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Von der Polykrise zur Sinnkrise

09.12.2025, Internationale Zusammenarbeit

Während die Welt von vielfältigen Krisen betroffen ist, die dringend globaler Lösungen bedürfen, kürzen die meisten Staaten – allen voran die USA – ihre Budgets für die internationale Zusammenarbeit massiv. Damit stürzen sie den gesamten Sektor in eine existenzielle Krise. Analyse von Kristina Lanz und Laura Ebneter

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Laura Ebneter
Laura Ebneter

Expertin für internationale Zusammenarbeit

Von der Polykrise zur Sinnkrise

Hilfestopp trotz Krieg und Hunger: Geflüchtete aus dem umkämpften Osten der Demokratischen Republik Kongo stehen neben der letzten USAID-Essenslieferung in Burundi. © Keystone/AFP/Luis Tato

Die internationale Zusammenarbeit (IZA) hat – wenn auch nicht immer perfekt und oft von nationalen Eigeninteressen getrieben – sowohl auf multilateraler wie auch auf bilateraler Ebene viel erreicht. Mit der UNO wurde in der Nachkriegszeit eine Instanz geschaffen, in der alle Länder auf Augenhöhe miteinander diskutieren und Lösungen für gemeinsame Probleme entwickeln. Mit verschiedenen spezialisierten Agenturen widmet sich die UNO allen globalen Problemfeldern; mit internationalen Abkommen wie etwa dem Pariser Klimaabkommen oder den Zielen für nachhaltige Entwicklung wurden gemeinsame Rahmenwerke zur Bearbeitung dringlicher Probleme der Menschheit geschaffen.

Die bilaterale, zwischenstaatliche Entwicklungszusammenarbeit – entstanden im Kontext der Dekolonisierung und anfangs eng mit der Geopolitik des Kalten Krieges verknüpft – hat sich über die Jahre immer mehr gewandelt: weniger top-down, breiter aufgestellt und lokal verankert. Sie hat unter anderem zu substanziellen Verbesserungen in den Bereichen Gesundheit, Müttersterblichkeit oder Bildung beigetragen und dazu geführt, dass Themen wie Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit oder Demokratisierung weltweit breiter verankert wurden.

Natürlich zeigen sowohl die multilaterale wie auch die bilaterale Zusammenarbeit schon länger Krankheitssymptome (wie etwa die steigende Fragmentierung und Bürokratisierung). Sie haben sich auch nie ganz aus der Dominanz des Westens gelöst, sind aber dennoch Teil einer globalen Werteordnung, die auf Frieden, universellen Menschenrechten, internationaler Solidarität und globaler Gerechtigkeit basiert. Und genau diese Werte und damit auch die vielfältigen Errungenschaften der internationalen Zusammenarbeit sind nun gefährdet.

Die IZA in der Krise

Während sich die globale Polykrise zuspitzt, verschanzen sich immer mehr Länder hinter (sehr kurzfristigen) nationalen Eigeninteressen, rüsten auf und kürzen die Mittel der internationalen Zusammenarbeit massiv. Zudem werden die eigentlich für die Armutsreduktion vorgesehenen Mittel schon seit Jahren schleichend umverteilt. Dies zeigt sich auf vielfältige Art und Weise: 

  • Während die Mehrheit der OECD-Geberländer nach wie vor weit entfernt davon ist, gemäss UNO-Vorgabe 0,7% ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für die internationale Zusammenarbeit auszugeben, verlässt ein immer grösserer Teil der sogenannten «Entwicklungsgelder» nie das eigene Land. Die gemäss der Regelung des OECD-Entwicklungsausschusses (OECD-DAC) an die öffentliche Entwicklungshilfe (APD) anrechenbaren Ausgaben für die Unterkunft von Flüchtlingen im eigenen Land machen einen immer grösseren Teil der APD aus. Dieser stieg von 6,9% im Jahr 2021 auf 13,1% im Jahr 2024 an.
  • Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs kam es zu massiven Verschiebungen von Geldern weg von den ärmsten Ländern hin zur Ukraine. 2021 betrug ihr Anteil an der APD 0,5%, 2024 lag er bei 7,4%.
  • Immer mehr Mittel fliessen in verschiedene Privatsektorinstrumente (inklusive tied aid), die vor allem den Ländern mittleren Einkommens zugutekommen.

Im Kontext zunehmender rechtspopulistischer Strömungen, welche mit der zweiten Amtszeit von Donald Trump ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen, erscheint die aktuelle Krise als weit mehr als eine vorübergehende finanzielle Verschlechterung. Es handelt sich um einen Wendepunkt in Bezug auf die politischen Ziele, die werteorientierte Ausrichtung und die institutionellen Grundlagen der IZA. Der Grundsatz, dass reichere Länder ärmere Länder bei ihren Entwicklungsbestrebungen unterstützen sollen, wird fundamental in Frage gestellt. Die auf gemeinsame Werte, Armutsreduktion und Multilateralismus ausgerichtete internationale Zusammenarbeit weicht nach und nach einem auf wirtschaftliche sowie innen- und sicherheitspolitische Eigeninteressen basierten Paradigma.

Und wo steht der «Globale Süden»?

Genauso wie auch der «Westen» als Einheit immer mehr zur Fiktion wird, ist es der «Globale Süden» schon lange. China, das im UNO-System zum Teil immer noch als «Entwicklungsland» angesehen wird, ist selbst ein gewichtiger Akteur in der internationalen Zusammenarbeit. Dasselbe gilt für die Golfstaaten oder die Türkei; auch Länder wie Indien oder Brasilien sind sowohl Empfänger wie auch Geberländer. Die steigende Relevanz sogenannter nicht-traditioneller Geber zeigt sich auch in einer ganzen Reihe neuer multilateraler Gremien (wie etwa der Asiatischen Infrastruktur- und Investmentbank AIIB oder der Neuen Entwicklungsbank NDB), welche im Gegensatz zu vielen «traditionellen» Gremien wie etwa der Weltbank oder dem IWF nicht vom Westen dominiert sind.

 

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Die Weltmächte umgarnen Angola als Rohstofftransitland; den Ärmsten bringt das nichts.
© Tommy Trenchard/Panos Pictures

 

So ist es auch nicht erstaunlich, dass viele der ärmeren und ärmsten Länder, die unter dem Gewicht eines ungerechten, von westlichen Interessen dominierten globalen Finanz- und Wirtschaftssystems ächzen, sich immer mehr vom Westen abwenden und lieber mit anderen Geberländern, wie China oder Russland, zusammenarbeiten. Und während der Kollaps der internationalen Zusammenarbeit voraussichtlich Millionen von Todesopfern fordern wird, haben verschiedene afrikanische Staatschefs verlauten lassen, dass dieser Umbruch «längst überfällig» gewesen sei (Präsident Hichilema, Zambia) und als Signal gesehen werden müsse, sich stärker auf die eigenen Kräfte zu verlassen (Präsident Mahama, Ghana). Auch die Zivilgesellschaft im sogenannten Globalen Süden fordert nun immer lauter Reformen der internationalen Zusammenarbeit und gerechtere Rahmenbedingungen, die es den ärmeren Ländern erlauben würden, ihre Ressourcen für die eigene Entwicklung zu brauchen.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Expert:innen sind sich einig, dass mit der Zerschlagung von USAID ein neues Zeitalter der internationalen Zusammenarbeit begonnen hat. Nicht einig sind sie sich allerdings bei den propagierten Lösungsansätzen für die aktuelle Krise. Während die meisten europäischen Entwicklungsagenturen verstärkt der Maxime  «Mobilisierung des Privatsektors» folgen, werden in den globalen Netzwerken der Zivilgesellschaft weitaus grundlegendere strukturelle Reformen diskutiert.

 

Auch der immer lauter werdende Ruf nach Dekolonisierung und Lokalisierung der internationalen Zusammenarbeit muss endlich gehört werden.

 

Denn bei allen Erfolgen der internationalen Zusammenarbeit besteht durchaus Reformbedarf – bei der immer stärkeren Fragmentierung, der Bürokratisierung, aber auch bei der Lokalisierung und Dekolonisierung der IZA. Die aktuelle Krise der internationalen Zusammenarbeit sollte somit auch genutzt werden, um bestehende Strukturen zu überdenken und neu zu gestalten.

Während sich die Anzahl offizieller Entwicklungsakteure zwischen 2000 und 2020 mehr als verdoppelt hat (von etwa 212 auf 544), ist der finanzielle Umfang einzelner Transaktionen stark gesunken. Viele Empfängerländer sind heute mit über 150 verschiedenen Agenturen in Kontakt, von denen die meisten ihre jeweils eigenen administrativen Anforderungen stellen, anstatt sich an den Systemen der Empfängerländer zu orientieren. Hier braucht es dringend eine bessere Zusammenarbeit aller Akteure sowie die konsequente Ausrichtung aller Entwicklungsakteure an den Bedürfnissen und administrativen Systemen der Empfängerländer (country ownership).

Und auch der immer lauter werdende Ruf nach Dekolonisierung und Lokalisierung der internationalen Zusammenarbeit muss endlich gehört werden. Dies bedingt nicht nur dringend notwendige Reformen wichtiger multilateraler Gremien wie des IWF, der Weltbank, dem OECD-Entwicklungshilfeausschuss oder dem UNO-Sicherheitsrat, um die Stimme der «Entwicklungsländer» zu stärken, sondern auch Reformen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der Lokalisierung. Dazu müssen komplizierte bürokratische Anforderungen, die es lokalen Entwicklungsakteuren erschweren, an Gelder zu kommen und Projekte und Programme unkompliziert und effizient umzusetzen, abgebaut werden. Ebenso notwendig sind die gezielte Reflexion und der konsequente Abbau von Machtungleichheiten in Entscheid- und Umsetzungsstrukturen der einzelnen Akteure.

Gerechte Nord-Süd Beziehungen gestalten

Die Ausgaben für internationale Zusammenarbeit bilden ausserdem nur einen von vielen globalen Finanzflüssen. Gemäss der UN-Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD verliert Afrika jedes Jahr 89 Milliarden Dollar durch unlautere Finanzflüsse – dies ist zwei Mal mehr als die gesamte internationale Zusammenarbeit des Kontinents. Zentral sind dabei die Steuerflucht und der Rohstoffsektor. Für die ärmsten Länder hat dies drastische Auswirkungen, denn aufgrund dieses Mittelabflusses fehlt ihnen das Steuersubstrat, um Bildungs- und Gesundheitssysteme zu finanzieren. Gleichzeitig sind viele ärmere Länder hoch verschuldet. Gemäss UNCTAD geben aktuell 61 Entwicklungsländer gemäss Kategorisierung der UNO über 10% ihrer Staatseinnahmen für den Schuldendienst aus. In einigen Ländern sind es gar 30-40% und damit bei weitem mehr als diese Länder für Gesundheit und Bildung ausgeben.

Um weltweit Armut und Hunger zu reduzieren, braucht es somit weit mehr als nur die internationale Zusammenarbeit – es braucht auch eine gerechte Aussen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik, die sicherstellt, dass die reichen Länder nicht länger auf Kosten der armen Länder leben.

Die internationale Zusammenarbeit befindet sich im Umbruch – weltweit und auch in der Schweiz. Wichtige Institutionen gehen zwar tiefgreifenden strukturellen Reformen aus dem Weg und delegieren die Verantwortung lieber an den Privatsektor. Aber es gibt immer mehr Stimmen, die sich eine neue, wahrhaft wertebasierte internationale Zusammenarbeit auf Augenhöhe wünschen. Eine internationale Zusammenarbeit, die eingebettet ist in eine breitere, reformierte Aussen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Angesichts der immer akuter werdenden globalen Krisen und dem fortschreitenden politischen Rechtsrutsch, scheint es aktuell wichtiger denn je, dass sich eine nationale und global koordinierte Zivilgesellschaft formiert, die sich diesen Tendenzen mit einem klaren Bekenntnis zu Demokratie, Menschenrechten und internationaler Zusammenarbeit entschieden entgegenstellt.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.