve vertretene Losung «Paz Total» ist mehr als ambitioniert. Aber sie trifft den entscheidenden Punkt: Ohne einen Frieden, der auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des völlig vernachlässigten Hinterlandes umfasst, und ohne eine Zivilgesellschaft, die frei von Morddrohungen und Attentaten agieren kann, kann es keinen dauerhaften Frieden geben.

Leider geht es in vielen Gebieten in die falsche Richtung und die bewaffnete Gewalt nimmt wieder zu. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Staat konnte das Vakuum, das die FARC-EP bei der Demilitarisierung hinterliess, in vielen Gebieten nicht füllen. FARC-Abspaltungen und andere Gruppen übernahmen. Die Entwaffnung der Paramilitärs, die im Interesse der Grossgrundbesitzer und mit Unterstützung der Armee gegen die Guerillas und die Bevölkerung kämpften, fand nicht wirklich statt. Und natürlich die grösste Geissel Kolumbiens und seiner Nachbarländer: Kokain. Mexikanische Drogenkartelle kontrollieren inzwischen grosse Teile der «Supply Chain». Die Grenzen zwischen Paramilitärs und den Armeen der Kartelle sind ebenso fliessend wie diejenigen zu einigen Guerilla-Gruppen.

 

Ein Angehöriger eines Opfers des kolumbianischen Konflikts übergibt die Urne mit dessen sterblichen Überresten an einen Totengräber auf dem Friedhof in Dabeiba, Departement Antioquia.

Ein Angehöriger eines Opfers des kolumbianischen Konflikts übergibt die Urne mit dessen sterblichen Überresten an einen Totengräber auf dem Friedhof in Dabeiba, Departement Antioquia.
© Joaquin Sarmiento / KEYSTONE / AFP

 

Die Rolle der Schweiz

Friedensverhandlungen mit bewaffneten Gruppen sind ein wichtiger Teil der Paz-Total-Agenda. Die Schweiz ist seit 1998 in Kolumbien engagiert, zuletzt mit allen drei «Armen» der internationalen Zusammenarbeit: der DEZA, dem SECO und der Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM). Seit 2022 führt die Regierung Petro Verhandlungen mit der Rebellengruppe ELN (Ejército de Liberación Nacional) und seit 2023 mit dem EMC FARC-EP (Estado Mayor Central de las FARC-EP), einer Abspaltung der FARC, die beim Frieden von 2016 nicht mitgemacht hatte. Im Prozess mit der ELN ist die Schweiz Begleitstaat, bei der EMC FARC-EP Garantenstaat, jeweils zusammen mit anderen europäischen Ländern und wie der Name andeutet bei EMC FARC-EP intensiver.

In beiden Fällen ist die Schweiz bei den Verhandlungen präsent und berät die Verhandlungsparteien, nach Angaben der AFM «zu den Themen Prozessdesign, Waffenstillstand, partizipative Mechanismen, Kommunikation, Vergangenheitsarbeit sowie Schutz der Zivilbevölkerung». Wegen der harzigen Umsetzung des Friedensvertrags mit der FARC-EP, der über 500 einzelne Punkte enthielt, sollen diesmal Teilabkommen verhandelt werden, die separat umgesetzt werden können. Ebenso werden die Verhandlungen nicht zentral im Ausland geführt, sondern dezentral in den betroffenen Gebieten, was eine breitere Teilnahme erlaubt.

Eines der grössten Hindernisse bei den aktuellen Verhandlungen besteht gerade darin, dass der Friedensvertrag von 2016 nicht vollständig umgesetzt ist. Verständlicherweise schauen die Guerilleros am Verhandlungstisch darauf und wollen nicht am selben Ort landen. Am wenigsten umgesetzt sind die Massnahmen der Reformen im ländlichen Raum; hier sind nur 7 Prozent ganz und 18 Prozent teilweise verwirklicht. Dies zeigt, dass klassische Massnahmen der Entwicklungszusammenarbeit entscheidend sind, damit Friedensförderung Bestand hat.

Mit dem Rückzug der DEZA aus Lateinamerika wird das Engagement in Kolumbien geschwächt, auch wenn die Schweiz in der humanitären Hilfe und mit der AFM präsent bleibt. 2021 stand für die bilaterale Zusammenarbeit der DEZA noch mehr Geld zur Verfügung als für die Arbeit der AFM. Insgesamt ging die Unterstützung von 33 Mio. (2021) auf 20 Mio. Franken (2023) zurück, nur bei der AFM stieg der Betrag leicht an. Das SECO will sich bis 2028 ebenfalls ganz zurückziehen. Stattdessen soll Marokko neues Schwerpunktland werden. «Dies steht im Einklang mit der stärkeren geografischen Konzentration und ermöglicht gleichzeitig den Übergang zu anderen aussenwirtschaftspolitischen Instrumenten», heisst es dazu vielsagend im Entwurf der IZA-Strategie 2025 – 2028.

Es ist fraglich, ob die Schweiz auch mit weniger Mitteln – die Auswirkungen der geplanten weiteren Kürzungen wegen der Umlagerung von IZA-Geldern in die Ukraine sind nicht zu unterschätzen – weiterhin ihre wichtige Rolle spielen kann. Umso wichtiger sind die Projekte, die Swissaid und andere Schweizer NGOs zur Stärkung der Zivilgesellschaft und der ländlichen Entwicklung in Kolumbien durchführen.

Global Logo

global

Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Gastkommentar

Die Mär von der fehlenden Wirksamkeit

19.06.2024, Internationale Zusammenarbeit

Immer wieder wird die Wirksamkeit von Entwicklungsprojekten in Zweifel gezogen. Ein Blick in den neuen Rechenschaftsbericht von DEZA, Seco und der Abteilung Frieden und Menschenrechte räumt die Zweifel rasch aus: Die evaluierten Massnahmen weisen insgesamt eine Erfolgsquote von 80 Prozent aus. Angesichts der krisenhaften Weltlage und anspruchsvollen Situation in vielen Schwerpunktländern ein überaus sehenswertes Resultat. Patrik Berlinger und Bernd Steimann

Die Mär von der fehlenden Wirksamkeit

In der Sommersession wurde die internationale Zusammenarbeit massiv bedrängt, oft mit selektiven Zahlen und kurzsichtigen Argumentationen, z.B. von SVP-Ständerat Werner Salzmann.
© KEYSTONE / Alessandro della Valle

Gastkommentar von Patrik Berlinger, Verantwortlicher politische Kommunikation und Bernd Steimann, Koordination Entwicklungspolitik bei Helvetas

 

Als der Ständerat am 3. Juni 2024 kurzerhand beschloss, bei der Internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 (IZA) zwei von elf Milliarden Franken einzusparen, um das Armeebudget zu erhöhen, wurde von bürgerlicher Seite das Argument kolportiert, fast die Hälfte der Schweizer Entwicklungsprojekte sei unwirksam. Benjamin Mühlemann von der FDP meinte dazu salopp: «Es laufen bestimmt wichtige Projekte, aber es laufen auch solche, die man an Effektivität kritisch hinterfragen darf.»

Der aktuelle Rechenschaftsbericht des Bundes zur IZA-Strategie 2021-2024 beinhaltet zahlreiche Zahlen. Einzig diejenige herauszupicken, mit der sich Schlagzeilen machen lässt, ist Polemik. Ja, gemäss Bericht weisen lediglich 55% der DEZA- und Seco-Projekte eine «dauerhafte Wirkung» auf. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit – eigentlich sogar lediglich ein Sechstel der Wahrheit. Denn die Evaluator:innen messen Entwicklungsprojekte gemäss internationalen Standards nicht nur anhand ihrer «Nachhaltigkeit», sondern beurteilen noch fünf weitere Dimensionen. Dabei zeigt sich, dass erstens 86% der Projekte und Programme einen messbaren Unterschied machen («Impakt»), zweitens 85% aller untersuchten Interventionen ihre gesteckten Ziele erreichen («Effektivität») und drittens 97% der Massnahmen auf die Bedürfnisse und Prioritäten der Begünstigten, der Partnerorganisationen und des jeweiligen Landes abgestimmt sind («Relevanz»). Viertens liefern die Massnahmen in 73% aller Fälle auf wirtschaftliche und zeitnahe Weise Ergebnisse («Effizienz»), wobei fünftens die Projekte in 85% der Fälle gut mit anderen Interventionen in einem Land oder Sektor abgestimmt sind («Kohärenz»).

Auch wenn die Qualität der Evaluationen infolge heterogener und teils nicht vollständig transparenter Erhebungsmethoden in Frage gestellt werden darf, so liefern die Daten dennoch einen Anhaltspunkt für eine informierte Debatte. Zwar wird die IZA bereits heute im Vergleich zu anderen Bereichen wie Landwirtschaft, Bildung oder Armee am detailliertesten gemessen und öffentlich dokumentiert. Verbesserungspotenzial gibt es aber immer. Deshalb sollen das Monitoring und die Projektevaluation in drei Feldern ausgebaut werden: Verbesserung der Datenlage, Modernisierung der Datenverarbeitung dank Digitalisierung sowie bessere Abrufbarkeit und Kommunikation zu Entwicklungsresultaten.

Über alles gesehen eine gute Erfolgsquote von 80 Prozent

Bei sämtlichen Dimensionen ausser bei der «Nachhaltigkeit» liegt die Erfolgsquote also zwischen 73% und 97%. Insgesamt weist die Querschnittsauswertung von jährlich zwischen 80 und 100 externen Evaluationen von Projekten, Länderprogrammen und umfassenden thematischen Portfolios eine Erfolgsquote von 80 Prozent aus – unbestritten ein sehr akzeptabler Wert angesichts des herausfordernden Kontexts, in dem Entwicklungsprogramme, Friedensinterventionen und wirtschaftsfördernde Massnahmen durchgeführt werden.

Ohne Zweifel ist der tiefe Wert bei der «Nachhaltigkeit» unbefriedigend. Allerdings gibt es dafür eine Reihe Erklärungen: So fielen die untersuchten Interventionen in eine Phase, die geprägt war von Krisen und politischen Umbrüchen in zahlreichen Ländern wie Mali, Burkina Faso und Niger sowie Afghanistan, Sudan und Myanmar. Gleichzeitig haben zunehmende Klimaverwüstungen, die Covid-Pandemie und der Krieg in der Ukraine eine Polykrise ausgelöst: Sich überlappende Krisen liessen Lebenshaltungskosten, Ungleichheit und die Staatsschulden ansteigen. Und sie verschärften die Ernährungsunsicherheit, die Menschenrechtslage und unfreiwillige Wanderungsbewegungen in vielen Partnerländern.

Viele konkrete Erfolge dank der IZA

Trotz der krisenhaften Weltlage und der teils sehr anspruchsvollen Situation in vielen Schwerpunktländern hat die Schweizer IZA in den Jahren 2020-2022 grosse Erfolge zu verzeichnen. Der Rechenschaftsbericht zeigt zum Beispiel: Im Bereich der «Wirtschaftsförderung» wurden weltweit über 50’000 Mitarbeitende in Finanzverwaltungen ausgebildet und knapp 900 Gemeinden in 19 Partnerländern bei der Mobilisierung von zusätzlichen Steuereinnahmen unterstützt. Die Lebensqualität von mehr als 12 Millionen Menschen in 237 Städten verbesserte sich dank nachhaltiger Entwicklung von städtischen Räumen und Infrastrukturen. Tausende Arbeitsplätze konnten geschaffen und zahlreiche Länder bei rechtlichen und regulatorischen Reformen unterstützt werden, sodass knapp 400’000 KMUs Zugang zu Kapital erhielten. In Bezug auf das Ziel «Umwelt- und Klimaschutz» hat die Entwicklungszusammenarbeit über 16 Millionen Menschen bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt – z.B. durch agrarökologische Landwirtschaft, angepasste Bewirtschaftung von Wald- und Berggebieten oder einen besseren Umgang mit Katastrophenrisiken. Zudem wurde knapp 20 Millionen Menschen der Zugang zu erneuerbarer Energie in Form von Fernwärme, Biomasse und Photovoltaik ermöglicht.

Im Bereich «menschliche Entwicklung» konnten das IKRK, UNHCR und das Welternährungsprogramm dank Beiträgen der DEZA eine Million Menschen in der Ukraine, über eine Million in Afghanistan und über eine halbe Million im Sudan humanitär unterstützen. Darüber hinaus wurden fünf Millionen Menschen in der Prävention von nicht übertragbaren Krankheiten sensibilisiert und für 1,6 Millionen Kinder ein Zugang zu Primar- oder Sekundarschulbildung geschaffen. Schliesslich hat die Schweizer IZA im Bereich «Frieden und Gouvernanz» 21 Friedensprozesse, unter anderem in Kolumbien und Kosovo, massgeblich mitgeprägt, und in sieben Ländern Waffenstillstandsabkommen verhandelt. In unzähligen Ländern hat die Schweiz Massnahmen zur Korruptionsbekämpfung ausgebaut, transparente und verantwortungsbewusste Verwaltungen gefördert und mehr politische Teilhabe durch die Zivilgesellschaft unterstützt.

Noch eine Behauptung hält einer Prüfung nicht stand

Anlässlich des Entscheids des Ständerats vom 3. Juni 2024, bei der Internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 (IZA) zwei von elf Milliarden Franken zugunsten der Armee einzusparen, behauptete Lars Guggisberg von der SVP: «Die Entwicklungshilfe ist massiv gewachsen. Es gab eine Verdreieinhalb-fachung in den letzten Jahren.» Die offiziellen Zahlen zur IZA zeigen jedoch ein anderes Bild: Die öffentliche Entwicklungshilfe (Aide Publique au Development, APD) ist in den vergangenen zehn Jahren lediglich von rund 2,8 auf 3,4 Milliarden Franken angewachsen.

Gar rückläufig sind die Entwicklungsausgaben im Verhältnis zum BIP – die sog. APD-Quote: Gemäss aktuellem Stand der IZA-Strategie 2025-2028, die im Winter 2024 im Parlament verabschiedet werden soll, wird die APD-Quote (ohne Berücksichtigung von Asylausgaben in der Schweiz) künftig 0,36 Prozent betragen. Seit 2014 verzeichnete die APD-Quote mit jeweils 0,45 Prozent ihre höchsten Werte in den Jahren 2020 und 2021. Mit dem ständerätlichen Vorschlag, jährlich 500 Millionen von der IZA zur Armee zu verschieben, würde diese Quote aller Voraussicht nach sogar unter 0,3 Prozent rutschen – und damit unter den durchschnittlichen Wert aller OECD-Geberländer (0,37 Prozent im Jahr 2023). Ein für die wohlhabende und «humanitäre» Schweiz beschämend tiefer Wert. Das UNO-Ziel von 0,7 Prozent, das mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bekräftigt wurde, verlöre die Schweiz komplett aus den Augen.

Nicht nur hat sich die IZA im Verhältnis zur schweizerischen Wirtschaftskraft (BIP) nicht erhöht. Auch die Wirksamkeit der IZA ist viel besser als gewisse Politiker immer wieder gerne behaupten. Parlament und Bundesrat sollten sich daher vergegenwärtigen: Soll die Sicherheit und Stabilität hierzulande und in Europa verbessert werden, darf die Schweiz nicht nur die Aufrüstung im Inland in Betracht ziehen, sondern muss weiterhin in die Internationale Zusammenarbeit investieren, also in zivile Friedensförderung und die Stärkung der Menschenrechte, in langfristige Entwicklungsprogramme und humanitäre Hilfe, in Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen sowie in nachhaltige Entwicklung und die Stärkung der lokalen Wirtschaft in ärmeren Ländern.

Reportage aus Bolivien

Der letzte Atem

30.04.2024, Internationale Zusammenarbeit

Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz steigt nach über 60 Jahren aus Lateinamerika aus. Malte Seiwerth und Rodrigo Salinas blicken in ihrer Reportage aus Bolivien auf eine erfolgreiche Partnerschaft zurück. Die versprochene Verlagerung der Mittel nach Subsahara-Afrika, Nordafrika und in den Mittleren Osten hat der Bundesrat abgeblasen und will den Ukraine-Wiederaufbau teilweise durch den Rückzug aus Lateinamerika finanzieren. Nur das Parlament kann dies noch verhindern.

Der letzte Atem

22'000 Menschen starben durch die Pandemie in Bolivien, auch wegen fehlender Beatmungsgeräte. Schliesslich schafften Fabio Díaz und sein Team den erhofften Durchbruch: eine Maschine aus und für Bolivien. © Rodrigo Salinas

Malte Seiwerth (Text), Rodrigo Salinas (Fotos)

Stolz packt Fabio Díaz ein letztes Exemplar seiner Maschine aus dem Karton. Das kleine Beatmungsgerät ‹Mambú› (Mechatronic Ambulatory Medical Breathing Unit, MAMBU) wirkt wie ein robuster Baukasten. Ein Stempel mit der Aufschrift «Hecho en Bolivia» – zu Deutsch «In Bolivien hergestellt» – auf dem Karton ergänzt die Logos der Unternehmen und katholischen Universität San Pablo aus La Paz, die die Maschine herstellten – eine rein bolivianische Produktion.

Der Gesichtsausdruck von Díaz, der die Ingenieurwissenschaften für Mechatronik an der Universität leitet, bewegt sich zwischen Stolz und Erschöpfung, während er über die Entwicklung des Beatmungsgeräts erzählt. Er meint: «Ohne die Hilfe der Schweiz wäre der Mambú nicht zustande gekommen.» Denn die Entwicklung und spätere Verteilung an Krankenstationen wurde grösstenteils über die Schweizer Botschaft im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit finanziert.

Wir haben Pionierarbeit geleistet.

Fabio Díaz, Ingenieur und Entwickler des Beatmungsgeräts Mambú

Es war eines der letzten Projekte, die durch die bilaterale Zusammenarbeit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanziert wurden. Nach 54 Jahren beendet die DEZA dieses Jahr endgültig ihre Entwicklungsprojekte in Lateinamerika und damit auch ihre Arbeit in Bolivien. Ein Blick auf das Schaffen während der Pandemie zeigt die Bedeutung ihrer Arbeit auf und wie sie das Land nach über einem halben Jahrhundert wieder verlässt.

 

Eingang der katholischen Universität San Pablo in La Paz, Bolivien.

An der Universität San Pablo in La Paz tüftelten die Ingenieure Tag und Nacht, bis sie eine günstige, lokal produzierbare und einfache Alternative zu komplexen Beatmungsgeräten entwickelt hatten. © Rodrigo Salinas

 

Pandemie unter erschwerten Bedingungen

Im Universitätsspital von La Paz erinnert nur noch die Maskenpflicht an die Pandemie, die in Bolivien bis dato knapp 22‘000 Tote gefordert hat. Der junge Arzt Marcelo Alfaro war damals jeden Tag auf der Intensivstation; mit traurigem Blick sagt er: «Manche erlebten den Krieg in Vietnam oder den Zweiten Weltkrieg, für uns war die Pandemie aus medizinischer Sicht etwas Ähnliches.» Täglich musste er miterleben, wie Menschen aufgrund fehlender Ressourcen starben. «Wir hatten kaum Material und mussten ständig improvisieren», erklärt Fabio Díaz.

Im ersten Jahr der Pandemie steckte das Land zudem in einer tiefen politischen Krise. Nach den Wahlen von 2019, bei denen laut offiziellem Ergebnis der Langzeitpräsident Evo Morales wiedergewählt wurde, kamen Vorwürfe des Wahlbetrugs auf. Die rechte Opposition setzte mit Jeanine Añez eine eigene Präsidentin ins Amt ein, die sich wiederum vom Militär die Präsidentenschärpe übergeben liess. Mit der Bibel in der Hand proklamierte Añez das «Ende des Marxismus» in Bolivien und gab den Sicherheitskräften einen Freibrief zur gewaltsamen Unterdrückung von Protesten.

Bis mit der Wahl von Luis Arce im Oktober 2020 wieder ein demokratisch legitimierter Präsident ins Amt kam, gaben sich im Jahr 2020 vier Gesundheitsminister die Türklinke in die Hand. Die Übergangsregierung von Añez schien unfähig, adäquat auf die Pandemie zu reagieren. Sie kaufte zwar Beatmungsgeräte aus dem Ausland, doch Korruptionsvorwürfe führten dazu, dass die Maschinen nie eingesetzt wurden.

Ausländische Spenden schafften zwar Abhilfe, doch manche waren nicht der bolivianischen Realität angepasst, meint Alfaro, «wir bekamen Maschinen, bei denen viele nicht wussten, wie man sie bedienen sollte, und technische Geräte, die nicht mit den existierenden kompatibel waren».

 

Marcelo Alfaro in seinem Arztkittel im Treppenhaus des Universitätsspital von La Paz, Bolivien.

Arzt Marcelo Alfaro erlebte täglich auf der Intensivstation, wie Menschen wegen fehlender Ressourcen starben. © Rodrigo Salinas

 

In dieser Situation setzte sich ein kleines Team um den Mechatroniker Fabio Díaz daran, eine bolivianische Lösung zu schaffen. Tag und Nacht sassen sie in leeren Universitätssälen und tüftelten. Das Ziel: Die Maschine musste günstig, möglichst mit lokalen Teilen hergestellt und einfach zu bedienen sein.

Lösung in der Not

Doch dem Beatmungsgerät Mambú fehlte es anfangs an Finanzierungsmöglichkeiten; diese fand das Team schliesslich bei Swisscontact und der Schweizer Botschaft. Im Büro der Entwicklungsorganisation in La Paz, getragen von der Schweizer Privatwirtschaft, sitzen Sandra Nisttahusz und Franz Miralles. Nisttahusz leitet das Projekt für inklusive Märkte. Es hat zum Ziel, Initiativen zu fördern, die die Lebensverhältnisse der Landbevölkerung auf lange Zeit verbessern und ihnen bessere wirtschaftliche Perspektiven bieten, um von der Landwirtschaft würdevoll zu leben.

Ohne die Hilfe der Schweiz wäre der Mambú nicht zustande gekommen.

Fabio Díaz, Ingenieur und Entwickler des Beatmungsgeräts Mambú

Das Projekt läuft seit mehr als zehn Jahren und wurde bis Ende 2023 mit knapp zehn Millionen Franken von der DEZA unterstützt. In Bolivien ist Swisscontact neben Helvetas und Solidar Suisse eine von drei NGOs, die am meisten Geld von der DEZA erhalten haben. Gemäss ihrem Finanzbericht für das Jahr 2022 erhielt Swisscontact rund 62 Millionen Schweizer Franken vom Bund . Mit Abstand die meisten Gelder, die eine Entwicklungsorganisation erhalten hat.

Doch während der Pandemie und dem Lockdown konnten viele Projekte nicht umgesetzt werden, während die Landbevölkerung besonders unter Covid litt. «Als es in der Stadt an Behandlungsmöglichkeiten mangelte, gab es auf dem Land schlichtweg keine», erklärt Nisttahusz.

Nisttahusz setzte sich in Kontakt mit der Botschaft, die einwilligte, zusätzliche Gelder zur Verfügung zu stellen. Insgesamt bezahlte Swisscontact rund 100’000 Schweizer Franken für die Entwicklung und Verteilung von knapp 80 Mambús an hauptsächlich ländliche Gesundheitszentren. Der Produktionspreis eines einzelnen Beatmungsgeräts kostete um die 1’000 Schweizer Franken – normale Beatmungsgeräte kosten das bis zu 50-fache.

 

Das in Bolivien entwickelte und produzierte Beatmungsgerät Mambú.

Bei der Finanzierung des Beatmungsgeräts Mambú war die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz entscheidend. © Rodrigo Salinas

 

Swisscontact kümmerte sich um die Verteilung der Mambús und förderte die behördliche Zulassung. In Zusammenarbeit mit dem Arzt Alfaro entwickelte das Team von Fabio Díaz den Mambú weiter. Das Team kümmerte sich auch um die technische Ausbildung des medizinischen Personals am Gerät. Der Mechatroniker Fabio Díaz reiste dafür in verschiedene Krankenstationen und meint: «Wir sahen viele unbenutzte komplexe Beatmungsgeräte, weil niemand wusste, wie man sie bedienen kann.»

Die strukturellen Probleme bleiben

Eine erfolgreiche Geschichte lokaler Industrialisierung also? «Naja», meint Díaz, «wir haben Pionierarbeit geleistet.» Der Mambú war die erste medizinische Technologie, die in Bolivien entwickelt und hergestellt wurde. Darauf waren gerade die Behörden nicht vorbereitet. «Es gab gar kein Protokoll, wie ein solches Gerät zugelassen werden konnte.»

Mittlerweile arbeitet Díaz an der Genehmigung eines komplexeren Beatmungsgeräts – es wäre ein grosser Fortschritt in der Entwicklung der inländischen Produktion. Ein konstantes wirtschaftliches Ziel, da Boliviens Handelsbilanz negativ ausfällt und im Land Dollars fehlen. Doch seit mehr als zwei Jahren warten sie nun unbegründet auf die Bewilligung, die nächste Testphase zu starten.

Díaz meint etwas ernüchtert: «Viel zu häufig werden wichtige Posten ausgetauscht, das macht eine kontinuierliche Zusammenarbeit unmöglich. In unserer Kultur ist die Auffassung verankert, dass Projekte des Vorgängers nicht umgesetzt werden sollen, selbst wenn sie gut sind.»

Díaz ist daher überzeugt: «Die Hilfe von anderen Ländern ermöglicht, dass wir heute den Wandel erleben. Vor allem in ländlichen Gebieten sieht man dies. Wenn sie technologische Angebote haben, liegt dies an den ausländischen Akteuren, und nicht an der bolivianischen Regierung.»

«Verantwortungsvoller Ausstieg» aus Lateinamerika

Doch genau diese Zusammenarbeit wird im Fall der Schweiz in diesem Jahr operativ beendet, eine Entscheidung, die bereits im Jahr 2019 angekündigt wurde. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) begründet dies mit den Wirtschaftszahlen vor der Pandemie, als sich viele Länder – unter anderem Bolivien – positiv entwickelten und zu den Ländern mittleren Einkommens aufstiegen.

Zudem geht aus der Amerikas Strategie 2022-2025 des EDA hervor, dass Lateinamerika keine Schwerpunktregion der Schweizer Aussenpolitik ist. Man setze daher auf einen «verantwortungsvollen Ausstieg» der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bis Ende 2024 und ursprünglich auch einer Schliessung der Botschaft in La Paz.

Leider wenden sich viele europäische Länder von hier ab.

Martín Peréz, Direktor von Solidar Suisse in Bolivien

Davon betroffen sind alle Schweizer Entwicklungsorganisationen in Bolivien. Swisscontact diversifiziert daher seine Projektpartner. Das Projekt der inklusiven Märkte wird beispielsweise von der Schwedischen Entwicklungszusammenarbeit bis Ende 2026 unterstützt, weitere neue Projekte laufen derzeit mit der Finanzierung der Städte Zürich und Genf an. Allerdings ist das Budget der neuen Projekten deutlich kleiner, weshalb eine Kontinuität von Swisscontact in der gleichen Form noch nicht gesichert ist.

Derweil ist die Entwicklungsorganisation Solidar Suisse etwas optimistischer. Unweit der Schweizer Botschaft in La Paz steht das kleine Bürogebäude der Organisation. Plakate zu Menschenrechtsthemen und Bilder von Minenarbeitern und der Landbevölkerung hängen an den Wänden. Der Direktor von Solidar Suisse in La Paz, Martín Peréz, glaubt, dass die Organisation auch weiterhin in Bolivien aktiv sein wird, ist sich aber aufgrund der schwindenden Ressourcen sicher: «Für die Zukunft, glaube ich, braucht es mehr Kooperation zwischen den verschiedenen Schweizer und nicht-Schweizer NGOs, um gemeinsam Projekte zu stemmen».

 

Martín Peréz, Direktor von Solidar Suisse in Bolivien.

Martín Peréz, Direktor von Solidar Suisse in Bolivien, bedauert, dass sich die Schweiz von Lateinamerika abwendet, da sie entscheidende Reformen begleitet habe. © Rodrigo Salinas

 

Peréz sieht die verschiedenen Initiativen der Schweizer Entwicklungsorganisationen in Bolivien positiv: «Viele öffentliche und private Institutionen versuchen, gesellschaftliche Probleme zu lösen, diese sind aber mit der Zeit komplexer geworden. Daher ist die Beteiligung und Förderung eines Privatsektors, der sich kohärent und transparent für soziale Themen und die Umwelt engagiert, ein Schlüsselelement, um die Gesellschaft zu entwickeln.»

Solidar Suisse arbeitet in Bolivien vor allem an der Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Gewerkschaften und Initiativen zur Stärkung der Rechte von Frauen. «Die Schweiz war eine wichtige und respektvolle Begleiterin zentraler Reformen in Bolivien, wie etwa der Dezentralisierung des Staates, der Implementierung von Gesetzen, die Frauen mehr Rechte gaben, und der neuen Verfassung», ist Peréz überzeugt. Er bedauert daher das fehlende Interesse der Schweiz an Lateinamerika, «leider wenden sich viele europäische Länder von hier ab.» Dies berge das Risiko von Interventionen aus Ländern, die weniger Respekt vor der Einhaltung der Menschenrechte haben.

Im Botschaftsgebäude, das an einen riesigen roten Holzblock erinnert, sitzt derweil die Schweizer Botschafterin Edita Vokral. Sie ist sichtbar glücklich über das Fortbestehen der Botschaft und erklärt den Entscheid damit, «dass das Aussennetz von zentraler Bedeutung für die Schweiz und die Vertretung ihrer Interessen ist».

Die Schweizer Botschafterin in Bolivien Edita Vokral.

Botschafterin Edita Vokral verteidigt den Ausstieg aus Lateinamerika. © Rodrigo Salinas

Doch sie verteidigt den Ausstieg aus der bilateralen Zusammenarbeit. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung habe sich die Region politisch verändert, meint Vokral, «Lateinamerika will nicht mehr nur Entwicklungshilfe empfangen», die Regierungen wollten ihren eigenen Weg gehen.

Damit sei der Subkontinent bereit für andere Kooperationsformen, wie etwa wirtschaftliche Kooperation und Initiativen der Privatwirtschaft sowie die Unterstützung durch nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen. Zudem würde die DEZA weiterhin regionale Initiativen in den Bereichen Wasser, Klimawandel und Umwelt sowie humanitäre Hilfe finanzieren.

Trotz aller Bekundungen zum Fortbestehen mancher Initiativen im Andenraum: Wenn dieses Jahr der letzte interne Bericht zur Arbeit der DEZA in Bolivien abgeschlossen ist, endet eine Form der Entwicklungszusammenarbeit, die es geschafft hat über politisch entgegengesetzte Regierungen und akute Probleme hinweg eine langjährige Aufbauarbeit zu leisten. Neu soll die Entwicklungszusammenarbeit auf akutere Probleme, wie in der Ukraine reagieren. Es bleibt jedoch fraglich, ob damit die gleichen langfristigen Ziele erreicht werden können.

 

 

Malte Seiwerth ist Historiker und Journalist. Er studierte Geschichte an der Universidad de Chile und Lateinamerikastudien an der Universität Bern. Er ist Teil des internationalen Korrespondent:innennetzwerks Weltreporter, lebt in Santiago de Chile und arbeitet als Journalist für deutschsprachige Medien, wie die Wochenzeitung, Neue Zürcher Zeitung und Frankfurter Rundschau.

Rodrigo Salinas ist Fotograf und Dokumentarfilmer aus Chile. Als Dokumentarfilmer hat er für verschiedene lateinamerikanische und europäische Produktionsfirmen gearbeitet und Filme über historische Themen sowie aktuelle soziale Bewegungen gedreht. Derzeit arbeitet er als Dokumentarfilmer in einem Programm für öffentliche Geschichte im chilenischen Kulturministerium und als Fotograf für deutschsprachige Medien.