Internationale Zusammenarbeit

Internationale Zusammen­arbeit

Alliance Sud setzt sich für eine wirksame und effiziente internationale Zusammenarbeit ein, die sich konsequent an den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung orientiert und die Zivilgesellschaft stärkt.

Worum es geht >

© Joe Saade / UN Women

Entwicklungs­zusammen­arbeit

© Delia Berner

Multilaterale Zusammenarbeit

Worum es geht

Alliance Sud setzt sich für eine internationale Zusammenarbeit ein, die sich am gesetzlichen Grundauftrag ausrichtet, namentlich «zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen» (Bundesverfassung, Art 54) beiträgt. Dies bedingt unter anderem einen konsequenten Fokus auf die ärmsten und am meisten gefährdeten Menschen dieser Welt.

Doch neue Aufgaben und Instrumente der Schweizer IZA − zum Beispiel die Klimafinanzierung oder die zunehmende Zusammenarbeit mit dem Privatsektor − führen dazu, dass der Fokus auf die ärmsten und am meisten benachteiligten Menschen gefährdet ist. Es muss sichergestellt werden, dass diese neuen Aufgaben der IZA ebenfalls dem gesetzlichen Grundauftrag entsprechen und sich in ihrem Kern an der Linderung von Not und Armut in der Welt orientieren.

Publikationstyp

Medienmitteilung

Bye bye «Doing Business Report»: historischer Sieg

16.09.2021, Internationale Zusammenarbeit

Schon lange verlangen verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, unter anderem Alliance Sud, die Abschaffung des umstrittenen «Doing Business Reports» der Weltbank. Nachdem 2020 bekannt wurde, dass in den Berichten der Jahre 2018 und 2020 Daten von China, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Aserbaidschan manipuliert wurden, sistierte die Weltbank den Bericht und kündigte eine externe Untersuchung an.

 

Kristina Lanz
Kristina Lanz

Expertin für internationale Zusammenarbeit

+41 31 390 93 40 kristina.lanz@alliancesud.ch
Bye bye «Doing Business Report»: historischer Sieg

Die externe Studie, die heute veröffentlicht wurde und sich wie ein diplomatischer Thriller liest, zeigt auf, wie das Weltbank-Management sich von China unter Druck setzen liess und Datenmanipulationen anordnete, die China in ein besseres Licht stellen sollten. Dem damaligen Manager des Doing Business Reports wird «psychologischer Terrorismus» vorgeworfen – im Team habe eine toxische Kultur der Angst geherrscht. Kurz nach der Veröffentlichung des Berichts kündigte die Weltbank heute in einer Medienmitteilung an, den Bericht per sofort abzusetzen.

«Dies kann als Sieg einer langen zivilgesellschaftlichen Kampagne gesehen werden, die schon seit Jahren und jüngst im Kontext der Datenmanipulationen die Absetzung des Doing Business Reports forderte», sagt Kristina Lanz, Fachverantwortliche Entwicklungspolitik von Alliance Sud. «Anstelle eines Berichts, welcher die Länder zu einem Wettbewerb der Deregulierung anregt, sollte die Weltbank die Chance nutzen, um einen neuen Bericht zu entwickeln, der die soziale und ökologische Nachhaltigkeit stärker in den Fokus rückt.»

 

Für weitere Informationen:
Kristina Lanz, Fachverantwortliche Entwicklungspolitik, Alliance Sud, Tel. +41 76 295 47 46, E-Mail: kristina.lanz@alliancesud.ch

Medienmitteilung

Andreas Missbach wird neuer Geschäftsleiter

29.09.2021, Internationale Zusammenarbeit

Der Vorstand von Alliance Sud hat Andreas Missbach zum neuen Geschäftsleiter gewählt. Er löst Mark Herkenrath ab, welcher Alliance Sud Ende Juli verlassen hat. Andreas Missbach tritt das Amt am 1. Januar 2022 an.

Andreas Missbach wird neuer Geschäftsleiter

Andreas Missbach

«Wir freuen uns, eine profilierte Persönlichkeit für die anspruchsvolle Aufgabe gewonnen zu haben», sagt Bernd Nilles, Präsident von Alliance Sud und Geschäftsleiter Fastenopfer. «Andreas Missbach ist die ideale Besetzung. Mit seinem vielseitigen Erfahrungshintergrund, seinem breiten Netzwerk und seiner strategischen Denkweise wird Alliance Sud in ihrem Einsatz für gerechte Nord-Süd-Beziehungen und eine solidarische Schweiz gestärkt. Politik und Verwaltung erhalten mit Andreas Missbach einen kompetenten Ansprechpartner.»

Andreas Missbach (Jahrgang 1966) ist Historiker, hat eine Dissertation über die Klimapolitik der Vereinten Nationen verfasst und war von 2001 bis 2021 bei der Erklärung von Bern (EvB) bzw. Public Eye in verschiedenen Fachbereichen tätig, zuletzt als Teil der Geschäftsleitung und Leiter der Abteilung Rohstoff – Handel – Finanzen.

«Ich freue mich sehr, mit Alliance Sud für globale Gerechtigkeit zu arbeiten und die Stimme des globalen Südens und der Entwicklungsorganisationen in der Schweizer Politik zu stärken», sagt Andreas Missbach. «Dies ist notwendiger denn je: Ob Klimakrise oder Coronakrise, es trifft die ärmsten Bevölkerungsgruppen am stärksten.»

Alliance Sud ist die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft von Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks. Sie wird mitunterstützt durch die Partnerorganisationen Solidar Suisse, Terre des hommes Schweiz/Suisse und das Schweizerische Rote Kreuz. Seit 50 Jahren setzt sich Alliance Sud für eine gerechtere Welt und eine solidarische Schweiz ein.

 

Für weitere Informationen:

Bernd Nilles, Präsident Alliance Sud und Geschäftsleiter Fastenopfer, nilles@fastenaktion.ch

Meinung

Ein neues «Afrika»

01.10.2021, Internationale Zusammenarbeit

Die Menschheit ist abgestumpft von den unzähligen weltumspannenden Notlagen, die durch einen allgemeinen Mangel an Leadership sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor noch verschärft werden. Kommt der Weckruf aus «Afrika»?

Ein neues «Afrika»

Die Co-Präsidentin des Club of Rome und Mitgründerin von Reimagine SA, Mamphela Ramphele, skizziert in diesem Text, wie Afrika (und die Welt) in 50 Jahren aussehen könnte.
© Mamphela Ramphele

Wissenschaftliche Kenntnisse vermögen der Gesellschaft nicht zu einem neuen Menschsein zu verhelfen. Eine solche Transformation erfordert viel Selbstreflexion: Sie bedingt die Bereitschaft, uns von unserem extraktiven Wertesystem abzuwenden und mit der Natur neu zu lernen, dass wir Teil eines eng verknüpften und wechselseitig funktionierenden Lebensnetzes sind. Indigene Kulturen auf der ganzen Welt lehren uns, dass wir unsere Wurzeln wiederentdecken und im Rhythmus der Weisheit der Natur leben müssen. Die Rückkehr zum Ursprung würde es der Menschheit ermöglichen, mit einer neuen menschlichen Zivilisation aus diesen Notlagen heraus zu treten – einer Zivilisation, die mit der Natur im Einklang steht.

Junge Menschen auf der ganzen Welt sind heute bereit, angesichts des Versagens der älteren Generation und führenden Eliten eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Weltweite Bewegungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion, Rainbow Warriors und Avaaz haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Zukunft zu gestalten, die sie sich herbeisehnen.

Auch in Afrika nutzen junge Menschen die Chance, sich die Weisheit ihrer Vorfahren zu eigen zu machen. Die Weisheit Afrikas liegt in der Fülle des Kontinents – es ist genug für alle da, wenn wir es nur gerecht aufteilen. Das Ubuntu-Wertesystem beruht darauf, dass alle am Wohlstand teilhaben, der durch gemeinschaftliche Arbeit erwirtschaftet wurde. Ubuntu kennt keine Trittbrettfahrer.

Die meisten der über 600 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner im Alter von 15 bis 49 Jahren entwickeln innovative Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen, mit denen sie – in den unterschiedlichsten Kontexten – konfrontiert sind. Sie schaffen aus der knappen Verfügbarkeit alter Technologien in den Bereichen Telekommunikation und Finanzdienstleistungen eine Fülle an Möglichkeiten. Mobiltelefone und Online-Finanzdienste nutzen den jährlichen Fluss an Auslandüberweisungen (schätzungsweise 44 Mrd. USD), um günstigere und zuverlässigere Verbindungen zwischen der Diaspora und der Heimat herzustellen.

Langsam aber sicher löst sich Afrika auch von den kolonial geprägten Bildungsmodellen, die seine junge Bevölkerung in das Korsett von Bildungssystemen gezwängt und sie von ihrem reichen kulturellen Erbe entfremdet haben. Die kolonialen Bildungsmodelle haben die Afrikanerinnen und Afrikaner über Generationen hinweg geistig versklavt und vielen das Bild der Vorherrschaft der Weissen und der Unterlegenheit der Schwarzen eingebrannt. Diese geistige Versklavung untergräbt weiterhin Afrikas Fähigkeit, seinen Reichtum zu nutzen, um gemeinsamen Wohlstand zu schaffen.

Wir erleben, wie neue Bildungsmodelle – wie die seit siebzehn Jahre bestehenden Leap Math and Science Schools in Südafrika – entstehen, die jungen Menschen helfen, sich von dieser geistigen Sklaverei zu befreien und die Weisheit von Ubuntu zu verinnerlichen. Die heilende Wirkung von Verbundenheit und Reziprozität führt zu mehr Selbstvertrauen und wiedergewonnener Würde und Selbstachtung. Die Modelle haben in den ärmsten Elendsvierteln Südafrikas, in denen sie ihren Ursprung haben, spektakuläre Wirkung entfaltet. Leap-Absolventen übernehmen in ihren von Hoffnungslosigkeit geprägten Gemeinschaften Führungsrollen als Lehrer, Ingenieurinnen, Vertreter der Zivilgesellschaft, politische Akteure und in vielen anderen Berufen. Diese Erfolgsgeschichten stehen in Kontrast zur Armut, die die Welt in Afrika sieht. Die junge Generation erkennt den Reichtum Afrikas, ja sie ist dieser Reichtum.   

Afrika als grösster Kontinent (Landmasse so gross wie Europa, China und die USA zusammen) mit den meisten Ressourcen (60% Ackerland, 90% Mineralienvorkommen, Sonne und Regen im Überfluss; dazu der grösste Anteil junger Menschen mit 1,4 Mrd.) braucht ein neues Entwicklungsmodell. Ein solches Modell muss basierend auf der Ubuntu-Philosophie entstehen, deren reichhaltige Ressourcen es durch kollektives Handeln zu nutzen gilt, wodurch das Talent und die Kreativität der jungen Bevölkerung gefördert werden.

Die Welt wird von einem Afrika profitieren, das ein nachhaltigeres, regeneratives sozioökonomisches Entwicklungsmodell verfolgt. Dieses Afrika wäre in der Lage, seinen Reichtum auf gerechtere Weise zu verteilen. Afrikas junge Menschen, die sich von der geistigen Sklaverei befreit haben und als innovative, tatkräftige WeltbürgerInnen auftreten, würden die entscheidenden Fähigkeiten und die Kreativität bereitstellen, die dem Rest der alternden Weltgemeinschaft fehlt. Die Welt muss gemeinsam mit Afrika in eine beschleunigte regenerative sozioökonomische Entwicklung investieren, die Afrikas Landfläche für die Ernährungssicherheit nutzt. Die Nutzung von Afrikas indigenem Wissen über biologische Landwirtschaft und seine reichhaltigen marinen Nahrungssysteme könnte eine sichere und gesunde Ernährung für alle gewährleisten.

Afrikas Mineralien, die die Weltwirtschaft ankurbeln, einschliesslich der neu entdeckten Seltenen Erden, die für die Elektronikindustrie unverzichtbar sind, müssen auf nachhaltige Weise abgebaut werden. Die derzeitigen Bergbaupraktiken schädigen nicht nur die afrikanischen Landschaften, sondern untergraben auch das Wohlergehen der Menschen in Afrika. Eine nachhaltige Nutzung des Reichtums an Bodenschätzen für die gesamte Weltgemeinschaft erfordert einen radikalen Wandel von extraktiven hin zu regenerativen Ansätzen.

Die Welt muss die Covid-Pandemie und die existenzielle Klimakrise als Chance nutzen, um neu zu lernen, wie wir als globale Gemeinschaft zusammenarbeiten können. Dies würde sicherstellen, dass wir von degenerativen zu regenerativen Ansätzen übergehen, die nachhaltiges Wohlergehen für alle fördern. Exzessiver Konsum muss klügeren Entscheidungsmechanismen weichen, damit wir mit den Ressourcen unseres Planeten auskommen. Dies bedeutet unter anderem, dass wir uns die Weisheit der Natur zu eigen machen, wonach es kein Ich ohne Wir geben kann. Die Menschen sind untrennbar miteinander verbunden und voneinander abhängig.

Meine Vision von Afrika in 50 Jahren ist die eines Kontinents, der sein Erbe als Wiege der Menschheit und der ersten menschlichen Zivilisation zurückerobert hat und sich die Intelligenz der Natur so zu eigen macht, dass jeder sein Bestes zum Wohlergehen aller im gesamten Ökosystem beiträgt. Afrika wird dann der Welt ein Modell dafür bieten, wie das ganzheitliche Menschsein neu erlernt werden kann.

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Meinung

50 Jahre Alliance Sud

05.10.2021, Internationale Zusammenarbeit

Seit 50 Jahren steht Alliance Sud im Einsatz für eine solidarische Schweiz. Unser Präsident Bernd Nilles blickt zurück – und in die Zukunft.

50 Jahre Alliance Sud

Bernd Nilles, Präsident Alliance Sud und Geschäftsleiter Fastenopfer
© Fastenopfer

50 Jahre Alliance Sud, 60 Jahre DEZA, 60 Jahre Fastenopfer, 75 Jahre HEKS: Vor einigen Jahrzehnten herrschte eine Aufbruchstimmung hin zu globaler Verantwortung. Gibt es heute Grund zum Feiern oder eher nicht im Lichte der vielen ungelösten Probleme auf dieser Welt? Ständig kommen neue Herausforderungen und Krisen hinzu – die Klimakrise zudem mit enormem Zeitdruck.

Als unsere Gründungsväter und Gründungsmütter im August des Jahres 1971 – kurz nach Einführung des Frauenstimmrechts – die Arbeitsgemeinschaft «Swissaid / Fastenopfer / Brot für Brüder / Helvetas» gründeten, war ihnen vermutlich nicht bewusst, dass die Reise fünf Jahrzehnte überdauern würde. Zunächst stand die Information der Schweizer Bevölkerung über die Situation in Entwicklungsländern und globale Zusammenhänge im Fokus; erst später, in den 1980er Jahren, kam die entwicklungspolitische Arbeit hinzu. Weitsichtig war die frühe Einsicht, dass nur durch Veränderungen in Nord und Süd ein langfristiger Wandel möglich ist, und es ist eine historische Errungenschaft von Alliance Sud, dass sie Schweizer Hilfswerke mit einer koordinierten und glaubwürdigen entwicklungspolitischen Stimme vereint hat.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen bedanken, die diese Geschichte mitgestaltet und möglich gemacht haben. Alliance Sud hat in diesen 50 Jahren eine Reihe Veränderungen in der Politik angestossen; sie hat dazu beigetragen, dass die Entwicklungszusammenarbeit ausgebaut und weiterentwickelt wurde, und ist stets eingetreten für eine solidarische Schweiz.

Auch Alliance Sud ist bereit, sich weiterzuentwickeln. 2021 haben wir dies in Angriff genommen, entsprechend werden wir uns in Zukunft noch stärker auf die Anwaltschaftsarbeit konzentrieren und hier Wirkung entfalten. Dies scheint geboten angesichts der weiterhin bestehenden globalen Herausforderungen und Ungerechtigkeiten, besonders dort, wo Schweizer Politik eine Mitverantwortung trägt. Darüber hinaus sind Macht und Einfluss der Wirtschaft weiterhin unverhältnismässig gross und führen nicht selten zu politischen Entscheiden zu Ungunsten von Mensch und Umwelt. In diesem Zusammenhang muss die Frage erlaubt sein, warum BundesrätInnen aktuell nach mehr politischem Engagement der Wirtschaft rufen, während zugleich versucht wird, den Spielraum der Zivilgesellschaft einzuschränken. Sollte es nicht ein Anliegen von Bundesrat und Parlament sein, dass sich in der Schweiz alle politisch einbringen können und dürfen?

Was gut für die Wirtschaft ist, ist nicht automatisch gut für die Schweiz und die Welt. Für gute und nachhaltige politische Entscheide braucht es auch die Stimmen der BürgerInnen und der Zivilgesellschaft – darauf haben wir in den letzten 50 Jahren immer wieder hingewiesen. Mit fachlicher Expertise, Dialog und Debatte wollen wir uns auch in Zukunft aktiv einbringen und für globale Gerechtigkeit einstehen.

Meinung

Kommunikation im Wandel: vom Mittel zum Programm

06.10.2021, Internationale Zusammenarbeit

Die anstehenden Herausforderungen verlangen ein radikales Umdenken in globalem Ausmass. Gefordert sind auch die Entwicklungsorganisationen: nicht nur im Programm, sondern auch in ihrer Unternehmenskommunikation. Von Jörg Arnold, Fairpicture.

Kommunikation im Wandel: vom Mittel zum Programm

Die ehemalige First-Lady Melania Trump in Kenia: Immer wieder stellen sich Prominente für gute Zwecke (und Bilder) zur Verfügung, auch in der Schweiz. Dadurch wird ein paternalistisches Entwicklungsverständnis zementiert.
© Saul Loeb/AFP

von Jörg Arnold

«Die Welt hat sich verändert und mit ihr die Kommunikation. Sie ist nicht mehr so wie noch vor 30 Jahren. Wir müssen lernen, die internationale Zusammenarbeit von heute zu kommunizieren. Mit der Agenda 2030 sprechen wir nun international eine gemeinsame Sprache», hielt DEZA-Direktorin Patricia Danzi aus Anlass des 60jährigen Bestehens der DEZA fest. Die anonymen Bilder ausgemergelter Kinder sind aus den Mailings und von den Websites der Hilfsorganisationen in den letzten Jahren grösstenteils verschwunden. Doch hat sich damit auch die Art und Weise verändert, wie westliche Entwicklungsorganisationen über den globalen Süden reden?

In der Schweiz engagieren sich mehr als hundert von der ZEWO anerkannte Spendenorganisationen dafür, die Welt zu einem für alle Menschen lebenswerteren Ort zu machen. Dutzende weitere, nicht zertifizierte Vereine kommen hinzu. Sie alle wollen Not lindern und eine nachhaltige Basis für die Überwindung von Armut, Hunger und Ungerechtigkeit schaffen. Sie sind geübt darin, die Inhalte ihrer Arbeit zu kommunizieren und ihren SpenderInnen näherzubringen. Sie versuchen das Verständnis für die Situation von Menschen in Not zu fördern, die Verpflichtung zu konkreter Hilfe zu stärken und ihrem eigenen Wirken damit Nachdruck zu verleihen.

Mit ihrer Kommunikation beeinflussen sie die öffentliche Meinung über die Gesellschaften im globalen Süden wesentlich. Reichweitenstarke Spendenkampagnen vermitteln Emotionen, die SpenderInnen für eine Spende überzeugen. Ob als regelmässige Berichte im kleinen Kreis oder als ausgeklügelte Direktmarketing-Aktionen: Sie prägen die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit, Armut, Not und Gewalt auf dem afrikanischen Kontinent, in Lateinamerika und in Asien mit dringlichen Bildern.

Lackmustest für Entwicklungsorganisationen

Die Kommunikationsarbeit von Entwicklungsorganisationen ist anspruchsvoll. Sie muss die eigene Arbeit gegenüber Politik und Öffentlichkeit immer wieder neu legitimieren, dabei Spenden sammeln und als wesentlichen Teil des zivilgesellschaftlichen Auftrags zusätzlich auch Sensibilisierungsarbeit leisten. Um allen diesen Ansprüchen gerecht zu werden, haben die Organisationen in den vergangenen Jahren deshalb viel in ihre Kommunikationskonzepte investiert. Ganz besonders gefordert sind sie jedoch in ihrem Narrativ über den globalen Süden. Hier haben sie den eigentlichen Lackmustest für ihre Glaubwürdigkeit zu bestehen.

Die Kritik, mit der sich Entwicklungsorganisationen im Westen konfrontiert sehen, ist vielfältig. Da sind zum Beispiel die AktivistInnen von nowhitesaviors.org aus Uganda, die medienwirksam angetreten sind, um die in ihren Augen diskriminierende Repräsentation von Menschen aus dem afrikanischen Kontinent in der Kommunikation von NGOs anzuprangern. Nach einem massiven Shitstorm hat die britische Comic Relief ihre ertragreiche Fundraisingkampagne mit Prominenten, die auf «Projektbesuch in Afrika» um Spenden bitten, eingestellt. Die AutorInnen von peacedirect reden in der im Mai 2021 publizierten Studie Time to Decolonise Aid Klartext: «Viele der heutigen Praktiken und Einstellungen im Hilfesystem spiegeln die Kolonialzeit wider und leiten sich von ihr ab, was die meisten Organisationen und Geber im globalen Norden noch immer nur widerwillig anerkennen. Bestimmte moderne Praktiken und Normen verstärken koloniale Dynamiken und Überzeugungen, wie zum Beispiel die Ideologie des ‘White Saviour’, die in der von INGOs verwendeten Spenden- und Kommunikationssymbolik sichtbar wird.»

Stereotypen unterminieren die Entwicklungszusammenarbeit

Eine in kolonialen Mustern denkende, stereotype Kommunikation − das ist ein schwerwiegender Vorwurf an die Praxis von Entwicklungsorganisationen. Er befragt nicht nur die ethische Grundhaltung der Organisationen kritisch, er konstatiert gleichzeitig einen Widerspruch zum zivilgesellschaftlichen Ziel, ungleiche Machtverhältnisse beseitigen zu wollen. Mit dem am 10. September 2020 in Bern verabschiedeten Manifest für eine verantwortungsvolle Kommunikation der internationalen Zusammenarbeit setzten die Träger- und Partnerorganisationen von Alliance Sud diesbezüglich ein verpflichtendes Zeichen. Selbstkritisch merken die AutorInnen in der Einleitung zum Manifest an: «Menschen des globalen Südens werden häufig als Objekte und Empfängerinnen und Empfänger von Hilfe oder Unterstützung dargestellt, Entwicklungsorganisationen und ihre Mitarbeitenden dagegen als handelnde Subjekte und Experten. (...) Dabei werden oftmals Stereotype reproduziert. Paternalistische Entwicklungsbilder vermitteln, dass die entwickelten Länder den unterentwickelten Ländern zeigen, wie man es richtig macht.»

Die Fixierung ganzer Kontinente und ihrer Menschen in Bildern von Armut und Abhängigkeit ist diskriminierend. Menschen dabei in der Rolle dankbarer HilfeempfängerInnen gefangen zu halten, ist entwürdigend. Es ist längst an der Zeit, dass die Entwicklungsorganisationen einen über viele Jahre sorgfältig gepflegten und durchaus erfolgreichen Fundraising-Topos über Bord werfen. Dass der Kommunikation in unserer globalen Gesellschaft eine immer grössere Bedeutung zukommt, verlangt auch von Entwicklungsorganisationen ein verstärktes Nachdenken darüber, was die eigene Kommunikation bewirkt und was sie zum Entstehen globaler Gerechtigkeit beitragen kann.

Kommunikation ist Programm

Klimakrise, Migration, Humanitäre Hilfe: Die Kommunikation von Entwicklungsorganisationen in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ist mehr als Unternehmenskommunikation und Fundraising. Mit ihren Narrativen gestaltet sie gesellschaftlichen Wandel aktiv mit und prägt wirkmächtige Denkweisen. Entwicklungsorganisationen sind dafür verantwortlich, dass ihre Kommunikation den Lebensrealitäten, -ansichten und -zielen der portraitierten Menschen entspricht. Nicht nur die operativen Organisationseinheiten, sondern auch die Kommunikationsabteilungen tun deshalb gut daran, sich in einen Theory of Change-Prozess zu begeben, in dem sie aus einer selbstreflektierten Situationsanalyse eine wirkungsorientierte Handlungslogik für ihre Arbeit entwickeln. Sie ist nötig, um die von der Gesamtorganisation angestrebte Wirkung zu erreichen. Um der Komplexität der Problemfelder − von den Dargestellten bis hin zu den EmpfängerInnen der Kommunikation − gerecht zu werden, müssen in diese Prozesse lokale AkteurInnen mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen, Expertisen und Rechten einbezogen werden. Die Zeit ist vorbei, in der es sich Entwicklungsorganisationen erlauben konnten, über die Köpfe der Menschen hinweg zu kommunizieren, die im Zentrum ihres zivilgesellschaftlichen Engagements stehen.

 

Der Autor, Jörg Arnold, ist Soziologe und war von 2002 bis 2018 Leiter Marketing und Fundraising bei Caritas Schweiz. Er ist Co-Founder von Fairpicture (fairpicture.org).

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Die Alliance Sud-Zeitschrift zu Nord/Süd-Fragen analysiert und kommentiert die Schweizer Aussen- und Entwicklungspolitik. «global» erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden.

Meinung

Die «Schulden» der Schweiz in Mosambik

06.12.2021, Internationale Zusammenarbeit

Der von der Credit Suisse begünstigte Kreditskandal in Mosambik hat der Bevölkerung deutlich vor Augen geführt, wie widersprüchlich die Rolle der Schweiz bei der Verringerung von Armut und Ungleichheit ist.

Die «Schulden» der Schweiz in Mosambik

Eine Frau verkauft Trockenfisch am «Mercado central» in Maputo. Der Kreditskandal in Mosambik führte unter anderem zur Anschaffung einer mittlerweile maroden Thunfisch-Fangflotte. Ein Gericht in Maputo führt derzeit einen Prozess gegen 19 Angeklagte. Auch in der Schweiz hat die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren eröffnet.
© Alfredo D'Amato / Panos Pictures

Süd-Perspektive von Faizal Ibramugy, Journalist in Nampula, im Norden Mosambiks, und Medienunternehmer.

Die Schweiz arbeitet seit 1979 mit Mosambik zusammen, und seit 2012 − dasselbe Jahr, in dem die Verhandlungen über die Darlehen der sogenannten «versteckten Schulden» («dívidas ocultas») stattfanden − fokussiert sich die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit auf drei Schwerpunktbereiche: neben der wirtschaftlichen Entwicklung und der Gesundheit auch die Gouvernanz. Ein an natürlichen Ressourcen reiches Land wie Mosambik kann sich nur durch gute Regierungsführung und verantwortungsvolle Investitionen weiterentwickeln. Deshalb ist die Schweizer Unterstützung in diesem Bereich willkommen. Der Skandal rund um die «versteckten Schulden» untergräbt nun jedoch alle ihre Bemühungen.

Uns MosambikanerInnen wurde jahrelang beigebracht, wie man regiert, wie man die öffentlichen Gelder verwaltet, wie man illegale und korrupte Praktiken vermeidet, die dem Staat schaden könnten, und wie man transparent handelt. Es ist diese gute Regierungsführung, die die SchweizerInnen den MosambikanerInnen durch ihre verschiedenen Interventionen zugunsten der Entwicklung des Landes vermittelt haben.
Wir MosambikanerInnen hätten nie im Leben gedacht, dass WirtschaftsvertreterInnen eines Landes, das sie lehrt, wie wirtschaftliche Ressourcen nachhaltig verwaltet werden sollten, es unserer korrupten Regierung gleichtun würden. Die Beteiligten haben dabei den Staat um mehr als eine Milliarde Dollar betrogen, selbst nachdem Machbarkeitsstudien gezeigt hatten, dass die vereinbarten Darlehen nicht tragfähig waren.

Das Sprichwort «Tu, was ich dir sage, aber nicht, was ich selber tue» passt hier perfekt: Den MosambikanerInnen wurde beigebracht, nicht korrupt zu sein, aber Schweizer Angestellte der Credit Suisse haben deutlich gezeigt, dass ihnen Korruption mehr wert ist als die Transparenz, die in fast allen Projekten und Programmen, die mit Schweizer Geldern finanziert werden, proklamiert wird.

Schuldenerlass genügt nicht

Jetzt, da die Credit Suisse mit einer Strafzahlung in der Höhe von 475 Millionen Dollar an die USA und das Vereinigte Königreich und einem Schuldenerlass gegenüber Mosambik im Umfang von 200 Millionen Dollar einen Teil der Schuld auf sich nehmen muss, hofft die Mehrheit der MosambikanerInnen, dies sei eine Gelegenheit, um vor Gericht einen vollständigen Schuldenerlass zu verlangen.

Meiner Meinung nach würde dies allerdings längst nicht ausreichen. Daneben müsste die offizielle Schweiz − die das Bestreben Mosambiks für eine dezentrale, gerechte und transparente Verwaltung der Ressourcen durch die staatlichen Institutionen unterstützt – einräumen, dass ihre Bemühungen in mehr als 40 Jahren keine Wirkung erzielt haben. Trotz grosser Anstrengungen ist es Mosambik nicht gelungen, sich dieses Wissen anzueignen, ebenso wenig wie die Bankangestellten der Credit Suisse in der Lage waren, einen Kredit in völliger Transparenz zu vergeben.

Ein neues ABC der Regierungsführung

Heute sind die MosambikanerInnen mit einer Schuld konfrontiert, die mit betrügerischen Mitteln in einer kriminellen Vereinigung zwischen Bankern und Machthabern genehmigt wurde. Mosambik steht vor einem noch nie dagewesenen Desaster, dessen zufriedenstellende Bewältigung nicht nur Vergebung, sondern auch eine Neudefinition der Strategie zur Förderung der guten Regierungsführung erfordert.
Wenn dieser Finanzskandal, der Mosambik erschüttert hat, aufzeigt, was das Land in diesen Jahrzehnten von der Schweiz über gute Regierungsführung und die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten gelernt hat, kann ich nur sagen: Es ist nichts wert. Dringend notwendig ist ein neues ABC der Regierungsführung, der Transparenz und der Integrität, das den MosambikanerInnen vermittelt, dass sie selbst an der Spitze der Regierung stehen. Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Mosambik, die auf einem guten Fundament aufbaute, verkommt sonst durch die «versteckten Schulden» zu einer grossen Schande.

Medienmitteilung

Neue Mitglieder verstärken Alliance Sud

24.01.2022, Internationale Zusammenarbeit

Mit neuen Mitgliedern, einem neuen Geschäftsleiter und einem neuen Präsidium bricht in der 50-jährigen Geschichte von Alliance Sud eine neue Ära an. Angesichts wachsender Ungleichheit und einer Zivilgesellschaft, die weltweit immer mehr unter Druck kommt, ist eine starke entwicklungspolitische Stimme in der Schweiz wichtiger denn je.

Neue Mitglieder verstärken Alliance Sud

«Es freut uns sehr, dass mit Solidar Suisse und Terre des hommes zwei neue Mitglieder unsere gemeinsame entwicklungspolitische Arbeit mit voller Kraft mittragen werden», sagt Markus Allemann, Präsident von Alliance Sud und Geschäftsleiter von Swissaid. «Damit intensivieren wir die Koordination zwischen den wichtigsten entwicklungspolitischen Organisationen und verstärken die Stimme des globalen Südens in der Schweizer Politik».

Mit der anfangs Jahr vollzogenen Fusion von Heks und Brot für alle sind nun Swissaid, Fastenaktion, Helvetas, Caritas, Heks, Solidar Suisse und Terre des hommes die Mitgliedsorganisationen von Alliance Sud. Das Schweizerische Rote Kreuz ist zudem ein assoziiertes Mitglied des Vereins mit Sitz in Bern.

Auch der neue Geschäftsleiter, Andreas Missbach, wird neue Akzente setzen und mit seiner langjährigen Erfahrung die Entwicklung der Organisation vorantreiben: «Alliance Sud ist viel mehr als eine Lobby-Organisation oder eine Interessengruppe: Wir sind ein Kompetenzzentrum für Fragen der internationalen Zusammenarbeit und setzen uns dafür ein, dass die Schweiz weltverträglich wird. Ohne eine Wirtschaft, die die Ökosysteme respektiert und das Klimasystem schont, gibt es keine Welt, in der wir leben können; ohne globale Gerechtigkeit gibt es keine Welt, in der wir leben wollen».

Alliance Sud vertritt ihre Mitgliedsorganisationen im Parlament und gegenüber der Bundesverwaltung. MedienvertreterInnen finden bei Alliance Sud kompetente Fachleute, die fundiert und differenziert über Themen wie nachhaltige Entwicklung, internationale Steuer- und Finanzpolitik, Handels- und Klimapolitik sowie Unternehmensverantwortung Auskunft geben können. Mit dem Magazin «global» liefert Alliance Sud Hintergrundinformationen und Analysen über die schweizerische Aussen- und Entwicklungspolitik.


Für weitere Informationen:
Markus Allemann, Präsident Alliance Sud und Geschäftsleiter Swissaid,
Tel. +41 79 833 15 69
Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Tel. +41 31 390 93 30

Medienmitteilung

Aussenwirtschaftsbericht blendet vieles aus

26.01.2022, Internationale Zusammenarbeit

Der Bundesrat hat heute seinen Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2021 veröffentlicht. Die dramatischen Auswirkungen der Covid-Pandemie auf Entwicklungs- und Schwellenländer nehmen darin viel Platz ein. Zu den verpassten Chancen, durch innovative Finanzmittel und gelockerte Patentregeln die ärmsten Menschen zu unterstützen, schweigt er. Die Schweiz muss jetzt endlich mehr tun.

Aussenwirtschaftsbericht blendet vieles aus

© Parlamentsdienste, 3003 Bern

Der Bericht erwähnt die zentrale Bedeutung der öffentlichen Gelder in der internationalen Zusammenarbeit (IZA). Obwohl diese global um 3,5% zugenommen haben, reicht das bei weitem nicht aus, um nur schon den pandemiebedingten Rückgang der Überweisungen von ArbeitsmigrantInnen in ihre Herkunftsländer zu kompensieren. Die Schweizer IZA liegt mit 0.48% des Bruttonationaleinkommens weit vom international vereinbarten 0.7%-Ziel entfernt.

Der Bundesrat unterschlägt eine einfache Möglichkeit, den Entwicklungs- und Schwellenländern finanziell unter die Arme zu greifen, vollständig: Im August 2021 hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seinen Mitgliedern neu geschaffene Sonderziehungsrechte (SZR) im Umfang von insgesamt 650 Mrd. US-Dollar zugeteilt. Damit können innerhalb bestimmter Grenzen andere Währungen gekauft werden, die ärmsten Länder erhielten aber nur einen verschwindend kleinen Teil davon. «Die Schweiz braucht nie und nimmer zusätzliche Reserven, sie sollte also die erhaltenen 5,5 Mrd. Dollar ärmeren Ländern zur Verfügung stellen», fordert Andreas Missbach, Geschäftsleiter von Alliance Sud.

Mehr Schulden-Transparenz

Die Schweiz beherbergt den siebtgrössten Finanzplatz der Welt und ist die wichtigste Drehscheibe im globalen Rohstoffhandel. Sowohl Schweizer Banken wie Rohstoffhändler sind für Entwicklungsländer zentrale private Gläubiger. Der Bundesrat stellt zurecht fest, dass sich die Schuldenkrise im globalen Süden auf Grund der anhaltenden Corona-Krise und der erwarteten Zinswende in den USA weiter verschärft. Er hat sich aber im letzten Jahr nicht darum bemüht, Schweizer Banken und Rohstoffhändler zu mehr Transparenz in ihren Kreditbeziehungen mit Staaten des Südens zu bewegen. Ein schwerwiegendes Versäumnis, sagt Missbach: «Ohne die Beteiligung der privaten Gläubiger wird sich die Schuldenkrise im globalen Süden nicht entschärfen lassen und Transparenz ist dabei eine Voraussetzung, um Lösungen zu finden. Hier muss die Schweiz dringend nachholen.»

Patentschutz lockern

Zurecht schreibt der Bundesrat, dass ein schneller Fortschritt bei den Impfkampagnen der Entwicklungs- und Schwellenländer für die globale Gesundheit und die weltweite wirtschaftliche Erholung entscheidend sei; de facto torpediert er aber wichtige Bemühungen, um den Zugang zu Impfstoffen auch im globalen Süden zu vereinfachen.

Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die sich in der Welthandelsorganisation (WTO) gegen die vorübergehende Aufhebung des Schutzes des geistigen Eigentums auf Impfstoffe, Tests und Behandlungen gegen Covid-19 aussprechen. «Die Schweiz muss endlich aufhören, diese Verhandlungen zu blockieren, zumal sie ab Juli den Vorsitz im Generalrat führen wird, einem Gremium, das die Macht hat, Entscheidungen zu treffen, ohne auf eine hypothetische Ministerkonferenz zu warten, die wegen der Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben werden könnte», sagt Missbach.

Menschenrechte und Klimafinanzierung stärken

Auch der zahnlose indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative ist eine verpasste Chance, um die Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes durch Schweizer Konzerne zu gewährleisten. Es ist höchste Zeit, eine Gesetzgebung zu verabschieden, die Konzerne verpflichtet, Menschenrechte und Umweltstandards bei ihren Auslandtätigkeiten zu respektieren. «Der Bundesrat muss so schnell wie möglich einen Gesetzesvorschlag ausarbeiten, der mit den internationalen Standards und den bereits von mehreren EU-Ländern verabschiedeten Gesetzen harmonisiert ist», sagt Missbach.

Was den Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise betrifft, so begrüsst Alliance Sud zwar die Erhöhung des jährlichen Beitrags für die IZA, doch angesichts ihrer wirtschaftlichen Bedeutung muss die Schweiz mindestens 1%, d. h. 1 Milliarde Franken pro Jahr, zur internationalen Klimafinanzierung beitragen, ohne die bestehende Entwicklungszusammenarbeit zu belasten.

Für weitere Informationen:
Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Tel. +41 31 390 93 30

Artikel

Krieg in der Ukraine: Traktoren auf Abwegen

08.03.2022, Internationale Zusammenarbeit

Auch wenn wir immer noch schockiert auf den immer brutaler werdenden Krieg in der Ukraine starren, so zeichnen sich bereits die gravierenden Auswirkungen auf Entwicklungs- und Schwellenländer ab.

Andreas Missbach
Andreas Missbach

Geschäftsleiter

Krieg in der Ukraine: Traktoren auf Abwegen

Der ukrainische Landwirtschaftsminister Oleg Ustenko sagte in der Financial Times: «Unsere Traktoren sollten die Felder pflügen und die Welt ernähren, aber stattdessen verbringen zu viele von ihnen ihre Zeit damit, kaputtes und erbeutetes russisches Kriegsgerät abzuschleppen.»
© uschi dreiucker / pixelio.de

Grob gesagt, lässt sich der Süden einmal mehr zweiteilen: in Erdölexporteure und Nahrungsmittelimporteure. Entwicklungsländer, die Öl oder metallische Rohstoffe exportieren, profitieren von den explodierenden Preisen. Einige afrikanische Erdöl-Produzenten, die wegen Covid vor dem Staatsbankrott standen, können diesen eventuell jetzt noch abwenden.  

Steigende Ölpreise treffen natürlich auch viele Entwicklungsländer, die von Energieimporten abhängig sind, viel unmittelbarer und gravierender ist die Inflation jedoch bei den Nahrungsmitteln. Die Ukraine ist – oder eher war – der fünftgrösste Getreideexporteur, China etwa bezog 80 Prozent seiner Maisimporte aus dem Land. Jetzt und noch bis Ende April wäre die Aussaat fällig, doch die Felder werden bombardiert und wie der ukrainische Landwirtschaftsminister Oleg Ustenko in der “Financial Times” schrieb: «Unsere Traktoren sollten die Felder pflügen und die Welt ernähren, aber stattdessen verbringen zu viele von ihnen ihre Zeit damit, kaputtes und erbeutetes russisches Kriegsgerät abzuschleppen.»

Eines ist der Ausfall der ukrainischen Ernte, das andere ist die kommende weltweite Zunahme der landwirtschaftlichen Produktionskosten oder die Abnahme der Erträge, weil die Düngerpreise durch die Decke gehen. Russland ist weltweit der grösste Exporteur der Düngerkomponenten Stickstoff und Kali (dies zusammen mit Weissrussland) und der zweitgrösste Produzent von Phosphor. Stickstoff kann zwar grundsätzlich überall aus der Luft gewonnen werden, aber es braucht dazu grosse Mengen Erdgas. Bereits letztes Jahr ging wegen den damaligen Preissteigerungen beim Gas die Europäische Produktion von Stickstoffdünger um 40 Prozent zurück. Explodieren die Erdgaspreise, wird Stickstoffdünger unbezahlbar.  

Damit könnten selbst grosse Agrarproduzenten wie Brasilien, von den Preissteigerungen gar nicht profitieren, weil die Dollars, die sie durch ihre Exporte von Mais und Soja einnehmen, von den viel höheren Importkosten – Brasilien importiert Dünger hauptsächlich aus Russland – aufgefressen werden. Der Krieg in der Ukraine macht nicht nur die klimapolitische nötige Abkehr von fossilen Brennstoffen dringender denn je, sondern auch die ebenso klimapolitisch nötige Überwindung der industriellen Landwirtschaft.

Wegen den Auswirkungen der Pandemie gehen bereits 100 Millionen Menschen mehr hungrig zu Bett. Besonders explosiv ist die Situation im Nahen Osten und in Ägypten, deren Bevölkerung zu einem grossen Teil von Getreideimporten abhängt. Zur Erinnerung: Die spekulationsgetriebenen Getreide-Preissteigerungen nach Missernten in der Ukraine und in Russland 2011 waren ein Auslöser der Bürgerkriege in Libyen und Syrien. Kriege gebären Kriege.

Es braucht eine starke Zivilgesellschaft  

Der Krieg zeigt ganz unmittelbar wie wichtig die Zivilgesellschaft ist, um schnell Hilfe zu leisten und die grosse Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in Europa in vernünftige Kanäle zu leiten. Die Mitglieder von Alliance Sud leisten in der Nothilfe in der Ukraine selbst und bei der Betreuung von Flüchtlingen in den Nachbarländern und in der Schweiz einen wichtigen Beitrag. Und Russland zeigt dramatisch, welche Konsequenzen es hat, wenn die Zivilgesellschaft über Jahre Schritt für Schritt zum Schweigen gebracht wird und zuletzt nur noch eine Handvoll Demonstrierende übrig bleiben, die im Gefängnis landen oder selber flüchten müssen.