Meinung

Providencia: Die Angst ist immer da

17.03.2021, Klimagerechtigkeit

Mitte November hat der Hurrikan «Iota» die kolumbianische Insel Providencia fast komplett zerstört. Die rund 5000 BewohnerInnen haben alles verloren, aber geben nicht auf, erzählt die Direktbetroffene Hortencia Amor Cantillo.

Providencia: Die Angst ist immer da
Hölle im Paradies
© Hortencia Amor Cantillo

Mit meinem Mann und meinen zwei Söhnen habe ich schon zwei Mal einen Hurrikan erlebt. Im Jahr 2005 wurden wir vom Hurrikan „Beta“ getroffen; allerdings war der nichts im Vergleich zu „Iota“. Beide Male kam der Hurrikan in der Nacht. Natürlich war uns nicht bewusst, wie stark „Iota“ sein würde, wir dachten er sei vielleicht in der Kategorie 1 oder 2 einzustufen. Als ich um 4 Uhr morgens merkte, dass wir bereits bei Stärke 4 waren, bekam ich Angst, vor allem weil die Wand unseres Hauses schon fast umfiel. Es war beängstigend. Wer die ganze Nacht mit dem Sturm kämpft, kann die Angst in den Gesichtern nicht sehen, da alles dunkel ist, sogar der Himmel. Den ersten Eindruck im Morgenrot vermitteln die Zerstörungen und Verwüstungen, die zurückbleiben. Es ist wie in einem Schockzustand: Man kann das, was man vor sich sieht, einfach nicht glauben.

Kein Dach über dem Kopf

Meine Familie hat dieser Hurrikan zuerst einmal emotional hart getroffen – wir waren orientierungslos: Die Zerstörung war so gross, dass wir keine Ahnung hatten, wo wir anfangen sollten. Ausserdem wurde der Tourismus, unsere ökonomische Lebensgrundlage, zerstört: die kleine Herberge (posada), von der wir lebten und abhängig waren. Auch das kleine Kinder- und Jugendzentrum, das ich betrieb, wurde grösstenteils zerstört. Ich bin jetzt dabei zu sehen, wie ich mich wieder aufraffen kann.

In unserem Haus haben wir momentan noch vier Gäste, zuerst waren wir 27 Personen, also fünf Familien in einem Haus. Die meisten haben sich irgendwie arrangiert und mit Stöcken und Blechen auf den Grundstücken, wo zuvor ihr Haus stand, kleine Unterkünfte gezimmert. Zu lernen, mit anderen Leuten zu wohnen, solidarisch zu sein und miteinander zu teilen, war auch eine neue Erfahrung für uns. Es ist das Eine, einander ab und zu zu grüssen und zu besuchen, aber das Andere, zusammenzuleben. Wir haben angefangen, eine grosse Mahlzeit für alle zuzubereiten, wobei jeder das beisteuert, was er gerade hat. Ich danke Gott, dass es uns möglich war, anderen zu helfen.

Denn viele, sehr viele Menschen haben alles verloren, wirklich alles. Manchen blieb nur das, was sie am Körper hatten. Viele hatten sich in den wenigen Häusern aus Zement versteckt, die zumindest teilweise stehengeblieben sind. Kurz nach dem Hurrikan hat die Regierung Campingzelte geschickt, aber die waren von schlechter Qualität. Es hat viel geregnet und das Wasser kam von unten in die Zelte rein. Sie sind okay für ein paar Tage, aber jetzt leben einige Leute schon seit dem 16. November darin. Sie beschweren sich, weil alles nass ist. Die Personen, die Zelte erhielten, stellten sie auf den Zementböden auf, die von ihren Häusern übriggeblieben sind, oder in den Toiletten, da einige Toilettenhäuser aus Zement sind. Es ist sehr hart für jene, die alles verloren haben. Der Sturm hat alles mitgenommen. Auch unser Dach im zweiten Stock des Hauses ist komplett weggeflogen; wir haben zwar ein paar Teile wiedergefunden, aber keiner weiss, wo das Dach jetzt ist. Immerhin haben wir Glück gehabt.

Glück im Unglück

Etwa eine Woche nach dem Sturm kam eine NGO und hat angefangen, eine warme Mahlzeit pro Tag zu verteilen. Ihre Mitarbeitenden sind in verschiedenen Teilen der Insel stationiert. Hier bei uns in San Felipe sind sie in der katholischen Kirche; mittags läuten sie die Glocken und die Leute gehen ihr Mittagessen und eine Frucht abholen. Sie sind immer noch da, aber es ist auch für sie schwierig, da das Essen auf San Andrés zubereitet wird und mit Flugzeugen nach Providencia geflogen wird. Sie versuchen jetzt, einen Weg zu finden, um die Mahlzeiten direkt hier vor Ort zuzubereiten und so die komplizierte Logistik, welche dazu führt, dass das Essen manchmal nicht pünktlich ankommt, zu umgehen. Bis jetzt haben wir ihre Unterstützung, wofür ich Gott danke.

Die Regierung organisiert als erstes die Dächer für diejenigen, deren Häuser noch stehen; viele der Dächer sind Spenden von Privatpersonen. Sie werden nun mit Hilfe des Militärs, der nationalen Polizei, der Marine und der Luftwaffe, dem Zivilschutz und dem Roten Kreuz installiert. Sie alle sind hier und helfen beim Wiederaufbau. Aber der Prozess ist sehr langsam, vor allem für diejenigen, deren Häuser komplett zerstört wurden und als letzte wiederaufgebaut werden. Für diejenigen, deren Häuser noch zum Teil stehen, geht es ein wenig schneller, aber wir wissen nicht, wie lange es dauern wird. In der Zwischenzeit machen sie alle ihre Studien und Pläne. Wir versuchen alles, damit es etwas schneller geht. Natürlich gibt es Dinge, bei denen wir Hilfe benötigen. Um die Strände zu rekonstruieren, braucht es Maschinen; und gerade an den Küsten gibt es viele Trümmer, die wir nicht alleine beseitigen können.

Wir bleiben hier

Die Natur wird noch länger brauchen, bis sie sich erholt hat. Es gibt hier einige sehr grosse Bäume – wir nennen sie „Cotton Trees“. Ich wohne nun seit 26 Jahren auf der Insel und sehe immer diese riesigen Bäume mit ihren dicken Stämmen, sie müssen sehr alt sein. Nun wurden viele von ihnen komplett aus dem Boden herausgerissen, einige sind stehengeblieben, aber haben alle Äste und Blätter verloren. Es wird viele Jahre dauern, bis diese Bäume wieder gewachsen sind. Auch die Korallenriffe sind zerstört, und es wird sehr lange gehen, bis sie wieder rehabilitiert sind.

Jedes Jahr von Juli bis Ende November kommt die Hurrikan-Saison. Die Angst ist immer mit uns, aber es wird schwierig sein, noch einmal einen Hurrikan von dieser Stärke zu überwinden. Und wir sind nicht die Einzigen in so einer Situation. Auch an den Küsten der USA, in Mexiko, in Nicaragua besteht das Risiko von Hurrikanen. Uns ist bewusst, dass es immer wieder passieren kann. Ich stimme mit meinem Mann überein, dass ab jetzt jedes Haus einen Ort aus Beton haben sollte, wo man sich verstecken kann. Aber überall auf der Welt passieren Katastrophen, Erdbeben und so weiter.

Jemand hat mich gefragt, ob ich Providencia verlassen möchte. Ich habe Nein gesagt, weil es überall irgendeine Art von Gefahr gibt. Es ist traurig und es tut weh, aber wir sind hier und wir bleiben hier. Providencia ist für uns ein kleines Paradies und wir werden alles tun, um unser Paradies wieder herzustellen.

Artikel, Global

Wer trägt die Kosten von Klimaschäden?

22.03.2021, Klimagerechtigkeit

«Die Klimakrise als den Notfall behandeln, den sie darstellt»: Das forderte John Kerry, der Klimaentsandte der neuen US-Regierung, am diesjährigen Anpassungsgipfel. Den hehren Worten der Staatengemeinschaft folgten jedoch kaum Finanzzusagen.

Wer trägt die Kosten von Klimaschäden?
Das südamerikanische «Pantanal» ist eines der grössten Binnenland-Feuchtgebiete der Welt. Seit Anfang 2020 ist es mit den katastrophalsten Bränden seiner Geschichte konfrontiert.
© Lalo de Almeida/Folhapress/Panos

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klimapolitik»

In der letzten Januarwoche lud die Global Commission on Adaptation (GCA) zum Klima-Anpassungsgipfel. Zusammen mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres lancierte die niederländische Regierung die «Adaptation Action Agenda 2030» und rief zur Dekade des Klima-Handelns bis 2030 auf.

Zum ersten Mal nach vierjähriger Zäsur wieder aktiv auf dem internationalen Klimaparkett, versprachen die USA die Verfehlungen der letzten Jahre wiedergutzumachen und sich für den Schutz der Verletzlichsten einzusetzen. John Kerry, der bereits für die Obama-Regierung an der Aushandlung des Pariser Klimaübereinkommens beteiligt war, warnte, dass es keine Anpassung an eine 3-4°C wärmere Welt gebe, «ausser für die Allerreichsten und Privilegiertesten».

Damit sprach der neue Klimaentsandte der Biden-Harris-Administration ein zentrales Dilemma im Pariser Abkommen an, für das auch nach fünf Jahren immer noch um klimagerechte Lösungen gerungen wird: die dringliche Unterstützung der Meistbetroffenen in Entwicklungsländern durch die VerursacherInnen der Klimaschäden und Verluste (sog. «Loss & Damage», L&D) im globalen Norden. Zwar wurde der Internationale Warschauer-Mechanismus (WIM) bereits 2015 mit der Erarbeitung von Unterstützungs-Optionen mandatiert. Finanzielle Mittel für konkrete Hilfe bei Klimakatastrophen wurden in Paris jedoch kategorisch ausgeklammert.

Finanzierung weiterhin offen

Am letzten Klimagipfel in Madrid Ende 2019 gelang ein kleiner Fortschritt: Die erstmalige Verankerung von «Loss & Damage» in der UNFCCC-Finanzarchitektur. Zwar scheuen die Industrieländer Finanzierungszusagen nach wie vor wie der Teufel das Weihwasser  – aus Angst vor Kompensationsforderungen.

Doch wurde zum einen mit der Gründung des «Santiago Netzwerk für Schäden und Verluste» der WIM um einen operativen Arm ergänzt, um die technische Unterstützung in besonders verletzlichen Entwicklungsländern zu fördern. Zum anderen lotet eine ExpertInnengruppe bis zur übernächsten Klimakonferenz (COP27), die auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden wird, Optionen für Entwicklungsländer aus, um bereits existierende (Klimafinanzierungs-)Gelder für L&D zu mobilisieren. Eine erste Analyse zeigte, dass es das Mandat des Grünen Klimafonds (GCF) bereits heute erlaubt, Klimaschäden und Verlusten nicht nur durch Anpassungsmassnahmen vorzubeugen oder sie zu minimieren, sondern auch Schadenskosten zu decken. Doch mit welchen Mitteln?

Die Finanzierung von L&D kann nicht ohne deutliche Aufstockung der Mittel in die bestehende Klimafinanzierungs-Architektur integriert werden. Denn die bisherigen Gelder reichen noch nicht einmal für die Vorbeugung vermeidbarer Klima-Schäden und Verluste; sprich für Anpassung.

«Fahrerflucht» vermeiden

Dies verdeutlicht, dass das neue Santiago Netzwerk bis zur COP27 in eineinhalb Jahren dringend auch die Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel in den Fokus rücken muss. Die Kosten der durch wohlhabende Staaten wie die Schweiz ausgelösten Klimakatastrophe auf die Entwicklungsländer abzuwälzen, käme Fahrerflucht gleich. Gerade auch bei innovativen Ansätzen, wie beispielsweise Klimaschadensversicherungen, besteht die Gefahr, dass die Kosten indirekt über die Prämien den Geschädigten anstatt den Verursachenden aufgebürdet werden.

Am nächsten Klimagipfel Anfang November in Glasgow (COP26) braucht es einen Durchbruch bei der Vorbeugung und Deckung von Schäden und Verlusten in Entwicklungsländern. Zum einen muss der Anteil für Anpassung am kollektiven Ziel von jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die Klimafinanzierung vervierfacht, in Form von Direktbeihilfen und zusätzlich zur Entwicklungsfinanzierung bereitgestellt werden. Zum andern müssen die Staaten erste Pflöcke zur verursachergerechten Mobilisierung von Mitteln für unvermeidbare, sich bereits manifestierende Schäden und Verluste einschlagen. Ideen dafür reichen von einer globalen Flug- und Schiffsverkehrsabgabe über eine «Klimaschadenssteuer» an der Quelle fossiler Energien bis hin zu einer Abgabe auf Klimakompensations-Zertifikate.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Artikel

Kaum Investitionen in Resilienz und Anpassung

22.03.2021, Klimagerechtigkeit

Tiefgreifende Veränderungen der globalen Klimaerhitzung auf ökologische und gesellschaftliche Systeme sind mittlerweile unvermeidbar.

Kaum Investitionen in Resilienz und Anpassung
Bootsanleger am ausgetrockneten Ufer des Greyerzersees in La Roche bei Bulle, Kanton Freiburg. Der Wasserpegel des Stausees wurde im April 2020 um rund 15 bis 20 Meter gesenkt, damit genügend Platz für das Schmelzwasser blieb. Grund für die Aktion waren die Rekordmengen an Schnee.
© Laurent Gillieron / Keystone

von Jürg Staudenmann, ehemaliger Fachverantwortlicher «Klima und Umwelt»

Selbst wenn es der Weltgemeinschaft gelingt, sämtliche Treibhausgas-Emissionen bis in spätestens 15 Jahren komplett auf (netto) Null abzusenken, stehen zahlreiche Gemeinschaften und Volkswirtschaften vor teilweise unüberwindbaren Herausforderungen. Treffen wird es die Ärmsten und Verletzlichsten am stärksten; nicht nur, weil sie in ohnehin schon klimasensiblen Gegenden versuchen, mit sich verändernden Regen- und Trockenperioden, zunehmenden Starkwetterereignissen und einem langsam aber unerbittlich steigenden Meeresspiegel zurechtzukommen.

Auch fünf Jahre nach Verabschiedung des Pariser Klimaübereinkommens fehlt es den betroffenen Regionen und Menschen noch immer an dringend benötigten Finanz- und Sachmitteln. Und leider folgten auch den neuerlichen, üblichen Beteuerungen am niederländischen Anpassungsgipfel Anfang Jahr, in der Klimakrise gemeinsam handeln zu müssen, keine substantiellen Finanzzusagen, um den hehren Worten auch Taten folgen zu lassen.

Die bisher von den Industrieländern bereitgestellten öffentlichen Gelder für Anpassung in Entwicklungsländern beliefen sich 2018 gemäss OECD auf 13 Mrd. USD; zwei Drittel davon sind notabene rückzahlbare Darlehen. Gemäss Pariser Klimaübereinkommen sollten es aber vier Mal mehr sein, nämlich die Hälfte der ab 2020 versprochenen 100 Mrd. USD pro Jahr. – Ausserdem bestätigt die OECD, was Alliance Sud seit Jahren kritisiert (siehe dazu Studie und Kennzahlen von März 2020): Die ärmsten Länder erhielten einen Bruchteil davon – gemäss neuesten OECD-Zahlen für 2018 flossen gerade mal 14 % in ärmste Länder (LDCs) bzw. 2 % in kleine Insel-Entwicklungsstaaten (SIDS).

Dem stehen schnell anwachsende Klima-Kosten gegenüber. Das UNO-Umweltprogramm (UNEP) schätzt im alljährlichen Adaptation Gap Report den jährlichen Investitionsbedarf zur Klimaschadens-Vorsorge und Resilienz in Entwicklungsländern auf derzeit bereits USD 70 Mrd. Bis 2030 werden die jährlichen Anpassungskosten des globalen Südens auf USD 140–300 Mrd. ansteigen; bis 2050 auf bis zu USD 500 Milliarden.
Statt als «Kosten» bezeichnet die «Global Commission on Adaptation» (GCA)  Anpassung an die Klimaveränderung als Investitionen mit volkswirtschaftlichem return on investment.

Sie schätzt in einem Bericht vom September 2019, dass die insgesamt benötigten 1.8 Billionen USD für resiliente Infrastruktur oder ökologische Anpassungsmassnahmen, wie die Wiederbelebung sterbender Korallenriffs oder den Schutz von Mangrovenwäldern, einen Netto-Nutzen für die betreffenden Regionen von 7.1 Billionen USD hervorbrächten . Vor allem verbesserter Küstenschutz rettet nicht nur Menschenleben und Bauten, sondern verbessert auch die Trinkwasserqualität und sichert meerbasierte Einnahmequellen. Manche Anpassungs-Massnahmen, wie zum Beispiel Wiederaufforstung, haben einen weitaus grösseren Nutzen, wie die Förderung des Artenschutzes, und können sogar direkt auch zu den Emissionsreduktionszielen des jeweiligen Landes beitragen.

Artikel, Global

Krankheitssymptome des Klimas nicht unterschätzen

06.12.2021, Klimagerechtigkeit

Die Bedeutung der Klimakrise und deren Auswirkungen auf den Planeten und uns Menschen werden trotz Wissenschaft und Extremwetter in der Öffentlichkeit immer noch unterschätzt. Vor allem seitens der Politik fehlt entschlossenes Handeln.

Krankheitssymptome des Klimas nicht unterschätzen
Bernd Nilles, Präsident Alliance Sud und Geschäftsleiter Fastenopfer
© Fastenopfer

Fastenopfer hat bereits 1989 mit einer Plakatkampagne auf die Gefahren des Klimawandels hingewiesen; doch es wurden 30 Jahre lang nur kleine Schritte gemacht und global hat der Ausstoss von Treibhausgasen immer weiter zugenommen. Heute gibt es einen Konsens in der Wissenschaft, dass wir uns bereits in einer Klimakrise befinden, die für immer mehr Menschen weltweit, aber auch hier bei uns, katastrophale Folgen annimmt. Die Bedeutung der Klimakrise und deren Auswirkungen auf den Planeten und uns Menschen werden trotz Wissenschaft und Extremwetter in der Öffentlichkeit immer noch unterschätzt. Vor allem seitens der Politik fehlt entschlossenes Handeln: Auch ein Klimagipfel wie in Glasgow kann nur so viel leisten, wie die 190 nationalen Regierungen, inklusive die Schweiz, bereit sind, auf den Tisch zu legen.

An der COP26 hat Bundespräsident Guy Parmelin zu Recht behauptet, es würde zu wenig getan. Was er nicht sagte: Gerade reiche Staaten wie die Schweiz stehlen sich aus der Verantwortung. Daher ist es unsere Aufgabe, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Klimakrise bereits Realität ist. In Afrika, Asien und Lateinamerika kämpfen Menschen gegen Überschwemmungen und Dürren, deren Ursache massgeblich die Klimakrise ist. Bei ihnen geht es ums Überleben. Und auch in der Schweiz bekommen wir die Klimakrise immer mehr zu spüren.

Umso wichtiger ist es, dass Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Medien auch den verletzlichsten Bevölkerungsgruppen der Welt eine Stimme in der Schweizer Politik geben. Genau dies scheinen aber seit einem Jahr verschiedene «liberale» PolitikerInnen mit ihren Einschüchterungsversuchen im Anschluss an die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) verhindern zu wollen. Und wie kann es sein, dass in den Parlamentsausschüssen einige PolitikerInnen, die sich ansonsten wo immer möglich gegen Bürokratie und Regulierung aussprechen, eine Motion von Ständerat Ruedi Noser unterstützen, die an bürokratischem Aufwand kaum zu überbieten ist? Alle gemeinnützigen Organisationen auf ihre politische Tätigkeit hin überprüfen zu wollen und zu drohen, ihre Steuerbefreiung allenfalls zu widerrufen, bedeutet nichts anderes als das extreme Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft zu verschärfen.

Alliance Sud wird weiterhin alles daransetzen, dass Politik nicht nur eine Frage des Geldes und der parteipolitischen Couleur bleibt. Die Volksmehrheit für die KVI vor einem Jahr hat klar vor Augen geführt, dass die Bevölkerung sich eine Schweiz wünscht, deren Politik und Wirtschaft nicht nur nationalen und finanziellen Interessen dient. Denn diese Interessen verhindern vielfach auch eine gute Klimapolitik. Für das neue Jahr wünsche ich mir, dass wir die Krankheitssymptome unserer Welt ernst nehmen, Mensch und Umwelt Vorrang geben und endlich entschlossen handeln.

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Meinung

Nach Glasgow müssen wir Gas geben

06.12.2021, Klimagerechtigkeit

Mit der Abschlusserklärung der UN-Klimakonferenz ist es noch lange nicht getan: Die Klimakrise spitzt sich zu und das Klimabudget der Schweiz ist bald aufgebraucht. Die Analyse aus Glasgow von Stefan Salzmann, Klimaexperte beim Fastenopfer.

Nach Glasgow müssen wir Gas geben
Die Klimakrise ist für die Inselstaaten bereits heute eine existentielle Bedrohung. Der Aussenminister von Tuvalu hielt deshalb seine COP26-Erklärung an einem besonderen Ort: in Funafuti, mitten im Pazifischen Ozean.
© EyePress via AFP

Hagel und Regen im Sommer in der Schweiz, Hitze in Kanada, Feuer in Griechenland und Russland, Dürre im Iran; im August die wissenschaftlich belegte Alarmstufe Rot im neusten Bericht des Weltklimarates. In deutlichen Worten schreiben KlimatologInnen, dass das Ausmass der anthropogenen Klimaerwärmung seit vielen Jahrhunderten bis Jahrtausenden beispiellos ist. Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen und Starkniederschlägen, landwirtschaftliche und ökologische Dürren werden zunehmen und immer häufiger kombiniert auftreten. Die bereits heute beobachteten Veränderungen werden sich verstärken und unumkehrbar sein. Jedes Zehntelgrad Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur macht einen Unterschied – insbesondere für die ärmsten und verwundbarsten Menschen auf der Welt.

Der neue Bericht des UNO-Umweltprogramms (UNEP) vom Oktober, der die Ziele des Pariser Abkommens mit den gemachten Versprechen vergleicht, stellt fest, dass die eingereichten Ziele der Länder eine globale Klimaerwärmung von 2.7 Grad ansteuern. Und parallel, schreibt ebenfalls das UNEP, werden weiterhin nicht genügend finanzielle Mittel für Anpassungsmassnahmen in armen Ländern zur Verfügung gestellt: Der Bedarf ist bis zu zehnmal höher als das, was die verursachenden Industrienationen bereitstellen.

Der Wille ist da – aber niemand bestimmt den Weg

Unter diesen Vorzeichen haben die OrganisatorInnen der 26. Weltklimakonferenz aus Grossbritannien viel guten Willen gezeigt. In der ersten Woche der Konferenz wurden täglich neue globale Initiativen verkündet.  Die Initiativen «Globale Transition von Kohle zu sauberer Energie», «Stopp der globalen Entwaldung» oder «Globale Initiative für grüne Energie-Netze» sind nur eine Auswahl. Euphorisch hat die Internationale Energieagentur errechnet, dass man so auf einen Kurs von nur noch 1.8 Grad Erderwärmung kommen könne – wenn all die Versprechen umgesetzt werden. Und genau da liegt die Schwierigkeit – keine dieser Initiativen hat einen Umsetzungsplan. Die Länder, welche die Versprechen mittragen, sind die gleichen, die es bis 2020 nicht geschafft haben, die bereits 2009 versprochene Klimafinanzierung bereitzustellen. Und wenn Länder wie Brasilien die Entwaldungsinitiative unterzeichnen, dann ist das zwar ein Hoffnungsschimmer, aber realpolitisch betrachtet wohl eher ein Todesurteil für diesen ehrgeizigen Plan, der wie alle anderen ambitionierten Pläne die Umsetzung derselben den freiwilligen politischen Massnahmen der einzelnen Länder überlässt.

Und die Schweiz?

Auch die Schweiz steht unter Druck: Nachdem selbst der kleine Schritt des revidierten CO2-Gesetzes im Juni 2021 für die Mehrheit der Bevölkerung zu gross war, reiste die vom Bundesamt für Umwelt angeführte Delegation mit fehlender gesetzlicher Grundlage nach Glasgow. Hier wurden einmal mehr alle Verhandlungen zu weiteren Klimafinanzen blockiert. Die Gründe sind auf den ersten Blick verständlich – auch reiche Schwellenländer sollen in die Klimafinanzierung einsteigen und es gehe nicht, dass sich China und Singapur als Entwicklungsländer ausgeben und nichts zahlen wollen. Als eines der reichsten Länder der Welt aber so zu argumentieren, nützt denen nichts, deren Lebensgrundlagen von diesen Beschlüssen abhängen – wie die ärmsten und verwundbarsten Menschen auf der Welt. Für sie bedeuten blockierte Verhandlungen, egal von wem, Not, Leid und prekäre Überlebensstrategien.

Schäden und Verluste

Die Lebensgrundlagen vieler stehen auf dem Spiel, von einigen sind sie bereits heute zerstört. Sogenannte «Schäden und Verluste» bezeichnen im Fachjargon durch die Klimaerhitzung verursachte irreversible Probleme: Klimaauswirkungen also, die die Anpassungsfähigkeit von Ländern, Gemeinschaften und Ökosystemen übersteigen. Wenn eine Familie wegen des Meeresspiegelanstiegs ihr Haus verliert, ist es für immer verloren. Solche Schäden und Verluste gibt es bereits heute und mit jedem Zehntelgrad Temperaturanstieg werden sie weiter zunehmen. Deshalb hat die Zivilgesellschaft dieses Thema in Glasgow zur obersten Priorität gemacht.

Das Klimabudget der Schweiz ist bald aufgebraucht

Nicht nur weil die Schweiz eines der reichsten Länder ist, welches historisch viele Treibhausgase ausgestossen hat, wäre es angebracht, anderen bei bereits eingetretenen Schäden beizustehen. Im September haben Sozial-EthikerInnen von zehn kirchlichen Institutionen über ein klimagerechtes CO2-Restbudget diskutiert. Auf der Basis von wissenschaftlich belegten Daten wurde berechnet, welcher Anteil an den global noch zur Verfügung stehenden Gigatonnen CO2 der Schweiz zusteht, wenn sie sich klimagerecht verhalten will. Die Sozial-EthikerInnen haben dabei getan, was die Klimawissenschaft nicht kann: Sie haben Modellrechnungen moralisch gewichtet und interpretiert. Dabei kam heraus, dass eine klimagerechte Restmenge CO2 im Frühjahr 2022 aufgebraucht sein wird. Ein weiterer Beleg dafür, dass die bundesrätliche Strategie, Netto Null Treibhausgasemissionen bis ins Jahr 2050 erreichen zu wollen, mit Gerechtigkeit nichts mehr gemeinsam hat.

Wie weiter?

Es sind Momente wie die Klimakonferenz in Glasgow, in denen die offizielle Schweiz beweisen sollte, dass unserem Land Gerechtigkeit ein Anliegen ist. Finanzen für andere Länder bereitzustellen, ist eine der einfachsten Möglichkeiten, dies zu tun: zusätzliche Mittel zum Entwicklungskredit für Minderung und Anpassung. Und zusätzliche Mittel für bereits eingetretene Schäden und Verluste. Die Grundlagen für solche Verhandlungsmandate werden in der Vorbereitungsphase national gelegt. Gleich wie die nationalen Klimaziele, die ambitionierter werden müssen, auch für die Schweiz, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch in Reichweite liegen sollen. Die Debatten um den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative sowie die anstehende Neuaufnahme der Revision des CO2-Gesetzes sind die letzten Chancen, bevor es zu spät ist: Es braucht ein Netto-Null-Ziel bis spätestens 2040, einen linearen Absenkpfad dahin und einen konsequenten Ausstieg aus fossilen Energieträgern.

Meinung

Falsche Antworten auf die falschen Gefahren

02.03.2022, Klimagerechtigkeit

In der Schweiz verlangen die Präsidenten der Sparparteien FDP und SVP zwei zusätzliche Milliarden Franken für die Armee. Geld, welches besser für die dringende Klimafinanzierung eingesetzt würde.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Falsche Antworten auf die falschen Gefahren
Trotz Repression und Verhaftungen - auch in Sankt Petersburg (Russland) fanden Friedensdemos statt.
© Greenpeace / Dmitry Sharomov

Und plötzlich sitzt das Portemonnaie locker: 100 Milliarden Euro «Sondervermögen» will Deutschland unter anderem für die Rüstung ausgeben, und in der Schweiz verlangen die Präsidenten der Sparparteien FDP und SVP zwei zusätzliche  Milliarden Franken für die Armee.

Heftige Reaktionen auf den brutalen Überfall auf die Ukraine sind verständlich. Er ist eine Katastrophe für die Bevölkerung des Landes, die Wohlstand, Frieden und in ihrer Mehrheit Demokratie gewünscht hat. Was es bedeutet, dass zwischenstaatliche Kriege in Europa zurückgekehrt sind, lässt sich noch gar nicht abschätzen.  

Nur, Putins Russland hat die Ukraine nicht angegriffen, weil Westeuropa militärisch unterlegen ist. Im Gegenteil, die NATO-Staaten besitzen bei konventionellen Waffen − von ganz wenigen Waffengattungen abgesehen − überall ein teilweise massives Übergewicht. Auch wenn es Zweifel an der raschen Einsatzfähigkeit beim Angriff auf einen NATO-Staat gibt, so liegt das sicher nicht an fehlenden Waffen. Russland hatte 2020 Rüstungsausgaben von 61,7 Milliarden Dollar. Die vier grössten europäischen Nato-Staaten gaben zusammen drei Mal mehr Geld für die Rüstung aus. Mit der angekündigten Erhöhung der Militärausgaben auf 2 Prozent des BIP überholt Deutschland alleine Russland deutlich.

Vladimir Putin will sich nicht EU- oder NATO-Staaten einverleiben, noch nicht einmal die Sowjetunion wiederherstellen; die zentralasiatischen Staaten etwa sind ihm egal, so lange sie autokratisch regiert werden. Es geht ihm um ein imaginiertes historisches Russland, das er wiedervereinigen will. Natürlich ist ein isolierter Autokrat brandgefährlich, aber in diesem Fall sicher nicht, weil er überlegene Gegner konventionell angreifen will, sondern weil er die Finger am Abzug von Atomraketen hat. Keine der realen Gefahren für Europas Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Unversehrtheit lässt sich durch höhere Rüstungsausgaben wettmachen.  

Klimaneutralität ist auch Sicherheitspolitik  

Aus verständlichen Gründen ist die Veröffentlichung des diesjährigen Klimaberichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zu «Auswirkungen, Anpassungen und Verletzlichkeit» am Montag 28. Februar medial untergegangen. Dessen politisch ausgehandelte Zusammenfassung erwähnt, dass bereits 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen «in einem Umfeld leben, das sehr anfällig für den Klimawandel ist». Und er hält fest: «Bei einer stärkeren Erderwärmung werden die Auswirkungen von Wetter- und Klimaextremen, insbesondere von Dürren, durch die steigende Anfälligkeit zunehmend gewaltsame innerstaatliche Konflikte beeinflussen». Und auch ohne Klimakriege werden mehr Menschen krank und sterben vorzeitig: «Der Klimawandel und die damit verbundenen Extremereignisse werden kurz- bis langfristig zu einer erheblichen Zunahme von Krankheiten und vorzeitigen Todesfällen führen.»

Die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel sind grösser, als noch im letzten IPCC-Bericht vermutet. Das IPCC schätzt, dass es 2030 jährlich 127 Milliarden Dollar braucht, danach mehr. Die von den Industrieländern versprochenen jährlich 100 Milliarden Klimafinanzierung für Vermeidung und Anpassung bis 2025 reichen sicher nicht, ganz abgesehen davon, dass diese Summe bisher gar nie erreicht wurde. Gemessen am globalen Klimafussabdruck der Schweiz müsste sie 1 Milliarde zu diesem Ziel beitragen; derzeit stellt sie nur die Hälfte zur Verfügung und dieses Geld kommt erst noch zu einem grossen Teil aus dem Entwicklungshilfebudget.  

Jawohl FDP und SVP, es braucht das gezückte Portemonnaie, aber für eine Klimafinanzierung, die der Verantwortung der Schweiz entspricht und ihre Klimaneutralität sicherstellt. Für die Sicherheit der Schweiz sind keine Ausgaben nötiger als diejenigen in einen sofortigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Gaskraftwerke für den Notfall, deren Pläne ausgerechnet ein paar Tage vor Kriegsausbruch präsentiert wurden, sehen seitdem aus wie ein schlechter Witz.

Medienmitteilung

COP27: Fortschritt trotz Stillstand

20.11.2022, Klimagerechtigkeit

Die Resultate der Klimakonferenz COP27 sind gemischt: Mit der Verabschiedung eines Fonds für Loss & Damage (Schäden und Verluste) wurde ein historischer Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit gemacht, beim Klimaschutz herrscht hingegen Stillstand.

COP27: Fortschritt trotz Stillstand
«Bezahlung überfällig»: Die zehnjährige Nakeeyat Dramani Sam aus Ghana fordert die Industrienationen an der COP27 auf, für die Klimaschäden in ärmeren Ländern aufzukommen.
© KEYSTONE/AP/NARIMAN EL-MOFTY

Aus Entwicklungsperspektive waren an dieser Konferenz die Verhandlungen zur Finanzierung von klimabedingten Schäden und Verlusten besonders wichtig. Der Druck auf die Industriestaaten war dieses Jahr angesichts der Überschwemmungen in Pakistan und der Dürre in Ostafrika grösser denn je. Die Schäden durch Klimakatastrophen kann niemand mehr leugnen, ebenso wenig die Auswirkungen des steigenden Meeresspiegels. Und so mussten sich die reichen Länder – auch die Schweiz – dem Druck der besonders betroffenen Länder, Inselstaaten und der Zivilgesellschaft beugen und in die Schaffung eines Fonds für Loss & Damage einwilligen. «Der Fonds ist ein grosser Erfolg für die Klimagerechtigkeit. Das schien vor wenigen Monaten noch undenkbar. Das war möglich dank der guten Zusammenarbeit der Länder des Südens und der Zivilgesellschaft. Doch die Arbeit ist damit nicht gemacht. Nun gilt es, den Fonds effektiv und effizient auszugestalten, so dass die Betroffenen auch tatsächlich davon profitieren. Entscheidend ist, dass der neue Fonds rasch mit genügend Mitteln ausgestattet wird», bilanziert David Knecht, der in Ägypten für Fastenaktion zwei Wochen lang die Verhandlungen beobachtet hat.

Nicht genug vorwärts ging es hingegen bei der entscheidenden Minderung der Emissionen. Der rasche Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas wurde trotz Druck verschiedenster Länder, auch der Schweiz, nicht in der Abschlusserklärung verankert. «Mit der Verabschiedung eines mehrjährigen Arbeitsprogramms zur Emissionsminderung wurde nur ein Minimalziel dieser Konferenz erreicht, um das 1.5-Grad-Ziel am Leben zu erhalten. Wichtig ist es nun, auch Emissionsreduktionen in Entwicklungsländern verstärkt zu finanzieren, ansonsten können die Ziele nicht erreicht werden. Hier haben die Industrieländer ihre Versprechen bisher nicht erfüllt», kommentiert David Knecht.

Dass mehr als 600 LobbyistInnen der fossilen Energien an der Konferenz zugegen waren, hat dazu beigetragen, die Abschlusserklärung zu verwässern. «Die UNO muss für die Klimakonferenzen unbedingt Richtlinien im Umgang mit Interessenskonflikten erlassen. Die mageren Bekenntnisse zum Ausstieg aus fossilen Energien sind besonders stossend, wenn man bedenkt, dass fossile Energien über 70% der Emissionen verantworten, und wenn man die milliardenschweren Gewinne der Öl- und Gaskonzerne dieses Jahr mit der milliardengrossen Lücke in der Klimafinanzierung vergleicht», so Knecht.

Enttäuschung beim Thema «Adaptation»

Unter diesem Stichwort geht es um Anpassungen an den Klimawandel, wie beispielsweise den Umgang mit zunehmender Trockenheit in der Landwirtschaft. «Für die Ernährungssicherheit ist Anpassung an den Klimawandel ein zentrales Thema. Es ist angesichts der aktuellen Weltlage betrüblich, dass an der COP27 kaum Diskussionen geführt und entsprechend auch keine Fortschritte erreicht wurden. Die bisher zugesagten Finanzierungen sind völlig ungenügend», sagt Christina Aebischer, die für Helvetas der COP27 vor Ort beiwohnte. Das sei insbesondere für die afrikanischen Länder und Organisationen eine grosse Enttäuschung; sie hatten sich an diesem afrikanischen Klimagipfel mehr erhofft.

Umso unwahrscheinlicher scheint es, dass die auf der letztjährigen COP in Glasgow getroffene Vereinbarung eingehalten werden wird, die Anpassungsfinanzierung bis 2025 gegenüber 2019 zu verdoppeln. «Auch die Schweiz hat keine zusätzlichen Zusagen gemacht, was für viele ärmere Länder unverständlich ist. Leider hängt das im Wesentlichen mit der gescheiterten Abstimmung über das neue CO2-Gesetz zusammen. Die Schweiz muss dringend die Klimaschutzfinanzierung in ihrer Gesetzgebung stärken, damit die entsprechenden Mittel für Anpassung bereitgestellt werden können.»

Positiv hingegen ist, dass zum ersten Mal vereinbart wurde, im nächsten Jahr endlich die Diskussion darüber zu starten, wie die internationalen Finanzströme zur Reduktion der Treibhausgasemissionen und Förderung einer klimaresistenten Entwicklung verlagert werden können. Die inhaltliche Klärungen und erst recht eine Einigung sind damit natürlich noch in weiter Ferne, aber die dringend nötige Diskussion ist lanciert.

 

Weitere Zitate unserer Mitglieder und assoziierten Mitglieder zur Verwendung:

«Die COP27 behandelte die Themen Landwirtschaft und Ernährung viel zu stiefmütterlich. Dabei geht rund ein Drittel der klimaschädlichen Gase auf die Rechnung des Ernährungssystems. Biovision hat sich deshalb in Sharm El Sheik zusammen mit anderen NGOs dafür eingesetzt, dass im Koronivia-Prozess zwingend die nachhaltige Transformation unseres Ernährungssysteme eingeschlossen wird und das Thema Agrarökologie mehr Gewicht in den Klimaverhandlungen bekommt. Die Landwirtschaft leidet weltweit unter den Folgen der Klimaerwärmung. Mehr und mehr Menschen haben zu wenig zu essen. Die Menschen im globalen Süden sind besonders davon betroffen. Wir dürfen einfach keine Zeit mehr verlieren!»
Tanja Carrillo, Projektverantwortliche Policy & Advocacy bei Biovision (war vor Ort)

«Die Schweiz hat in Sharm El-Sheikh versichert, dass sie einen ‘fairen Anteil’ an das 100-Milliar-den-Ziel für die Klimafinanzierung übernehmen wird. Das ist zu begrüssen, denn die bisherigen Versprechen zur Unterstützung der Länder im Globalen Süden sind bei Weitem nicht eingelöst. Besonders stossend ist, dass der Bund für die Klimafinanzierung Gelder einsetzt, die für die Entwicklungszusammenarbeit budgetiert sind.»
Angela Lindt, Leiterin der Fachstelle Entwicklungspolitik bei Caritas Schweiz

«Obwohl die Länder des globalen Südens diejenigen sind, die kaum zum Klimawandel beigetragen haben, sind sie von der Klimakatastrophe am stärksten betroffen – das gilt auch für die Jugend und die kommenden Generationen. Es braucht daher weltweit verbindliche Regeln, die die Verursacher der Krise umgehend in die Pflicht nehmen.»
Annette Mokler, Entwicklungspolitik und Programmkoordination Peru und Westsahara bei terre des hommes schweiz

Für weitere Informationen:
Fastenaktion, David Knecht, Verantwortlicher für Energie und Klimagerechtigkeit,Tel. +4176 436 59 86, knecht@fastenaktion.ch
Alliance Sud, Andreas Missbach, Geschäftsleiter, Tel. +4179 847 86 48, andreas.missbach@alliancesud.ch
SWISSAID, Sonja Tschirren, Expertin für Klima und ökologische Landwirtschaft, Tel. +4179 363 54 36, s.tschirren@swissaid.ch
Helvetas, Christina Aebischer, Klimaexpertin, Tel. +4176 459 61 96, christina.Aebischer@helvetas.org
Heks, Yvan Maillard Ardenti, Programmverantwortlicher für Klimagerechtigkeit, Tel. +4179 267 01 09, yvan.maillard@heks.ch
Caritas Schweiz, Angela Lindt, Leiterin Fachstelle Entwicklungspolitik, Tel. +41 419 23 95, alindt@caritas.ch

Faktenblatt von Alliance Sud zum Schweizer Beitrag an die internationale Klimafinanzierung

Derweil in Bern: skandalöser Entscheid im Ständerat

Die Klimakonferenz fand unter dem Vorzeichen statt, dass das globale 100 Milliarden-Dollar-Ziel um mindestens 17 Milliarden verfehlt wurde. Dass es mehr finanzielle Mittel des Nordens braucht, war das zentrale Thema. Doch das hielt die Umweltkommission des Ständerats (UREK-S) nicht davon ab, während der laufenden Konferenz eine leichte Erhöhung im «Rahmenkredit Globale Umwelt 2023-2026» wieder zu streichen. Und dies obwohl Bundespräsident Cassis in seiner Eröffnungsrede diese zusätzlichen Gelder für den globalen Umweltfonds (Global Environment Facility, GEF) schon angekündigt hatte.

Der Fonds dient zur Unterstützung der Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Bekämpfung der Klimakrise sowie zur Anpassung an den Klimawandel. Damit konnten in den letzten vier Jahren Treibhausgasemissionen im Umfang von 1,440 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten reduziert werden. Das entspricht 33 Mal dem jährlichen CO2-Ausstoss der Schweiz.

Der Gesamtrat muss korrigieren

Die UREK-S verkündete also am 11. November, dass eine Kommissionsmehrheit dem Ständerat beantragt, den Betrag um 50 Millionen Franken zu kürzen. Als Argument dient die «angespannte finanzielle Lage» der Schweiz – eine Verhöhnung von finanziell weitaus schlechter gestellten Ländern im globalen Süden, die zudem den Klimawandel nicht selber verursacht haben. «Wenn die finanzielle Lage der reichen Schweiz als angespannt gilt, wie kann dann von den ärmsten Ländern erwartet werden, dass sie ohne zusätzliche Unterstützung die Klimakrise bewältigen? Die Umweltkommission hätte die dringliche Lage erkennen und den Beitrag stattdessen erhöhen sollen», betont Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. Alliance Sud fordert den Ständerat auf, den Kürzungsantrag seiner Kommission in der Wintersession abzulehnen und die Schweizer Versprechen an der Klimakonferenz umzusetzen.

Meinung

Die Lösung wächst nicht im Reisfeld

06.12.2022, Klimagerechtigkeit

Die Schweiz setzt mit Ghana das weltweit erste ausländische Klimaschutzprojekt unter dem Pariser Klimavertrag von 2015 um. Doch dieses schiesst am Ziel vorbei.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Die Lösung wächst nicht im Reisfeld

© Dr. Stephan Barth / pixelio.de

Der Klimazirkus auf dem afrikanischen Kontinent hat seine Zelte wieder abgebrochen. Zwar gibt es jetzt endlich einen Fonds für Loss & Damage (Schäden & Verluste). Wie er ausgestaltet und vor allem wie er gefüllt werden soll, ist aber noch völlig offen. Insgesamt bleibt als Fazit der COP 27: «Gut, dass wir darüber geredet haben», also reden wir über etwas anderes.

Gleich zu Beginn der Konferenz, hat die «New York Times» der Schweiz mit einem kritischen Artikel über deren Ausland-Kompensationen die Suppe versalzen. Fünf Tage später wurde nämlich das erste Projekt vorgestellt, das im Rahmen eines bilateralen Klimaschutzabkommens zwischen Ghana und der Schweiz durchgeführt wird. Um die Emissionen der Bundesverwaltung zu kompensieren, sollen Reisbauern in Westafrika ihre Felder nicht mehr permanent fluten. Damit sollen die Methan-Emissionen reduziert werden. Dieses vom UNO-Entwicklungsprogramm durchgeführte Projekt mag durchaus sinnvoll sein, es zielt aber an den wichtigsten Herausforderungen zur Reduktion von Treibhausgasen in Afrika vorbei.

600 Millionen Menschen in Afrika sind ohne elektrische Energie und zwei Drittel des Stroms werden heute mit fossilen Brennstoffen produziert. Doch dezentrale, verlässliche und CO2-freie Elektrifizierung ist möglich: Wenn schon, dann sollte das Geld des Ablasshandels mit Emissionszertifikaten dafür verwendet werden.

Die UNO-Organisation für Handel und Entwicklung hat vor der Klimakonferenz auf eine noch viel grössere Herausforderung hingewiesen: Ein Fünftel der Länder in Sub-Sahara Afrika ist von Erdölexporten abhängig. Andere Länder könnten ebenfalls fossile Lagerstätten ausbeuten. Die Demokratische Republik Kongo etwa versteigert gerade neue Konzessionen; und so lange die USA Erdgas und Australien Kohle fördern, fehlt dem Norden jegliche Legitimität, dem bitterarmen Land Verzicht zu predigen. «Leave it in the ground» hat einen Preis und den kann nicht Afrika stemmen.

Gigantische Summen sind zudem nötig, damit die heutigen Exporteure auf ihre Haupteinnahmequelle verzichten können. Umso wichtiger wäre es, die verbleibenden Öleinnahmen für diese Transition zu verwenden, doch bisher haben Korruption, Veruntreuung und Misswirtschaft dazu geführt, dass ein grosser Teil davon verschwendet wurde. Hier steht die Schweiz in der Verantwortung, wie Anfang November einmal mehr ein Gerichtsurteil gezeigt hat: Glencore-Mitarbeiter flogen mit Koffern voll Bargeld kreuz und quer durch Afrika, um an Öl zum Schnäppchenpreis zu kommen. Es braucht eine Regulierung des Rohstoffhandels, um diese Mitverantwortung der Schweiz am Rohstoff-Fluch zu stoppen. Damit könnte Bundesbern Afrika sehr, sehr viel mehr Mittel zur Verfügung stellen als durch den Kauf von Emissionszertifikaten aus Reisfeldern.

Artikel

Ja zum Klimaschutz-Gesetz

15.02.2023, Klimagerechtigkeit

Am 18. Juni stimmt die Schweiz über den Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative ab. Das Gesetz ist ein dringend notwendiger Schritt für die Schweizer Klimapolitik und für den Schweizer Beitrag zur weltweiten Klimagerechtigkeit.

Delia Berner
Delia Berner

Expertin für internationale Klimapolitik

Ja zum Klimaschutz-Gesetz

Der Ducan-Gletscher im Kanton Graubünden am 11. September 2022.

Es gibt viele Gründe, weshalb die Schweiz aus ihrem Eigeninteresse heraus die Klimakrise bekämpfen sollte: Gletscher schmelzen immer schneller und verringern die Wasserreserven der Schweiz, Hitzeperioden führen zu mehr Todesfällen und extreme Regenfälle verkleinern die Ernte, um nur einige Beispiele der Auswirkungen zu nennen. Doch was die Klimaerwärmung bei uns bewirkt, gilt in Ländern des Globalen Südens oft noch viel mehr. Insbesondere wenn die finanziellen Kapazitäten durch Schuldenkrise und Steuerflucht deutlich geringer sind, können sich viele Regionen nur ungenügend an den Klimawandel anpassen und sind entsprechend verletzlicher für deren negative Auswirkungen.  

Die Schweiz gehört zu den grössten Klimasündern

Ein entscheidender Faktor trägt dabei wesentlich zur Ungerechtigkeit bei: Im Unterschied zur Schweiz tragen die ärmsten Länder des Globalen Südens keine Mitschuld an der Klimakrise, und dennoch leiden sie überdurchschnittlich darunter. Die Schweizer Mitverantwortung wird insbesondere deutlich, wenn die Schweizer Treibhausgasemissionen pro Kopf mit anderen Ländern verglichen werden. Dabei ist wichtig, die konsumbasierten Emissionen zu vergleichen, denn gerade die Schweiz ist durch den (Netto-)Import von Gütern und ihre überdurchschnittlich häufigen Flugreisen für mehr Treibhausgase verantwortlich als nur jene im Inland.

Gemäss dem Global Carbon Atlas war 2019 jede in der Schweiz wohnhafte Person durchschnittlich für den Ausstoss von 14 Tonnen CO2 verantwortlich; das sind nur drei Tonnen weniger als in den USA. Damit steht sie weltweit auf Platz 13, die USA befinden sich auf Platz 10. Unsere Nachbarländer stossen konsumbasiert allesamt weniger aus, Deutschland landet mit 10 Tonnen CO2 pro Kopf auf Platz 24 und Frankreich mit 6.5 Tonnen CO2 auf Platz 48. Sogar China, das mittlerweile absolut gesehen am meisten CO2 ausstösst, rutscht beim konsumbasierten Pro-Kopf-Vergleich auf Platz 44 mit 7 Tonnen CO2 – das ist gerade einmal die Hälfte der Schweiz. Nehmen wir als Beispiel aus dem Globalen Süden Pakistan, das letztes Jahr von verheerenden Überschwemmungen betroffen war, so landen wir bei 1 Tonne CO2 pro Kopf, in noch ärmeren Ländern wie Tansania oder Malawi gar bei 0.1 Tonnen CO2 pro Kopf im Jahr 2019.

Klimafinanzierung erhöhen und Konsumverhalten überdenken

Die Schweiz ist sowohl für Treibhausgase, die im Inland ausgestossen werden, wie auch für diejenigen, die sie für ihren Konsum im Ausland emittiert, verantwortlich. Für eine gerechte Bekämpfung der Klimakrise führt kein Weg an der raschen Reduktion der eigenen Inlandemissionen vorbei, da die Schweiz hier die rechtlichen, technischen und finanziellen Möglichkeiten dazu hat. Es liegt in unserer Verantwortung, unser eigenes Verhalten für eine klimafreundliche Zukunft und zur Vermeidung weiterer Klimaschäden in der ganzen Welt anzupassen. Die Verantwortung für Auslandemissionen muss unabhängig davon bzw. zusätzlich wahrgenommen werden. Dafür muss die Schweiz ihre Beiträge an die internationale Klimafinanzierung erhöhen und ihr Konsumverhalten überdenken.  

Das Klimaschutz-Gesetz, das am 18. Juni 2023 zur Volksabstimmung gelangt, führt die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Reduktion der Schweizer Treibhausgase bis Netto Null spätestens im Jahr 2050 ein. Das Gesetz ist ein dringend notwendiger Schritt für die Schweizer Klimapolitik und für den Schweizer Beitrag zur weltweiten Klimagerechtigkeit. Alliance Sud setzt sich darum für ein Ja an der Urne ein.

Klimagerechtigkeit

Globale Klima­gerechtigkeit

Die Schweiz trägt Verantwortung für die weltweite Klimakrise. Sie muss ihren Beitrag für globale Klimagerechtigkeit leisten. Denn in den ärmsten Ländern leiden die Menschen am meisten, haben aber am wenigsten zur Klimaerwärmung beigetragen.

Worum es geht >

© Ryan Brown / UN Women

Internationale Klimapolitik

Sundarbans National Park, West Bengal, India

Klimafinanzierung

dsleeter_2000

Kompensation im Ausland

© Verein Klimaschutz

Schweizer Klimapolitik

Worum es geht

Hitze, Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürme: Die Auswirkungen der Klimakrise werden für immer mehr Menschen im Globalen Süden lebensbedrohlich. Im Unterschied zur Schweiz tragen die ärmsten Länder keine Mitschuld an der Klimakrise, und dennoch leidet ihre Bevölkerung überdurchschnittlich darunter. Die Schweiz hat ihre bisherigen Klimaziele verfehlt und hat pro Kopf noch immer einen hohen Treibhausgasausstoss. Die Schweizer Verantwortung geht aber über das Inland hinaus – zwei Drittel ihres Fussabdruckes gehen auf importierte Güter zurück. Eine noch grössere Rolle spielen der Schweizer Finanz- und Rohstoffhandelsplatz.

Alliance Sud setzt sich dafür ein, dass die Schweiz ihre Verantwortung für den globalen Klimaschutz wahrnimmt. Die Schweiz muss bis 2040 klimaneutral werden, indem sie die Inlandbilanz ihrer Emissionen auf null bringt und für die Reduktion ihrer konsumbedingten Emissionen im Ausland sorgt. Als Verursacherstaat muss die Schweiz zudem ihren fairen Anteil an den Kosten des Globalen Südens zur Eindämmung der Emissionen, zur Anpassung an den Klimawandel und zur Kompensation von Schäden und Verlusten durch die Klimakrise leisten.

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