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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.
Nachhaltige Finanzen
20.03.2025, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern
Der Schweizer Finanzplatz hat gezeigt, dass er nicht freiwillig aus dem Geschäft mit der Umweltzerstörung im Ausland aussteigt. Die Finanzplatz-Initiative will in der Verfassung festschreiben, dass neue Investitionen in Kohle, Öl und Gas durch Schweizer Finanzmarktakteure künftig untersagt sind.
Der Regenwald in Pará, Brasilien, ist klimatisch bedeutend und indigenes Land. Rodungen, Minen und Infrastrukturprojekte dezimieren ihn – meist mitschuldig: Schweizer Finanzakteure.
© Lalo de Almeida / Panos Pictures
Wer Regenwald abholzt, trägt zur Umweltzerstörung und Klimaerwärmung bei. Das ist hinlänglich bekannt. Mit illegaler Brandrodung werden zudem oft Landrechte von indigenen Gemeinschaften beschnitten und deren Menschenrechte verletzt. Das weiss auch die Schweizer Grossbank UBS. Dennoch investiert sie in brasilianische Agrarkonzerne, die in illegale Rodungen im Amazonas verwickelt sind, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) vor einiger Zeit enthüllte.
Schweizer Banken und Versicherungen finanzieren beziehungsweise versichern jedes Jahr Geschäfte in Milliardenhöhe, welche die Umwelt zerstören und das Klima erhitzen. Der Schweizer Finanzplatz ist gemäss einer Studie von McKinsey für bis zu 18-mal mehr CO2-Emissionen verantwortlich als in der Schweiz CO2 ausgestossen wird. Schon vor 10 Jahren hat die Staatengemeinschaft die zentrale Rolle des Finanzsystems bei der Bekämpfung der Klimakrise in Artikel 2.1c des Pariser Klimaabkommens festgehalten. Darin wurde als Ziel formuliert, die weltweiten Finanzflüsse «mit einem Weg zu niedrigen Treibhausgasemissionen und einer klimaresistenten Entwicklung in Einklang» zu bringen. Die Schweiz hat das Abkommen ratifiziert und ist völkerrechtlich daran gebunden, zum Ziel beizutragen. Das Klimaschutzgesetz, das von der Schweizer Stimmbevölkerung mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde, verpflichtet den Bund zudem, für die klimaverträgliche Ausrichtung der Finanzflüsse zu sorgen. Doch bei der Umsetzung hapert es.
Der Bundesrat setzt für die Umsetzung auf freiwillige Massnahmen und Selbstregulierung der Finanzbranche, mehr staatliche Regulierung lehnt er ab. Er befürwortete aber eine Motion von Nationalrat Gerhard Andrey (Grüne), die für den Fall, dass die bisherigen Massnahmen bis 2028 nicht greifen, verbindlichere Massnahmen vorsah. Doch das Parlament lehnte die Motion im Frühling 2024 ab und sah keinen weiteren Handlungsbedarf.
Die Banken wollen weiterhin Umweltzerstörung finanzieren, wenn das ihren Gewinn steigert.
Spätestens im Januar 2025 wurde offensichtlich, warum die freiwilligen Massnahmen und Versprechen der Finanzbranche nicht viel wert sind. Die sechs grössten amerikanischen Banken und der weltgrösste Vermögensverwalter Blackrock kündigten ihre Klimaversprechen, die sie nur vier Jahre zuvor gegeben hatten. In einem Beitrag des Westschweizer Fernsehens RTS stellte Florian Egli, Professor an der Technischen Universität München, fest: «Wir sehen aktuell, dass freiwillige Versprechen dieser Banken nicht genügen. Sie haben ihre Versprechen wieder zurückgezogen.» Auch die UBS prüft den Ausstieg aus der «Net Zero Banking Alliance», in der sich seit 2021 zahlreiche Banken zu einem Netto-Null-Ziel für 2050 bekannt hatten. Die Banken wollen also weiterhin Umweltzerstörung finanzieren, wenn das ihren Gewinn steigert.
Wer auf freiwillige Massnahmen setzt, setzt sich dem Willen der Finanzbranche aus, der sich offensichtlich nicht an der Klimawissenschaft, sondern am schnellen Geld und dem politischen Wind orientiert. Damit ist die Klimakrise nicht zu bekämpfen. Die Internationale Energieagentur hat in ihrer «Net Zero Roadmap» längst klar gemacht, dass es zur Einhaltung der Pariser Klimaziele keine neue Förderung fossiler Energieträger mehr verträgt.
Deshalb hat die Klima-Allianz Schweiz Ende 2024 zusammen mit dem WWF, Greenpeace und Politiker:innen aus allen Bundesparteien ausser der SVP die «Finanzplatz-Initiative» lanciert. Diese soll sicherstellen, dass niemand mehr von der Schweiz aus die Zerstörung der Umwelt und die Klimaerwärmung finanziert. Wenn Bundesrat und Parlament untätig bleiben, hat es die Stimmbevölkerung in der Hand, in der Verfassung festzuschreiben, dass die Schweizer Finanzbranche keine zusätzliche Förderung von Kohle, Öl oder Gas finanziert oder versichert. Damit würden für alle Akteur:innen dieselben Regeln gelten.
Alliance Sud unterstützt die Volksinitiative, damit die Schweiz endlich ihren grössten Hebel für den weltweiten Klimaschutz nutzt und das Pariser Abkommen vollständig umsetzt.
Das will die Initiative:
Darum unterstützt Alliance Sud die Initiative:
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Umweltverantwortungsinitiative
24.01.2025, Klimagerechtigkeit
Am 9. Februar stimmt die Schweiz über eine Volksinitiative ab, mit der die Schweiz ihren ökologischen Fussabdruck reduzieren muss. Dies ist eine Voraussetzung, um die globale Ungleichheit zu verringern und gemeinsam unseren Planeten zu schützen. Alliance Sud sagt «Ja» zur Umweltverantwortungsinitiative.
© Allianz für Umweltverantwortung
Der Schutz der Erde ist im Interesse aller Menschen, solange kein Umzug auf einen Ersatzplaneten möglich ist. Der schwedische Forscher Johan Rockström erklärte zusammen mit der BBC-Naturlegende David Attenborough vor einigen Jahren in einem Dokumentarfilm, was die Menschheit tun muss, um die Lebensgrundlagen aller zu schützen: Sie muss die «planetaren Grenzen» einhalten. Dieses Konzept zeigt auf, wo die Überbelastung der Natur richtig gefährlich wird, weil das Risiko für Kipppunkte steigt. Kippt das Ökosystem, lässt sich der Verlust der Lebensgrundlagen nicht mehr rückgängig machen. Der starke Verlust der Biodiversität sowie die zu hohen Treibhausgasemissionen zählen zu den Bereichen mit dem dringendsten Handlungsbedarf. Im Pariser Klimaabkommen etwa wurde das Ziel der maximalen Erderwärmung aus diesem Grund auf 1,5 Grad gelegt. Darüber geht die Menschheit ein hohes Risiko für unumkehrbare Schäden ein.
Die Volksinitiative ist eine Antwort darauf, dass Bundesrat und Parlament die Ressourcenfrage nicht ernsthaft diskutieren wollen.
Die Umweltverantwortungsinitiative verlangt, dass die Schweiz ihren Ressourcenverbrauch innert zehn Jahren auf ein Niveau senkt, das ihrem Anteil an der Weltbevölkerung entsprechend nur einen Planeten braucht. Sie berücksichtigt damit, dass es noch viele andere Menschen auf der Erde gibt, die eine lebenswerte Zukunft haben wollen und ein Recht dazu haben. Die UNO-Staatengemeinschaft hat sich mit der «Agenda 2030» zum Ziel gesetzt, dass bis 2030 kein Mensch mehr in Armut leben muss. Armutsbetroffene verbrauchen heute sehr wenig Ressourcen, vor allem im Globalen Süden, aber brauchen künftig etwas mehr davon, um ein Leben ausserhalb von Armut zu führen. Deshalb ist es notwendig, dass die reichen Konsumgesellschaften ihren Ressourcenverbrauch stärker reduzieren als der Weltdurchschnitt. Die Volksinitiative ist eine Antwort darauf, dass Bundesrat und Parlament die Ressourcenfrage nicht ernsthaft diskutieren wollen, obwohl ein «weiter wie bisher» die planetaren Grenzen sprengt.
Mehr Informationen:
Streaming-Tipp: «Breaking Boundaries: The Science of our Planet», 2021, mit Johan Rockström und David Attenborough, verfügbar auf Netflix.
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Klimapolitik
03.12.2024, Klimagerechtigkeit
Ob beim CO2-Gesetz oder mit dem neuen Sparprogramm: Die Schweizer Politik verlässt sich immer mehr auf CO2-Zertifikate aus dem Ausland, um ihr Klimaziel bis 2030 zu erreichen. Doch der Plan droht zu scheitern – bereits die ersten Programme offenbaren gravierende Schwächen. Analyse von Delia Berner
Alte Busse und allgegenwärtige Atemschutzmasken: Bangkok leidet unter Abgasen, doch helfen von der Schweiz finanzierte E-Busse in Thailand wirklich? © Benson Truong / Shutterstock
Im Januar 2024 erhielt die Schweiz weltweite Aufmerksamkeit – zumindest in der Fachwelt der Kohlenstoffmärkte. Denn zum ersten Mal überhaupt wurden unter dem neuen Marktmechanismus des Pariser Klimaabkommens CO2-Reduktionen mittels Zertifikaten von einem Land in ein anderes übertragen. Konkret hatte Thailand mit der Einführung von Elektrobussen in Bangkok im ersten Jahr knapp 2000 Tonnen CO2 reduziert. Die Schweiz kaufte diese Reduktion, um sie ihrem eigenen Klimaziel anzurechnen.
Gehen wir einen Schritt zurück: Die Schweiz will bis 2030 mehr als 30 Millionen Tonnen CO2 im Ausland anstatt in der Schweiz einsparen. Im Herbst 2020 wurden dafür die ersten bilateralen Abkommen abgeschlossen, mittlerweile sind es mehr als ein Dutzend. Zahlreiche weitere Projekte werden entwickelt, von Biogasanlagen und effizienten Kochöfen in den ärmsten Ländern über klimafreundliche Kühlsysteme bis zur Energieeffizienz bei Gebäuden und Industrie. Bisher konnten erst zwei Programme für die Anrechnung an das Schweizer Klimaziel genehmigt werden. Und die 2000 Tonnen CO2-Einsparung aus Thailand sind die ersten Zertifikate, die wirklich gehandelt wurden. Bis 2030 muss damit noch viel geschehen, dass der Schweiz überhaupt eine genügende Anzahl Zertifikate zum Kauf zur Verfügung stehen.
Nun hat der «Beobachter» – nach Akteneinsicht gemäss Öffentlichkeitsgesetz – enthüllt, dass ausgerechnet das erste Programm in Bangkok Gefahr läuft, keine weiteren Zertifikate zu generieren. Bereits vor einem Jahr erreichten das Bundesamt für Umwelt (BAFU) Vorwürfe, wonach die Herstellerfirma der E-Busse nationales Arbeitsrecht und das menschenrechtlich verankerte Recht auf Gewerkschaftsfreiheit verletze. Nachdem es vor einem Jahr eine vorläufige Einigung gab, kamen dieses Jahr offenbar erneute Vorwürfe auf, welche das BAFU nun prüfen muss. Denn die Schweiz darf keine Zertifikate genehmigen, bei deren Entstehung Menschenrechte verletzt wurden. Das BAFU liess sich im Beobachter dahingehend zitieren, dass es die weitere Ausstellung von Zertifikaten aussetzen «kann und wird», sofern sich die Vorwürfe bestätigen. Eine umfangreiche Recherche der «Republik» bringt noch weitere Vorwürfe ans Licht: Die Schweiz sei in Thailand sogar in einen Wirtschaftskrimi verwickelt, weil sie eine Börsenblase von zehn Milliarden Franken angeheizt und Warnungen ignoriert habe.
Auch das zweite genehmigte Projekt wird weniger Zertifikate generieren, als es verspricht: Eine neue Recherche von Alliance Sud über ein Kochofenprojekt in Ghana zeigt auf, dass dessen Planung die Emissionsreduktionen um bis zu 1.4 Millionen Tonnen überschätzt.
Bereits jetzt zeigt sich, dass die Kompensation im Ausland nicht generell günstiger und schon gar nicht einfacher umsetzbar ist als Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz. Letztere müssen früher oder später sowieso eingeführt werden, um das Netto-Null-Ziel in der Schweiz zu erreichen.
Die ersten Projekte zeigen, welche Schwierigkeiten es gibt, sicherzustellen, dass dank dem Projekt effektiv eine bestimmte Menge an CO2 reduziert wird und das Projekt zudem kosteneffizient ist. Zweifel an den Reduktionen sind der Grund, weshalb viele Kompensationsprojekte in den letzten Jahren in den Schlagzeilen gelandet sind. Kosteneffizienz ist wichtig, da der Grossteil der Zertifikate durch eine Abgabe auf Treibstoff von der Schweizer Bevölkerung bezahlt wird. Um beides zu überprüfen, müsste das BAFU den Finanzierungsplan der Projekte anschauen. Es müsste sich beispielweise davon überzeugen, dass in den Projektkosten keine unverhältnismässigen Margen oder Profite eingerechnet werden, sondern so viel Geld wie möglich in den Klimaschutz oder die nachhaltige Entwicklung unter Einbezug der betroffenen Bevölkerung im Partnerland investiert wird.
Doch das System der Schweizer Auslandkompensationen zeigt hier seine Schwächen: Da die Zertifikate nicht vom Bund gekauft werden, sondern von der Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK, welche die Einkünfte aus der Treibstoffabgabe in Zertifikate umsetzt, bleiben die «kommerziellen Details» der Öffentlichkeit verborgen. Das will heissen: Niemand weiss, wie viel eine eingesparte Tonne CO2 durch den Einsatz eines E-Busses in Bangkok kostet oder wie viel Geld insgesamt in das Kochofenprojekt in Ghana investiert wird – geschweige denn, wie die Renditen der privaten Marktteilnehmer dabei aussehen. Beim besagten Projekt in Ghana wurden zudem grosse Teile der veröffentlichten Projektdokumentation geschwärzt. Die Transparenz ist sogar schlechter als bei seriösen Standards im freiwilligen CO2-Markt.
Diese Herausforderungen gehen über blosse Anfangsschwierigkeiten hinaus und offenbaren einen doppelten Handlungsbedarf für die Schweizer Politik. Erstens muss die fehlende Transparenz der finanziellen Informationen der Projekte in der Verordnung zum CO2-Gesetz verbessert werden. Die Verordnung wird aktuell an die letzte Gesetzesrevision angepasst. Zweitens muss das Bild korrigiert werden, dass die Auslandkompensationen ein günstiger und einfacher Weg für Klimaschutz seien. Die Schweiz muss ihren Klimaschutz im Inland voranbringen und die Klimaziele nach 2030 wieder ohne CO2-Kompensation erreichen. Alliance Sud fordert den Bundesrat dazu auf, dies im CO2-Gesetz nach 2030 zu berücksichtigen.
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Kommentar zur COP29 in Baku
29.11.2024, Klimagerechtigkeit
Nach der Klimakonferenz COP29 in Baku herrscht Fassungslosigkeit bei der internationalen Zivilgesellschaft und den ärmsten Ländern des Globalen Südens ob der brutalen Absage des Globalen Nordens an die Klimagerechtigkeit. Doch die Klimakrise läuft weiter und die Debatte zur Umsetzung in der Schweiz fängt erst an.
Teilnehmende aus dem Globalen Süden protestierten an der COP29 angesichts der ungenügenden Klimafinanzierung, andere waren schlicht entsetzt über die Verhinderungshaltung von Ländern wie der Schweiz. © Keystone / AP Photo / Rafiq Maqbool
Zwei Wochen lang kämpften die Länder des Globalen Südens in Baku um ein neues Klimafinanzierungsziel, das die Kosten aufgrund der Klimakrise gerecht verteilen und eine angemessene finanzielle Unterstützung aus dem Globalen Norden sichern würde. Sie bissen aber bei den reichen Ländern auf Granit. Die Konferenz befand sich bereits in der Überzeit, als die Vertreter:innen aus den ärmsten Ländern und aus den kleinen Inselstaaten ihre Verzweiflung und Wut über die ungenügende Bereitschaft aus dem Globalen Norden für höhere finanzielle Beiträge zum Ausdruck brachten. Sind sie doch durch den Anstieg des Meeresspiegels und weitere verheerende Auswirkungen der Klimaerwärmung bereits existenzieller Bedrohung ausgesetzt. Einige Stunden später waren sie gezwungen, einen kaum besseren Vorschlag anzunehmen, wollten sie irgendeinen Abschluss der Konferenz zur Klimafinanzierung haben.
Die Ausgangslage der COP29 war schlicht eine riesige, ungedeckte Finanzierungslücke im Globalen Süden, um angemessene nationale Beiträge zur Erreichung des 1,5 Grad-Ziels und nationale Anpassungspläne umzusetzen sowie für klimabedingte Schäden und Verluste aufkommen zu können. Ebenfalls gibt es Hindernisse beim Zugang zur bereits bestehenden Klimafinanzierung. Alliance Sud hatte ein Finanzierungsziel von 1000 Milliarden Dollar jährlich gefordert.
Zahlreiche Studien bestätigen, dass insbesondere für Anpassung sowie insgesamt in den ärmsten Ländern und kleinen Inselstaaten die Lücke nicht mit privaten Investitionen geschlossen werden kann. Denn die Investor:innen kommen nicht, und bereits hoch verschuldete Länder können sich privates Kapital zum entsprechenden Preis gar nicht leisten. Entsprechend wurde von Seiten des Globalen Südens sowie der Zivilgesellschaft Druck aufgebaut, um eine Vervielfachung der öffentlichen Mittel in der Form von Zuschüssen («Grants») sowie stark vergünstigter Kredite im neuen Klimafinanzierungsziel zu erreichen.
Im Gegensatz dazu wurde die Positionierung der bisherigen Geberstaaten von der Zivilgesellschaft als höchst unfair wahrgenommen, da die Geberstaaten keinerlei Angebote zur Erhöhung ihrer eigenen Beiträge an die Klimafinanzierung bereithielten. Dies obwohl sie gemäss Pariser Abkommen klar im Lead und in der Verantwortung stehen. Unter diesem Eindruck ist auch die grosse Skepsis von weiten Teilen der Zivilgesellschaft gegenüber einer Erweiterung der Geberbasis zu verstehen, weil dies vor allem als Ablenkung der Industriestaaten von ihrer Verantwortung interpretiert wurde.
Alliance Sud hat die Schweizer Forderung nach dem Einbezug neuer Geberstaaten mitgetragen, aber stets darauf aufmerksam gemacht, dass dies mit einer Erhöhung der eigenen Beiträge verbunden sein muss. Gewisse Aussagen der Schweiz in den Medien während und nach der COP haben aber leider genau das bestätigt, was die Länder im Globalen Süden bereits vermuteten: dass die Industrieländer sich mit dem Argument der Geberbasis vor ihrer eigenen Verantwortung drücken wollen. Mit diesem Verhalten schwächt die Schweiz letztlich den Multilateralismus, von dem sie als kleiner Staat selbst abhängig ist.
Die Schweiz steht nun vor der Aufgabe, das neue Klimafinanzierungsziel umzusetzen und ihren fairen Anteil an den Kosten, die durch die Klimakrise insbesondere in den ärmsten Ländern im Globalen Süden anfallen, zu tragen – dies im ureigenen Interesse. Damit werden weitere Schäden verhindert, Menschenleben gerettet und zusätzliche Fluchtgründe vermieden. Und nur mit einer massiven Aufstockung der Klimafinanzierung gelingt die Transition auf der ganzen Welt, für die sich die Schweiz international einsetzt.
Zu den Resultaten der COP29 siehe auch hier.
Lesen Sie ausserdem den Kommentar von Andreas Missbach zu den bundesrätlichen Absagen gegenüber dem Globalen Süden an der COP29 und erfahren Sie mehr über die Auslandkompensationen der Schweizer Klimapolitik in der Recherche von Delia Berner. Diese zeigt, dass beim Projekt in Ghana grosse Probleme bestehen.
Delia Berner vertrat Alliance Sud an der COP29 in der Schweizer Delegation. Dieser Kommentar wurde im eigenen Namen und nicht im Namen der Delegation verfasst.
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Bundesrat an der COP29
29.11.2024, Klimagerechtigkeit
Die UN-Klimakonferenz COP29 ist zu Ende, derweil zerstört die Klimakrise die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Während Delegierte aus dem Globalen Süden die ungenügende Klimafinanzierung kritisieren, schiebt Bundesrat Albert Rösti mit Verweis auf Budgetrestriktionen und die Mobilisierung privater Mittel die Verantwortung der Schweiz von sich. Dies sei ein Affront, schreibt Andreas Missbach.
Vom Hurrikan Beryl entwurzelte Palmen in St. Patrick, Grenada, im Juli 2024. In der ganzen Karibik wurden Häuser und ganze Landstriche zerstört. © Keystone / AP Photo / Haron Forteau
Am 17. Juli 2024 steht Simon Stiell auf seiner Heimatinsel Carriacou in einem beschädigten Haus und sagt: «Ich stehe heute im Wohnzimmer meines Nachbarn. Das Haus meiner Grossmutter die Strasse weiter unten wurde völlig zerstört.» Das war das Werk des Hurrikans Beryl, der über Grenada und viele weitere Länder zog. Er fährt fort: «Wenn man hier steht, ist es unmöglich, nicht zu erkennen, wie wichtig die Klimafinanzierung und der finanzielle Ausgleich für Verluste und Schäden sind: Wir müssen massiv in den Aufbau von Resilienz investieren, vor allem für die am meisten gefährdeten Menschen.»
Simon Stiell ist Generalsekretär der Klimarahmenkonvention der UNO und als solcher verantwortlich für die 29. Vertragsstaatenkonferenz dieser Konvention in Baku. Am 22. November 2024 steht dort Albert Rösti vor einer Fernsehkamera und sagt: «Wir haben Budgetrestriktionen, wir haben ein Sparprogramm …». Was in Bern falsch ist, ist in Baku ein Affront. Ein Affront gegenüber Menschen in Ländern wie Grenada, und es ist ein Affront gegenüber den Delegierten aus dem Globalen Süden. Nach einer aktuellen Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung werden diese Länder als Folge der bereits von den Industrieländern verursachten Emissionen im Jahr 2049 eine 20 bis 30 Prozent geringere Wirtschaftsleistung haben als ohne Klimawandel.
Die offizielle Schweiz hingegen hat trotz rekordtiefer Schuldenquote «Budgetrestriktionen». Sie gehörte laut dem britischen «Guardian» zusammen mit Japan und Neuseeland in der zweitletzten Verhandlungsnacht zu den Ländern, die sich gegen die Erhöhung von sehr mickrigen 250 Milliarden auf mickrige 300 Milliarden Dollar Klimafinanzierung bis 2035 wehrten.
Delegierte aus dem Globalen Süden protestierten auch dann noch, nachdem dieser Entscheid durchgehämmert worden war. Im wörtlichen Sinne, denn der kleine Holzhammer des Vorsitzenden entscheidet mit den Worten «It’s so decided», wann «Konsens» herrscht. Chandni Raina, eine indische Delegierte, bezeichnete die 300-Milliarden-Dollar-Zusage als «inszeniert» und nannte die Schlusserklärung der Konferenz «kaum mehr als eine optische Täuschung». Nikura Maduekwe aus Nigeria doppelte nach: «Das ist ein Witz.»
Ein ganz schlechter Witz war auch, was Bundesrat Rösti vor der Fernsehkamera auch noch sagte: «Wir können das realisieren, indem beispielsweise auch Private beitragen.» Selbst Larry Summers, als früherer Weltbank-Chefökonom, Wirtschaftsberater der US-Regierung und Vize-Finanzminister gewissermassen die Verkörperung des «Washington Consensus», nennt die «Mobilisierung privater Ressourcen» inzwischen ein «Geschwätz» von Leuten, die ohne Geld «sehr staatsmännisch erscheinen wollen oder auf sehr substantielle Subventionen aus sind».
Und Simon Stiell, der musste natürlich als oberster UNO-Verantwortlicher am 25. November 2024 den Entscheid der COP29 schönreden, aber er legte nach: «Es ist keine Zeit für Siegesreden.»
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Medienmitteilung
21.11.2024, Klimagerechtigkeit
Die Schweiz will ihre Klimaziele zu einem grossen Teil nicht im Inland erreichen, sondern im Ausland – mit sehr fragwürdigen Kompensationsprojekten. Das zeigt eine neue Recherche von Alliance Sud zu einem Kochofenprojekt der Stiftung KliK in Ghana. Dieses überschätzt seine Wirkung, ist intransparent und hat toxische Nebenwirkungen.
Ausschnitt aus der ursprünglich komplett geschwärzten Analyse zur Zusätzlichkeit des Projekts.
Die Schweiz will ihre Klimaziele zu einem grossen Teil nicht im Inland erreichen, sondern im Ausland – mit sehr fragwürdigen Kompensationsprojekten. Das zeigt eine neue Recherche von Alliance Sud zu einem Kochofenprojekt der Stiftung KliK in Ghana. Dieses überschätzt seine Wirkung, ist intransparent und hat toxische Nebenwirkungen.
Effiziente Kochöfen sind eine gute Sache, um die individuelle Situation von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in den ärmsten Regionen im Globalen Süden zu verbessern. Vereinfacht gesagt: Sie können damit Geld sparen und atmen weniger Rauch ein. Dabei werden auch weniger CO2-Emissionen verursacht. Doch das Kochofenprojekt der Stiftung KliK als CO2-Kompensationsprojekt ist höchst problematisch, wie die neue Recherche von Alliance Sud aufzeigt. Denn das Projekt mit dem Namen «Transformative Cookstove Activity in Rural Ghana» weist schwerwiegende Probleme auf:
• Intransparenz: Die privaten Programmeigner ACT Commodities versuchen so viel wie möglich zu verbergen, insbesondere die Berechnungen der Emissionsreduktionen.
• Überschätzte Wirkung: Die Projektplanung verspricht 3,2 Millionen Tonnen CO2-Reduktion bis 2030, aber realistisch sind höchstens 1,8 Millionen Tonnen CO2-Reduktion. Der Grund ist eine Überschätzung des wichtigsten Parameters der Rechnung.
• Toxische Nebenwirkungen: Der Geschäftspartner in Ghana verkauft der ländlichen Bevölkerung gleichzeitig die Kochöfen des Projekts und Pestizide, die so giftig sind, dass sie in der Schweiz nicht zugelassen sind.
Bereits beim ersten Schweizer Kompensationsprojekt unter dem Pariser Klimaabkommen, das Bangkok-E-Bus-Programm, gibt es Medienberichten zufolge menschenrechtliche Probleme und finanzielle Unregelmässigkeiten. Bereits vor einem Jahr hatte eine Untersuchung von Alliance Sud und Fastenaktion Hinweise auf Unregelmässigkeiten geliefert. Kein Zufall also, dass die EU auf solche Kompensationen im Ausland verzichtet.
«Die Projekte in Thailand und Ghana halten bei weitem nicht, was sie versprechen. CO2-Kompensationen der Schweiz im Ausland sind kein Ersatz für reale Emissionsreduktionen im Inland», sagt Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.
Für weitere Informationen:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, 031 390 93 30, andreas.missbach@alliancesud.ch
Marco Fähndrich, Medienverantwortlicher Alliance Sud, 079 374 59 73, marco.faehndrich@allliancesud.ch
Weitere Recherchen über Schweizer Auslandkompensationsprojekte:
Recherche der Republik über die Verwicklung der Schweiz in einen «Wirtschaftskrimi» in Bangkok
Recherche des Beobachters über Menschenrechtsprobleme beim selben Programm in Bangkok
Recherche von Alliance Sud und Fastenaktion über E-Busse in Bangkok (2023)
Studie im Auftrag von Caritas Schweiz über Kochofen-Projekt in Peru
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Recherche
20.11.2024, Klimagerechtigkeit
Mit dem Erwerb von neuen Kochöfen sollen in Ghana vor allem Frauen mehr als 3 Millionen Tonnen CO2 einsparen – als Ersatz für Emissionsreduktionen in der Schweiz. Alliance Sud kritisiert die eklatant fehlende Transparenz des Projekts und zeigt auf, welche brisanten Details die Projekteigner vor der Öffentlichkeit verstecken wollten.
Ein Mädchen kocht mit ihrer Mutter in ihrem Haus in Tinguri, Ghana. Solche gesundheitsschädlichen Feuerstellen hat die Schweiz bei ihrer Klimakompensation im Fokus.
© Keystone / Robert Harding / Ben Langdon Photography
Grace Adongo, eine Bäuerin aus der Region Ashanti in Ghana, ist glücklich mit ihrem neuen, effizienteren Kochofen. Anstatt über dem offenen Feuer zu kochen, stellt sie den Topf nun auf einen kleinen Kochherd. Sie braucht spürbar weniger Holzkohle und spart damit gleichzeitig Geld und CO2-Emissionen. Dieser Erfahrungsbericht stammt aus dem letzten Jahresbericht des «Ghana Carbon Market Office» und deckt sich mit vielen weiteren, die von den zahlreichen Kochofen-Projekten im weltweiten Kohlenstoffmarkt berichten. Diese sollen dazu beitragen, die ärmeren Bevölkerungsschichten mit Kochöfen auszustatten, die effizienter und weniger gesundheitsschädlich sind als traditionelle Öfen oder Feuerstellen, die viel Rauch bilden. Damit wird der Holzverbrauch gesenkt und CO2-Emissionen werden eingespart (wie viele, ist sehr umstritten – mehr dazu aber später).
Das Prinzip ist dabei immer ähnlich: Die Kochöfen werden vergünstigt verkauft. Dabei treten die Kundinnen und Kunden ihr Recht auf die Emissionsreduktion an die Projekteigner ab. Danach werden die eingesparten Emissionen durch die neuen Öfen über die Folgejahre berechnet und vom Projekteigner als CO2-Zertifikate international verkauft. Die Einnahmen aus den Zertifikaten werden benötigt, um die Kochöfen zu subventionieren.
Was nach einer guten Sache klingt, ist es für Menschen wie Frau Adongo aus einer individuellen Perspektive sicher auch. Aber das System drumherum ist weit vielschichtiger und widersprüchlicher. Im eingangs erwähnten Fall der «Transformative Cookstove Activity in Rural Ghana», den Alliance Sud in dieser Recherche unter die Lupe nimmt, geht es um den staatlichen Kompensationsmarkt, bei dem die Schweiz die erzielten Emissionsreduktionen aus Ghana an die Klimaziele der Schweiz anrechnet. Dabei kommen erstaunlich viele Schauplätze ans Licht, die aus einer Perspektive der Klimagerechtigkeit kritisch beurteilt werden müssen. Die Zusammenarbeit der Schweiz mit Ghana ist auch ein gutes Beispiel, weshalb der Zertifikatehandel unter dem Pariser Abkommen nicht zur Erreichung von ambitionierteren Klimazielen führt.
Bezahlt werden die CO2-Zertifikate aus diesem und vielen weiteren Projekten mit einer Abgabe von 5 Rappen pro Liter Treibstoff an den Schweizer Zapfsäulen. Die Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK, welche den Treibstoffimporteuren gehört, setzt das Geld für Kompensationsprojekte im In- und Ausland ein. Mit der CO2-Kompensation im Ausland will die Schweizer Politik fehlende Klimaschutzmassnahmen in der Schweiz wettmachen, um dennoch die Klimaziele unter dem Pariser Abkommen zu erreichen.
Unter dem Pariser Abkommen von 2015 hat sich die Schweiz verpflichtet, bis 2030 die Hälfte ihres Treibhausgasausstosses im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Mit dem CO2-Gesetz können aber nur gut 30% der Emissionen im Inland reduziert werden – kaum mehr als vor der Gesetzesrevision im Frühling 2024. Die verbleibenden 20% sollen im Ausland kompensiert werden. Mit dem im September 2024 angekündigten Sparpaket des Bundesrats sollen auch Klimaschutzmassnahmen im Inland wegfallen. Das führt unweigerlich dazu, dass die Schweiz immer mehr Kompensationszertifikate benötigt, um die Klimaziele noch erreichen zu können. Das ist nicht der Sinn von Artikel 6 des Pariser Abkommens, der mit der Übertragung von Emissionsminderungen in andere Länder explizit zu «höheren Ambitionen» führen soll. Dazu müsste die Schweiz sicherstellen, dass die Klimaziele beider Länder mit den Zielen des Pariser Abkommens kompatibel sind. Die Schweiz hat Netto-Null bis 2050 versprochen. Da bis 2050 auf globaler Ebene Netto-Null erreicht sein muss, erwartet die Schweiz also de facto auch von den anderen Ländern, dass sie ihr Netto-Null-Ziel auf 2050 setzen. Gemessen daran hat der nationale Beitrag Ghanas bis 2030 zur Erreichung des Pariser Abkommens erhebliche Lücken. Ghana kommuniziert nur unverbindlich ein Netto-Null-Ziel für 2060 und nimmt die Ölförderung von seinen Klimazielen aus. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schreibt dazu auf Anfrage, dass «die Anforderungen des Pariser Abkommens gelten», und verweist dabei auf die unilateral festgelegten Klimaziele nach dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung und Kapazität. «Dabei müssen die Klimaziele die höchstmögliche Ambition umfassen und nachfolgende Ziele in der Ambition gesteigert werden.» Es gibt aber keine anderweitigen Kriterien an die Klimaziele eines Partnerstaates.
Vor einem Jahr kommunizierte Ghana eine Erweiterung seiner Ölförderung und begründete den Schritt mit fehlender finanzieller Unterstützung für den Klimaschutz. Das zeigt das Grundproblem: Es fehlt den Ländern im Globalen Süden an internationaler Klimafinanzierung, die ihnen als Unterstützung aus dem Globalen Norden zustehen würde. Das Resultat: Sie nehmen die für sie zweitbeste Lösung, um an die Finanzierung zu gelangen, der Verkauf ihrer Klimaschutzaktivitäten als CO2-Zertifikate. Der Unterschied zur Klimafinanzierung: Die Schweiz erhält das «Recht», ihre Klimaschutzmassnahmen auf später zu verschieben. Insgesamt werden die Ambitionen für einen wirksamen Klimaschutz gesenkt, nicht erhöht.
Das vorliegende Kochofenprojekt wurde im Februar 2024 von Ghana und der Schweiz unter dem bilateralen Marktmechanismus des Pariser Abkommens (Art. 6.2) genehmigt. Es wird vom Amsterdamer Rohstoffunternehmen ACT Commodities umgesetzt und soll bis 2030 mehr als 3 Millionen Tonnen CO2 reduzieren. Die Regierungen der beiden Länder tragen dabei die volle Verantwortung, dass das Projekt hohe Qualitätsanforderungen respektiert und hält, was es verspricht. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) prüft dazu die Projektdokumentation und veröffentlicht sie nach der Genehmigung.
Der Projekteigner ist ein internationaler Konzern mit Sitz in Amsterdam namens ACT Commodities. Das Unternehmen beschreibt sich selbst auf der Website als führenden Anbieter von marktbasierten Nachhaltigkeitslösungen, der die Transition zu einer nachhaltigen Welt antreibe. ACT ist ein grosser Player im Emissionshandel. Das Unternehmen verzichtet aber lieber auf zu viel Transparenz – auf seiner eigenen Website steht kein Wort darüber, dass die Konzerngruppe auch Öl- und Treibstoffhandel im Portfolio hat (über die Schwesterfirma ACT Fuels, die keine Website hat). Dies enthüllt erst ein Blick in das niederländische Handelsregister. Seit Juli 2023 besitzt ACT Commodities zudem eine Firma, die Schiffstreibstoffe anbietet, der dreckigste aller Treibstoffe. Der Konzern gehört also zur wachsenden Gruppe von Rohstoffhändlern, welche mit fossilen Energien geschäften und sich daneben als Akteure auf dem CO2-Markt «grünwaschen».
Doch bereits ein erster Blick in die Dokumente offenbart Mängel bei der Transparenz: Das Projekt ist so undurchsichtig wie dichter Nebel. In der Projektbeschreibung sind weite Teile geschwärzt, darunter praktisch die ganze Analyse, mit der nachgewiesen werden muss, dass das Projekt zu zusätzlichen Emissionsreduktionen führt (s. Bild). Aber auch viele weitere relevanten Zahlen und Angaben wurden verschleiert. Und das Dokument mit den Berechnungen, warum die CO2-Reduktion 3,2 Millionen Tonnen betragen soll, wurde gar nicht erst veröffentlicht. Transparenz sieht anders aus.
Alliance Sud hat die Veröffentlichung der ungeschwärzten Dokumente und Berechnungen nach dem Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) eingefordert – und aufgrund der Weigerung der Projekteigner erst einmal vier Monate gewartet. Danach wurde die Projektdokumentation zu grossen Teilen, aber nicht vollständig, freigegeben. Die noch geschwärzten Stellen seien Geschäftsgeheimnis. Jetzt wird aber auch klar, dass im ursprünglichen Dokument viele Stellen völlig willkürlich verdeckt wurden.
Ausschnitt aus der ursprünglich komplett geschwärzten Analyse zur Zusätzlichkeit des Projekts.
Wie berechnet wird, dass dank dem Projekt in Ghana über 8 Jahre 400'000 Tonnen CO2 jährlich eingespart werden sollen, gehört zu den zentralen Informationen über ein Kompensationsprojekt. Bei seriösen Zertifizierungsstellen für den freiwilligen Zertifikatemarkt ist es obligatorisch, diese Berechnungen zu veröffentlichen. Die Daten müssen für wissenschaftliche Analysen zur Verfügung stehen – zumal immer mehr Studien eine Überschätzung der Emissionsreduktionen durch CO2-Zertifikate feststellen, auch bei Kochofen-Projekten.
In diesem Fall sträubt sich der Projekteigner aber dagegen – eine inakzeptable Intransparenz. Mittels BGÖ-Gesuch erhielt Alliance Sud ein PDF der Berechnungstabellen. Ohne Möglichkeit, die integrierten Excel-Formeln zu sehen, ist die Nachvollziehbarkeit immer noch eingeschränkt.
Aber die nun vorliegenden Zahlen bringen Überraschendes ans Licht: Im Berechnungs-PDF wird ersichtlich, dass für die Jahre 2025-30 die Emissionsreduktionen derselben Öfen fast doppelt so hoch berechnet werden wie für 2023-24. Grund dafür ist eine offensichtlich geplante Erhöhung des wichtigsten Parameters, des Anteils der nicht-nachhaltigen Holzbeschaffung, genannt «fNRB» (fraction of non-renewable biomass). Dieser ist eine Schätzung, um wie viel Holzbiomasse die Ernte des Feuerholzes deren natürliches Nachwachsen übersteigt. Nur der geringere Verbrauch von nicht-nachhaltigem Feuerholz kann als Reduktion von CO2-Emissionen geltend gemacht werden. Der Parameter wird direkt mit den weiteren Faktoren multipliziert und ist daher entscheidend für die Berechnungen der Emissionsreduktionen. Eine zu hohe Einschätzung des fNRB ist der Hauptgrund für die teils vernichtende Kritik an bisherigen Kochofen-Projekten zur Emissionsreduktion.
Wer es genau wissen will: Laut Projektdokumentation wurde der fNRB bei 0.3 angesetzt, was konservativer als bei vielen bisherigen Kochofenprojekten ist. Gemäss der offiziellen UNFCCC-Referenzstudie vom Juni 2024 ist dies als Standardwert angebracht, um die Emissionsreduktionen nicht massiv zu überschätzen und ist gleichzeitig kohärent mit dem länderspezifischen Wert der Studie für Ghana von 0.33. Nun hat das Projekt aber eine Klausel, dass Ghana und die Schweiz bilateral den fNRB nachträglich (nach oben) anpassen können. Dass ab 2025 bereits fest mit einem fNRB von 0.7629 gerechnet wird, erschliesst sich nur aus dem Berechnungs-PDF, das zuerst nicht veröffentlicht wurde. Die Projektbeschreibung verschweigt, dass bereits mit einem höheren Wert geplant wird, obwohl dessen Genehmigung noch aussteht. Der Wert 0.7629 stammt aus dem veralteten «CDM-Tool 30», das vom BAFU selber als ungenügende Grundlage bezeichnet wird. Ghana hat im Frühling 2024 eine Ausschreibung für eine unabhängige Studie gemacht, um einen länderspezifischen fNRB-Wert für Ghana zu eruieren – offensichtlich mit der Hoffnung, dass ein deutlich höherer Wert legitimiert werden kann. Damit dieser auch von der Schweiz akzeptiert wird, muss die Studie den peer review der UNFCCC-Gremien bestehen. Angesichts der erwähnten, breit akzeptierten Referenzstudie, die für Ghana einen Länderwert von 0.33 berechnet, dürfte das ein schwieriges Unterfangen werden.
Das Berechnungsdokument zeigt, dass ab 2025 mit einem mehr als doppelt so hohen fNRB, dem wichtigsten Parameter, gerechnet wird (Zeile in gelb). Die Emissionsreduktionen zwischen 2025 und 2030 werden so gemäss Berechnungen von Alliance Sud um bis zu 92% überschätzt. Insgesamt beträgt die Überschätzung bis zu 79% (unter Berücksichtigung der korrekten Berechnung für 2023 und 2024).
Wenn ohne Grundlage von einem mehr als doppelt so hohen fNRB-Wert ausgegangen wird, werden die Emissionsreduktionen also im Voraus überschätzt. Nach den Berechnungen von Alliance Sud würde das Projekt höchstens 1.8 Millionen Tonnen CO2 reduzieren, wenn der fNRB-Wert konstant auf dem realistischeren Wert von 0.3 gehalten würde. Das Projekt verspricht aber die Reduktion von 3.2 Millionen Tonnen CO2. Es überschätzt die Reduktionen also insgesamt um bis zu 79%.
Übrigens legen wir im Gegensatz zum Projekteigner unsere eigenen Berechnungen offen.
Die Absurdität, die halbe Projektdokumentation als «Geschäftsgeheimnis» zu bezeichnen (in der ersten Version vom Februar), zeigt sich daran, dass viele der verdeckten Informationen an anderer Stelle öffentlich verfügbar sind. Einige kleinere Angaben, die ursprünglich verdeckt wurden, sind sogar im gleichen Dokument an anderer Stelle ungeschwärzt. Weitere Angaben sind in Dokumenten der Regierung von Ghana ersichtlich oder lassen sich aus sonstigen Quellen kombinieren.
So findet man dank einem Online-Artikel der ghanaischen Behörden über einen Besuch des KliK-Stiftungsrats heraus, wer in Ghana der Hauptvertriebspartner des Projekts ist: ein ghanaisches Unternehmen namens «Farmerline». Farmerline erleichtert Bäuerinnen und Bauern den Zugang zu landwirtschaftlichen Hilfsmitteln – und öffnet so der internationalen Agrarindustrie die Tore zu vielen neuen Kundinnen und Kunden in Ghana. Auch diese Beziehung wollten die Projekteigner verbergen. In der Projektdokumentation waren ursprünglich mehrere Hinweise auf Partnerschaften im Agrarsektor verdeckt und die konkrete Zusammenarbeit ist noch immer geschwärzt – und dies hat durchaus Gründe, wie ein genauerer Blick zeigt.
Farmerline hat seinerseits die Zusammenarbeit mit Envirofit, dem Kochofenproduzenten und Umsetzungspartner des Projekteigners, im Juni 2023 angekündigt. In der Projektdokumentation steht dazu, wie 180'000 Öfen innert kurzer Zeit an die ländliche Bevölkerung verkauft werden sollen, dass die Öfen in mehr als 400 Geschäften für landwirtschaftliche Betriebsmittel angeboten werden. Einige Posts von Farmerline auf der Plattform «X» lassen aber aufhorchen. Farmerline führte dieses Jahr eine «Agribusiness Roadshow» in verschiedenen Regionen von Ghana durch, in Zusammenarbeit mit Envirofit – und mit dem Agrokonzern Adama, der Teil der Syngenta-Gruppe ist. An jedem Tag der Roadshow wurden den Bäuerinnen und Bauern gleichzeitig die effizienten Kochöfen von Envirofit wie auch Pestizide von Adama vorgestellt und zum Verkauf angeboten. Auf den Videos von Farmerline sind die Adama-Produkte identifizierbar, und bei drei Insektiziden und einem Herbizid handelt es sich um Produkte mit Wirkstoffen, die in der Schweiz und der EU nicht zugelassen sind, weil sie zu gefährlich für die Umwelt und die Gesundheit sind: Atrazin, Diazinon und Bifenthrin. Atrazin verunreinigt das Grundwasser, hemmt die Photosynthese der Pflanzen und baut sich in der Umwelt fast nicht mehr ab, ausserdem wird es als krebserregend eingestuft. Diazinon greift nicht nur die gewünschten Schädlinge, sondern alle Insekten an, und kann auch bei Menschen akut giftig sein, wenn es auf die Haut gelangt. Bifenthrin ist vor allem für im Wasser lebende Tiere sehr giftig, aber sollte auch von Menschen nicht eingeatmet werden (siehe die Pestiziddatenbank des Pesticide Action Network).
Beispielfoto aus einem Video der Farmerline Roadshow, an der neben den Kochöfen auch das Herbizid Maizine 30 OD mit dem in der Schweiz verbotenen Wirkstoff Atrazin verkauft wird.
Auf keinem der Videos ist zudem die Demonstration oder der Verkauf von angebrachter Schutzkleidung zu sehen. Gemäss verschiedener Studien (Demi und Sicchia 2021; Boateng et al 2022; und weitere) führt der steigende Gebrauch von Pestiziden in der ghanaischen Landwirtschaft zu erheblichen gesundheitlichen Problemen für die Bäuerinnen und Bauern. Viele wissen mangels Instruktion durch die Händler entweder nicht, wie sie die Pestizide korrekt anwenden und sich dabei schützen müssten, oder ihr Geld reicht nicht für die Schutzkleidung. Fachinformationen beziehen sie ausserdem weitgehend aus dem persönlichen Umfeld oder von ihren Händlern, aber es fehlt an unabhängiger landwirtschaftlicher Beratung. Imoro et al. 2019 fanden in ihrer Studie, dass 50% gar keine Schutzkleidung benutzten und weitere 40% nur ungenügende. Bei KliK nachgefragt, ob an den Roadshows auch Schutzkleidung verkauft werde, antwortet KliK, dass bei ihren Kooperationspartnern selbstverständlich höchste Nachhaltigkeitskriterien Voraussetzung seien. KliK schreibt, der Komplex, den Alliance Sud mit dieser Frage auftue, liege nicht in ihrem Ermessensbereich.
Der Versuch, eine klare Aussage über den Beitrag dieses Kompensationsprojekts für die nachhaltige Entwicklung zu treffen, gleicht also weiterhin dem Stochern im Nebel. Denn die Kundinnen und Kunden der Kochöfen werden zwar Geld sparen und dank weniger Rauch hoffentlich ihre Gesundheit verbessern – aber gleichzeitig dazu angeregt, das gesparte Geld für Pestizide auszugeben, mit deren vermehrtem Einsatz Umweltschäden und in vielen Fällen auch wieder Gesundheitsschäden entstehen. So gesehen hat KliK bei der Beurteilung der «höchsten Nachhaltigkeitskriterien» der Kooperationspartner versagt. Es ist zwar einleuchtend, dass Synergien mit bestehenden Akteuren im Landwirtschaftsbereich gesucht werden, um die Menschen im ländlichen Raum zu erreichen. Wäre aber Nachhaltigkeit im Vordergrund gestanden, hätte sich viel eher eine Partnerschaft mit Organisationen zur Förderung von agrarökologischen Ansätzen aufgedrängt.
Die neuen Kochöfen ermöglichen eine finanzielle Ersparnis für die Kundinnen und Kunden, das Projekt ist aber in einer viel grösseren Dimension finanziell lohnenswert für die Investoren. Auch in finanzieller Hinsicht bleibt das Projekt intransparent: Die Preisgestaltung der Öfen bleibt geschwärzt, die Preise der Zertifikate sind Privatsache von KliK und ihren Geschäftspartnern. Auch wird für das Projekt kein Finanzplan oder ähnliches vom BAFU überprüft. Doch mit der Herausgabe einiger zusätzlicher Informationen dank dem BGÖ-Gesuch wird klar, dass die Investoren absahnen dürften. Die Investoren hinter diesem Projekt sind unsichtbar, aber gemäss Projektdokumentation dürften sie eine jährliche Rendite von 19.75% auf ihrer Investition erwarten. Diese absurd hohe Rendite wird mit einem Vergleich mit Staatsanleihen von Ghana begründet. Dieser Vergleich hält in keiner Weise stand, das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Die Risiken, in eine Staatsanleihe eines bereits hoch verschuldeten Staats zu investieren, sind ganz anderer Natur, was die hohen Renditen erklärt (wenn auch nicht legitimiert, denn die hohen Zinsen für ärmere Staaten sind erschreckend und verheerend – aber das ist nochmal eine andere Geschichte).
Hier hingegen handelt es sich um ein Projekt, das durch quasi-öffentliche Gelder mitfinanziert und abgesichert ist; man könnte es zu «blended finance» zählen, eine öffentlich-private Mischfinanzierung. Denn die Treibstoffimporteure erheben im Namen des CO2-Gesetzes eine Abgabe auf den Treibstoff. Würden die Einnahmen aus dieser Abgabe rein technisch einen Umweg über die Staatskasse machen – wie das bei anderen Abgaben die Regel ist –, bevor sie für Kompensationsprojekte ausgegeben würden, wären das öffentliche Steuergelder.
Somit besteht ein öffentliches Interesse, dass die Einnahmen aus dieser Abgabe effizient eingesetzt werden. Die Gelder müssen für den Klimaschutz und die nachhaltige Entwicklung vor Ort, anstatt für vergoldete Renditen der Investoren eingesetzt werden.
Effiziente Kochöfen sind ein günstiger Weg, um Verbesserungen im Leben von vielen Menschen zu erzielen und gleichzeitig Treibhausgasemissionen zu vermindern. Der Marktmechanismus des Pariser Abkommens birgt bei der Umsetzung von Klimaschutzprojekten im Globalen Süden aber erhebliche Widersprüche. Er soll vor Ort zur nachhaltigen Entwicklung beitragen, ist aber als potenziell lukratives Geschäft für die Investoren konzipiert. Und während im Globalen Süden einige Emissionen vermindert werden, bietet der Mechanismus eine politische Ausrede, Klimaschutz in einem reichen Land wie der Schweiz auf später zu verschieben.
Transparenz im Zertifikatehandel ist deshalb zentral, um die vielschichtigen und möglicherweise problematischen Hintergründe von Kompensationsprojekten zu erfahren. Das Klimakompensationsprojekt der Schweiz in Ghana ist hierfür ein aussagekräftiges Beispiel. Weder die Überschätzung der Emissionsreduktionen, der Verkauf der giftigen Pestizide noch die zu hohe Rendite waren aus den Dokumenten, die nach der Genehmigung des Kochofen-Projekts veröffentlicht wurden, herauszulesen. Erst mittels BGÖ-Gesuch und weiterführender Recherche konnte Alliance Sud den Nebel der intransparenten Projektdokumentation lichten: Diese offenbarte die Genehmigung waghalsiger Berechnungsmethoden, umwelt- und menschenschädigendes Geschäftsgebaren der Umsetzungspartner und ein fragwürdiges Verständnis von Transparenz seitens der Hauptakteure. Die Möglichkeit zur öffentlichen Überprüfung bleibt aber matchentscheidend, damit Kompensationsprojekte die Umsetzung des Pariser Abkommens nicht gefährden.
Der vorliegende Fall ist das zweite von Alliance Sud untersuchte Kompensationsprojekt der Schweiz unter dem Pariser Abkommen. Schon vor einem Jahr zeigten Alliance Sud und Fastenaktion auf, weshalb neue E-Busse in Bangkok kein Ersatz für Klimaschutz in der Schweiz sind.
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Abstimmung vom 9. Juni
16.05.2024, Klimagerechtigkeit
Für den Klimaschutz muss die Schweiz ihre Stromversorgung aus erneuerbaren Energiequellen sichern. Darum unterstützt Alliance Sud das Stromgesetz, das am 9. Juni 2024 zur Abstimmung kommt.
Das Stromgesetz fördert den Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen in der Schweiz. Eine Stromversorgung aus erneuerbaren Energien wie Sonne, Wasser und Wind ist eine Voraussetzung, dass die Schweiz bei der Dekarbonisierung vorankommt und ihre Klimaziele vermehrt im Inland erreichen kann – anstatt ihre Emissionen im Ausland zu kompensieren. Bemerkenswert ist bei diesem Gesetz, dass es im Bundesparlament von Mitgliedern aus allen Parteien unterstützt wurde. Auch Bundesrat Albert Rösti stand bereits als Nationalrat hinter der Vorlage. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht nur in der Schweiz, sondern auch bei den UNO-Klimaverhandlungen mittlerweile ein weitgehend gemeinsamer Nenner. An der letzten Klimakonferenz COP28 in Dubai hat sich die Staatengemeinschaft das Ziel gesetzt, bis 2030 die weltweite Kapazität zur Erzeugung erneuerbarer Energien zu verdreifachen.
Nur hapert es in den globalen Verhandlungen wie auch in der Schweizer Klimapolitik bisher bei einem zweiten, entscheidenden Punkt: Beim Ausstieg aus den fossilen Energien. Denn wenn erneuerbare Energien nur hinzugebaut werden, ohne aus den dreckigen Energieträgern auszusteigen, werden noch keine Treibhausgase reduziert.
Diese Erkenntnis gilt es in der Schweizer Klimapolitik vermehrt zu berücksichtigen. Für den 9. Juni bietet sich nun aber zuerst die Chance, nach den 59% Zustimmung zum Klimaschutzgesetz vor einem Jahr erneut ein deutliches Zeichen der Bevölkerung für eine klimafreundliche Zukunft abzuholen. Denn spätestens seit letztem Juni wissen wir: Klimaschutz ist mehrheitsfähig!
• Mehr Tempo bei der Energiewende
Das Stromgesetz ermöglicht den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Solarenergie. Über 80 Prozent der Anlagen entstehen auf Gebäuden und bestehender Infrastruktur.
• Unabhängigkeit vom Ausland
Unsere erneuerbaren Energien ermöglichen den Ausstieg aus Öl und Gas. Auch der wachsende Strombedarf für Elektroautos, Wärmepumpen und Industrie kann künftig mit sauberer, einheimischer Energie abgedeckt werden.
• Strom im Einklang mit der Natur
Das Stromgesetz klärt, wo der Ausbau der erneuerbaren Energien Priorität haben soll. Im Gegenzug werden ökologisch und landschaftlich wertvolle Gebiete für den Ausbau uninteressant.
• Günstige, stabile Energiepreise
Die Energiekosten werden insgesamt sinken, weil Öl und Gas durch günstigen erneuerbaren Strom ersetzt werden. Einheimischer Strom senkt überdies das Risiko für Preisschocks. Es werden keine neuen Abgaben eingeführt.
Weitere Informationen:
https://www.stromgesetz.ch/
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Meinung
11.04.2024, Klimagerechtigkeit
Nach der Verabschiedung eines unfassbar schwachen CO2-Gesetzes für die Jahre 2025-30 in der letzten Frühlingssession ist das Urteil im Fall der Klimaseniorinnen gegen die Schweiz ein Weckruf für Bundesrat und Parlament. Die Schweizer Klimapolitik braucht dringend einen Schub.
Grosses Medieninteresse anlässlich der Urteilsverkündung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
in Strassburg über die Klage der Klimaseniorinnen Schweiz. © Miriam Künzli / Greenpeace
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 9. April gegen die Schweiz ist historisch, indem es Klimaschutz als menschenrechtlichen Anspruch anerkennt. Und es kommt für die Schweiz zum richtigen Zeitpunkt. Denn das Parlament hat gerade im März ein Gesetz zur Reduktion der CO2-Emissionen verabschiedet, das seinen Namen eigentlich nicht verdient. Nun hat der EGMR die Schweiz gerügt, dass ihre Klimapolitik ungenügend ist, um die Menschen vor den negativen Auswirkungen der Klimakrise zu schützen, und dabei wichtige Grundsatzentscheide in Bezug auf die Anforderungen an die Klimapolitik der Europarats-Mitgliedstaaten gefällt. Die Staaten – inklusive die Schweiz – müssen die benötigten Massnahmen ergreifen, um ihre Treibhausgas-Emissionen substanziell und fortlaufend zu reduzieren, sodass sie bis in drei Jahrzehnten Netto Null erreichen. Der Zeitplan muss dabei das verbleibende «Klimabudget» berücksichtigen. Das heisst, sie müssen quantifizieren, wie viele Emissionen sie insgesamt noch ausstossen dürfen, um ihren Anteil zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1.5 Grad zu leisten, und müssen sich ihr jährliches Budget der noch erlaubten Emissionen entsprechend berechnen.
Das Gericht ist in seiner Argumentation explizit den wissenschaftlichen Fakten aus den bereits zahlreichen Berichten des Weltklimarats gefolgt – die eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse könne das Gericht nicht ignorieren, steht in der Urteilsbegründung mehrfach.
Die Schweiz ist rechtlich verpflichtet, das Urteil umzusetzen und dem Ministerkomitee des Europarats darüber Rechenschaft abzulegen. Konkret fordert das Gericht unter anderem, dass die Schweiz ihre Klimaziele anhand eines CO2-Budgets errechnet. Das verbleibende globale CO2-Budget, das es mit «genügender» Wahrscheinlichkeit erlaubt, das 1.5-Grad-Ziel zu erreichen, wird mit wissenschaftlichen Modellen vom Weltklimarat regelmässig berechnet. Die Schweiz hat also höchstens etwas Interpretationsspielraum, welchen Anteil davon sie für sich beansprucht. So oder so wird aber die geforderte Berechnung voraussichtlich dazu führen, dass sie ihre eigenen Klimaziele verschärfen muss. Das Urteil verpflichtet sie auch dazu, die gesetzten Ziele zu erreichen. Welche Massnahmen sie dafür ergreift, liegt im Handlungsspielraum der Schweiz.
Damit verschärft sich der dringende Handlungsdruck für die Schweiz zusätzlich. Es ist Zeit, dass Bundesrat und Parlament aufwachen und sich ihrer Verantwortung stellen. Die Schweiz muss endlich ihren fairen Anteil zur Umsetzung des Pariser Abkommens leisten, im Inland wie auch über die internationale Klimafinanzierung im Globalen Süden.
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Medienmitteilung
14.03.2024, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern
Der Bundesrat empfahl heute dem Nationalrat eine Motion von Gerhard Andrey zur Annahme, welche die Klimaverträglichkeit der Schweizer Finanzflüsse stärken sollte. Doch der Nationalrat wollte nichts von der Motion wissen, obwohl diese gemäss Bundesrat der Umsetzung von Art. 9 des Klimaschutzgesetzes gedient und damit dem Volkswillen entsprochen hätte.
Gerhard Andrey (links) im Nationalrat
© Parlamentsdienste, 3003 Bern
Mit 59,1% nahm im Juni 2023 die Stimmbevölkerung das Klimaschutzgesetz an. In Artikel 9 wurde ein Ziel zur klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzmittelflüsse festgelegt. Auch das Pariser Klimaabkommen verpflichtet die Schweiz dazu, dieses Ziel zu verfolgen. Mit dieser klaren rechtlichen Ausgangslage als Begründung hatte sich der Bundesrat dazu entschieden, die Motion von Nationalrat Gerhard Andrey anzunehmen.
Die Motion respektierte die bisherigen Bemühungen, mit freiwilligen Massnahmen der Branche die Finanzmittelflüsse auf den Pfad der Treibhausgasreduktion im Einklang mit dem Pariser Abkommen zu bringen, forderte jedoch subsidiär vom Bund, verbindlichere Massnamen einzuführen, wenn bis 2028 weniger als 80% der Finanzflüsse auf dem richtigen Pfad zur Treibhausgasreduktion wären. Der Bundesrat wies in seiner Antwort darauf hin, dass er bei der Umsetzung der Motion als subsidiäre Regelungen vor allem die Einführung von Best-Practices zu Transparenz und Kostenwahrheit vorsah – eine sehr wirtschaftsfreundliche Umsetzung mit einem grossen Handlungsspielraum für alle Beteiligten.
Die Ablehnung des Nationalrats ist umso unverständlicher: «Der Nationalrat missachtet den klaren Willen der Bevölkerung für klimaverträgliche Finanzflüsse, er ignoriert die rechtlichen Grundlagen und internationale Verpflichtungen und akzeptiert nicht einmal den moderaten Weg des Bundesrates», betont Laurent Matile, Experte für Unternehmen und Entwicklung bei Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. «Jede Verzögerung beim Klimaschutz bekommen die Menschen in den ärmsten Ländern am stärksten zu spüren.»
Die klimaverträgliche Ausrichtung der Schweizer Finanzflüsse ist der grösste Klimaschutz-Hebel, den die Schweiz hat und als Vertragspartei des Pariser Abkommens verpflichtet ist zu nutzen. Laut einer Studie von McKinsey sind die Emissionen im Zusammenhang mit dem Schweizer Finanzplatz 14 bis 16 Mal höher als die Schweizer Inlandemissionen.
Auch bei den Beratungen zum CO2-Gesetz, das morgen in die Schlussabstimmung gelangt, hat sich ein eklatant fehlender politischer Wille in beiden Parlamentskammern gezeigt, was ebenfalls die breite Zustimmung zum Klimaschutzgesetz ignoriert. Die Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen im Inland wurden nach einem schwachen Entwurf des Bundesrats in den Beratungen laufend weiter geschwächt. Als Folge wird die Schweiz immer mehr Auslandzertifikate einkaufen müssen, die kein gleichwertiger Ersatz für Reduktionen im Inland bedeuten.
Für weitere Informationen:
Laurent Matile, Experte für Unternehmen und Entwicklung, 022 901 14 81, laurent.matile@alliancesud.ch
Delia Berner, Klimaexpertin, 077 432 57 46, delia.berner@alliancesud.ch
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