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Ein neues Eldorado für die Rohstoffhändler
07.12.2023, Klimagerechtigkeit
In einem Kohlenstoffmarkt, dessen Grenzen absehbar sind, hat sich ein unerwarteter Akteur selbst zu den Verhandlungen eingeladen: Rohstoffhändler haben jüngst ihren CO2-Handel intensiviert, ohne dabei ihre Geschäfte mit fossilen Brennstoffen zurückzufahren.
Von Maxime Zufferey

Der Klimahandel hat auch das Interesse der grössten Emittenten, allen voran der Rohstoffhändler, geweckt.
© Nana Kofi Acquah / Ashden
Erdgas mit dem Etikett «CO2-neutral» oder Beton mit dem Label «Netto-Null»: Die Liste der scheinbar klimaneutralen Konsumgüter ist in den letzten Jahren immer länger geworden. Der buchhalterische Kniff hinter dem CO2-Ausgleich besteht darin, dass ein Treibhausgase emittierender Akteur – sei es ein Unternehmen, eine Einzelperson oder ein Land –, dafür bezahlt, dass ein anderer Akteur seine Emissionen vermeidet, verringert oder auf null setzt. So können sich Unternehmen nach ihrem Gutdünken auf dem Markt profilieren, indem sie sich ihren Kunden gegenüber als engagierte Klimaschützer präsentieren, ohne dabei ihre eigenen Emissionen zu senken. Der freiwillige CO2-Markt, der zwischen einem regelrechten Boom und der jüngsten, durch Greenwashing-Vorwürfe ausgelösten Vertrauenskrise hin- und herpendelt, befindet sich an einem Scheideweg.
Einerseits ist da die wirtschaftliche Realität eines freiwilligen Kohlenstoffmarktes, der sich allein 2021 auf 2 Mrd. USD vervierfacht hat – mit dem Potenzial, bis 2030 auf 50 Mrd. USD anzuwachsen; er hat das Interesse der grössten Emittenten, allen voran der Rohstoffhändler, geweckt. Dieses exponentielle Marktwachstum ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der Privatsektor unter dem Drucksteht, immer mehr «Netto-Null»-Verpflichtungen eingehzugehen, und zum anderen darauf, dass die Kompensation im Gegensatz zur Verringerung des eigenen CO2-Fussabdrucks eine finanzielle und logistische Alternative darstellt. Andererseits häufen sich die vernichtenden Berichte über die mangelhafte Qualität der Projekte des freiwilligen Kohlenstoffmarktes. Darin wird vor der unkontrollierten Entwicklung eines Marktes gewarnt, dessen tatsächliche Auswirkungen auf den Klimaschutz vernachlässigbar bis kontraproduktiv sind. So haben die ETH Zürich und die Universität Cambridge aufgezeigt, dass nur gerade 12% des Gesamtvolumens der bestehenden Gutschriften in den wichtigsten Kompensationsbereichen – erneuerbare Energien, Kochherde und Backöfen, Forstwirtschaft und chemische Prozesse – tatsächliche Emissionsreduktionen bewirken. Die Investigativjournalismus-Plattform Follow the Money berichtete in Bezug auf das South Pole-Vorzeigeprojekt Kariba von massiv überhöhten Zahlen. Das Zürcher Unternehmen kündigte daraufhin seinen Vertrag als Carbon Asset Developer für das Projekt in Simbabwe. Die NGO Survival International erhebte schwere Vorwürfe gegen ein freiwilliges Kompensationsprojekt im Norden Kenias, das auf dem Land indigener Gemeinschaften realisiert wird. Ihre Untersuchung deckte potenziell schwere Menschenrechtsverletzungen auf, die die Lebensbedingungen der Hirtenvölker gefährden.
Was also ist der freiwillige Kohlenstoffmarkt? Eine fehlkonzipierte Marketinglösung und gefährliches Blendwerk, das von der dringenden Notwendigkeit transformativer Klimaschutzmassnahmen des Privatsektors ablenkt? Oder eine echte Geschäftsmöglichkeit zur Unterstützung der Klimaschutzmassnahmen von Unternehmen und eine dringend benötigte milliardenschwere Finanzspritze für Projekte zur Emissionssenkung und zum Schutz der Artenvielfalt in Entwicklungsländern?
CO2-Zertifikate – der Rohstoff der Zukunft
Als Pionierin im bilateralen Handel mit CO2-Zertifikaten unter dem Pariser Abkommen ist die Schweiz eine wichtige Akteurin auf dem Kohlenstoffmarkt, einschliesslich seiner freiwilligen Sparte. Sie ist Herkunftsland des grössten Anbieters von freiwilligen CO2-Zertifikaten, South Pole, und des zweitgrössten Zertifizierers, Gold Standard. Vielleicht noch überraschender ist die Positionierung der Schweizer und insbesondere der Genfer Rohstoffhandelsriesen auf in diesem Markt. Sie sind die Flaggschiffe eines Sektors, der ein Rekordjahr nach dem anderen verbucht. Die neuen Investitionen lassen sich aber auch mit dem Potenzial dieses undurchsichtigen Marktes erklären, erhebliche Margen abzuschöpfen und gleichzeitig beim Emissionsausstoss weiterzumachen wie bisher. Ein Markt, notabene, der weder für Preise noch die Verteilung der Einnahmen aus den CO2-Kompensationen eine Regulierung kennt. Gemäss Hannah Hauman, Leiterin des Kohlenstoffhandels bei Trafigura, ist das Kohlenstoffsegment mittlerweile der grösste Rohstoffmarkt der Welt und hat den Markt für Rohöl bereits überflügelt.
So beschloss Trafigura, einer der grössten unabhängigen Öl- und Metallhändler der Welt, im Jahr 2021 ein eigenes Kohlenstoffhandelsbüro in Genf zu eröffnen und das grösste Projekt zur Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern an der pakistanischen Küste zu lancieren. Ein Jahr später beläuft sich sein Kohlenstoff-Handelsvolumen bereits auf 60,3 Millionen Tonnen. In seinem Jahresbericht von 2022 deklarierte der Genfer Energiehändler Mercuria nicht nur seine CO2-Neutralität, sondern gab überdies an, dass 14,9% seines Handelsvolumens aus CO2-Märkten bestünden, verglichen mit 2% im Jahr 2021. Anfang 2023 kündigte Mercuria-Mitgründer Marco Dunand die Schaffung von Silvania an, einem Investitionsvehikel mit 500 Mio. USD Kapital, das sich auf natürliche Klimaschutzlösungen (Nature-based Solutions / NbS) spezialisiert. Kurz darauf startete er mit dem brasilianischen Bundesstaat Tocantins das erste Programm zur Senkung von Emissionen aus Abholzung und Waldschädigung mit einem Volumen von bis zu 200 Millionen an freiwilligen Kohlenstoffgutschriften. Nichtsdestotrotz stellen Öl und Gas mit fast 70% immer noch das Hauptgeschäft des Unternehmens dar.
Mercurias Nachbar an den Gestaden des Genfersees, Vitol, der weltweit grösste private Ölhändler, blickt auf eine über zehnjährige Erfahrung auf den Kohlenstoffmärkten zurück und gedenkt, seine Aktivitäten in diesem Bereich auszubauen. Das Unternehmen strebt für den Kohlenstoffhandel ein Marktvolumen an, das mit seiner Präsenz auf dem Ölmarkt vergleichbar ist. Diese lässt sich für das Jahr 2022 auf 7,4 Millionen Barrel Rohöl und Ölprodukte pro Tag beziffern, was mehr als 7% des weltweiten Ölverbrauchs entspricht. Weniger transparent kommuniziert der Rohölhändler Gunvor, der in den kommenden Jahren sein CO2-Handelsvolumen ebenfalls erhöhen will; dasselbe gilt für Glencore; der Konzern ist seit vielen Jahren im Bereich von Kompensationszahlungen für die Biodiversität tätig, dem Kern seiner Nachhaltigkeitsstrategie. Glencore schätzte seine Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Jahr 2022 auf 370 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, mehr als das Dreifache des gesamten CO2-Ausstosses der Schweiz.
Diese Unternehmen bezeichnen sich selbst als treibende Kräfte der Transition und beanspruchen für sich, die Entwicklung durch die Integration des CO2-Handels in ihre Portfolios beschleunigt zu haben. Fakt bleibt: Sie verfolgen eine Doppelstrategie mit Investitionen in sowohl kohlenstoffarme als auch fossile Energieträger, wobei die Bilanz immer noch deutlich zugunsten der fossilen ausfällt. Im Übrigen hat noch keiner dieser Rohstoffhändler seine Abkehr von fossilen Brennstoffen angekündigt, was jedoch unerlässlich ist, will man unter dem im Pariser Abkommen verankerten Temperaturanstieg von 1,5°C bleiben. Das Gegenteil ist der Fall: Die Unternehmen setzen zur Erfüllung ihrer Klimaverpflichtungen massiv auf Kompensationsgeschäfte und verfolgen so ihre kurzfristigen Gewinnziele, während sie gleichzeitig den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen weltweit verzögern. Angesichts der fehlenden Regulierung zur Einschränkung der Investitionen in fossile Brennstoffe und klimazerstörende Aktivitäten ist es illusorisch zu glauben, die Rohstoffhandelsbranche könne die Transition herbeiführen und die Ziele seien über den freiwilligen Kohlenstoffmarkt erreichbar. Solange die Unternehmen nicht alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihre eigenen Emissionen zu senken, bleiben naturbasierte Lösungen Greenwashing und die Absichtserklärungen zugunsten der Transition Augenwischerei: Diese Unternehmen geben vor, den Flächenbrand, den sie selbst angefacht haben, zu löschen.
Dubai als Schiedsrichter
An der UN-Klimakonferenz (COP 28), die im Dezember 2023 in Dubai stattfindet, dürften einige Weichen für die Zukunft und die Glaubwürdigkeit des freiwilligen Kohlenstoffmarktes gestellt werden. Dort wird unter anderem über die Umsetzung von Artikel 6.4 des Pariser Abkommens verhandelt, der als einheitlicher Rahmen für einen echten globalen Kohlenstoffmarkt dienen könnte. Die COP wird präsidiert von Sultan Al Jaber, seines Zeichens CEO des elftgrössten Öl- und Gasproduzenten der Welt, der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC); letztere hat soeben ein Kohlenstoffhandelsbüro eröffnet. Eine massive Präsenz am Verhandlungstisch haben ausserdem multinationale Konzerne aus dem Bereich der fossilen Brenn- und Rohstoffe. Die Anforderungen an Transparenz, allgemeingültige Regeln und wirksame Kontrollen im freiwilligen Kohlenstoffmarkt dürften deshalb verwässert werden.
Denn obwohl die Befürworter des freiwilligen Kohlenstoffmarktes einige der derzeitigen Schwächen des Sektors anerkennen, so sind sie doch weiterhin davon überzeugt, dass die verschiedenen Initiativen zur Selbstregulierung wie die Voluntary Carbon Markets Integrity Initiative (VCMI) und die Schaffung von Standards zu einer klaren Abgrenzung von glaubwürdigen Kohlenstoffgutschriftenführen werden. Die Gegner:innen hingegen glauben nicht an die Transformationskraft eines freiwilligen Marktes durch Selbstregulierung. Sie sehen in der Debatte um die CO2-Kompensation ein potenzielles Ablenkungsmanöver, das den Status quo zementiert. Sie plädieren für einen vollständigen Paradigmenwechsel. Der derzeitige Markt für den CO2-Ausgleich nach dem Prinzip «Tonne für Tonne» – d. h. eine Tonne CO2, die irgendwo ausgestossen wird, wird mathematisch durch eine Tonne CO2, die anderswo eingespart wird, ausgeglichen – sollte in einen separaten Markt für Klimabeiträge nach dem Grundsatz «Tonne für Geld» umgewandelt werden, d. h. eine Tonne CO2, die irgendwo ausgestossen wird, wird in Höhe der echten sozialen Kosten einer Tonne Emissionen finanziell internalisiert. Dies wäre ein sinnvolles Instrument als Ergänzung zu quantifizierbaren Reduktionsverpflichtungen – kein Ersatz dafür! Dringend nötig ist auch eine gründliche Sorgfaltspflicht für alle Kohlenstoffprojekte, mit Schutzmechanismen für Menschenrechte und Biodiversität sowie einem wirksamen Beschwerdemechanismus.
Medienmitteilung
Revision CO₂-Gesetz: hasenfüssig und untauglich
26.08.2008, Klimagerechtigkeit
Die Botschaft des Bundesrates zur Revision des CO₂-Gesetzes bremst die Klimaschutzverhandlungen, statt sie zu fördern.

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Medienmitteilung
Klimagerechtigkeit im Zentrum der COP-22
27.10.2016, Klimagerechtigkeit
In Marrakesch wird darum gerungen, wie die Industriestaaten das Versprechen einlösen, ihre Klima-Beiträge an Entwicklungsländer bis 2020 auf mindestens 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zu steigern. Alliance Sud ist in Marrakesch vor Ort.

Am 4. November tritt das im vergangenen Dezember ausgehandelte Klimaübereinkommen in Kraft. Am ersten Gipfeltreffen nach Paris vom 7. bis 18. November in Marrakesch wird über die Modalitäten bei der Umsetzung des historischen Klimavertrags verhandelt.
Am vergangenen Mittwoch hat der Bundesrat das Verhandlungsmandat der Schweizer Delegation beschlossen. Es legt den Schwerpunkt auf die Forderung nach robusten und wirksamen Regeln bei der Festsetzung und Berichterstattung über die Klimaziele der einzelnen Staaten. Darüber hinaus will sich die Schweiz für «die Schaffung von Anreizen» für private Investitionen in erneuerbare Technologien einsetzen und klaren Vorschriften für die Anrechnung von Mitteln bei der Unterstützung von dringend benötigten Klimaschutzmassnahmen in Entwicklungsländer zum Durchbruch verhelfen.
«So rühmlich der Fokus auf klare ‚Modalitäten der Anrechnung‘ ist, so sehr täuscht dieser darüber hinweg, dass es dringender denn je zusätzliche öffentliche Finanzmittel braucht um die Schutzmassnahmen in Entwicklungsländern zu ermöglichen», sagt Jürg Staudenmann, Klimaexperte bei Alliance Sud. Denn für Massnahmen, um sich an die zunehmenden Folgen des Klimawandels anzupassen, werden kaum private, auf Gewinn ausgerichtete Investitionen mobilisiert werden können. Hier braucht es – und das ist im Pariser Übereinkommen ausdrücklich festgehalten – zusätzliche Mittel der öffentlichen Hand.
Ein kürzlich vorgelegter Bericht der OECD-Staaten macht deutlich, dass die Industriestaaten dieses Ziel bis jetzt weit verfehlen. Die unter Mithilfe der Schweiz ausgearbeitete «100-Billion Roadmap» der OECD prognostiziert bis 2020 nicht einmal die Hälfte der versprochenen Beiträge für Klima-Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern. Hier hat auch die Schweiz noch ihre Hausaufgaben zu machen. Denn bis heute hat der Bundesrat keinen Plan vorgelegt, wie er die benötigten rund 1 Milliarde Schweizer Franken mobilisieren will.
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Nachhaltige Finanzen: eine Generationenaufgabe
06.12.2023, Klimagerechtigkeit, Finanzen und Steuern
2015 hat sich die Staatengemeinschaft verpflichtet, die Finanzflüsse mit den Klimazielen des Pariser Abkommens in Einklang zu bringen: Wie steht es mit der Umsetzung? Was macht die Schweiz? Eine Bestandesaufnahme.

Das Engagement der Finanzbranche für den Klimaschutz ist sehr widersprüchlich.
© Adeel Halim / Land Rover Our Panet
Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 hat sich die Staatengemeinschaft nicht nur dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen massiv zu senken und die armen Länder bei ihren Anstrengungen zur Reduktion und Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels zu unterstützen, sondern auch dazu, die öffentlichen und privaten Finanzflüsse auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft und eine klimaresistente Entwicklung auszurichten. Darum geht es in Artikel 2.1.c des Pariser Abkommens. Im Fachjargon wird deshalb vom «Paris Alignment», der Ausrichtung auf Paris gesprochen.
Am 3. und 4. Oktober nahmen Regierungs-, Privatsektor- und NGO-Vertreter:innen in Genf anlässlich der dritten Ausgabe des Building Bridges Summit an einem zweitägigen Workshop teil, an dem es um diese Ausrichtung und die Komplementarität mit Artikel 9 des Pariser Abkommens ging. Dies im Hinblick auf eine erste «globale Bestandesaufnahme», die an der COP28 auf der Tagesordnung steht. Artikel 9 regelt die Verpflichtung der Industrieländer zur finanziellen Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Minderung (mitigation) und Anpassung (adaptation) an den Klimawandel. Mehrere Delegierte und NGOs äusserten in Genf ihre Besorgnis darüber, dass die Industrieländer das «Alignment» der (privaten) Finanzierung in den Vordergrund stellen und ihre Verpflichtungen zur finanziellen Unterstützung der Entwicklungsländer vernachlässigen.
Nach wie vor sind die Finanzflüsse für wirtschaftliche Aktivitäten, die auf fossilen Brennstoffen basieren, weit umfangreicher als diejenigen für Mitigations- und Adaptationsmassnahmen. Laut dem letzten IPCC-Synthesebericht wäre weltweit genügend Kapital zur Schliessung der Lücken bei den weltweiten Klimainvestitionen vorhanden; das Problem ist also nicht der Mangel an Kapital, sondern die anhaltende Fehlallokation von Geldern. Dies trifft sowohl auf die öffentlichen als auch auf die privaten Kapitalströme zu. Die Neuausrichtung der Finanzierungen und Investitionen auf Klimaschutzmassnahmen – insbesondere in den ärmsten und vulnerabelsten Ländern – ist jedoch nicht die Patentlösung. Die Herausforderungen mit Blick auf eine «gerechte Transition» gehen darüber hinaus und die Entwicklungsländer erwarten auch dafür finanzielle Unterstützung von den Ländern des Nordens.
Staaten in der Verantwortung
Unternehmen, also auch diejenigen des Finanzsektors, sind nicht an das Pariser Abkommen gebunden. Folglich stehen die Staaten in der Pflicht, die eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen in innerstaatlichen Gesetzen zu regeln. Vereinfacht gesagt, verpflichtet das «Paris Alignment» die Staaten dazu sicherzustellen, dass alle Finanzflüsse zu den Klimazielen des Pariser Abkommens beitragen. Die zur Umsetzung von Artikel 2.1.c erforderlichen Instrumente sind vielfältig und es ist in erster Linie Sache der einzelnen Staaten zu bestimmen, welche regulatorischen Rahmenbedingungen, Massnahmen, Hebel und Anreize für die Neuausrichtung der Finanzströme nötig sind. Was es braucht sind dabei konkrete Massnahmen, welche bei den einzelnen Unternehmen und Finanzinstituten zu greif- und messbaren Ergebnissen führen.
Was macht die Schweiz?
Auch die Schweiz hat sich durch die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens dazu verpflichtet, ihre Finanzflüsse mit den Klimazielen in Einklang zu bringen. Zudem strebt der Bundesrat im Einverständnis mit der Branche eine führende Rolle für den Finanzplatz an. Dabei setzt er bislang jedoch in erster Linie auf freiwillige Massnahmen und Selbstregulierung.
Im Juni 2023 hat das Volk mit dem Klimagesetz beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird. Zu diesem Zweck wurden Zwischenziele für die Reduktion der Treibhausgasemissionen sowie genaue Richtwerte für bestimmte Sektoren (Gebäude, Verkehr und Industrie) festgelegt. Generell müssen alle Unternehmen ihre Emissionen bis spätestens 2050 auf Netto-Null gesenkt haben. Zum spezifischen Ziel, die Finanzflüsse mit den Klimazielen vereinbar zu machen, besagt das Klimagesetz (Artikel 9): «Der Bund sorgt dafür, dass der Schweizer Finanzplatz einen effektiven Beitrag zur emissionsarmen und gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähigen Entwicklung leistet. Es sollen insbesondere Massnahmen zur Verminderung der Klimawirkung von nationalen und internationalen Finanzmittelflüssen getroffen werden. Der Bundesrat kann mit den Finanzbranchen Vereinbarungen zur klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzflüsse abschliessen.»
Rolle und Verantwortung des Schweizer Finanzplatzes
Die Faktenlage ist klar: Der Schweizer Finanzplatz ist der wichtigste «Klimahebel» der Schweiz. Die CO2-Emissionen in Zusammenhang mit den Finanzflüssen aus der Schweiz (Investitionen in Form von Aktien, Obligationen und Darlehen) sind 14- bis 18-mal höher als die in der Schweiz verursachten Emissionen! Es wäre also nur folgerichtig, wenn der Bundesrat diesen Finanzflüssen Priorität einräumen würde. Angesichts seiner Bedeutung – mit rund 7'800 Milliarden an verwalteten Vermögenswerten – könnte er einen zentralen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten. Dazu braucht es aber auch hierzulande wirksame Massnahmen, die eine Neuausrichtung der Finanzflüsse auf die Klimaziele bewirken. Dazu gehört auch eine glaubwürdige und längst fällige CO2-Bepreisung auf nationaler und internationaler Ebene.
Massnahmenkatalog für Schweizer Unternehmen und Finanzmarktakteure
Ab Januar 2024 müssen grosse Unternehmen – einschliesslich Banken und Versicherungen – einen Bericht über Klimabelange veröffentlichen. Dieser umfasst nicht nur das finanzielle Risiko für ein Unternehmen aufgrund seiner klimarelevanten Tätigkeiten, sondern auch die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit des Unternehmens auf das Klima («doppelte Wesentlichkeit»). Darüber hinaus muss der Bericht Übergangspläne der Unternehmen und «wenn möglich und angebracht» CO2-Reduktionsziele enthalten, die mit den Klimazielen der Schweiz vergleichbar sind. Die Europäische Union hat ähnliche Verpflichtungen eingeführt, ebenso wie das Vereinigte Königreich und einige andere Länder. Für einmal hinkt die Schweiz also nicht hinterher.
PACTA-Klimatest
Seit 2017 empfiehlt der Bundesrat allen Finanzmarktakteuren (Banken, Versicherungen, Vorsorgeeinrichtungen und Vermögensverwaltern), freiwillig und kostenlos alle zwei Jahre am «PACTA-Klimatest» teilzunehmen. Dieser hat zum Ziel zu überprüfen, wie weit sich deren Anlagen an dem im Pariser Abkommen festgelegten Temperaturziel ausrichten. Dem Test unterzogen werden die von Finanzakteuren gehaltenen Aktien- und Anleihenportfolios börsenkotierter Unternehmen sowie Hypothekenportfolios. Der PACTA sollte aufzeigen, welches Gewicht die in den acht kohlenstoffintensivsten Sektoren tätigen Unternehmen im Portfolio haben, die zusammen für mehr als 75% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sind (Öl, Gas, Strom, Autos, Zement, Luftfahrt und Stahl).
Die Teilnahme am PACTA-Test bleibt jedoch freiwillig und die Teilnehmer entscheiden selbst, welche Portfolios sie zur Überprüfung einreichen wollen. Darüber hinaus ist die Veröffentlichung der einzelnen Testergebnisse auch für Finanzinstitute, die sich ein Netto-Null-Ziel für 2050 gesetzt haben, nicht verpflichtend. Der Bundesrat sperrt sich und empfiehlt die Ablehnung einer Motion, die Verbesserungen in diesen Punkten fordert, mit der Begründung, dass die bestehenden Beschlüsse ausreichend seien.
Selbstgesetzte Netto-Null-Ziele
Unter der Ägide der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) haben sich zahlreiche Schweizer Finanzinstitute freiwillig Klimaneutralitätsziele gesetzt. Diesen Ansatz trägt der Bundesrat mit. In Bezug auf Transparenz und Glaubwürdigkeit wirft ein solches Vorgehen aber zentrale Fragen auf: Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Finanzinstitute, die Net Zero-Ziele eingegangen sind? Wie hoch ist der Anteil der Geschäftsaktivitäten und Vermögenswerte, die bis 2050 tatsächlich das Ziel der Klimaneutralität erreichen sollen? Wie steht es um die Vergleichbarkeit der Informationen (Gesamt- und Zwischenziele, Massnahmen und Fortschritte der Finanzinstitute)? Zur Erhöhung der Transparenz und Rechenschaftspflicht der Finanzmarktakteure hatte der Bundesrat ursprünglich vorgeschlagen, Branchenvereinbarungen abzuschliessen, was von den Finanzlobbies abgelehnt wurde. Das Klimagesetz sieht nun aber den Abschluss solcher Vereinbarungen vor und das Eidgenössische Finanzdepartement sollte bis Ende Jahr diesbezüglich einen Bericht vorlegen.
Swiss Climate Scores
In Anlehnung an die GFANZ lancierte der Bundesrat im Juni 2022 die von Behörden und Industrie entwickelten «Swiss Climate Scores» (SCS). Die Grundidee besteht darin, Transparenz bei der klimaverträglichen Ausrichtung von Finanzanlagen zu schaffen, um Anlageentscheidungen zu fördern, die zur Erreichung der globalen Klimaziele beitragen. Auch hier bleibt der Ansatz für die Finanzdienstleister freiwillig.
Die Direktorin des Vermögensverwalters BlackRock Schweiz bedauerte an der Building-Bridges-Konferenz die geringe Akzeptanz der SCS in ihrer Branche. Damit bestätigte sie die von Alliance Sud nach deren Einführung geäusserten Zweifel. Auch die NZZ stellte unlängst deren geringe Akzeptanz und Unstimmigkeiten bei der Umsetzung durch die Finanzinstitute fest und bezeichnete die SCS im Vergleich zum hochkomplexen EU-Regulierungsrahmen als «Kühlschrank-Label für Finanzprodukte».
Ein Paradigmenwechsel
Die Umsetzung von Artikel 2.1 c) des Pariser Klimaabkommens wird auch für die Schweiz eine Herkulesaufgabe darstellen. Das Spektrum der bisherigen, vorwiegend freiwilligen Massnahmen wird den in Paris eingegangenen Verpflichtungen in keiner Weise gerecht. Ein Paradigmenwechsel ist daher dringend angezeigt.
Der Bundesrat hat sich kürzlich für die Annahme einer Motion ausgesprochen, welche einen «Ko-Regulierungsmechanismus» und eine Verpflichtung zur Verbindlichkeit fordert, «falls bis 2028 weniger als 80 Prozent der Finanzflüsse von Schweizer Finanzmarktinstituten auf einem Pfad hin zu einer Treibhausgasreduktion gemäss Übereinkommen von Paris sind». Es ist nun also am Parlament, endlich die ersten Massnahmen zur Bewältigung dieser Generationenaufgabe zu ergreifen.
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Medienmitteilung
COP28: ein unterfinanzierter Schritt weg von fossilen Energien
13.12.2023, Klimagerechtigkeit
Die Klimakonferenz in Dubai ist mit einer Einigung heute zu Ende gegangen. Während erstmals alle Staaten aufgerufen werden, zur Transition weg von fossilen Energien beizutragen, bleibt die Finanzierung für den Globalen Süden völlig unklar. Die Staaten im Globalen Norden stehen in der Pflicht, bis zur COP29 in Baku die benötigte Finanzierung bereitzustellen. Der gerechte Wandel wird ansonsten zur tragischen Illusion.

Die grosse Schwäche des Konferenzbeschlusses ist die fehlende Verbesserung bei der Finanzierung für den Globalen Süden,
© Fastenaktion
Nach zwei Jahren Vorbereitung war die Hoffnung auf eine ambitionierte globale Bestandesaufnahme gross. Auch die COP-Präsidentschaft unter Sultan Al Jaber hat wiederholt beteuert, dass sie einen ambitionierten Abschluss anpeilte. Während der Konferenz zeigten sich grosse Differenzen, aber der Druck stieg, den Ausstieg aus den fossilen Energien gemeinsam zu beschliessen. Der Schlusstext fordert nun neben dem Ausbau von erneuerbaren Energien erstmals die Staaten dazu auf, zur Abkehr von den fossilen Energien in Energiesystemen beizutragen: ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, mehr aber auch nicht.
«Das Momentum, den Ausstieg aus den fossilen Energien zu fordern, stieg aufgrund des engagierten Einsatzes von unzähligen Gemeinschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus aller Welt», betonen David Knecht und Stefan Salzmann, Experten von Faktenaktion und Beobachter vor Ort. «Leider entspricht der Beschlusstext aber bei weitem nicht der Dringlichkeit der Klimakrise: Die ärmsten Menschen, die bereits jetzt unter der Krise leiden, müssen weiter auf ambitionierten Klimaschutz warten».
CO2-Gesetz setzt auf Kompensation statt Transition in der Schweiz
Bundesrat Rösti hat in Dubai für die Schweiz die Forderung nach einem Ausstieg aus den fossilen Energien bis 2050 unterstützt. Dem muss der Nationalrat bei der Beratung des CO2-Gesetzes nächste Woche Taten folgen lassen. Das Vorhaben, mehr als die Hälfte der zusätzlichen Anstrengungen bis 2030 durch die Kompensation im Ausland zu erreichen, ist der reichen Schweiz nicht würdig. Denn Auslandkompensationen sind kein Ersatz für die Reduktion der Emissionen im Inland, wie Alliance Sud am Beispiel des ersten Programms in Bangkok diese Woche aufzeigte. Der Nationalrat muss das Gesetz nachbessern und insbesondere dem Bundesrat die Möglichkeit geben, die CO2-Abgabe nach oben anzupassen.
Finanzierung für den Globalen Süden reicht nicht aus
Die grosse Schwäche des Konferenzbeschlusses ist die fehlende Verbesserung bei der Finanzierung für den Globalen Süden, damit der gerechte Wandel weltweit vorangetrieben werden kann. Eine umso grössere Herausforderung stellt sich damit für die nächste Konferenz, die im November 2024 in Aserbaidschan stattfinden wird: die Verhandlung des nächsten kollektiven Finanzziels zur Unterstützung des Globalen Südens bei der Umsetzung des Pariser Abkommens.
«Fehlende Finanzierung ist das grösste Hindernis für Staaten im Globalen Süden, einen gerechten Wandel in die Wege zu leiten, und die grösste Ungerechtigkeit für die ärmsten Menschen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen, aber in keiner Weise dafür verantwortlich sind», erklärt Delia Berner, Klimaexpertin bei Alliance Sud, dem Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.
Daran ändert auch die Verabschiedung des neuen Fonds für Schäden und Verluste am ersten Konferenztag wenig, denn es bleibt viel zu unverbindlich für die Verursacherstaaten, in diesen Fonds einzuzahlen. Die Schweiz ist dabei fast der einzige Industriestaat, der dem Fonds noch keinen Rappen zugesprochen hat – und gleichzeitig lautstark fordert, andere sollen mehr bezahlen.
Zusätzliche Mittel auch für Klimaanpassung nötig
Auch im Bereich der Anpassung an die Auswirkungen der Klimaerwärmung sind die Ergebnisse der Konferenz unzureichend. «Damit sich die ärmsten und verwundbarsten Länder an die negativen Folgen der globalen Erwärmung anpassen können, muss die Finanzierung der Anpassung durch die Industrieländer verdoppelt und der Anpassungsfonds gestärkt werden», stellt Christina Aebischer, Expertin von Helvetas und Beobachterin vor Ort, klar. Die Finanzierung der Anpassung muss aus öffentlichen Mitteln stammen und auf Zuschüssen, nicht auf Krediten basieren. Diese Mittel sollten zusätzlich zu den Budgets für die Entwicklungszusammenarbeit der Industrieländer bereitgestellt werden. Hier ist auch die Schweiz gefordert, die spätestens an der nächsten COP ihre Beiträge wird ausbauen müssen.
Für weitere Informationen:
Alliance Sud, Delia Berner, Expertin für internationale Klimapolitik, Tel. 077 432 57 46, delia.berner@alliancesud.ch
Fastenaktion, Stefan Salzmann, Verantwortlicher für Energie und Klimagerechtigkeit, Tel. 078 666 35 89, salzmann@fastenaktion.ch
Fastenaktion, David Knecht, Verantwortlicher für Energie und Klimagerechtigkeit, Tel. 076 436 59 86, knecht@fastenaktion.ch
Helvetas, Katrin Hafner, Koordinatorin Media Relations, Tel. 044 368 67 79, katrin.hafner@helvetas.org
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Neue E-Busse in Bangkok – kein Ersatz für Klimaschutz in der Schweiz
11.12.2023, Klimagerechtigkeit
Die Schweiz feiert das weltweit erste Kompensationsprogramm unter dem Pariser Abkommen, das an die Schweizer Klimaziele angerechnet werden soll. Mit der Kofinanzierung von elektrischen Bussen werden in Bangkok Emissionen reduziert. Eine detaillierte Analyse von Alliance Sud und Fastenaktion legt nahe, dass die Investition in elektrische Busse in Bangkok bis 2030 auch ohne Kompensationsprogramm stattgefunden hätte.

Fussgängerpassarelle über der Rachadamri road in Bangkok, am 11. Oktober 2022.
© KEYSTONE / Markus A. Jegerlehner
Schon seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 ist es für Industriestaaten möglich, den Ausstoss von Treibhausgasen mit Klimaprojekten im Globalen Süden zu kompensieren. Dafür wurde der Clean Development Mechanism (CDM) aufgebaut. Im Windschatten des CDM hat sich der freiwillige Kompensationsmarkt entwickelt, der es beispielsweise Unternehmen erlaubt, «CO2-neutrale» Produkte zu bewerben, ohne die Emissionen tatsächlich auf null zu senken. Beide Mechanismen, der CDM und der freiwillige Mechanismus, sind wiederholt in die Kritik geraten. Studien und Recherchen zeigen, dass sich viele der assoziierten Klimaprojekte nachträglich als weitgehend nutzlos und in einigen Fällen schädlich für die lokale Bevölkerung herausstellten.
Im Pariser Abkommen, Nachfolgeübereinkommen des Kyoto-Protokolls, wurde der CO2-Markt neu definiert und unterschieden zwischen einem zwischenstaatlichen (Artikel 6.2) und einem multilateralen Mechanismus (Artikel 6.4). Gemäss dem Abkommen sind alle Länder verpflichtet, eine möglichst ambitionierte Klimapolitik zu verfolgen. Artikel 6 legt als Zweck der beiden Mechanismen fest, dass diese Zusammenarbeit höhere Ambitionen erlauben soll. In anderen Worten, durch den Handel mit Emissionszertifikaten soll es Ländern ermöglicht werden, ihre Emissionen rascher zu reduzieren. Die Schweiz hat diesen Ansatz des bilateralen Zertifikathandels bereits in den Verhandlungen massgeblich vorangetrieben und ist nun auch an vorderster Front bei der Operationalisierung dabei. Mit elf Partnerstaaten hat die Schweiz bereits ein bilaterales Abkommen unterzeichnet, drei weitere Abkommen sollen an der COP28 in Dubai unterzeichnet werden.
Art. 6 Pariser Abkommen
1 Die Vertragsparteien erkennen an, dass sich manche von ihnen für eine freiwillige Zusammenarbeit bei der Umsetzung ihrer national festgelegten Beiträge entscheiden, um sich für ihre Minderungs‑ und Anpassungsmassnahmen höhere Ambitionen setzen zu können und um die nachhaltige Entwicklung und die Umweltintegrität zu fördern.
[...]
Innenpolitisch interpretieren der Bundesrat und die bürgerliche Mehrheit des Parlaments diese Möglichkeit als Freipass, das von der Schweiz eingereichte Ziel, ihre Emissionen bis 2030 um 50% zu reduzieren, gar nicht im Inland zu erreichen. Sprich, die Möglichkeit, Zertifikate zu kaufen, wird nicht genutzt, um höhere Ziele zu erreichen. Das ist bei der aktuellen Revision des CO2-Gesetzes besonders deutlich zu sehen, denn es sieht für den Zeitraum von 2025-2030 auffällig wenig Emissionsreduktionen in der Schweiz vor (siehe Wirkungsabschätzung des Bundes). Mit der Weiterführung bisher geltender Massnahmen wird bis 2030 eine Reduktion um 29% gegenüber 1990 erwartet. Das neue CO2-Gesetz soll gemäss Vorschlag des Bundesrats nur zu einer weiteren Reduktion um 5 Prozentpunkte führen, also zu minus 34% gegenüber 1990. Das ist im europäischen Vergleich sehr wenig. Damit die Schweiz auf dem Papier dennoch ihr 50%-Reduktionsziel erreichen kann, wird sie in diesem Zeitraum mehr als zwei Drittel der zusätzlich benötigten Reduktion (15% der Emissionen von 1990) in Form von Zertifikaten von Partnerstaaten abkaufen. Die Partnerstaaten müssen in ihrer Treibhausgasbilanz auf den Ausweis der erfolgten Emissionsreduktionen verzichten. Der Ständerat hat sich als Erstrat erlaubt, im CO2-Gesetz die bereits schwachen Ambitionen des Bundesrats im Inland noch weiter abzuschwächen, nämlich auf weniger als 4 Prozentpunkte zusätzliche Reduktion in fünf Jahren. Er erhöht damit den Druck, dass in der kurzen Zeit bis 2030 genügend Zertifikate in den Partnerländern bereitgestellt werden, welche hohe Qualitätsanforderungen zu erfüllen haben. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigen nicht zuletzt die eingangs erwähnten Probleme, die bereits im CDM und im freiwilligen CO2-Markt ans Licht gekommen sind.
Die Schweiz hat seit November 2022 drei Kompensationsprogramme bewilligt. Zwei Programme wurden vom UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP) entwickelt. Das erste soll den Methanausstoss beim Reisanbau in Ghana verringern und das zweite dezentrale Mini-Solaranlagen auf abgelegenen Inseln von Vanuatu fördern. Beide sollen der freiwilligen Kompensation von Emissionen der Bundesverwaltung dienen.
Das dritte bewilligte Programm ist das weltweit erste Programm unter dem Pariser Abkommen, das Emissionsreduktionen den Reduktionszielen eines anderen Staates, nämlich der Schweiz, anrechnen soll: das “Bangkok E-Bus Programm”. Das Programm wurde von der Stiftung KliK in Auftrag gegeben und wird von South Pole in Partnerschaft mit dem thailändischen Unternehmen Energy Absolute, das zu einem Viertel der UBS Singapur gehört, entwickelt. Es dient der Elektrifizierung öffentlich lizenzierter Busse in Bangkok, die vom privaten Unternehmen Thai Smile Bus betrieben werden. Die Zusatzfinanzierung durch den Verkauf der Zertifikate an die Stiftung KliK in der Schweiz soll die Preisdifferenz zwischen herkömmlichen und elektrischen Bussen decken, da die Investition in neue elektrische Busse für private Investoren finanziell nicht lohnenswert sei und darum nicht stattfinden würde. Durch den Ersatz alter Busse und den Betrieb von einigen neuen Buslinien sollen von 2022 bis 2030 insgesamt 500’000 Tonnen CO2 eingespart werden. Im Herbst 2022 startete der Betrieb der neuen Busse.
Alliance Sud und Fastenaktion haben die öffentlich verfügbaren Dokumente zum Bangkok-E-Bus-Programm analysiert und dabei Mängel bei der Zusätzlichkeit des Programms sowie bei der Qualität der bereitgestellten Informationen festgestellt. Sie verstärken die Bedenken, dass der Kauf von Kompensationszertifikaten kein gleichwertiger Ersatz für inländische Emissionsreduktionen darstellt. Grundsätzlich widerspricht der Ansatz des Zertifikatehandels dem Prinzip der Klimagerechtigkeit, wonach die hauptverantwortlichen Länder ihre Emissionen so rasch wie möglich reduzieren müssen.
KliK
Die Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation KliK gehört den Schweizer Treibstoffimporteuren. Diese sind durch das CO2-Gesetz verpflichtet, dem Bund jeweils Ende Jahr für einen Teil der Treibstoffemissionen Kompensationszertifikate aus dem Inland oder Ausland abzugeben. KliK entwickelt mit Partnern zu diesem Zweck Programme, über die sie Zertifikate kaufen können.
Mängel bei der Zusätzlichkeit
Eine zentrale Voraussetzung, damit die Reduktion einer Tonne CO2 andernorts ein gleichwertiger Ersatz für die eigene Reduktion sein kann, ist die Zusätzlichkeit. Das heisst, die emissionsmindernde Aktivität, wie beispielsweise der Ersatz von Diesel- mit E-Bussen, hätte ohne das zusätzliche Geld durch die Emissionszertifikate nicht stattgefunden. Diese Bedingung ist entscheidend, damit ein Klimanutzen gegeben ist. Sie ist auch im CO2-Gesetz verankert. Denn eine gehandelte Tonne CO2 legitimiert gleichzeitig eine Tonne CO2 des Käufers, die er weiterhin ausstösst, aber auf dem Papier angibt, sie reduziert zu haben.
Die Programmverantwortlichen des Bangkok-E-Bus-Programms müssen darum beweisen, dass die öffentlichen Buslinien von privaten Busbetreibern wie Thai Smile Bus ohne das Programm bis 2030 nicht mit elektrischen Bussen betrieben würden. Dabei ist folgendes zu berücksichtigen: Zum einen darf die Elektrifizierung nicht bereits Teil eines von der Regierung geplanten Subventionsprogramms sein, zum anderen darf die Investition auch nicht von privater Seite abgedeckt sein.
Subventionsprogramm: In der offiziellen Programmdokumentation wird dürftig ausgeführt, weshalb die Regierung keine Subventionen für den Ersatz alter Busse, welche auch erheblich zur lokalen Luftverschmutzung beitragen, mit E-Bussen spricht. Die Förderung von Elektromobilität sowie von Energieeffizienz im Verkehrssektor im Allgemeinen gehört gemäss der Programmdokumentation durchaus zu den Regierungsplänen. Aber es erhielten nur die öffentlichen Busbetreiber Subventionen, nicht die privaten Busbetreiber – die Zielgruppe des Programms also. Weshalb die öffentlichen Subventionen nur für die öffentlichen Betreiber reichen, bleibt unklar. Mit keinem Wort erwähnt werden zudem thailändische Subventionen (vor allem Steuervorteile) für private Investitionen, unter anderem für die Herstellung von Batterien und E-Bussen, von denen die Firma Energy Absolute ebenfalls profitiert.
Investitionsentscheid: Um zusätzlich zu sein, muss der Projekteigner darlegen, dass ohne die Emissionsfinanzierung kein positiver Investitionsentscheid gefällt werden könnte. In der Programmdokumentation wird dafür eine Rechnung präsentiert, die beweisen soll, dass die private Investition ohne die Zusatzfinanzierung aus dem Zertifikateverkauf nicht rentiert und daher auch nicht stattgefunden hätte. Der Verkaufserlös soll die über die gesamte Lebensdauer gerechnete Preisdifferenz zwischen der Neuanschaffung von herkömmlichen Bussen und der Neuanschaffung von E-Bussen decken. Nur: Die Preisdifferenz sowie deren Herleitung ist nicht in der offiziellen Dokumentation aufgeführt. Auf Nachfrage bei KliK wird keine detaillierte Auskunft gegeben, sie sei «Teil des verhandelten Vertrags zur finanziellen Unterstützung des E-Bus-Programms», sprich Privatsache zwischen KliK und Energy Absolute. Das zentrale Argument, weshalb das Programm zur Finanzierung der E-Busse nötig ist, kann also nicht überprüft werden. Die Zusätzlichkeit ist deshalb bestenfalls intransparent, schlimmstenfalls nicht gegeben. Bemerkenswert ist das Argument mit der Preisdifferenz aber auch, weil Energy Absolute als investierender Konzern auf grüne Technologien spezialisiert ist. Es würde der Firma daher kaum einfallen, in die Beschaffung von Bussen mit Verbrennermotoren zu investieren. Hingegen ist plausibel, dass eine grössere Investition in E-Busse in den nächsten Jahren so oder so stattgefunden hätte, denn bereits vor Programmbeginn 2022 setzte Thai Smile Bus auf Bangkoks Strassen E-Busse ein, wie neben mehreren Online-Medienberichten auch ein Twitter-Eintrag mit Foto beweist (s. Abbildung). Es muss also bereits vor dem Bangkok E-Bus Programm Finanzierungswege für E-Busse gegeben haben. Dies ist ein klarer Widerspruch zur Aussage, die Elektrifizierung von E-Bussen in Bangkok würde ohne das Kompensationsprogramm nicht stattfinden. Im Minimum müsste die Problematik in der Programmdokumentation detailliert aufgeführt und erläutert sein, weshalb das Programm trotzdem als zusätzlich betrachtet wird.
Fehlende Transparenz und Qualität der öffentlich zugänglichen Informationen
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) veröffentlicht auf seiner Website nach Genehmigung eines Programms durch beide beteiligten Staaten die Programmdokumentation. Darin wird die angewendete Methodik zur Berechnung der erwarteten Emissionsreduktionen erklärt und dargelegt, wie die Zusätzlichkeit sichergestellt werden soll. Ebenso wird die Programmlogik erläutert und auf weitere Aspekte, beispielsweise die positive Auswirkung auf die UN-Nachhaltigkeitsziele, eingegangen. Dadurch soll das Programm für Aussenstehende nachvollziehbar werden. Ein ebenfalls zugänglicher Prüfbericht eines unabhängigen Beratungsbüros bestätigt die Informationen der Programmdokumentation. Aufgrund dieser Dokumente prüfen das BAFU sowie die thailändischen Behörden das Programm und genehmigen es anschliessend. Die Genehmigung der Schweiz wird ebenfalls veröffentlicht.
Im Fall des Bangkok-E-Bus-Programms bleiben entscheidende Aspekte intransparent. Erstens wird in der Programmdokumentation auf ein Excel-Dokument verwiesen, in dem die erwarteten Emissionsreduktionen berechnet werden – das Berechnungsdokument ist aber nicht veröffentlicht. Alliance Sud hat es auf Nachfrage erhalten und sieht keinen Grund, der gegen eine Veröffentlichung sprechen würde. Zweitens werden entscheidende Aspekte wie der Preis der Zertifikate und der Umfang der benötigten Finanzierung im privaten Vertrag zwischen Energy Absolute und der Stiftung KliK verhandelt. KliK schreibt dazu: «Die kommerziellen Aspekte sind vertraulich.» Auch die vertraglichen Bedingungen zwischen dem Programmeigner Energy Absolute und dem Busbetreiber Thai Smile Bus bleiben privat. Das führt zur oben diskutierten Intransparenz bei der Zusätzlichkeit. Nicht einmal das BAFU, welches die Zusätzlichkeit des Programms überprüfen muss, kann die Informationen aus den privaten Verträgen zu diesem Zweck einsehen. Das BAFU bestätigt auf Anfrage von Alliance Sud, dass die Verträge nicht zur Projektdokumentation gehören.
Bei den Informationen in der öffentlichen Programmdokumentation sind zudem Mängel in der Qualität festzustellen. Einige Beispiele:
● Die Rollen und Kompetenzen der involvierten Akteure bleiben teilweise unklar. Die Investition wird von Energy Absolute getätigt, obwohl Thai Smile Bus die Busse benötigt. Nicht erwähnt wird, dass das Firmengeflecht von Energy Absolute nicht nur erneuerbare Energien, Batterien und Ladestationen herstellt, sondern auch an der Herstellerfirma der E-Busse beteiligt ist – und, wie Internetrecherchen zeigen, zeitgleich mit dem Programmstart in die Firma Thai Smile Bus eingestiegen ist. Die längerfristigen Vorteile einer solchen Investition für den finanziell erfolgreichen Konzern Energy Absolute werden nicht diskutiert.
● Es gibt widersprüchliche Angaben zum Umfang des Programms. Die Programmdokumentation spricht von max. 500’000 t CO2, die reduziert werden sollen, wofür mindestens 122 Buslinien elektrifiziert werden (mind. 1900 Busse). Einige Seiten weiter steht jedoch, die Finanzierung durch die Zertifikate werde für die ersten 154 E-Busse benötigt, welche auf 8 Linien fahren und einen Bruchteil der erwarteten CO2-Emissionen reduzieren. Auch die Berechnung der Investitionsrendite erfolgt nur für 154 E-Busse. KliK schreibt auf Anfrage jedoch, dass der Preis der Zertifikate die Finanzierungslücke für alle E-Busse im Rahmen des Programms decke, nicht nur für die ersten 154.
● Es werden Versprechen gemacht, die schwer einzuhalten sind. Beispielsweise soll der Schadstoffgrad von PM2.5 in der Luft überwacht werden, um die Verringerung der Luftverschmutzung durch die alten Busse zu messen. Der positive Nebeneffekt, dass E-Busse die Luft nicht verschmutzen, ist korrekt, aber selbst wenn sich die Luftverschmutzung messbar verringern würde, braucht es grossen Aufwand, um das kausal auf die Aktivitäten dieses Programmes zurückzuführen. Im Programmdokument ist ein solches Vorgehen nicht erläutert.
● Die «Pionierleistung» des Programms wird aufgebauscht. Die thailändische Öffentlichkeit werde in eine neue Technologie eingeführt, steht da beispielsweise, obwohl es bereits vorher von derselben Firma E-Busse auf Bangkoks Strassen gab. Die KliK-Website enthält klare Falschaussagen: «In Thailand werden derzeit keine Elektrobusse im Linienverkehr als öffentliches Verkehrsmittel eingesetzt. Dies liegt an der fehlenden Infrastruktur und den mangelnden Produktionskapazitäten für E-Busse und Batterien. Dieses Programm ist daher ein einzigartiges Unterfangen, um Thailand auf dem Weg zu einer dekarbonisierten Wirtschaft zu unterstützen.»

Busstop an der Rachadamri road in Bangkok.
© KEYSTONE/Markus A. Jegerlehner
Fazit: Kompensationszertifikate sind kein Ersatz für inländische Emissionsreduktionen
Der Umstieg auf E-Busse in Bangkok ist an sich eine wichtige und gute Entwicklung. Die Schweiz ist aber ein eindrückliches Beispiel dafür, dass der partnerschaftliche Mechanismus aus Artikel 6 des Pariser Abkommens nicht für höhere Ambitionen und mehr Klimaschutz genutzt wird. Das Ziel der Schweiz, ihre Emissionen bis 2030 um 50% gegenüber 1990 zu reduzieren, ist weniger ambitioniert als dasjenige der EU (-55%) – und die EU setzt dafür nicht auf Auslandkompensationen, sondern verhandelt politische Reformen zugunsten einer raschen Dekarbonisierung in Europa. In der Schweiz haben der Bundesrat und die Parlamentsmehrheit nach der verlorenen Abstimmung zum CO2-Gesetz im Jahr 2021 zu leichtfertig jegliche Ambition zur Emissionsreduktion im Inland aufgegeben. Das starke Zurückgreifen auf die Klimakompensation ist nicht Ausdruck von technischen Herausforderungen bei der Umsetzung der Schweizer Klimapolitik – im Gegenteil, die Schweiz verzögert mögliche inländische Massnahmen, sodass später umso schnellere Reduktionen nötig werden. Die Kompensation im Ausland ist ein politischer Entscheid der bürgerlichen Mehrheit in Regierung und Parlament, obwohl viele zusätzliche Massnahmen in der Schweiz wohl auch von der Bevölkerung mehrheitlich akzeptiert würden. Der Marktmechanismus in Artikel 6 kann die Erreichung der Pariser Klimaziele gefährden, weil dies kurzfristig der einfachste Weg für ein wohlhabendes Land ist, seine Ziele auf dem Papier zu erfüllen. Somit wird der eigentliche Zweck der Pariser Marktmechanismen, zur Steigerung der Klimaambitionen beizutragen, ad absurdum geführt.
Dieser Weg ist unter dem Blickwinkel der Klimagerechtigkeit umso störender, als die Klimakrise die vulnerabelsten Menschen weltweit am härtesten trifft. Diesen Menschen und auch den künftigen Generationen ist es die Schweiz schuldig, so schnell wie möglich die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Der Weltklimarat hat betont, dass zur Erreichung der Pariser Klimaziele die Welt bis Mitte des Jahrhunderts bei netto null Emissionen sein muss. In einer Netto-Null-Welt gibt es keinen Platz für substantiellen Handel mit Emissionsreduktionszertifikaten. Die Schweizer Politik des Zukaufs von solchen Zertifikaten ist somit eine unnötige und ungerechte Verzögerung von dringend notwendigen Schritten bei uns in der Schweiz. Diese Ungerechtigkeit beklagen auch zivilgesellschaftliche Organisationen in Ländern des Globalen Südens.
Letztlich zeigt diese Analyse wie ähnliche journalistische Recherchen zu anderen Programmen auch, dass Kompensationsprogramme keine Garantie bieten können, tatsächlich zusätzliche Emissionen zu reduzieren. Zertifikate zu kaufen ist auf keiner Ebene ein gleichwertiger Ersatz für Emissionsreduktionen im Inland.
Weiterführende Informationen zum Thema:
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Medienmitteilung
COP28: mehr Finanzierung für den Globalen Süden
27.11.2023, Klimagerechtigkeit
Die diesjährige UNO-Klimakonferenz «COP28» vom 30. November bis 12. Dezember in Dubai spielt eine Schlüsselrolle, damit die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch erreicht werden können. Für eine klimafreundliche Entwicklung im Globalen Süden braucht es mehr finanzielle Unterstützung, auch von der Schweiz.

Murgang in Peru.
© Alberto Orbegoso
Nach den heissesten 12 Monaten seit 125'000 Jahren sind die Erwartungen an die Staatengemeinschaft an der UNO-Klimakonferenz COP28 riesig. «Es braucht eine rasche Kurskorrektur, damit das Ziel des Pariser Abkommens, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu beschränken, noch erreicht werden kann», sagt Delia Berner, Klimaexpertin bei Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. «Unter jedem Zehntelsgrad zusätzlicher Erwärmung leiden die ärmsten Menschen am meisten, wobei diese gleichzeitig am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben.» Alliance Sud fordert, dass die Schweiz ihre Verhandlungsposition an den Bedürfnissen der ärmsten Menschen im Globalen Süden ausrichtet.
Nach drei Jahren Laufzeit des Pariser Abkommens werden die Vertragsstaaten – als Teil des Ambitionssteigerungs-Mechanismus – in Dubai erstmals die «Globale Bestandesaufnahme» über die Umsetzung des Abkommens verhandeln. «Der Erfolg der COP28 wird sich daran messen, ob die Beschlüsse zur Globalen Bestandesaufnahme die ernüchternde Realität abbilden, dass die nationalen Klimaschutzpläne in der Summe zu wenig ambitioniert sind, um die Ziele zu erreichen. Es braucht unbedingt konkrete Pläne, wie Lücken geschlossen werden können und welche Prozesse dafür vorgesehen sind», betont Stefan Salzmann von Fastenaktion.
Ein drängendes Thema ist der Wandel im Energiebereich – und wer ihn finanziert. Investitionen des Privatsektors können in dieser Hinsicht keine Wunder bewirken. Sie konnten bisher die Finanzierungsbedürfnisse in den Entwicklungsländern bei weitem nicht erfüllen. Insbesondere höhere oder als höher wahrgenommene Risiken hemmen Investor:innen. Ausserdem gibt es praktisch keine privaten Finanzmittel für Massnahmen zur Anpassung in den ärmsten Ländern.
Für eine gerechte Energiewende …
Die Präsidentschaft der COP28, die Vereinigten Arabischen Emirate, setzt auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, ohne sich aber gleichzeitig zum raschen Ausstieg aus den fossilen Energien zu bekennen. Die benötigte Transition muss jedoch beides beinhalten, denn der Ausbau bei den Erneuerbaren allein reduziert noch keine Treibhausgase.
«Bei aller Dringlichkeit von neuen Investitionen dürfen die Menschen in den Fabriken und auf den Feldern auf keinen Fall vergessen gehen. Ihr Wohlergehen müssen wir für einen gerechten Wandel im Auge behalten», betont Cyrill Rogger von Solidar Suisse. Und Annette Mokler von terre des hommes schweiz fügt hinzu: «Betroffene Bevölkerungsgruppen und indigene Gemeinschaften müssen direkt in Pläne für einen gerechten Wandel miteinbezogen werden.» Klar ist bereits jetzt: Der Übergang zu erneuerbaren Energien im Globalen Süden kann nur gelingen, wenn bedeutend mehr finanzielle Unterstützung – internationale Klimafinanzierung – bereitgestellt wird.
… braucht es mehr Klimafinanzierung
Die Finanzierung fehlt nicht nur für die Dekarbonisierung: Die Lücken bei der Anpassung an die veränderten klimatischen Bedingungen im Globalen Süden werden immer grösser. Dabei würde laut dem neusten «Adaptation Gap Report 2023» des UNO-Umweltprogramms jede Milliarde Dollar, die in Anpassung investiert wird, 14 Milliarden Dollar wirtschaftliche Schäden vermeiden. «Mit der gegenwärtigen Klimafinanzierung der Industriestaaten kann weniger als ein Zehntel des Finanzierungsbedarfs für die Anpassung im Globalen Süden gedeckt werden. Das ist problematisch, denn das führt zu immer grösseren Schäden und höheren Verlusten», mahnt Christina Aebischer von Helvetas.
Finanzierungsfragen bestimmen seit Jahren die Agenda und die Streitpunkte an der Klimakonferenz. Das ist kein Zufall, denn mindestens 28 der Länder im Globalen Süden, welche am schlimmsten von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind, haben gleichzeitig gravierende Schuldenprobleme. Viele Länder sind nicht in der Lage, Klimaschutzmassnahmen aus dem eigenen Haushalt zu finanzieren, weil sie stattdessen die Schulden bedienen müssen – ein Teufelskreis.
Fonds für Schäden und Verluste muss gefüllt werden
Dieses Jahr will die Staatengemeinschaft die Modalitäten für den 2022 beschlossenen Fonds für Schäden und Verluste verabschieden. Der bestehende, von 30 Staaten ausgearbeitete Kompro-misstext stellt nur wenig Verbindlichkeit für die Beiträge her. Sollte es dabei bleiben, ist es umso wichtiger, dass die Verursacherstaaten die Konferenz nutzen, um die rasche Gründung und Auffüllung des Fonds sicherzustellen. «Die Industriestaaten behaupten, es sei kein Geld vorhanden. Gleichzeitig verbuchen Konzerne Milliardengewinne aus fossilen Energien und CO2-intensiven Industrien. Es liegt auf der Hand, dass diese Konzerne ihren Beitrag zur Wiedergutmachung der Schäden, die sie verursachen, leisten müssen», erläutert Cybèle Schneider von Heks.
«Einer der Hauptgründe, weshalb die Verhandlungen rund um die finanzielle Unterstützung an den Globalen Süden so harzen, ist das verloren gegangene Vertrauen der ärmeren Länder in reiche Länder wie die Schweiz», erklärt Sonja Tschirren von SWISSAID: «Denn die Industriestaaten be-zahlen ihre bisherige Rechnung nicht.» 2009 wurde beschlossen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Unterstützung der Klimaschutz- und Anpassungspläne der Länder im Globalen Süden bereitzustellen. Die neusten Zahlen der OECD zeigen jedoch, dass noch 2021 dieses Ziel um mehr als 10 Milliarden verfehlt wurde. «Die Schweiz und andere Staaten bedienen sich buchhalterischer Tricks, um ihren Beitrag an die Klimafinanzierung schönzurechnen», erklärt Angela Lindt von Caritas Schweiz: «Statt wie international vereinbart neue, zusätzliche Gelder bereitzustellen, setzen Länder wie die Schweiz vor allem Gelder ein, die für die Armutsbekämpfung vorgesehen waren. Kein Wunder, ist sehr viel Misstrauen bei den Verhandlungen da.» Alliance Sud fordert seit Jahren, dass die Schweiz jährlich 1 Milliarde US-Dollar zur Klimafinanzierung beiträgt, ohne dafür das Budget der internationalen Zusammenarbeit zu belasten.
Für weitere Informationen:
- Alliance Sud, Delia Berner, Expertin für internationale Klimapolitik, Tel. 077 432 57 46, delia.berner@alliancesud.ch
- Fastenaktion, Stefan Salzmann, Verantwortlicher für Energie und Klimagerechtigkeit, Tel. 041 227 59 53, salzmann@fastenaktion.ch. Stefan Salzmann ist als Beobachter vor Ort in Dubai.
- Solidar Suisse, Cyrill Rogger, Desk Officer Südosteuropa, Tel. 044 444 19 87, cyrill.rogger@solidar.ch
- terre des hommes schweiz, Annette Mokler, Verantwortliche Entwicklungspolitik und Programmkoordination Westsahara, Tel. 061 335 91 53, annette.mokler@terredeshommes.ch
- Helvetas, Katrin Hafner, Coordinator Media Relations, Tel. 044 368 67 79, katrin.hafner@helvetas.org. Christina Aebischer ist als Beobachterin vor Ort in Dubai.
- Heks, Cybèle Schneider, Fachperson Klimagerechtigkeit, Tel. 079 900 37 08, cybele.schneider@heks.ch
- SWISSAID, Sonja Tschirren, Expertin für Klima und ökologische Landwirtschaft, Tel. 079 363 54 36, s.tschirren@swissaid.ch
- Caritas Schweiz, Angela Lindt, Leiterin Fachstelle Entwicklungspolitik, Tel. 041 419 23 95, alindt@caritas.ch
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Rio-Marker: Alles nur Augenwischerei?
13.11.2023, Klimagerechtigkeit
Um ihren finanziellen Verpflichtungen im Rahmen der Rio-Konventionen nachzukommen, bedienen sich viele Länder – darunter auch die Schweiz – aufgeblähter Zahlen und Doppelzählungen. Dabei sollte ein eigens eingerichtetes Messsystem, die sogenannten «Rio-Marker», dies eigentlich verhindern. Seine Kriterien sind jedoch nicht klar genug und lassen Raum für eine grosszügige Auslegung.

Vorbereitungen für den Karneval in Rio de Janeiro (Symbolbild).
In der internationalen Klimafinanzierung dreht sich die Diskussion vor allem um die Nichteinhaltung der «quantitativen» Verpflichtungen der Industrieländer, von 2020 bis 2025 jährlich 100 Milliarden US-Dollar zu mobilisieren, um den Klimafinanzierungsbedarf der Entwicklungsländer zu decken. In dieser Hinsicht erfüllt die Schweizer Klimafinanzierung, die hauptsächlich aus dem Budget für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (EZA) stammt, derzeit das Kriterium der «neuen und zusätzlichen» Ressourcen nicht. Mehr noch: Diese Mittel werden doppelt verbucht, nämlich als Ausgaben für die EZA und als Klimafinanzierung, obwohl die Entwicklungsländer sie nur einmal erhalten. Aber auch die Überprüfung der «qualitativen» Indikatoren hinsichtlich der Wirksamkeit von Klimaschutzmassnahmen ist nicht zu vernachlässigen. Dies umso mehr, da die klimapolitische Rechtfertigung der entsprechend ausgewiesenen Aktivitäten der Entwicklungszusammenarbeit immer wieder zu Kontroversen führt. Sowohl der Oxfam-Bericht über die «echten Zahlen» der Klimafinanzierung, die jüngste Studie des Center for Global Development & The Breakthrough Institute über das Klimaprojektportfolio der Weltbank (WB) als auch der Artikel der ETH Zürich und der Universität Sankt Gallen über den Einsatz künstlicher Intelligenz zur Bewertung der Relevanz bilateraler Klimafinanzierung haben eine Reihe von Schwächen aufgezeigt, insbesondere bei der Anwendung der Rio-Marker, die oft inkohärent und manchmal ungenau erfolgt, was echte Klimaschutzmassnahmen konterkariert.
Entschlüsselung der Rio-Marker
Als Reaktion auf den Erdgipfel von Rio im Jahr 1992 und die anschliessende Verabschiedung der Konvention über die biologische Vielfalt, der Klimakonvention und der Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung erarbeitete der Entwicklungsausschuss (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die sogenannten Rio-Marker. Fünf Indikatoren – zwei betreffen den Klimawandel (Abschwächung und Anpassung), einer die biologische Vielfalt, einer die Wüstenbildung und einer lokale Umweltprobleme – waren ursprünglich dazu gedacht, den Einbezug von Umweltbelangen in die Portfolios der Entwicklungszusammenarbeit nachzuvollziehen. Sie wurden jedoch rasch zu einem Instrument zur Erfassung der internationalen Finanzflüsse im Umwelt- und insbesondere im Klimabereich. Die Rio-Marker basieren auf einem kategorisierten Klassifizierungssystem, anhand dessen die Bedeutung der Ziele der Rio-Konventionen in den Aktivitäten der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung beurteilt wird. So erhält ein Projekt die Bewertung «principal», wenn das Umweltziel als grundlegende Motivation für die Aktivität beurteilt wird; es erhält die Bewertung «significant», wenn ein Rio-Ziel explizit erwähnt wird, die Aktivität aber nicht in diesem Sinne konzipiert wurde. Damit Rio-Marker zugesprochen werden, muss für ein Projekt also im Vorfeld klar und explizit das vom Geldgeber angestrebte politische Ziel kommuniziert werden.
Da die Rio-Marker jedoch eher deskriptiver als streng quantitativer Natur sind, ermöglichen sie nur eine ungefähre Quantifizierung der Finanzströme. Ausserdem hat der DAC zwar Richtlinien für die Zuweisung von Markern herausgegeben, sich auch auf Definitionen geeinigt – einschliesslich dazu, was eine Aktivität im Zusammenhang mit der Eindämmung des Klimawandels oder der Anpassung an den Klimawandel ist – und auch erklärt, die Berichte der Geberländer würden regelmässig geprüft. Aber diese Empfehlungen sind nicht bindend. Folglich verfügen die Länder bei der Umsetzung über einen beträchtlichen Ermessensspielraum, sei es bei der Klassifizierung der Projekte oder der Zuweisung der Koeffizienten. Im Rahmen der internationalen Klimafinanzierung zeigt sich dies in der Tendenz, dass Länder die Indikatoren grosszügig auslegen und so ihre finanziellen Beiträge aufblähen. Dies führt zu einer Verzerrung bei der Mittelzuweisung zwischen dem, was in den Finanzberichten angekündigt wird, und den Aktivitäten, die sich tatsächlich auf die Ziele der Rio-Konventionen auswirken. Darüber hinaus lässt die fehlende Harmonisierung bei der Anwendung dieser länderspezifischen Indikatoren einen aussagekräftigen internationalen Vergleich kaum zu. Ganz zu schweigen davon, dass der Mangel an objektiven Daten über den Umfang der bereits geleisteten Klimafinanzierung es den Entwicklungsländern zusätzlich erschwert, die Rückzahlung der historischen Klimaschuld einzufordern.
Der Schweizer Ansatz
Die Schweiz verwendet die Rio-Marker-Methode zur Bewertung der Klimarelevanz ihrer bilateralen, regionalen und multilateralen Zusammenarbeit. Sie ist ausserdem eines der wenigen Länder, die ihrer Hauptkategorie («principal») einen Reduktionsfaktor (x0,85) auferlegen, während die meisten anderen Länder, darunter Deutschland oder Italien, diese nicht gewichten (x1). Projekte der Kategorie «significant» belegt Italien lediglich mit einem Faktor von x0,4, während die Schweiz diesen einen Faktor von x0,5 zubilligt, ebenso wie ihr Nachbar Deutschland. In Frankreich oder den USA erfolgt die Zuweisung der Koeffizienten für die Rio-Marker fallweise. Was die Anwendung dieser Marker betrifft, so existiert in der Schweiz keine systematische und harmonisierte Methodik, die für alle zuständigen Ämter gelten würde. Die Marker sollten zwar der Projektkonzeption zugewiesen werden, doch entsprechen die öffentlichen Projektbeschreibungen nicht immer eindeutig und explizit den von der OECD festgelegten Förderkriterien.
Beispielsweise stellte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) 8,5 Mio. CHF im Rahmen des bilateralen Projekts Capacity Building for large Gas Infrastructure Developments (2014-22) bereit. Dessen Ziel war die Entwicklung der technischen Kapazitäten des öffentlichen Sektors in Albanien bezüglich der Verwaltung grosser Gasinfrastrukturprojekte, dies in Zusammenhang mit der Realisierung der Trans-Adriatischen Pipeline (TAP). Dieses Projekt zur Förderung einer fossilen Energieindustrie in Albanien erhielt den Rio-Marker «significant» für die Anpassung an den Klimawandel mit der Begründung, dass Gas als neue Energiequelle dazu beitragen würde, die Energiesicherheit des Landes zu erhöhen, dessen nationale Energieproduktion hauptsächlich auf Wasserkraft beruhte, die durch den Klimawandel gefährdet sei. Das SECO hat auch dem Programm Managing Natural Resource Wealth des Internationalen Währungsfonds (IWF) den Rio-Marker «significant» für die Abschwächung des Klimawandels zugewiesen. Das Programm soll Länder mit niedrigen und unteren mittleren Einkommen dabei unterstützen, ihre natürlichen Ressourcen zu verwalten und das Beste aus ihren Öl-, Gas- und Mineralressourcen herauszuholen. In der Projektbeschreibung findet sich jedoch kein ausdrücklicher Hinweis auf ein Klimaschutzziel. Ebenso ist das SECO der Ansicht, dass seine Verpflichtungen – zumindest seit 2019 – bei der Private Infrastructure Development Group (PIDG) einen «signifikanten» Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels darstellen. Die PIDG mobilisiert Kapital aus dem Privatsektor für den Bau von Infrastruktur in Subsahara-Afrika und Asien. Ein Blick auf die Geschichte der Gruppe lässt Zweifel an der systematischen Anwendung eines solchen Faktors aufkommen. Tatsächlich veröffentlichte Global Witness vor der COP 26 in Glasgow, dass die PIDG zwischen 2002 und 2018 fast 750 Millionen US-Dollar in neue fossile Infrastruktur investiert hat. Eigene Recherchen anhand der öffentlichen Datenbank der PIDG zeigen zudem, dass seit diesem Bericht bis 2021 weitere 144,8 Millionen US-Dollar für neue fossile Infrastruktur bereitgestellt wurden.
Reformbedarf
Ihre uneinheitliche Anwendung, undurchsichtige Nutzung, mangelnde Kohärenz und ein schwaches System der offiziellen Überprüfung und öffentlichen Aufsicht stellen grosse Herausforderungen bei der Umsetzung der Rio-Marker dar. Die Harmonisierung dieser Marker auf internationaler Ebene und die Berücksichtigung der Klimaprioritäten der Entwicklungsländer müssen die Eckpfeiler ihrer Verwendung sein. Die Schweiz sollte sich für einen präziseren Rahmen für die Vergabe der Rio-Marker und die Stärkung des Systems der periodischen Überprüfung durch den DAC einsetzen, damit eine kohärente und transparente Anwendung der Marker gewährleistet und sichergestellt wird, dass internationale Investitionen tatsächlich die beabsichtigten Umweltauswirkungen haben. Zu begrüssen wäre ein systematischer Ansatz zur Umsetzung dieser Marker mit dem Einbezug von Kriterien zur Folgenabschätzung, die spezifisch auf die betreffenden Konventionen anwendbar sind. Ohne solche Reformen laufen die Rio-Marker Gefahr, ein unvollkommenes und ungeeignetes Instrument zur Bereitstellung dringender und wirksamer internationaler Finanzmittel für den Kampf gegen den Klimawandel und den Erhalt der biologischen Vielfalt zu bleiben.
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Der Schaden ist da, die Finanzierung noch nicht
29.09.2023, Klimagerechtigkeit
Der Streit, wer die Schäden und Verluste als Folge der Klimaerwärmung bezahlen soll, wird seit Jahrzehnten geführt. Die UNO-Klimakonferenz in Dubai verhandelt dieses Jahr erstmals über die Zahlungsmodalitäten. Resultate sind dringend nötig.

Eine nationale Katastrophe: Die Dürre in Kenia trocknet immer wieder das Leben aus.
© Ed Ram/Getty Images
«In meiner Heimat Kenia blieb bereits zum sechsten Mal die Regenzeit aus.» Elizabeth Wathuti spricht an diesem Abend des 22. Juni 2023 auf dem Champ de Mars in Paris laut ins Mikrofon, um von den Tausenden anwesenden Menschen gehört zu werden. «Das hat zu Ernteausfällen geführt, zu längerer Trockenheit und zu Ernährungsunsicherheit. Es hat die Kosten für unsere Landwirtschaft enorm erhöht.» Während die junge Aktivistin vor der Kulisse des Eiffelturms von den Auswirkungen der Klimakrise erzählt und zusammen mit weiteren Rednerinnen und Rednern Klimagerechtigkeit fordert, empfängt der französische Präsident Emmanuel Macron seine Gäste aus aller Welt in einem nahegelegenen Palais zum Bankett. Bereits den ganzen Tag hatten sie sich auf Einladung von Macron im Rahmen eines internationalen Gipfels über Herausforderungen und Wege für eine stärkere Finanzierung nachhaltiger Entwicklung im Globalen Süden ausgetauscht. Das Resultat: Man wird an der nächsten Konferenz weiterdiskutieren.
Die internationale Klimafinanzierung – zur Verringerung der Treibhausgasemissionen sowie zur Anpassung an die Klimaerwärmung im Globalen Süden – ist bereits seit Jahren mit der völkerrechtlichen Verpflichtung für die Industriestaaten verbunden, Beiträge an das kollektive Finanzierungsziel von 100 Milliarden Dollar pro Jahr zu leisten. Fehlender politischer Wille in den Verursacherstaaten der Klimakrise führte allerdings dazu, dass diese Summe noch nie erreicht wurde.
An der UN-Klimakonferenz im November 2022 (COP27) in Sharm El Sheikh ist es den Staaten des Globalen Südens nun erstmals gelungen, über die Finanzierung von klimaverursachten Schäden und Verlusten verhandeln zu können, auch dank der jahrzehntelangen Unterstützung durch zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit. Dabei gehen die Schäden und Verluste bereits seit Jahren in die Milliarden, genaue Schätzungen hängen von der Definition ab – und sind dort am grössten, wo die Menschen am wenigsten Mittel haben, sich darauf vorzubereiten oder anzupassen. Ebenfalls führen sie in bereits hoch verschuldeten Ländern zu weiterer Verschuldung. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) unterscheidet zwischen Schäden bzw. Verlusten aus schleichenden Ereignissen (z. B. dem Anstieg des Meeresspiegels) und rasch einsetzenden Ereignissen (z. B. Stürme und Überflutungen). Ausserdem gibt es neben ökonomisch quantifizierbaren Verlusten und Schäden ebenfalls nicht-quantifizierbare, beispielsweise Schäden an Kulturgütern oder Ökosystemen.
An der diesjährigen Konferenz COP28 in Dubai wird die sogenannte «Loss and Damage»-Finanzierung eines der grossen Verhandlungsthemen werden. Denn die Vertragsparteien haben sich vor einem Jahr den Auftrag gegeben, 2023 detailliertere Bestimmungen darüber zu verabschieden, wie Schäden und Verluste finanziert werden sollen. Die Diskussion beschränkt sich dabei auf Länder, die für die Auswirkungen der Klimakrise besonders anfällig sind . Dazu soll ein UNO-Fonds aufgebaut werden, in den die Verursacherstaaten einzahlen. In diesem Zusammenhang werden innovative globale Finanzierungsquellen diskutiert, welche auch private Akteure nach dem Verursacherprinzip zur Kasse bitten könnten. «Setzen sich solche Vorschläge durch, könnten weltweit auch emissionsintensive Unternehmen zur Finanzierung beitragen», schreibt Robin Poëll, Mediensprecher des BAFU, auf Anfrage von Alliance Sud. Die Chancen für eine solche globale Abgabe für den UNO-Fonds dürften jedoch vorläufig eher gering sein. Bis es soweit ist, könnte die Schweiz vorangehen und prüfen, eine solche Abgabe zumindest auf klimaschädliche Unternehmen in der Schweiz einzuführen, um für Verluste und Schäden im Globalen Süden aufzukommen.
Vertrauensverlust erschwert Verhandlungen
Der wirkliche Zankapfel an der Klimakonferenz wird vermutlich jedoch sein, welche Staaten in den Fonds einzahlen sollen und in welche Länder das Geld fliessen darf. Für letzteres muss definiert bzw. verhandelt werden, welche Länder als besonders vulnerabel gelten. Für die noch politischere Frage, wer als Verursacherstaat einzahlen soll, trifft die historische Verantwortung der Klimakrise, die klar auf die Industriestaaten zurückzuführen ist, auf den heutigen Vergleich der Treibhausgas-Emissionen zwischen den Ländern; bei letzterem haben die grössten Schwellenländer einen höheren Anteil. Die bisherigen Geberstaaten für die Klimafinanzierungsziele wurden 1992 definiert. Die Schweiz möchte erreichen, dass in den Fonds nun mehr Länder einzahlen müssen. BAFU-Sprecher Poëll: «Es ist ein Anliegen der Schweiz, dass die Länder, welche am meisten zum Klimawandel beitragen und die Kapazitäten haben, in die Pflicht genommen werden. Konkret bedeutet dies, dass auch wohlhabende Schwellenländer mit einem hohen Treibhausgas-Ausstoss sowie private Akteure ihren Beitrag leisten.» Die Schweiz und andere Geberstaaten aus dem Globalen Norden sind in diesem Punkt bisher jedoch am Widerstand des Globalen Südens gescheitert. Denn die Industriestaaten haben ihre bisherigen Finanzierungsversprechen nicht eingehalten und sind deshalb bezüglich Klimagerechtigkeit unglaubwürdig. Die Schweiz etwa hat ihren «angemessenen Anteil» an der Klimafinanzierung nicht aufgrund ihres gesamten Klima-Fussabdrucks berechnet, sondern nur anhand der geringeren Inlandemissionen. Ganz zu schweigen vom Verfehlen ihres Klimaziels, bis 2020 die Emissionen um 20% zu reduzieren. Der Vertrauensverlust zwischen Nord und Süd erschwert letztlich auch die Verhandlungen um ambitioniertere Klimaziele und den Ausstieg aus den fossilen Energien. Die Länder im Globalen Süden müssen aber ihre Finanzierung für erneuerbare Energien sicherstellen können, um sich nicht ins globale Abseits zu manövrieren.
Seit Anfang November liegt ein Kompromissvorschlag für die Ausgestaltung des neuen Fonds vor. Auffällig ist die Ansiedlung des Fonds bei der Weltbank, die weder für ihre Vorreiterrolle in der Klimakrise noch für eine faire Machtverteilung bekannt ist – entsprechend ist die Kritik von Ländern des Globalen Südens und zivilgesellschaftlichen Organisationen gross. Neben der klaren Erwartung an die Industriestaaten, zur Finanzierung beizutragen, werden auch andere Staaten «ermutigt», sich an der Finanzierung zu beteiligen. Die Frage, welche Länder als besonders schadensanfällig gelten und damit vom Fonds profitieren können, dürfte an der Konferenz offenbleiben; sie soll dem Vorstand des neuen Fonds zur Entscheidung vorgelegt werden. Der Vorstand wird aus 26 Mitgliedern aus allen Weltregionen (14 aus Entwicklungsländern) zusammengesetzt sein, die mit einer 4/5-Mehrheit entscheiden können. Im schlimmsten Fall droht damit eine Blockade bei der Umsetzung des Fonds.
Die Zeit drängt, Schäden und Verluste sind bereits da und nehmen laufend zu. Das liegt auch daran, dass die Finanzierungslücke bei der Anpassung an die Klimaerwärmung gemäss dem Weltklimabericht immer grösser wird. Allerdings können sich die Menschen nicht an jede Veränderung anpassen. Einen bleibenden Eindruck hinterliess der Aussenminister des pazifischen Inselstaats Tuvalu, der im Vorfeld der UNO-Klimakonferenz von Glasgow im Jahr 2021 für eine Rede kurzerhand die Hosenbeine hochgekrempelt und sein Rednerpult ins Meer gestellt hatte, um auf den steigenden Meeresspiegel aufmerksam zu machen. In Glasgow sprach Elizabeth Wathuti an der Eröffnung der Klimakonferenz vor der versammelten Weltbühne: «Bis 2025 wird die Hälfte der Weltbevölkerung von Wasserknappheit betroffen sein. Und bis ich fünfzig bin, wird die Klimakrise allein in Subsahara-Afrika 86 Millionen Menschen vertrieben haben.» Keine Konferenz kann die Klimakrise von heute auf morgen beenden. Aber bereits eintretende Schäden und Verluste finanziell zu decken, ist bitter nötig.

© Karwai Tang
Elizabeth Wathuti ist eine junge kenianische Klimaschutz- aktivistin. Sie hat die Green Generation Initiative gegründet und wurde unter anderem auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 mit ihrem Aufruf für mehr Solidarität international bekannt.
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Faktenblatt
Der Schweizer Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung
31.10.2022, Klimagerechtigkeit
Die internationale Staatengemeinschaft hat 2010 beschlossen, dass die Entwicklungsländer zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens sowie zur Anpassung an den Klimawandel ab 2020 mit 100 Milliarden Dollar pro Jahr unterstützt werden müssen. Es handelt sich um zusätzlichen Bedarf; somit werden neue, zusätzliche Gelder erwartet. Die immer häufiger auftretenden Klimakatastrophen (z. B. Überflutungen in Pakistan) und dramatischen Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die ärmsten Länder machen die Dringlichkeit der zusätzlichen Klimafinanzierung deutlich.

Abir Abdullah / Climate Visuals
Wie viel soll die Schweiz beitragen?
Es gibt keinen Verteilschlüssel unter den entwickelten Ländern. Der Bundesrat rechnet mit einer Mischung aus Verursacherprinzip und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Indem er nur die Verursachung von Emissionen im Inland berücksichtigt, kommt er auf einen Schweizer Beitrag von 450 bis 600 Millionen USD pro Jahr. Laut dem Umweltbericht des Bundesrats von 2018 machen aber die durch den Schweizer Konsum im Ausland verursachten Emissionen mehr als die Hälfte des Schweizer Klima Fussabdrucks aus. Wenn die Schweiz diese Auslandemissionen berücksichtigen würde, müsste sie mindestens 1 Milliarde Dollar jährlich zur internationalen Klimafinanzierung beisteuern.
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